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Der Herr Adjunkt läßt sich ausbilden

In der »Harmonie« hat es sich herumgesprochen: Die Kathrein nämlich hat jeden Samstag den Adjunkten mit einer kleinen Reisetasche zum 2-Uhr-Zug gehen sehen. Und da hat ihr dann die Hausfrau vom Herrn Adjunkten – aber das bleibt unter uns, Kathrein – anvertraut, daß er sich in der Großstadt bei einem Gesangsprofessor ausbilden läßt. »So, so, ausbuidn!« sagt die Kathrein. »I sag neamd was, da könna S' Ihna verlassn, Frau Wegscheider«, sagt die Kathrein beteuernd.

Am nächsten Abend wußten sie es schon in der »Harmonie«.

Der Herr Adjunkt singt nämlich Tenor und war eine geschätzte Kraft im Chor der Harmonie. War! Denn der Herr Studienassessor Hingerl singt auch Tenor, und nachdem er der Bräutigam der Berta vom Harmonievorstand ist, hat der Herr Adjunkt den kürzeren gezogen. Sein Tenor war nicht so schön. Der Herr Adjunkt ist gekränkt und ins tiefste getroffen aus der »Harmonie« ausgetreten. Jetzt läßt er sich ausbilden.

Opernsänger will er werden.

Woher er nur das Geld nimmt für die Stunden? Zehn Mark! Und die Reise. Der Herr Stadtrat Bäumle, der Harmonievorstand, sagt: »Was will er denn ausbilden lassen? Seinen Knödel?«

Aber der Herr Adjunkt hat auch heimliche Freunde in der »Harmonie« – nämlich die heimlichen Feinde vom Vorstand. Sie sagen: »Der Professor hätte gesagt, noch ein Jahr, und der Herr Adjunkt ist ein berühmter Sänger. Der berühmteste überhaupt ...«

Darauf grüßt der Studienassessor Hingerl den Sekretär Kagerer nicht mehr, der dem Adjunkten diese Perspektiven eröffnet.

Immerhin: Jeder in Webelstetten schaut den Herrn Adjunkten jetzt mit anderen Augen an. So ein bißchen, wie man ein seltsames, etwas unheimliches Tier betrachtet.

Ausbilden!

Die Backfische fangen schon an zu schwärmen. Der Herr Adjunkt trägt auch schon einen Künstlerschlips und einen Kalabreser. Der Hanswurst, der überspannte, sagen seine Kollegen.

Der Herr Adjunkt erzählt – nachdem' nun öffentlich ist –, wie viele Berühmtheiten sein Professor schon ausgebildet hat.

Er zeigt im »Stern« am Stammtisch, wie man beim Singen richtig atmet.

... Aber davon hat ja dieser Studienassessor Hingerl keinen Dunst!

Solche Äußerungen empören den Anhang Hingerl-Bäumle aufs tiefste. Aber Hingerl sagt: »Solche Gemeinheiten muß man niedriger hängen!«

Ob denn der Dienst des Herrn Adjunkten nicht unter der Ausbildung leidet?

Er leidet nicht. Nur hin und wieder – wenn ein Akt »erledigt« ist, probiert der Herr Adjunkt mit gedämpftem Organ einige Läufe und Figuren.

Der Herr Amtsvorstand legt ihm nahe, diese Übungen während der Dienststunden zu unterlassen. Ein Amtsraum ist keine Oper. Weiß Gott nicht!

Kabalen! sagt sich der Adjunkt. Der Vorstand wird es in ein paar Jahren bitter bereuen. Da wird der Adjunkt eigens nach Webelstetten reisen, durch die Straßen gehen und ostentativ diesen Vorstand nicht grüßen.

Die Frau Expeditor sagt zu seiner Hauswirtin: »Wissen Sie, Frau Wegscheider, wenn er auch berühmt wird und zur Bühne kommt und so – was Sicheres ist es halt doch nicht. Als Beamter hat er halt sein sicheres Gehalt! Aber als Sänger ... Ich täte ihm meine Tochter nicht geben. Mir ist ein sicheres Gehalt lieber als berühmt ...«


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