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Nokturno

Wenn das Dämmerdunkel des Frühsommerabends allmählich in die Nacht hineinwechselt, dann bekommt der Englische Garten, so hundertjährig er sein mag, wie alle älteren Herren einen starken Hang zur Romantik. Wenn der aufmerksame Leser nicht allzu zoologisch geschult wäre, so könnte man in diesem kleinen Bildchen die Nachtigallen heftig im Gebüsch schluchzen lassen. Aber im niedergehenden München haben die Leute den Glauben an die Nachtigallen verloren.

Hingegen wispert's und flüstert's von allen Bänken am Weg. Zigaretten glühen aus der Dunkelheit. Leuchtkäfer schimmern grünphosphorn durch schwarzes Laubwerk, und helle Sommerkleider und helle Beine glänzen durch die Nacht, die wahren Irrlichter vor dem suchenden Wandersmann.

Vom See her trägt ein sanfter Wind manchmal ein Stück weicher, verliebter Tanzmelodie durch den Park, über Seufzer und Schwüre, Beteuerung und Bitte, Gelöbnis und Zärtlichkeit. – Nachtwandlerinnen wandeln, ohne somnambul zu sein, die Pfade auf und nieder. Zu zweien und zu dreien und fühlen sich verfolgt von juniheißen Jünglingen in hellen Flanellhosen, Schatten gleiten aneinander vorbei. Wie große indiskrete Augen leuchten von der Straße herüber die Radlerlaternen.

Im »See« spiegeln sich die Lichter der Einkehr und zittert das Widerspiel der bunten Papierlaternen über romantischen Kahnfahrten. Kleine Mädchen sitzen da wie große Herzoginnen im Schiff und lassen sich durch die Nacht schaukeln. Irgendwo singen zwei ein tränenfeuchtes Lied von See und Rosen und Liebe und Tod und fragen die schöne Gärtnersfrau, warum sie weint. Über dem Wasser glitzern die ewigen Sterne, am Ufer ruft jemand in die Nacht hinein: »Obst hergehst, Buzi, Buzi! Du Mistviech, du ausg'schaamts ...«

Von der Insel herüber schluchzt eine Flöte. Die Bäume rauschen, und der Schwabinger Kirchturm hebt über die Wipfel mahnend seinen spitzen Finger: Vui z'vui G'fui!!


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