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Fünfzehntes Kapitel.

Ein Abenteuer anderer Art.

Heinrich und Frank ritten gemächlich auf dem Wege nach Deutschland fürbaß; der erstere in Gedanken über das traurige Ergebniß seiner Reisen. In der That, was gewinnt man auch mit Umherstreichen in der Welt? Die Ueberzeugung der geringen Aehnlichkeit zwischen dem wahren Glück und dem von unserer Einbildungskraft geschaffenen. Frank, obgleich minder trübsinnig in seinen Betrachtungen als sein Herr, fand, daß ein stilles, ruhiges Leben wohl das Vergnügen aufwiege, in der Welt umherzuschwärmen, und er pries Diejenigen glücklich, welche ihr Geschick friedlich an den Orten ihrer Geburt leben läßt.

Einige Meilen von Straßburg hielt Heinrich in dem nämlichen Walde an, wo einige Monate später der Oberst Framberg und Müller eine Zufluchtsstätte fanden. Da er eine Weile im Schatten zu ruhen wünschte, schickte er Frank mit dem Befehl voraus, ihn im ersten Gasthof zu Straßburg zu erwarten. Die Stille des Orts schien den Reisenden zur Ruhe einzuladen; Heinrich, der seit einigen Tagen ununterbrochen auf dem Wege war, fühlte das Bedürfniß, einen Augenblick der ihn niederdrückenden Mattigkeit nachzugeben. Er setzte sich unter dichtes, von einer majestätischen Eiche beschattetes Strauchwerk und bald schloß der Schlaf seine Augenlider.

Als er wieder erwachte, begann der Tag sich zu neigen; er wollte aufstehen, um seinen Weg fortzusetzen, als er von der andern Seite des Gebüsches Stimmen vernahm; er streckte leise den Kopf vorwärts und erblickte, nur einige Schritte entfernt, zwei Männer. Ihre feindseligen Gesichter bestimmten ihn, sich nicht gleich zu zeigen; und da sich beide völlig allein glaubten, konnte er leicht folgendes Gespräch vernehmen:

»Du bist also ganz sicher, daß er es ist? – Ja, Herr, ich bin's gewiß; und obgleich ich ihn teufelmäßig lang nicht gesehen, ist mir sein Gesicht doch zu gut im Gedächtniß, als daß ich ihn nicht erkannt hätte! Ueberdies habe ich in dem Wirthshaus, wo er war, Erkundigungen über ihn eingezogen, und weiß gewiß, daß ich mich nicht irrte. – Und Du sagst, er werde durch diesen Wald kommen? – Ja, Herr, er kann keinen andern Weg nehmen, und ich suchte Sie eiligst auf, damit wir eine so schöne Gelegenheit nicht entschlüpfen lassen ... – Was meinst Du denn, Stoffar, daß wir thun sollen? – Beim Teufel! es gibt nur einen Ausweg, nämlich sich seiner zu entledigen, damit er uns nicht mehr beunruhigt.«

Hier fühlte Heinrich, wie ihm das Blut in den Adern kochte, und er wollte auf die beiden Schurken losstürzen; aber er bedachte, es möchte dies vielleicht nicht das rechte Mittel sein, ihr Schlachtopfer zu retten, und bemühte sich daher, seinen Unwillen zu mäßigen. »Aber,« nahm Derjenige das Wort, welcher der Herr zu sein schien, »wenn wir uns darauf beschränkten, uns seiner Person zu versichern und ihn eingesperrt zu halten, so könnten wir ihn zu dem Bekenntniß zwingen, was er mit ... – Nein, Herr,« fiel der Andere ein; »das wäre zu nichts nütze! ... Zudem, wo wollen Sie ihn einsperren? ... In Ihrem Hause? ... Von einem Augenblick zum andern könnte man ihn dort entdecken, oder er dürfte nur entkommen! ... Das würde uns einen säubern Handel auf den Hals ziehen! ... Glauben Sie mir, unter solchen Umständen darf man keine halben Maßregeln ergreifen. Ist er einmal todt, so sind Sie ruhig, denn ihn allein haben Sie zu fürchten ... Du hast Recht, Stoffar, und ich bin entschlossen, zu ...« Der Hufschlag eines Pferdes unterbrach das Gespräch. »Er ist's, Herr,« sagte einer der Männer aufstehend; »er kommt näher ... Halten wir uns bereit, ihn gut zu empfangen!«

Beide stellten sich hinter Bäumen auf. Auch Heinrich lud seine Pistolen, und dem Himmel dankend, daß er ihn zum Vertheidiger eines Unglücklichen erkoren hatte, war er auf jeden Fall gerüstet. Nach einigen Minuten sah er einen Mann auf einem Pferde sich nahen. Noch war es nicht so dunkel, daß er die Züge des Reisenden nicht hätte unterscheiden können. Es war ein Mann von etwa vierzig Jahren und edlem Wuchse, dessen sanftes, aber melancholisches Gesicht eine unter der Last tiefen Kummers seufzende Seele verrieth.

Je näher der Unbekannte kam, desto gewaltiger schlug Heinrichs Herz, und er vergaß über der Betrachtung seiner Züge die sein Leben bedrohende Gefahr. Bald war er jedoch aus diesem Zustand gerissen. Die beiden Männer brachen plötzlich mit gezücktem Säbel auf den Reisenden los, der durch einen so unerwarteten Angriff betäubt, nicht Zeit gehabt hatte, nach seinen Waffen zu greifen; er wäre unfehlbar unterlegen, hätte sich nicht Heinrich mit der Schnelle des Blitzes den Mördern entgegengestellt. Diese plötzliche Erscheinung erschreckte sie so sehr, daß sie ihre Beute los ließen und nur an ihre Flucht dachten. Heinrich feuerte seine Pistolen auf sie ab; einer der beiden Schurken fiel todt nieder, der andere war nicht getroffen und entfloh durch das Dickicht des Waldes.

Heinrich hielt Verfolgung für unklug und kehrte sich zu dem Geretteten. Der Reisende wußte nicht, wie er seinem Befreier seine ganze Erkenntlichkeit bezeigen sollte. »Sie sind mir keinen Dank schuldig, mein Herr,« antwortete ihm Heinrich; »indem ich Ihnen zu Hülfe kam, erfüllte ich nur die Pflicht eines Ehrenmannes, und ich bin überzeugt, Sie hätten an meiner Stelle das Nämliche gethan. Wollen Sie aber meinem Rathe folgen, so sputen wir uns, aus diesem Walde herauszukommen und eine besuchte Straße zu gewinnen: denn die Nacht wird finster, und vielleicht wären wir nicht immer gleich glücklich. – »Ich bin Ihrer Ansicht,« erwiderte der Unbekannte, »aber, wie es scheint, sind Sie zu Fuß? – Wahr, ich habe meinen Diener mit meinem Pferde vorausgeschickt, denn ich gedachte, noch diesen Abend in Straßburg einzutreffen. – Nun denn! steigen Sie hinten auf, so werden wir schneller aus dem Walde kommen.« Heinrich nahm den Vorschlag an, und im Galopp flogen sie davon.

Unterwegs sprachen sie von den auf diesen Vorfall bezüglichen Einzelnheiten. »Ich glaubte nicht,« sagte der Reisende, »daß Räuber diesen Wald unsicher machen. – Sie irren sich, mein Herr, wenn Sie die Leute, die Sie anfielen, für Räuber hielten; ich bin gewiß, daß es keine waren.« Nun erzählte Heinrich, wie er Alles gehört habe. Während der Erzählung betrachtete er seinen Gefährten genau und bemerkte, daß er seinen Worten die größte Aufmerksamkeit schenkte. »Wäre es möglich?« rief der Reisende aus, als Heinrich geendet hatte. »Aber haben Sie sonst nichts gehört, mein Herr? – Nichts weiter; doch vermuthe ich, das werde hinreichend sein, Sie auf die Fährte zu bringen. – Nun denn! Sie irren sich, mein Herr! denn ich versichere Sie, daß ich nichts von dem eben Gesagten begreife; ich wüßte nicht, daß ich Feinde hätte, die einer solchen Schlechtigkeit fähig wären. – Beim Henker, das ist wunderbar! ... – Ich habe nie Jemanden geschadet und so viel Gutes gethan, als ich konnte! ... – Durch Gutesthun zieht man sich häufig den Haß der Schlechten zu! ... – Ha! Sie haben Recht, mein Herr, und öffnen mir die Augen! ...« Hier versank Heinrichs Begleiter in tiefe Träumerei, und ersterer erlaubte sich keine weiteren Fragen.

Nicht lange, so betraten unsere beiden Reisenden einen besuchten Weg, und da die Nacht finster war, dachte Heinrich, er werde wohl daran thun, den andern Tag zu seiner Weiterreise nach Straßburg abzuwarten. Vor der ersten Herberge machten sie Halt. »Sie gehen nach Straßburg und ich komme dort her; weil wir demnach beide eine entgegengesetzte Richtung zu nehmen haben, will ich Ihnen Lebewohl sagen. – Wie? Sie kehren hier nicht ein?« entgegnete Heinrich. – »Nein, denn ich habe Eile, nach Paris zu kommen, wo ich eine wichtige Angelegenheit beendigen muß; da ich bald wieder nach Straßburg zurückzukehren gedenke, werde ich hoffentlich das Vergnügen haben, Sie dort zu sehen und nähere Bekanntschaft mit dem Erhalter meines Daseins zu machen.« Heinrich erwiderte ihm, sein dortiger Aufenthalt werde nicht von langer Dauer sein: »Aber,« fügte er hinzu, »da ich eben so sehr wünsche, daß wir uns eines Tages wieder zusammenfinden, lade ich Sie ein, wenn Sie der Zufall in die Nähe meines Wohnortes führt, nicht zu vergessen, daß Sie in Heinrich von Framberg einen Freund haben, der sich glücklich schätzen würde, Ihnen noch einmal nützlich sein zu können. – Heinrich von Framberg! ...« rief der Unbekannte aus; »wie? Sie wären der Sohn des Obersten Framberg? – Gewiß! Warum diese Ueberraschung? Sollten Sie etwa meinen Vater kennen? – Ich habe viel von ihm gehört; der Ruf seiner Tapferkeit und seiner Thaten ist zu mir gedrungen. – Nun gut! ein Grund mehr, auf das Schloß zu kommen, ich bürge Ihnen für gute Aufnahme.«

Der Fremdling dankte Heinrich; der Name Framberg hatte eine Aufregung in ihm hervorgebracht, welche den Blicken unseres Helden nicht entging, aber er wagte nicht, ihn um die Ursache zu fragen, und sie schieden von einander mit wiederholten Versicherungen der aufrichtigsten Freundschaft.

Heinrich trat in die Herberge, wo er sich ein Zimmer anweisen ließ; hier dachte er über sein sonderbares Abenteuer und seine neue Bekanntschaft nach. Der Altersungleichheit zwischen Heinrich und dem Fremden ungeachtet, fühlte sich jener doch mit Bruderliebe zu ihm hingezogen, und er bedauerte sehr, daß er vergessen hatte, ihn um seinen Namen zu befragen. Unter solchen Betrachtungen schlief er ein und reiste am frühesten Morgen mit der Post nach Straßburg.


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