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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Kurz und traurig.

Man wird sich erinnern, daß Heinrich sich mitten in der Nacht von dem Schlosse in einem Zustand von Geistesverwirrung entfernte, der ihm weder erlaubte, sich zu besinnen, wohin er gehen, noch zu bedenken, was aus ihm werden sollte.

Die Erinnerung an sein Verbrechen trübte seine Vernunft und lastete schwer auf seiner Seele. »O, mein Gott!« jammerte er, »der du mir ein gefühlvoll Herz gegeben, um mit Leidenschaft zu lieben, und eine Seele, die zu schwach ist, um eine verbrecherische Zärtlichkeit zu überwinden, nimm mir das Leben oder entferne aus meinem Gedächtniß das Bild Derjenigen, die meine Marter und meine Seligkeit ist, und die mein Vergehen vielleicht ins Grab stürzt!«

Nachdem Heinrich einen ganzen Tag über Stock und Stein gelaufen war, vermochte er der Müdigkeit nicht mehr zu widerstehen und sprach in einer Köhlerhütte ein. Er befand sich nun mitten im Schwarzwald, in der Nähe von Freudenstadt. Der arme Heinrich, erst von einer langen Krankheit erstanden, war außer Stands, so herben Schmerz zu ertragen, und kaum war er bei dem guten Landmann, als er zum zweitenmal krank darniederfiel. Er hatte indeß beim Eintritt seinem Wirth tiefes Schweigen über seinen Aufenthalt bei ihm auferlegt, und dieser das Geheimniß gewissenhaft bewahrt. Der wackere Husar ließ es sich gewiß nicht einfallen, daß sein geliebter Zögling so nahe bei ihm sei, daß ein hitziges Fieber ihn verzehre und daß er, von Kummer und Leiden niedergedrückt, als einzigen Beistand nur einen armen Köhler habe, der selbst an Allem Mangel litt. Müller wäre zu ihm geflogen, um über seine Tage zu wachen, aber das Schicksal hatte es anders verordnet.

Nach sechs Wochen war er endlich so weit genesen, daß er den Schwarzwald verlassen konnte. Er sagte seinem Wirthe Lebewohl und ging weg, ohne zu wissen wohin. Da er sich indeß vom Schloß Framberg entfernen wollte, schlug er die Straße nach Frankreich ein und verweilte einige Zeit in Straßburg. Er quartirte sich in dem Hause ein, wo er seine theure Pauline wiedergefunden, in jenem Hause, wo er die glücklichsten Augenblicke seines Lebens an der Seite Derjenigen genossen hatte, die er damals seine Gattin nannte.

Zwei Monate blieb er hier, dann beschloß er, zu seiner Zerstreuung nach Paris zu gehen. Auch war seine Absicht dabei, hier die Nachforschungen nach seinem Vater, den er so sehnlich zu kennen und zu umarmen wünschte, wieder aufzunehmen. Es war ihm unbekannt, daß sein edler Wohlthäter die Sache bereits über sich genommen und zu einem glücklichen Ende geführt hatte.

Der Zufall wollte, daß Heinrich in demselben Gasthofe in Blamont rastete, wo Müller und sein Begleiter abgestiegen waren. Er saß an der Table d'hôte, als diese in den Saal traten. Heinrich erkannte sie auf der Stelle, und da er von Müller nicht gesehen werden wollte, ging er, das Sacktuch vor's Gesicht haltend, schnell hinaus.

Er begab sich in sein Zimmer und hier fiel es ihm ein, Pauline werde vielleicht Müller begleiten. Seiner Neugierde nicht Meister, stieg er hinab in den Hof, befragte eine Magd vom Hause, die ihn wirklich von der Ankunft einer jungen Dame, so wie er sie beschrieb, in Gesellschaft des Husaren, unterrichtete und ihm sagte, dieselbe habe in einem Zimmer des ersten Stocks ihr Nachtlager genommen.

In der Ueberzeugung, daß Pauline, Müller und Frank mit einander reisten, suchte er den Beweggrund ihrer Reise zu ergründen und konnte keinen andern auffinden, als daß sie noch in seiner Verfolgung begriffen seien. Mit dem festen Entschluß, sich nicht zu zeigen, ging er wieder in sein Zimmer, unter Betrachtungen über dieses Zusammentreffen; aber der Gedanke, seine Pauline ruhe unter einem Dache mit ihm, gönnte ihm keinen Augenblick Ruhe.

So wie der Tag graute, war Heinrich auf den Beinen. Das Verlangen, Pauline wieder zu sehen, trieb ihn fort und er stellte sich vor dem Thore des Gasthofs auf die Lauer, ungeduldig auf ihre Erscheinung harrend. Nach ziemlich langem Warten fing sein Muth zu sinken an, und er wollte gerade den Platz räumen, als er die so sehnlich Herbeigewünschte, an sich vorüberkommen sah; aber Müller und Frank waren nicht dabei: ein einziger Mann, ein Mann, den Heinrich nicht kannte, schien sie zu geleiten. Erstaunt hierüber folgte ihnen unser Held in ziemlicher Entfernung. Am Saume des Waldes fielen zwei Männer über Pauline her und trugen sie ein paar Schritte weit in einen Reisewagen; vergebens sträubt sich Pauline und schreit nach Hülfe, sie ist bald im Wagen, und ihr Führer steigt auf den Bock und peitscht auf die Pferde los, die in raschem Trabe davonfliegen.

Heinrich war Paulinen zu Hülfe geeilt; aber er war zu sehr entfernt, als daß er hoffen durfte, sie ihrem Entführer abjagen zu können. Doch Liebe und Wuth geben ihm Flügel, er läuft mit solcher Geschwindigkeit, daß es ihm bald gelingt, den Wagen einzuholen. Nun schreit er dem Postillon zu, er solle anhalten: da dieser nicht auf ihn hört, sondern seinen Weg fortsetzt, greift Heinrich zu dem einzigen noch übrigen Mittel, seine Freundin zu retten: er feuert eine Pistole auf den Kutscher ab, und dieser stürzt todt nieder auf den Weg.

Da hielt der Wagen sogleich still; ein Mann steigt wie rasend heraus und springt mit dem Degen in der Hand auf Heinrich los; dieser erkennt ihn, es ist Herr von Monterranville, der Mörder im Walde. »Komm her, Elender!« rief er ihm zu; »komm her und empfange den Lohn Deiner Schandthaten.«

Festen Fußes erwartet er seinen Gegner und beide fallen einander mit gleicher Wuth an; in diesem Augenblick fand sich unser Husar auf dem Kampfplatze ein.


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