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Achtes Kapitel.

Der Geheimnißvolle.

»Erbarmen! ... zu Hülfe! ... « schrie die Person, der Müller auf die Nase gefallen war. – »Wer bist Du? sprich!« sagte der letztere, ihr seinen Säbel auf die Brust setzend. – »Ach! großer Gott! ... ein Räuberhauptmann! ... – Willst Du mir Antwort geben, Hundsfott, statt zu heulen? Sag, wer bist Du? was machst Du hier? – Ich bin Pförtner dieses Hauses; in Abwesenheit meines Herrn war ich in den Keller herab gegangen, wo ich einschlief, indem ich ... – Den darin befindlichen Wein soff. Aha! ich fange an zu verstehen,« fiel ihm Müller in die Rede ... »Gerne würde ich Dir Gesellschaft leisten, guter Freund; aber mein Oberst wartet oben auf den Erfolg meiner Nachforschungen, und ich mag ihn nicht länger im Dunkel darüber lassen; wir wollen ihm also Licht bringen; hernach können wir, wenn Du willst, immer wieder herabkommen, wo ich Dir dann mit Vergnügen einige Flaschen zu leeren behülflich sein werde.«

Mit diesen Worten treibt Müller seinen Wirth die Treppe hinauf. Nachdem dieser sein Licht aufgerafft hat, geht er zitternd vor Müller her, noch nicht wissend, was er von diesem Vorfalle denken sollte.

Oben in einem Gemache angelangt, zündete Carl (so hieß der Pförtner) sein Licht an, ohne daß er gewagt hätte, die Augen zu der bei ihm befindlichen Person aufzuschlagen. »Vorwärts, geh nur voran,« sagte Müller zu ihm, »damit wir meinen Oberst wieder finden.«

Nachdem sie mehrere Zimmer durchstreift hatten, trafen sie endlich auf den Oberst und den Postillon, welche über Müller's Abwesenheit sehr in Unruhe waren. »Seht, Oberst,« sprach der letztere, »hier ist das einzige lebende Wesen dieses Hauses; ich hab's im Keller aufgefunden! – Ach, braver Mann,« sagte der Oberst zu Carl, »werdet Ihr so gütig sein, die Weise zu entschuldigen, mit der wir in dieses Haus gedrungen sind?« – Carl, durch die Furcht wieder nüchtern geworden, hörte den Oberst aufmerksam an. »Ihr seid also keine Räuber? ...« rief er aus, als dieser letztere seine Rede geendigt hatte. – »Wen heißt Du Räuber?« fragte Müller. – »Nein, mein Freund,« versetzte der Oberst, »wir sind Reisende. Ich war mit diesem braven Krieger auf dem Wege nach Straßburg, als unser Reisewagen in einen Graben stürzte; ich war am Bein verletzt, und da wir kein Obdach für die Nacht erblickten, versuchten wir, in der Hoffnung, Hülfe zu finden, in dieses Haus zu gelangen. – Oh! wenn Sie Reisende sind, stehe ich ganz zu Ihren Diensten, mein Herr. Mein Gebieter ist seit einigen Tagen abwesend; bis zu seiner Rückkunft will ich Sie in ein Zimmer führen, wo Sie ein gutes Bett finden werden. – Nun, das laß ich mir gefallen. Alter,« sagte Müller, Carl auf die Achsel klopfend, »das söhnt mich wieder mit Dir aus; ich sehe, Du bist ein guter Kerl und wir werden uns schon vertragen. – Aber,« bemerkte der Oberst, »Ihr sagtet mir, Euer Gebieter sei abwesend, fürchtet Ihr nicht, er möchte Euch bei seiner Zurückkunft Eurer großmüthigen Gastfreundschaft wegen auszanken? – Nein, mein Herr, mein Gebieter ist ein sonderbarer Mann, zuweilen finster und schweigsam, zuweilen lustig und schwatzhaft; im Uebrigen aber habe ich ihn stets ziemlich menschlich gegen Jedermann gesehen, und ich zweifle nicht, daß er mein Benehmen gegen Sie gutheißt. – Ei, zum Henker! wenn er nicht ein wirklicher Bär ist, wollen wir ihn schon kirre machen!« rief Müller aus.

Der Oberst, der Ruhe höchst bedürftig, bat den Pförtner, ihn an den für ihn bestimmten Ort führen zu wollen. Carl war eifrig bemüht, ihm zu gehorchen; Müller und der Postillon trugen ihn, denn seine Verletzung hatte sich so sehr verschlimmert, daß er sich nicht mehr aufrecht zu halten vermochte. Sie gelangten in ein angenehm gelegenes Zimmer mit der Aussicht auf den Garten des Hauses. Der Oberst ließ sich zu Bette bringen und forderte Müller auf, sich gleichfalls zur Ruhe zu legen, mit der Versicherung, er werde ihn rufen, sowie er seiner bedürfe.

»Ha, Kriegskamerad!« sagte Müller zu Carl, als sie aus dem Zimmer des Obersten gingen, »obgleich wir teufelmäßig müde sind, ich und dieser dicke Lümmel (dabei deutete er auf den Postillon), welcher nichts spricht, darum aber nicht weiter denkt, würden wir nach meiner Meinung doch nicht übel daran thun, uns ein wenig zu restauriren; denn seit beinahe zwölf Stunden habe ich nichts zu mir genommen, und mit leerem Bauch kann ich gar nicht einschlafen. – Nun, das heißt gut gesprochen, Herr Müller,« bemerkte der Postillon, »und ich bin ganz Ihrer Meinung. – In diesem Fall will ich suchen, Euch ein Nachtessen vorzusetzen, doch müßt Ihr vorlieb nehmen mit dem, was da ist! ... – O! wir sind nicht lecker; im Krieg, wie anderswo, esse ich, was man mir gibt; aber ich glaube bemerkt zu haben, daß der Keller gut versehen ist ...« Carl fing an zu lachen, und die Herren beschäftigten sich sogleich mit den Zurüstungen zu ihrem Mahle.

Bald war Alles bereit und man setzte sich zu Tische. Müller lobte den Wein, der Postillon sprach kein Wort, aus Furcht, um einen Bissen zu kommen, und der Pförtner, ein tüchtiger Zechbruder und voller Freude, daß er Leute gefunden hatte, die ihm die Stange halten konnten, war bald in bester Laune und äußerst gesprächig. Er fing an, seinen Gästen die Lebensweise seines Herrn zu erzählen. »Der Herr von Monterranville,« sagte er zu ihnen, »ist ein närrischer Kauz; er bringt sein Leben damit zu, im freien Felde umherzurennen, zu reisen, der Teufel weiß wohin, oder sich in diesem Hause einzuschließen, wo er Niemand sieht als mich und einen langen Bengel, den ich nicht kenne. Bald ist er traurig, bald lustig; kurz, seit den zehn Jahren, die ich mit ihm in diesem Hause wohne, habe ich weder seinen Charakter entziffern, noch den Beweggrund seiner häufigen Abwesenheit verstehen können! ... – Du bist halt kein Pfiffikus, dreifache Patrontasche! Mich läßt man nie anlaufen, und wenn ich einen Menschen sehe, errathe ich stets an seinen Augen, was an ihm ist! ... – Ei was!« fiel der Postillon ein, »es gibt Gesichter, aus welchen man gar nichts herausbringen kann! ... – Es gibt auch sehr trügerische!« fuhr Carl fort. – »Thut Alles nichts, Freunde!« versetzte Müller; »ein Mensch mag verbergen, was in seiner Seele vorgeht, wie er will, ein durchdringender Blick gelangt stets zur Entdeckung der Wahrheit; und ich bin der Meinung, daß aller Verstellungskunst ungeachtet, deren gewisse Leute fähig sind, die Natur dem Schurken und dem Tugendhaften nicht einen und denselben Blick verliehen hat; auch darf ich nur ein einziges Mal Deinen Herrn von Monterranville sehen, und ich will Dir bald sagen, was an ihm ist.«

Nachdem Müller seinen physiognomischen Scharfblick noch lang und breit gerühmt hatte, gewahrte er endlich, daß seine beiden Tischgenossen ihn nicht mehr hörten und fest schliefen. Sich hierauf der Länge nach in einem Lehnstuhl ausstreckend, brauchte er nicht mehr lange, bis er ihnen nachahmte, und bald schnarchten sie ein herrliches Trio.

Den andern Tag war der Oberst nicht im Stande, aufzustehen; er hatte eine schlimme Nacht gehabt, und seine Verletzung, gereizt durch die seit mehreren Tagen erlittenen Beschwerlichkeiten und die sein Blut erhitzende Ungeduld, nahm einen sehr bedenklichen Charakter an. Der gute Carl, ein wenig in der Heilkunde erfahren, legte ihm einen Verband an, und empfahl ihm die größte Ruhe; darüber fluchte der Oberst freilich am meisten, allein man mußte sich der Notwendigkeit fügen.

Der Postillon reiste mit dem Befehl, in Kurzem Pferde herbeizubringen, nach Straßburg ab. Seit acht Tagen befanden sich der Oberst und Müller in dem einzelnstehenden Haus, als der Eigenthümer von seiner Reise zurückkam. Der Oberst war in Verzweiflung, auf solche Weise einer ihm unbekannten Person zur Last zu sein; aber bei Erzählung des in seinem Hause Vorgefallenen lobte Herr von Monterranville Carls Benehmen sehr, und ging nach des Obersten Zimmer, um diesem zu sagen, welches Vergnügen es ihm mache, ihm bei dieser ärgerlichen Veranlassung nützlich sein zu können.

Der Oberst lag im Bett, im Gespräch mit Müller über Heinrichs Aufführung, als sein Wirth in das Zimmer trat. Dieser näherte sich dem Bett des Obersten und sagte, obgleich er den ihn betroffenen Unfall sehr bedaure, wünsche er sich doch Glück, daß er in seinem Hause Hülfe gefunden habe. Während der Oberst diese verbindlichen Reden erwiderte, war Müller auf die Seite gegangen und unterhielt sich mit Betrachtung der Züge dieser neuen Person.

Herr von Monterranville war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, groß, mager, von gelblicher Gesichtsfarbe, lebhaften und blitzenden Augen, wenn er Jemand ins Gesicht sah, aber gewöhnlich schlug er sie nieder; übrigens von ziemlich hübschem Gesichte und anstandsvoller Haltung.

»Diesen Menschen mag ich nicht leiden,« sprach Müller bei sich selbst, nachdem er Herrn von Monterranville betrachtet hatte; »entweder irre ich mich sehr, oder er ist nicht offenherzig in seinen Reden.«

Der Oberst dagegen dankte dem Hausbesitzer aufs Wärmste und wünschte sich Glück, in so gute Hände gerathen zu sein. Mit der Bitte, zu thun, als wäre er in seinem Eigenthum, verließ ihn der letztere.

Nach seinem Weggehen theilte Müller dem Oberst seine Gedanken hinsichtlich ihres Wirthes mit; aber der Oberst nannte ihn einen Geisterseher und war nicht seiner Meinung.

Müller's Schlafzimmer lag dem des Hausherrn gerade gegenüber; nur war das seinige einen Stock höher, er konnte daher durch die Halbvorhänge hindurch unterscheiden, was in dem Gemache desselben vorfiel.

Als Müller schlafen ging, stellte er seine Betrachtungen über die Person an, in deren Hause sie sich befanden. Während dieses Nachgrübelns verstrich die Zeit, und er sah an seiner Uhr, daß es nahezu Mitternacht sei. Er stand auf, um sein Licht auszulöschen, und gegen das Fenster tretend, gewahrte er noch Licht im Zimmer des Herrn von Monterranville; Neugierde und der Wunsch, etwas zu entdecken, was seine Gedanken rechtfertigen könnte, bestimmten ihn, einen Augenblick zu seinem Nachbar hinüberzublicken. Er löschte sein Licht, damit man ihn schlafen glaube und stellte sich leise in eine Fenstervertiefung. Geraume Zeit blieb er in dieser Stellung, ohne daß er etwas erblickt hätte; des vergeblichen Harrens müde, wollte er sich eben niederlegen, als er Herrn von Monterranville mit starken Schritten im Zimmer auf- und abgehen sah, wie in tiefes Nachdenken versunken; er bemerkte hierauf, wie derselbe seinen Schreibtisch öffnete, mehrere Geldsäcke herauslangte, genau betrachtete, einige derselben überzählte und endlich Alles stehen ließ, um wieder in seine Träumereien zu verfallen. Aergerlich, daß er nicht mehr sah, legte sich Müller ins Bett, sehr mißgestimmt, nicht enträthseln zu können, was das Alles heißen sollte.

Am andern Tage gleiches Verfahren von Seiten Müller's, gleiches Benehmen von Herrn von Monterranville, nur daß er diesmal seinen Sekretär nicht berührte; aber er ging wieder langsam auf und ab, blieb zuweilen stehen, um sich an die Stirne zu schlagen, oder wohl sich wie in der heftigsten Verzweiflung auf einen Sessel zu werfen.

Am Ende wünschte Müller seinen Wirth und dessen geheimnißvolle Zimmerspaziergänge zum Teufel und legte sich mit dem Gedanken nieder, Herr von Monterranville sei entweder ein Nachtwandler, oder habe Anfälle von Tollheit.

Die Zeit verstrich indeß, die Wunde des Obersten heilte, jedoch nur langsam. Aergerlich, keine Nachrichten von Heinrich zu bekommen, und wohl einsehend, daß er ihm lange nicht nacheilen könne, beschloß er, Müller vorauszuschicken, damit er endlich erfahre, wie die Sachen stünden, und deßhalb ließ er diesen zu sich kommen, um ihm sein Vorhaben mitzutheilen.

»Müller,« sagte er zu ihm, als sie allein waren, »ich kann meiner Ungeduld nicht widerstehen, ich muß durchaus wissen, was Heinrich gegenwärtig treibt. – Tausend Bomben, Oberst! glauben Sie, ich wünsche es nicht eben so sehnlich und fluche nicht, daß ich Sie da ans Bett genagelt sehe, wie ein alter Achtundvierzigpfünder?... Aber was kann man machen, Oberst ? Muth gefaßt! ... – Hör einmal, Müller! wenn Du willst, so warte ich meine Herstellung viel geduldiger ab. – Wenn's von mir abhängt, mein Oberst, so dürfen Sie nur sprechen. – Gut, in diesem Fall, lieber Müller, mußt Du nach Straßburg reisen, und Heinrich nachspüren. – Wie, mein Oberst, ich soll Sie in diesem alten, verfallenen Neste allein lassen? ... – Warum nicht? – Wo Sie zum einzigen Gesellschafter einen Menschen haben, der einem Orangutang ziemlich ähnlich sieht? – Bedenk doch, daß ich bald hergestellt sein werde und Dir alsdann folge. – Nur mit Bedauern verlasse ich Sie, Oberst; weil Sie es aber wollen, muß ich gehorchen.– Vergiß nicht, Müller, daß die Augenblicke kostbar sind! Du weißt, was man von Heinrich sagte! ... Ich zittere, er möchte schon verheirathet sein! ... – Ah bah, Oberst! eine solche Dummheit wird er sich nicht ohne Ihre Einwilligung erlauben ... Wenn es überdies der Fall ist... – Wenn es der Fall ist... – Ja, mein Oberst, was soll ich alsdann machen? – Meiner Treu!... thu, was Dir gut dünkt; wenn es aber, wie ich hoffe, nicht der Fall ist, so bemühe Dich, den Gegenstand, der das Herz unseres jungen Mannes fesselt, zu sehen, besonders laß Dich nicht durch den Schein täuschen! ... Unbesorgt, mein Oberst! mich führt man nicht an, namentlich in Betreff der Weiber, und die ausgelernteste, sittsamste Spröde würde mich nicht in ihre Netze bekommen.«

Da die Sache einmal abgemacht war, beschäftigte sich Müller mit seiner Abreise: schon längst hatte der Postillon die verlangten Pferde zurückgebracht; Müller bestieg eines derselben, und nachdem er seinen Oberst dem alten Karl, welchen er mehr liebte, als den Herrn des Hauses, aufs Beste empfohlen und ersterem ein Lebewohl gesagt hatte, schlug er im starken Galopp die Straße ein, welche ihn zu seinem Zögling führen sollte.

Wir lassen den Oberst bei Herrn von Monterranville und sehen ein wenig, was Müller in Straßburg machte.


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