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Ein altes Album

Da liegt es vor uns, ein schwerer, dickleibiger Band mit Metallecken und festem Schloß, mit bretterdicken Blättern, in die sauber die »Fenster« hineingeschnitten sind. Und darin, ein bißchen gelblich verblichen schon, alte Fotografien.

Fotografiert werden war »damals« eine Haupt- und Staatsaktion. Vom Fotografieren als Sport, Liebhaberei war noch kaum die Rede. Der Fotograf war noch eine Art von Magier, Zauberkünstler mit flatterndem Schlips und wehendem Haarbusch. Vor dem »Kasten« stand man feierlich im Staatsgewand, voll Haltung und Würde, und war gerade so »freundlich«, als es der Bildniskünstler verlangte.

Man stelle sich einmal vor: an Großmama hätte jemand das Ansinnen gestellt, sich im Schwimmanzug knipsen zu lassen, wie es heute bei den Enkeln gang und gäbe ist. Der Fotograf, die Kundin, der Apparat wären gleich vom Staatsanwalt beim Krawattl gepackt worden. Das alte »Fotografie-Album«, würdig, feierlich, zeigt uns Verwandte und deren Freunde nur in Galakleid und Galamiene, zeigt aber auch bei aller »Steifheit«, daß für die alte Generation das Fotografiertwerden nicht Gelegenheitssache war, sondern immer einen Lebensabschnitt, einen Markstein bedeutete.

Da ist, schon etwas verblaßt, in alter bayerischer Korporalsuniform das Bildnis des Großvaters aus dem Jahre 1871. Er, den man von Kindheit an als großen, breiten, alten Herrn kannte, ist da ein ziemlich schmaler Jüngling. Noch schmäler steht das Gesicht nach Verwundung, Krankheit und Strapazen über dem niederen Kommißkragen. Der Krieg war zu Ende. Man war wieder daheim, ist vielleicht am nächsten Tag ins bürgerliche Handwerk zurückgekehrt. Sicher ist es das erste Bildnis im Leben des Großvaters. Man hat damals nicht so viel Wichtigkeit um die eigene Person gemacht wie heute.

Mutter, als sie noch Braut war. In einem Kleid mit hundert Rüschen und Falten und einer Porzellanbrosche mit einem Engelskopf darauf. Wohl der erste Bildeindruck aus unserer Kinderzeit. Ein bescheidener »Cul de Paris« ist da, und vom Kapotthütchen nicken Blumentrauben.

Hier ist ganz verblichen Großmutters Bild in der Krinoline mit dem schmalen, weißen Kragen über dem Taftkleid, mit zierlichem Schirmchen, behäbig, freundlich lächelnd, wie man es gern bei einer Wirtin sieht.

Ein flotter Herr aus den siebziger Jahren erscheint, der Onkel Bernhard. Er hat auf dem Renaissancetischchen den hohen, flachkrempigen Zylinder liegen, der Gehrock ist zurückgeschlagen, in der Tasche der weiten Pepitahose hängt nachlässig-graziös die linke Hand, indes sich die Rechte kraftvoll auf das Tischchen stützt. Über die tief ausgeschnittene Weste läuft die dünne Goldkette zur Uhr, unter dem breiten Liegkragen zipfelt kokett ein ganz schmales, schwarzes Schlipschen. Vielleicht hat er das Bild damals seiner Liebsten mit einem verschnörkelten Brief zugesandt. Kurz vor dem Krieg von 1914 saß er noch, schon ein alter Herr, im Hofbräuhauskeller vor seiner Abendmaß und hatte wohl längst vergessen, was er einst – in den Pepitahosen – für ein verflixter Kerl gewesen ist.

Siehe, ein bäuerliches Brautpaar, Vetter und Basl. Er in langem Schoßrock, den runden Plüschhut auf dem Renaissancestuhl, in der großen Hand die Hand seiner Hochzeiterin, die fest geradeaus schaut, wie der Ihrige mit dem schwarzseidenen schweren Brust- und Vürtuch angetan, das Gebetbüchl und den Rosmarin in der Hand.

Und der Vetter Franz aus den achtziger Jahren, der dann plötzlich nach Amerika hinüber ist und spurlos verschwand. Ein artiger junger Mann mit einem kleinen steifen Hütchen. Und hier das alte, freundliche Dachauer Basl, noch eine herrliche Erinnerung aus Kindertagen. Sie kam nie ohne einen Korb mit Schmalznudeln oder Birnen.

Gruppenbilder vom Schützenfest und von Landpartien kommen, Paten, Vettern, Hochzeitspaare, ein schwarzberockter Primiziant, Mädchen mit großen Vögeln auf kleinen Hüten, Bauernköpfe, bebrillte Studiosi und der Nachbar Biegler als flotter »Velozipedist« neben dem Hochrad in einem märchenhaft sportlichen Dreß.

Man sieht dreißig, fünfzig, siebzig Jahre zurück, und das plüschene Buch birgt ein halbes Hundert Schicksale unserer Vordern, bis zu dem Bild, das uns am fremdesten und merkwürdigsten anschaut: da ist man selbst als kleiner Bub in den ersten Hosen.

Diese alten Fotoschmöker sind unserer Zeit ein bißchen lächerlich. Man sperrt sie ein und zeigt lieber die neuen, scharfen Knick-Knack-Aufnahmen. Sie sind famos, scharf: Kurt auf dem Motorrad, Else auf dem Sprungbrett ...

Aber Geschichten – Geschichten und Geschichte erzählt viel mehr das biedere »Album« von einst, als der Großvater die Großmutter nahm!


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