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Kaffee-Gebäck

Irgendwo in einem verborgenen Winkel der Stadt liegt wie eine Insel der Stillen im Land, fern von Straßenlärm und Orchesterspektakel, das kleine Kaffeehaus. Stilwandlungen – Architekturrevolten – alte und neue Sachlichkeiten der letzten fünfzig Jahre sind spurlos an dem kleinen Kabäuschen vorübergegangen. Es hat noch seine alten Gäste aus der Zeit der Gips- und Gußeisenrenaissancen, und wenn je einmal ein frecher, zugereister, hereingeschmeckter Gast duftlüstern das Öffnen einer Fensteroberlichte verlangt, so setzt diese gewagte Betriebsneuerung die ganze Schiffsmannschaft benebst den Passagieren in Aufregung. Fräulein Rosa, die Kassierin, das Idealbild eines soliden, berufstätigen Zimmerfräuleins, schiebt einem solchen Menschen die Kaffeetasse oder das Weißbierglas verachtungsvoll und widerwillig wie einem Aussätzigen auf den Tisch. Dann tätschelt ihr ein alter, sittlich bewährter Stammgast die Kehrseite, um sie zu beruhigen und abzuregen.

Dem Fräulein Rosa obliegt auch die Verwaltung des kleinen Tischchens, auf dem wie ein heiliger Gral der Aufsatz mit dem Gebäck steht: Hörndln, Bretzeln, Schnitten, Torten, Kuchen, Mohrenköpfe. Neben der angestammten Würze, die ihnen der Konditor verlieh, erhalten alle Gebäckstücke im Lauf des Tages noch eine ganz persönliche Geschmacksnote durch zahlreiche Zigarren-, Virginier- und Pfeifentabake, deren blauer Rauch tändelnd und kosend über ihnen wegschwebt.

Erfolgt vom Tortentisch eine Bestellung, so klemmt Fräulein Rosa ihren verbogenen Nickelzwicker auf die Nase, holt dann routiniert mit Kuchenschaufel und Daumen das Gewünschte vom Aufsatz herab und schaufelt ihren Lieblingsgästen auch noch die Brösel auf den Teller. Jedes Gebäck hat seine Liebhaber und ganz bestimmte Charaktere. Die Hörndln aus Hefeteig werden verlangt von ernsten, gereiften Männern, die sorgfältig ihren Vollbart an die Brust drücken, wenn sie das Gebäck – überlegt und mit zierlich gespreiztem Kleinfinger in die Kaffeetasse tunken und dann das saftige Ende zum Mund führen. Es sind die Naturen, die Tand und Leckereien verabscheuen, Kaffeehaus-Spartaner, genüg- und sparsam, sittenstreng, staatserhaltend – grundsatztreu, auch auf ihre Gesundheit bedacht und lüsternen Enkeln ein Vorbild schlichter Lebensführung.

Schon ausschweifender sind die Konsumenten von allerhand englischen und Obstkuchen. Aber auch sie sind noch lobenswert im Lebenswandel. Der englische Kuchen, mit Rosinen gespickt, wird immer noch als solides Kaffeegebäck angesehen. Sorgfältig pickt der Genießer die Krümel vom Teller und nur manchmal wagt er an Fräulein Rosa die Frage, ob dieser Kuchen nicht vielleicht ein bißchen altbacken ist. Solche Rebellen straft die Rosa mit einem vernichtenden Blick hinter den Zwickergläsern hervor und sagt: Altbacha werd er sei! Was glaabn S' denn eigentli? – Käs- und Apfelkuchen sind die Lieblinge von Frauen, die auf ihren tertelspielenden Gatten warten müssen. Sie prüfen kritisch, und wenn ihr Mienenspiel nicht ganz zufriedenstellend ist, dann sagt Fräulein Rosa zuvorkommend: »Geln S', Frau Inspektor, heut is unser Kuchen wieder ausgezeichnet!«

Auch der Nußkranz erfreut sich hier einer Bevorzugung. Er zählt zu den soliden, bürgerlichen Gebäckarten, die man genießen kann, ohne in den Ruf der Ausschweifung zu kommen.

Das Gebäck der Leckermäuler, Sybariten, der Unsoliden, Leichtfertigen, der Nichts-Als-Näscher, ist die Torte. Wer bei Fräulein Rosa Torte bestellt, erhält sie ausgehändigt – gewiß. Aber ihr Urteil über diesen Gast ist im Reinen, und sie hat sorgsam acht darauf, daß er ihr nicht mit der Zeche durchgeht. Stammgäste hier essen natürlich nie eine Torte. Das tun nur Hereingeschmeckte.

Da liegt sie, das erotische, phantastische Geschöpf bizarrer Konditorlaunen in sieben Farben aufgebaut, ornamental behandelt, creme- und schokoladen-, schlagrahm- und rumgesättigt auf dem Tablett, ein Sinnbild hochstaplerischen, gleisnerischen Wesens, eine Fremde in dem Kaffeehaus, fremd wie ihre Besteller.

Fräulein Rosa läßt die Ecke eines Zeitungsblattes über sie weggehen, sie wischt mit dem Ärmel in den Schlagrahm hinein, sie behandelt diese Torte ausgesprochen schlecht. Als Stimulans für Liebespärchen ist ihr die Torte unsympathisch. Verirrt sich so ein Paar in das kleine Kaffeehaus, so werden Rosas Zwickergläser scharf, und bemerkt sie den Austausch kleiner Zärtlichkeiten, so schüttelt sie verweisend den Kopf und macht zu den Hörndlnessern hinüber mit dem Finger an der Stirn kleine symbolische Zeichen, die sagen, was sie von der Liebe hält. Die Liebespaare bestellen die Torte. Gewiegte Verführer wissen, wie leicht ein empfängliches Mädchenherz mit Schlagrahm zu betören ist.

Der Mohrenkopf, auch in die Klasse der Luxusgeschöpfe zählend, ist weniger aufreizend als die Schlagrahmtorte, aber immer noch das Gebäck für gefühlsbetonte Zustände. Ihn verzehrt das reife Fräulein, das da in der Kaffeehausecke Offerten auf »Frühlingsglück«, »Seelenfreundschaft«, »Reife Menschen« schreibt. Der Mohrenkopf hat der Torte gegenüber etwas Treuherzigeres. Bevor er seinen Konsumenten findet, liegt er über Nacht und Tag auf dem Nickelaufsatz. Allmählich quillt zwischen seiner schwarzen Kappe und dem Boden der Schlagrahm heraus, und wenn sich die Dunkelheit über das Kaffeehäusl senkt, träumt der Mohrenkopf von Palmen und Löwen, Menschenfressern und Tropensonne ...

An ihrem Namenstag gibt sich Fräulein Rosa einer kleinen kulinarischen Ausschweifung hin: einem etwas trocken gewordenen Mohrenkopf zum herabgesetzten Einkaufspreis.


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