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Zehntes Kapitel.

Hannchens Tante.

»Wo sind wir, mein Freund?« fragte Hannchen ihren Retter, als sie wieder zu sich kam.– »Meiner Treu, das weiß ich nicht,« entgegnete Müller, sie auf eine Steinbank niedersetzend. »Alles, was ich weiß, ist, daß ich nur zerrissene Hosen anhabe, Du im bloßen Hemde bist, und daß wir, wenn es Tag wäre, einen Theil von Straßburgs Bewohnern, uns begaffend, vor uns hätten. – Mich gelüstet nicht, sie zu erwarten,« sagte Hannchen. »Doch, wie! hätte das Feuer den ganzen Gasthof verzehrt? – Freilich... Nach der Art, wie es überhand nahm, würde es ohne die größte Vorsicht die ganze Stadt verbrennen. – Was ist zu machen? wir können nicht nackt auf diesem Platze bleiben. – Nein, das hieße zu viel riskirt. – Ha, mir kommt ein Gedanke; ich habe eine Muhme, Feinwäscherin, in diesem Viertel; man muß sie aufsuchen, sie ist eine gute Frau und wird uns gerne aufnehmen. – Wohl, es sei, gehen wir zu Deiner Tante.« Und Müller und Hannchen machen sich im Hemd, Arm in Arm, auf den Weg zu der Feinwäscherin.

Nach ziemlich langem Umherirren gelangen sie in eine kleine, enge und schmutzige Gasse und bleiben vor einem Hausgange stehen: hier wohnte Hannchens Tante. Müller klopft viermal nacheinander, was aber die gute Frau in ihrem vierten Stocke nicht hört. »Sie ist etwas harthörig und schläft wie eine Ratze,« sagte Hannchen. – »In diesem Falle,« erwidert Müller, »laufen wir keine Gefahr, wenn wir durch das Fenster einsteigen.« Er klopft noch mehrmals ohne bessern Erfolg. Müller, ungeduldig gemacht, war der Ansicht, Steine nach den Fenstern zu werfen, als ein Bewohner des ersten Stocks, von dem Lärm aufgeweckt, sein Fenster öffnet und fragt, wer mitten in der Nacht auf diese Weise poche. »Ich bin's, Herr Speckkratzer,« antwortet Hannchen, »ich will bei meiner Tante schlafen. Möchten Sie nicht die Gute haben, mir zu öffnen? – Ah! Sie sind es, Jungfer Hannchen; wie, um diese Stunde? – Ja, Herr Speckkratzer; bei Herrn Buttmann, dem Gastwirth, wo ich war, ist Feuer ausgekommen, und ich sah mich genöthigt, mich zu flüchten. – Ach! mein Gott! ist's möglich? Was sagt Ihr mir da? – Aber was machst Du denn am Fenster, Bibi?« rief eine fein grillende Stimme, die aus der Alkove des Nachbars hervortönte (es war Madame Speckkratzer, die, ihren Gatten nicht mehr an ihrer Seite fühlend, höchst unruhig aufstand, um zu wissen, was er treibe). – »Nichts, mein Kätzchen; Jungfer Hannchen will bei ihrer Tante schlafen, und ich öffne ihr das Haus. Aber leg Dich doch wieder ins Bett, mein Mäuschen, Du könntest den Schnupfen bekommen.«

Mit diesen Worten schloß Herr Speckkratzer das Fenster und kam herab, Hannchen einzulassen. »Wer ist denn dieses Originalstück?« fragte Müller die letztere. – »Ein alter, in Ruhe lebender Wurstmezger, der mit seiner keuschen Ehehälfte von seinen Renten lebt. – Tausend Granaten! er fürchtet, wie es scheint, den Hals zu brechen, denn er eilt nicht sehr mit dem Herabkommen.«

Endlich erschien Herr Speckkratzer im Unterleibchen und Nachtmütze, sein Licht in der Hand. Wie er Hannchen im Hemde erblickt, rückt er an seiner Mütze und schlägt seinen Schlafrock zurück; als er aber Müller wahrnimmt, bleibt er unbeweglich vor ihnen, ohne zu begreifen, was das heißen solle. Mit ein paar Worten unterrichtet ihn Hannchen von der ganzen Geschichte, und als er erfahren hatte, Müller sei ihr Retter, wunderte er sich nicht mehr, daß sie ihm eine Zufluchtsstätte anbot.

Sie steigen alle Drei die Treppe hinauf und treffen in der Hausflur des ersten Stocks Madame Speckkratzer, welche sich gerne selbst überzeugt hätte, welcher Person ihr Gatte die Thüre öffne. »Ach, Himmel! ... ein nackter Mann!« rief sie, Müller erblickend. Aber statt zu entfliehen, lief sie vorwärts, um besser zu sehen. »Geh doch ins Bett, mein Täubchen,« sagte Herr Speckkratzer, »ich werde Dir alles Vorgefallene erzählen.« Aber seine Ehehälfte, welche auch Hannchen im Hemde erblickte und fürchtete, deren frische Reize möchten ihren Gatten zu Vergleichungen veranlassen, riß diesen fort nach ihrem Zimmer mit der Bemerkung, daß, da die Thüre geöffnet sei, man seiner nicht mehr bedürfe. Hannchen dankte Herrn Speckkratzer, und die beiden Ehegatten zogen sich in ihre Zimmer zurück.

Somit wären nun Müller und Hannchen vor der Thüre der Wäscherin. Sie klopften beide so, daß das ganze Haus erdröhnte; die gute Frau erwacht, kommt zitternd herbei und fragt, wer da sei? »Ich bin's, liebe Tante,« antwortet Hannchen; »öffnen Sie schnell.« Die Alte macht auf: neue Ueberraschung von ihrer Seite, als sie Hannchen im Hemd und einen Mann in demselben Zustande bei ihr sieht.

Aber Hannchen hat sie bald über das Vorgefallene belehrt, und Madame Tapin (so hieß die Tante) fällt Müller um den Hals und küßt ihn dreimal für die Rettung ihrer Nichte. Müller hätte ihr die Umarmung gerne erlassen, allein man mußte sich bequemen.

Hannchen und Müller bedurften der Ruhe; man war schnell auf Mittel bedacht, Betten herzurichten. Die ganze Wohnung der Madame Tapin bestand nur in einem großen Zimmer, worin sie schlief, und einem kleinen Kabinet nebenan, wo für Hannchen ein Bett zurecht gemacht wurde. Müller sagte, er bequeme sich mit einem Sessel als Nachtlager. Hiebei blickte er Hannchen an, die ihn sehr gut verstand, und Madame Tapin willigte in jedes Begehren.

Bald war das Bett bereit. Hannchen legte sich nieder, Madame Tapin desgleichen, und so wie sie eingeschlafen war, theilte Müller das Lager Derjenigen, für die er ein altes Weib bei Nacht überfallen ließ, ein Haus in Brand steckte, einen Menschen prügelte, die Nachbarn aus dem Schlaf weckte und ... In Wahrheit, er hatte sie wohl erworben.

Als am andern Morgen Alles wieder auf den Beinen war, dachte Müller, ein gutes Frühstück werde sehr am Platze sein, um sich von den Anstrengungen des vorigen Tages zu erholen; aber Hannchen hatte keinen Heller; Madame Tapin war nicht reich und konnte ihnen nichts weiter als Brod und Milch vorsetzen. Da fiel es Müller wieder bei, daß er eine wohlgespickte Börse in seinen Hosen haben müsse, denn Oberst Framberg befahl ihm, weder Mühe noch Geld zu sparen, um seinen Heinrich wieder zu finden. Nun kehrte Freude in Aller Herzen zurück; Hannchen holte eiligst das zum Frühstück Nöthige, sowie einen Schneider herbei, der Müller aufs Schnellste wieder kleiden sollte; und Madame Tapin setzte Alles zur Bereitung des Mahles in Bewegung. Während dessen sann Müller darüber nach, was er zu thun habe: er dachte, er sei eben so gut bei Madame Tapin als im Gasthof, seine Nachforschungen könne er gleichfalls von hier aus anstellen, und das Resultat seiner Betrachtungen war, daß er während seines ganzen Aufenthaltes in Straßburg bei Hannchen wohne.

Fröhlich setzte man sich zu Tische: Hannchen war vor Freude außer sich, daß sie in Müller einen zugleich reichen und verliebten Mann gefunden habe. Im Ganzen war sie ein gutes Mädchen, die nur den Fehler hatte, daß sie die Männer etwas zu sehr liebte.

Müller erzählte ihnen kurz, was ihn nach Straßburg führe und gab das Versprechen, bei ihnen zu wohnen, so lang er hier bleibe. Madame Tapin war ganz entzückt darüber; sie sah, daß Müller gern gut aß und trank, und dachte, sie werde, so lange er im Hause bleibe, stets Hochzeitsgerichte bekommen, wie sie es nannte.

Nach dem Frühstück ging unser Husar aus, um seine Nachforschungen zu beginnen. Er durchstreifte beinahe die ganze Stadt, ohne irgend eine Nachweisung über Heinrich zu erhalten, und am Abend kam er zu seinem Hannchen zurück, um die Mühseligkeiten des Tages zu vergessen. So verging ein Tag um den andern, und Jedes war zufrieden; nur begriff Madame Tapin nicht, wie ein Mann, wie Müller, der gerne gut lebte, sich jede Nacht mit einem Sessel als Bett begnügen könne.

Nach Verlauf von etwa zehn Tagen kam er auf den Glauben, der Gegenstand seiner Streifereien sei nicht mehr in Straßburg; denn obgleich er die ganze Stadt durchwandert, alle öffentlichen Orte besucht hatte, war es ihm doch nicht gelungen, Heinrich zu begegnen. Bereits war er entschlossen, dem Oberst den geringen Erfolg seiner Schritte zu schreiben und ihn zu fragen, was er thun solle, als er eines Abends, beim Eintritt in ein Café, Frank, Heinrichs Diener, bei einer Flasche Bier erkannte. Müller hütete sich sehr, denselben anzureden, wohl erwägend, daß er ihn nur durch eine lügenhafte Erzählung irre führen würde; dagegen verließ er alsbald das Café und harrte unfern der Thüre geduldig, bis Frank herauskomme, um ihm unbemerkt zu folgen.

Nicht lange stand er auf der Lauer; nach wenigen Minuten erschien Frank, und Müller folgte ihm auf eine Weise, daß er nicht wahrgenommen werden konnte, denselben aber doch nicht aus dem Gesichte verlor. Frank schlug mehrere abgelegene Straßen ein, und Müller sah ihn zu seinem Erstaunen aus der Stadt hinaus gehen. Er war fortwährend hinter ihm drein. In geringer Entfernung von der Stadt hält Frank vor einem hübschen, von andern Wohnungen abgesonderten Häuschen still. Er klopft an, man öffnet, und er tritt ein. Müller betrachtet das Haus, so gut es ihm die Nacht erlauben kann, und mit dem Gedanken, es sei zu spät, um in Erklärungen einzugehen, zieht er sich zurück, fest entschlossen, am andern Morgen wieder zu kommen.

Ehe wir jedoch Müller folgen, wollen wir wieder ein wenig zu unserem Helden zurückkehren, den wir schon so lange verlassen haben.


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