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Das Bettstattl

Dem Maler Ulrich Fridwanger hatte ein langes Leben alles gebracht, was es nach dem Glauben der Leute einem Künstler geben kann: Erfolg, Ruhm, Reichtum, Ehren ... Seine Bilder hingen als kostbarer Besitz in den Sammlungen und Palästen der alten und der neuen Welt. Das Glück war – nach langen harten Kampfjahren – dem einfachen, stillen Mann nachgelaufen und hatte an einen, dem ein schlichter Sinn gar nicht so danach stand, seine Fülle verschwendet. Nun war er Professor, Geheimrat, Ehrendoktor und Malexzellenz geworden, und sein Name war für den kleinen Mann im Volk einfach die Kunst, der Künstler. In allen Schaufenstern sah man Vervielfältigungen seiner Werke von der Postkarte bis zum Quadratmeterdruck, und längst schon versuchten emsige Epigönchen, das, was bei seiner Kunst Blut und Seele war, mit verschmitzter Geschäftstüchtigkeit nachzukitschen. Der Maler Ulrich Fridwanger hatte sein ganzes Leben lang aus Herzensgrund geschafft, voll Feuer und Liebe zum Werk, zum Leben und Bilden, und trotz Ruhm und Erfolg war sein Schaffen, losgelöst vom Tag und Markt, ein ehrliches Stück seiner Selbst gewesen. Ein langer Weg lag hinter ihm. Viel hatte er gesehen, erlebt, erduldet, erkämpft.

Nun war er müde geworden. Er silberte in die Siebzig hinein und lebte jetzt fern von aller Welt in einem kleinen grünumbuschten Haus in einem stillen Bergdorf bei seiner Tochter und seinen Enkeln, beschnitt die Rosenstöcke, ging den Raupen nach und sah den Immen zu. Er band der kleinen Liesel die blaue Zopfschleife und half dem Maxi bei den schweren »U«, daß die Tafel voll wurde, und das kleine Nesthockerl, das Reserl, durfte mit seinem weißen Bart spielen. Des Abends half er der Mutter, die spielmüden Kinder mit List und Scherz und Schabernack zu Bett bringen, und freute sich an dem rosig überhauchten Schlaf der Kleinen.

Die Mutter bettete das Reserl mit huscheliger Sorgfalt ins kleine Nest und strich die Decke glatt. Dabei ging ihre Hand von ungefähr über das kleine Bettstattl, und sie schüttelte ein wenig unzufrieden den Kopf. Ein bißl mitgenommen sieht das Bettstattl aus, sagte sie. Das könnt' wieder einmal das Streichen vertragen. Ich muß doch in den nächsten Tagen den Malerwastl kommen lassen.

Der Großvater wandte den Kopf. Er sah das kleine Nest vom Reserl prüfend an. »Weißt was, Berti«, sagte er zur Tochter, »das streich ich dir! Das richt' ich her auf den Glanz! Das muß nur nobel aussehen!« Ganz begeistert war der Alte.

»Aber Vaterl! Aber Exzellenzvaterl! Du – und Bettstattl anstreichen!!« – Die Tochter schüttelte sich in komischem Entsetzen. Aber der Großvater wurde warm. »Aber freilich, Berti! Gleich morgen fang' ich damit an! Laß nur die Vevi in der Früh beim Kramer die Farb holen.« Ganz liebevoll gingen seine jungen Augen über die Kanten und Linien des Bettstattls, und die feine Hand führte schon, den Flächen nachgehend, in Gedanken den Pinsel.

»Das machen wir«, sagte er nochmal. »Ei, freilich: das soll mir eine liebe Arbeit sein!«

Am andern Vormittag saß die Exzellenz schon im Malerkittel vor dem Bettstattl, und der breite Pinsel ging voll Sorgfalt, Liebe und handwerklicher Kenntnis in die Fugen und Winkel des kleinen Möbels, und dazu rauchte der Alte seinen Kanaster oder pfiff stillvergnügt vor sich hin, so wie er's immer beim besten, frühesten Schaffen an der Staffelei gehalten hatte.

Die Tochter stand dabei und schüttelte lachend den Kopf. »Aber Vaterl! Der Malerwastl kann doch« ... »Nix da! Malerwastl! Selber Malerwastl! Oder glaubst d' vielleicht, ich kanns nicht grad so?« und drohend zückte er den saftigen Pinsel gegen die Tochter.

Bis in den Mittag hinein saß er am Bettstattl, vergaß aufs Essen und mit ihm die Enkelkinder, die jauchzend um den Großvater waren und immer wieder riefen, sie hätten gar nicht gewußt, daß der Großpapa so schön malen könnt', und der Maxi schwor bei Stein und Bein, nichts anderes als ein Maler werden zu wollen und Bettstattln anzustreichen. Immerzu Bettstattln, und der Großpapa müßt's ihm lernen.

Als er fertig war, da ging er voll Liebe um sein Werk herum, und alle mußten kommen und es sehen: die Tochter, die Kindsmagd, die Köchin und der alte Hausl. Und alle waren des Lobes voll, und die Exzellenz strahlte vor Freud.

»Naa«, sagte die Köchin, »naa, Exlenz, schöner hätt's da Malerwastl aa net ferti' bracht!« Und die Exzellenz freute sich über dieses Lob mehr als über manchen Orden von einst. Nachmittags kamen Freunde aus der Stadt: Künstler, Gelehrte und ein abgrundtief gescheiter Professor, der über Bilder schrieb. – Man saß in der Laube beim Kaffee, und der Kunstprofessor konnte die Rede nicht mehr länger halten, er zergliederte und verglich und untersuchte den Parallelismus der Palette zwischen den Frühbildern unseres Meisters und seinem Werk in der Dresdner Galerie: »Dämmernde Welt« und fand mit viel Geist und Wort die Linien zur neuen Kunst heraus, legte sie klar und entwirrte verborgene Fäden ... es prasselte nur so von »ismen« und »ungen« – indes der alte Maler mit seinen großen grauen Augen in den Garten sah und damit einer brummelnden Wespe von Blume zu Blume folgte. Und auf ihr Brummeln hörte er viel lieber als auf das Plätschern des Kunstprofessors ... »Und an welchem Werk, verehrter Meister, haben Sie wohl am liebsten gearbeitet, was dünkt Sie selbst um Ihr Schaffen in den letzten Jahren der Vollendung Ihrer Kunst?« Der alte Maler lächelte fein – es war wie Verlegenheit und leise Abwehr, was um Augen und Mund ging, als der Gast ihm mit der Kunstsuada so dicht auf die Haut rückte. – Seine Hand machte eine unbewußte Abwehrbewegung, als wollte er all das Reden um sein Werk von sich weisen wie einen lästigen Mückenschwarm. Er sagte in seiner stillen, ein wenig müden, gelassenen Art und nicht sehr bewegt von Frage und Antwort: »Mein lieber Professor, ich weiß es selbst nicht. – Es ist wohl wie mit Kindern. Man hängt an allen gleichermaßen. Zorn und Liebe, Bitterkeit und Freude, Hoffnung und Enttäuschung ist dabei. Manches geht weg und wird fremd, man kennt es nimmer, versteht das eine oder andere nicht mehr, es gehört der Welt, der Fremde, gehört den vielen ... gehört irgendeinem, indes der Vater ...«

Der Maler brach die Rede ab und sah wieder in den abendlichen Garten.

Es wurde kühl, man ging ins Haus und zeigte den Gästen Bau und Anlage des Landsitzes, denn es war am Nachmittag einmal von Landhäusern und ihrer zweckvollsten Bauart die Rede gewesen.

Man kam auch ins Kinderzimmer. Dort stand das kleine Bettstattl, weißfarbig glänzend, und es duftete noch von Farbe und Arbeit im Raum.

Der alte Maler ging darauf zu, besah seine Arbeit noch einmal, wie verstohlen, mit liebevoller Zufriedenheit, und als sich die Gäste schon zur Tür wandten, um wieder auf den Gang zu treten, da stand der Alte immer noch vor seinem Tagwerk, und in seinem Gesicht war ein glücklicher Schimmer.

Der Kunstprofessor wandte sich um und wollte etwas fragen. Da wies der Maler lächelnd auf das Bettstattl und sagte zu ihm: »Sehn S', Herr Professor, mein letztes Werk!«

»... W–wie meinen Exzellenz? Sie selbst ...?« Der Kunstprofessor bekam große, runde, hilflose Augen: »Belieben zu scherzen! Großartig! Der Herr Geheimrat als Anstreicher! Großartiger Scherz!«

»Ja«, sagte der Maler, und in seiner Stimme war ein kleiner, fast unmerkbarer Bruch: »... Mein letztes Werk und eins von den glücklichsten ...«

»Finden Sie nicht, Herr Kollege«, sagte der Kunstgelehrte auf der Heimfahrt, »finden Sie nicht, der Meister wird jetzt alt – sehr alt und merkwürdig – manchmal sehr merkwürdig ... Also, das mit der Bettstatt ...! Tolle Sache! Eine Anstreicherarbeit nennt er eine seiner glücklichsten! – Toll, nicht wahr ...!«


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