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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Wenig interessant, aber nothwendig.

Wer vermöchte die Freude des Obersten Framberg zu schildern, wie er vernahm, Pauline sei nicht Heinrichs Schwester. »Sie können sich also ohne Gewissensbisse ihrer Zärtlichkeit hingeben? ...« sprach er zu d'Ormeville; »denn ich zweifle nicht, daß Sie ihre Liebe billigen. – Ach, Herr Oberst!« erwiderte der letztere, »glauben Sie, ich möchte meinen Sohn wiederfinden, um ihn unglücklich zu machen? Und haben Sie nicht überdies fortwährend die Rechte eines Vaters über ihn, da Sie ihm so lange Vater waren? Sie behalten diese ehrwürdigen Rechte, und ich würde Heinrich meiner Zärtlichkeit nicht würdig erachten, wenn er für Sie nicht stets die gleiche Liebe hegte.«

Die beiden Freunde umarmten sich herzlich, indem sie einander zuschworen, für Heinrich und Pauline immer die Zärtlichkeit eines Vaters zu hegen. »Aber,« sagte der Oberst, »haben Sie nie einen Versuch gemacht, zu entdecken, wer die Eltern der armen Kleinen waren und woher die Ungeheuer kamen, welche ihren Tod wollten? – Ich gestehe, ich habe es nie zu entdecken gesucht. Erstlich dachte ich, ich würde mir vergebliche Mühe geben; ich hätte in ein Land zurückkehren müssen, wo ich Niemand kannte, um Leute aufzusuchen, die sicherlich meine Rückkunft bis zu ihrer Flucht nicht abgewartet haben werden, wie sie mir's auch vorher gesagt hatten. Dann dachte ich über die Lage meiner theuern Pauline nach; bei mir war sie glücklich, ruhig, und vielleicht störte ich ihre Ruhe, erweckte Feinde gegen sie durch Nachforschung nach ihren Eltern, welche sich ohne Zweifel wenig um sie bekümmerten, da sie nichts für ihre Wiederauffindung thaten. – Hinsichtlich des ersten Punkts haben Sie Recht, lieber d'Ormeville, in Betreff des zweiten bin ich jedoch nicht Ihrer Meinung; denn jetzt, wo Pauline Beschützer, Freunde an uns hat, die sie vor den Nachstellungen ihrer nichtswürdigen Feinde zu bewahren wissen, was sollte sie fürchten, wenn wir ihre Herkunft zu Wiedererlangung ihres Vermögens zu entdecken suchen? Denn Vermögen muß sie haben, daran zweifeln Sie nicht, mein Freund! es gibt stets Leute, die um Gold der größten Verbrechen fähig sind. – Ich denke wie Sie; wie es aber angreifen? welche Mittel in Anwendung bringen? – Darüber wollen wir uns besinnen. Mir fällt ein ... ja, die wir suchen, sind mir vielleicht nicht unbekannt. – Was wollen Sie damit sagen? – Denken Sie noch an Ihr Abenteuer im Walde bei Straßburg, wo Heinrich Ihnen das Leben rettete? – Ha! das werde ich nie vergessen! – Haben Sie sich nicht besonnen, daß diese beiden Männer, welche keine gewöhnlichen Mörder waren, Abgesandte Derer sein konnten, die Ihnen das Kind übergaben, und Sie für Nichtbefolgung Ihrer Befehle bestrafen wollten? – Einen Augenblick habe ich es gedacht; wie soll ich aber annehmen, daß ich Leute in Frankreich und in meiner Nähe wiederfinde, welche so vieles Interesse hatten, mich zu fliehen? – Gewiß wurden Sie hier nicht gesucht; allein wenn Sie dennoch erkannt worden wären ... Erinnern Sie sich, daß man Sie für einen Oesterreicher von Geburt hielt, nicht denkend, Sie in Frankreich zu finden, und es für einen Grund mehr ansah, sich hier anzusiedeln. – Sie öffnen mir die Augen, bester Oberst, und ich zweifle jetzt nicht mehr, daß die Schurken, die an mein Leben wollten, die nämlichen sind, welche meiner Pauline den Tod geschworen hatten. – So vernehmen Sie denn, wie ich sie zu entdecken hoffe: Als Heinrich das Gespräch der beiden Elenden hörte, hatte er Zeit genug, ihr Gesicht genauer zu betrachten; stellen Sie sich seine Ueberraschung vor, als er in dem Herrn des kleinen Hauses im Walde, wo ich gastfreundliche Aufnahme gefunden hatte, denjenigen Ihrer Mörder erkannte, der bei Heinrichs Annäherung der ihm gebührenden Strafe sich durch die Flucht entzogen hatte. – Wär's möglich? ... Und dieser Mensch? ... – Konnte Heinrich nicht wiedererkennen, weil die Zeit zu genauer Betrachtung zu kurz gewesen war; allein es mag sein, daß er Verdacht schöpfte: in der Nacht vor unserer Abreise hatte er sein Haus verlassen. – Ich bin überzeugt, er könnte uns von dem, was wir gerne wissen möchten, unterrichten; wo ihn aber jetzt finden? – Das wird uns gelingen, daran zweifeln Sie nicht. Im ersten Augenblick, wo Heinrich mich damit bekannt machte, weigerte ich mich, einen Menschen zu bestrafen, der gastfreundlich gegen mich gewesen war; aber jetzt, wo ich von all seinen Verbrechen unterrichtet bin, will ich ihn entdecken, und sollte ich ihn am Ende der Welt suchen müssen. – Ich werde Ihnen beistehen, Oberst, und es wird uns gelingen, dem Gottlosen die Maske abzureißen.«

Ueber diesen Punkt einig, dachten die beiden Freunde, das Dringendste sei, mit ihren Kindern zusammenzutreffen, und der Oberst, der in Erfahrung gebracht hatte, daß Müller und Heinrich auf dem Schlosse seien, schrieb an den ersten und setzte ihm das Vorgefallene auseinander. Er trug ihm auf, seinen Kindern das Vergnügen einer so glücklichen Nachricht zu bereiten, und damit Alle bälder vereinigt werden, sollte Müller ihm und d'Ormeville mit Heinrich und Pauline entgegenkommen. Nachdem dieser Brief einmal fort war, schickten sich der Oberst und sein Freund zur Reise nach Schloß Framberg an. Lassen wir sie reisen und kehren wir ins Schloß zurück.

Als Pauline den Brief des Obersten zu Ende gelesen hatte, stimmte sie in Müllers Freudenausbrüche ein, und ihre Gemüthsbewegung war so stark, daß sie ihr beinahe unheilbringend geworden wäre, und sie aufs Neue den Gebrauch ihrer Sinne verloren hätte.

»Alle Wetter! ...« sagte Müller, Alles in Allarm setzend, »da habe ich mit meinem Teufelskopfe abermals dummes Zeug gemacht, und dafür, daß ich ihr zu viel Freude machen wollte, werde ich sie ohne Laufpaß in die andere Welt befördern! ... Seiner Befürchtungen ungeachtet, kam Pauline wieder zu sich und befand sich besser als je. »Ha! Bomben und Granaten!« sprach unser Husar zu ihr, »bleiben Sie mir mit Ihren Ohnmächten vom Leibe, sonst verliere ich am Ende noch den Kopf darüber.«

Pauline wollte sich sogleich ankleiden, um ihren Wohlthätern entgegenzugehen. »Einen Augenblick!« sagte Müller, »ich habe keine Lust, Sie unterwegs wieder in Ohnmacht zu sehen, und da dies leicht vorkommen könnte, reisen wir erst übermorgen, denn Sie sind noch zu schwach.«

Trotz Allem, was Pauline über ihre Gesundheit sagen mochte, war Müller unerbittlich. »Es thut mir eben so leid als Ihnen,« sagte er, »denn ich brenne, meinen Oberst wieder zu sehen, aber ich bin durch Schaden klug geworden und Sie müssen sich gedulden.«

Nachdem der erste Freudentaumel vorüber war, seufzte Pauline und sah traurig nach dem Himmel; Müller seinerseits ward nachdenklich und legte die Faust ans Ohr, wie er zu thun pflegte, wenn etwas mit ihm umging. Nach halbstündigem Schweigen blickten beide einander an.

»Ich errathe, was Sie mir sagen wollen ...« sprach Müller zu Pauline; »im ersten Augenblick unserer Freude hatten wir ihn vergessen; aber das konnte nicht lange dauern. – Ach! ... wo er jetzt sein mag? – Er beweint sein Vergehen wie ein Büßender! ... O! hätte er den Muth gehabt, festen Fußes die Begebenheiten zu erwarten, so würde er uns nicht in diese Verlegenheit gebracht haben! ... Denn was werden wir ohne ihn vor den uns Erwartenden thun? ... Was wird mein Oberst sagen? ... – Was wird sein Vater sagen, der ihn bald in seine Arme zu drücken wähnt? ... – Was werden wir sagen, wenn man uns um die Ursache seiner Flucht fragt? ... Ha! tausend Schwadronen! ich glaube, ich fürchte mich jetzt eben so sehr vor dem Anblick meines Obersten, als ich vor einer Weile ungeduldig war, mich an seinen Hals zu werfen.«

Endlich bedachte er, daß er mit Hülfe des Obersten und d'Ormeville's Heinrich leichter entdecken könne, und sie alsdann Alle vollkommen glücklich wären. Durch diese Betrachtungen beruhigt, versuchte er auch Pauline zu trösten, was ihm ohne Mühe gelang. Der Glaube an seine Gründe machte ihr zu viel Vergnügen, als daß sie ihn hätte bekämpfen wollen.

Die zwei Tage verstrichen, und Frank, von Müller mit den Zurüstungen zur Reise beauftragt, meldete, daß der Reisewagen vorgefahren sei.

»Nun, so reisen wir,« sprach Müller und schickte nach Pauline. Mittlerweile studirte er eine Rede für seinen Oberst ein, denn er fürchtete den ersten Augenblick des Zusammentreffens. Er ging im Hofe auf und ab, trat unter das Thor, schaute hinaus ins Freie und sprach bei sich selbst: »Wo ist jetzt dieser böse Geist? ... was treibt er jetzt? Ha! wenn er sein Glück kennte! ... Aber nein, er läuft lieber ins Weite und läßt mich fluchen, als daß er zu mir zurückkommt ... Dieser Zögling hat mir schon manchen Knoten aufzulösen gegeben.«

Bald kam Pauline herab; sie warf wehmüthige Blicke auf das Schloß, wo ihr in so kurzer Zeit so Manches aufgestoßen war. Müller half ihr in den Wagen, wobei er sagte: »Sehen Sie, ich habe eine geheime Ahnung, daß wir bald und fröhlicher hieher zurückkommen werden, als wir ausgegangen sind. – Möchtest Du wahr sprechen! ...« erwiderte sie seufzend.

Müller setzte sich neben sie, Frank stieg als Postillon auf den Bock, und so fuhren sie ab.

Nur einmal hielt der Reisewagen zum Pferdewechsel bis Blamont an: dort stiegen unsere Reisenden im Posthause ab, um die Nacht daselbst zuzubringen.


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