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Achtzehntes Kapitel.

Ein Romanleser hat es schon errathen.

»O weh! ...« rief Müller, Paulinens Reisewagen nachblickend, »müßte ich oft solche Intriguen durchführen, da möchte ich mich lieber dem Musketenfeuer meines Regiments bloßstellen! ... Doch hoffe ich, mich ehrenvoll aus dieser Sache zu ziehen. Das Schwerste ist geschehen! ... Ich hatte geglaubt, Heinrichs Kummer werde mir am meisten zu schaffen machen! ... Aber beim Teufel! jetzt sehe ich wohl, Weiberthränen wissen den Weg zu unserem Herzen am besten zu finden! Ich hätte mich nicht für so weich gehalten! ...«

Unter solchen Betrachtungen schlug Müller den Weg nach Hannchens Wohnung ein. Er begegnete ihr auf der Treppe und redete sie an: »Nun, Hannchen, was macht der junge Mensch? – Er ist immer in dem nämlichen Zustande, wie Du ihn gebracht hast. – O! ... verfluchte Liebe! ... – Sag mir doch, Müller, warum er sich so abhärmt? – Ei nun, eines Weibes Willen ... – Liebt sie ihn nicht? Die wäre sehr wählig! – Potz tausend! freilich liebt sie ihn! aber sie können einander nicht heirathen. – Das thut mir leid, denn der junge Mensch interessirt mich ... er scheint so gefühlvoll! ... – Ich habe ihn gebildet, er ist mein Zögling. – Da mache ich Dir mein Compliment.«

Müller ging schnell zu Heinrich hinauf. Der junge Mann schien ganz seinem Schmerze hingegeben; sowie er aber den Ankommenden erblickte, stand er mit Lebhaftigkeit auf und warf sich in seine Arme, einen Strom von Thränen vergießend. »Wie kindisch sind Sie!« sagte Müller. »Auf! Stand gehalten, beim Teufel! – Wo ist sie? Sag, was hast Du aus ihr gemacht? – Sie ist fort, mein Herr, und hat bei dieser Gelegenheit einen Muth bewiesen, der über ihrem Geschlechte ist. Ahmen Sie ihr nach, mein lieber Heinrich, bleiben Sie nicht hinter einem solchen Vorbild zurück. Denken Sie an den Kummer, den Sie Demjenigen, der Ihnen Vater ist, verursachen würden, wenn Sie sich einem unnützen Schmerze überließen! ... Ich spreche nicht von dem alten Husaren, der Sie großzog, Sie wie seinen Sohn liebt, und den Ihre Verzweiflung ins Grab stürzen würde. Ach! Ihre unglückselige Leidenschaft erstickt alle übrigen Gefühle in Ihrem Herzen; denn seit wir nach einer so langen Trennung wieder beisammen sind, haben Sie mir nicht einmal die Hand gedrückt! ... mich nicht des unbedeutendsten Freundschaftsamtes gewürdigt ...«

Hier konnte Müller seine Thränen nicht zurückhalten; Heinrich bemerkte es; er flog ihm an den Hals, küßte ihn, bat ihn um Verzeihung und versprach, vernünftiger zu werden. Mehr verlangte Müller nicht, und bald war der Friede geschlossen.

»Wohlan, lieber Heinrich, jetzt wollen wir meinen Oberst wieder aufsuchen, er erwartet uns gewiß mit Ungeduld. – Warum ist er aber nicht mit Dir nach Straßburg gekommen? – Weil ein täppischer Postillon uns sechs Stunden von hier im Walde umgeworfen hat und der Oberst so unglücklich war, sich am Bein zu verletzen. – Und wo ist er gegenwärtig? – In einem kleinen, mitten im Walde vereinzelt gelegenen Hause, bei einem Manne, dessen Gesicht mir gar nicht hinunter will; aber man mußte doch irgendwo unterkommen! ...«

Heinrich erinnerte sich an das im selben Walde ihm aufgestoßene Abenteuer und erzählte es Müllern. »O! o! wäre ich dabei gewesen,« sagte dieser, »so sollte der andere Schurke auch nicht entkommen sein! Aber Sie haben sich brav gehalten! ... und ich bin mit Ihnen zufrieden.«

Müller und Heinrich waren zur Abreise gerüstet, sie verließen daher das Haus der Madame Tapin. Ersterer hatte noch Hannchens Thränen zu trocknen; allein er drückte ihr einen Doppellouisd'or in die Hand mit dem Versprechen, wieder zu kommen, sobald die Umstände es erlaubten.

Der Oberst Framberg, den wir schon so lange im Hause des Herrn von Monterranville verlassen haben, war beinahe von seiner Verwundung geheilt und schickte sich an, wieder in Straßburg mit Müller zusammenzutreffen, als er von ihm den Brief empfing, welchen der Leser bereits kennt. Leicht kann man sich eine Vorstellung von seiner Ueberraschung und Unruhe machen, als er die ihm unbegreiflich vorkommenden Begebenheiten erfuhr. Aber Müllers Briefstyl war so verwirrt, daß er nicht wußte, was er zu denken hatte; und in größter Aufregung erwartete er die Ankunft der Beiden, welche seiner Ungewißheit ein Ende machen sollte.

Diese trafen noch am nämlichen Tage im Hause des Herrn von Monterranville ein. Carl öffnete ihnen die Thüre. Freundschaftlich klopfte ihm Müller auf die Achsel und fragte, ob sein Herr bei dem Oberst sei. »In diesem Augenblicke nicht,« erwiderte Carl, »mein Gebieter ist ausgegangen. – Um so besser,« sagte Müller zu Heinrich, »so wollen wir diesen Umstand benützen.« Eilfertig stiegen sie die Treppe hinan und fanden den Oberst in großer Bewegung im Zimmer auf und ab gehen. So wie er Heinrich erblickte, breitete er seine Arme aus, und dieser stürzte an seine Brust.

»Ich will Dir keine Vorwürfe machen, lieber Sohn,« sagte er, ihn küssend, »wiewohl Deine leichtsinnige Aufführung und Dein geringes Vertrauen in mich mir das Recht dazu geben; aber nach dem, was Müller mir gesagt, bist Du unglücklich, und ich will Deine Leiden nicht vermehren.– Und tadeln Sie, Oberst,« sprach Müller vortretend, »mein Verfahren? – Nein, mein Freund, wiewohl mich Dein Brief nur wenig von dem Vorgefallenen unterrichtete; aber ihr werdet mir hoffentlich jetzt Ausführlicheres mittheilen.«

Um die Neugierde des Obersten zu befriedigen, erzählte ihm Heinrich in gehöriger Reihenfolge alle seine Abenteuer seit seiner Abreise aus dem Schlosse, sowie die Geschichte seiner Pauline und die Art, wie er erfahren, daß er nicht sein Sohn sei. »Der Zufall hat Dich zum Herrn meines Geheimnisses gemacht, das ich Dir Dein ganzes Leben hindurch verborgen hatte,« sagte der Oberst; »Du darfst daher überzeugt sein, daß ich nie aufhören werde, Vaterstelle bei Dir zu vertreten. Was Deine Schwester betrifft, so wird auch sie meine Tochter; von dem Augenblicke, wo ich sie an Kindesstatt annehme, soll sie mich nicht mehr verlassen. Hat die Zeit aus Deinem und ihrem Herzen eine Leidenschaft verwischt, welche nie entstanden wäre, wenn ihr die euch umschlingenden Bande gekannt hättet, so kommst Du, Theil an unserem Glücke zu nehmen und es durch Deine Gegenwart zu vermehren. Bis dahin aber muß ich mich aufs Neue von Dir trennen, mein Sohn, um Dich der Jungfrau nicht nahe zu bringen, welche Du fliehen mußt! ... Du wirst Dich abermals von Schloß Framberg für einige Zeit entfernen; diesmal aber wird Müller Dich begleiten; nur ihm mag ich die Sorge für ein mir so theures Wesen anvertrauen! ... Während Deiner Abwesenheit werde ich die Thränen einer Tochter trocknen, die ich schon liebe und die mich über diese neue Trennung trösten wird.«

Heinrich küßte den Oberst tausendmal und drückte ihm die ganze Dankbarkeit aus, welche ihm sein edles und großmüthiges Benehmen einflößte. Müller war mit den Anordnungen seines Obersten ganz zufrieden, und sein Plan wurde von Jedem gut aufgenommen.

Die Nacht rückte vor, und da der Oberst, durch die verschiedenen aufregenden Gefühle angegriffen, der Ruhe bedurfte, dachten sie an die Trennung; man setzte fest, am andern Morgen mit einander das Haus im Walde zu verlassen.

Das Schlafzimmer des Obersten enthielt nur ein Bett, Müller forderte daher Heinrich auf, die Nacht in dem seinigen zuzubringen. Dieser willigte ein, und nachdem sie den Oberst umarmt hatten, ließen sie ihn allein, um der Ruhe zu pflegen.

Als sie durch einen langen, zur Treppe führenden Gang dahinschritten, erblickten sie in der Ferne einen Mann mit einem Licht in der Hand. »Herr von Monterranville,« sagte Müller zu Heinrich; »vorüber, vorüber, ich liebe diesen Menschen nicht.« Aber Heinrich dachte, die Höflichkeit erlaube ihm nicht, die Nacht in seinem Hause zuzubringen, ohne ihn vorher begrüßt zu haben; auch sei er ihm außerdem Danksagungen schuldig für die dem Oberst gewährte großmüthige Gastfreundschaft. Dem zufolge ging er auf denselben zu, und Müller folgte ihm mit etwas saurer Miene unter Flüchen auf die Höflichkeitsformeln.

Herr von Monterranville blieb stehen, wie er Heinrich herankommen sah: dieser redete ihn unter Verbeugungen an, sagte ihm die schuldigen Worte des Dankes; aber die Augen zu seinem Wirthe erhebend, erkannte er in ihm einen der beiden Meuchelmörder im Walde.

Die Zunge erstarrte unserem Helden, plötzliche Blässe überzog sein Gesicht, kaum vermochte er einige unzusammenhängende Worte hervorzustammeln, er zog dann Müller, der die Ursache dieser heftigen Verwirrung nicht begriff, mit sich hinweg. Herr von Monterranville konnte Heinrich nicht wiedererkennen, weil er auf den ersten Waffenlaut entflohen war; wie aber Bösewichte immer Verrath befürchten, so beschloß auch Herr von Monterranville, über des jungen Mannes Verwirrung bei seinem Anblick höchlich erstaunt, die Ursache derselben zu erforschen, damit er gegen alle Vorfälle auf seiner Hut sein könnte.

Erst in Müllers Zimmer stand Heinrich still, um freier zu athmen; hierauf ergriff er Müllers Hand und sprach mit halb erstickter Stimme: »Laß uns forteilen, mein Freund, meinen Vater schnell aufwecken, ich kann die Nacht nicht unter diesem Dache zubringen. – Ha, das noch! beim Teufel! Sie müssen mir erklären, was das heißen soll. Woher diese Verwirrung ... dies Entsetzen? – Ach! Müller! dies Entsetzen ist sehr natürlich. – Sollten Sie etwas befürchten? – Für mich fürchte ich nicht; aber mich schaudert vor Abscheu, wenn ich bedenke, daß wir im Hause eines Mörders sind! ... – Eines Mörders? – Ja, Müller, in Herrn von Monterranville habe ich einen der beiden Männer des Waldes erkannt! – Wär's möglich? tausend Granaten! Wie? dieser Schurke wäre ... – Einer von Denen, welche den Unbekannten, den ich aus ihren Händen gerettet, um's Leben bringen wollten! – Ha! dreifache Kanonade,« rief Müller, indem er die Hand an seinen Säbelgriff legte, »fallen wir über diesen Schurken her, alle Wetter! und üben wir Gerechtigkeit für sein Verbrechen !« Bei diesen Worten machte sich Müller zur Ausführung seiner Absicht bereit; doch Heinrich hielt ihn beim Arme zurück. »Halt an, Müller, was willst Du beginnen? – Ei, zum Henker! die Erde von einem Bösewicht befreien, sie behält deren noch genug übrig! – Bedenke doch, daß wir keinen Beweis seines Verbrechens liefern können und selbst für eigenmächtige Justiz bestraft werden würden! – Ha! beim Teufel! Sie haben Recht! Was ist aber nun zu machen? – Höre, ich hab's jetzt überlegt und denke, es wäre unklug, ein Geschrei zu erregen, das zu nichts führte; laß uns bis morgen warten: mein Vater mag unser Benehmen lenken; wir haben von diesem Menschen nichts zu befürchten; denn er kann mich nicht erkennen, und an uns will er nicht. – So sei's denn ... potz Henker, weil es so sein muß, aber ich gestehe, nur ungern gebe ich nach; denn es hätte mir Freude gemacht, den Rost meines Säbels an dem Körper dieses Banditen abzuwetzen!«

Nach diesem Entschlüsse warfen sich beide völlig angekleidet auf ihr Bett; aber sie genossen keinen Augenblick des Schlafes; der Gedanke, im Hause eines Meuchelmörders zu sein, empörte ihr offenes, biederes Gemüth.

Am frühesten Morgen dachten sie den Oberst schon wecken zu können, ohne daß sie Verdacht erregten; aber diese Vorsichtsmaßregeln waren überflüssig, denn Monterranville wußte Alles. Man erinnert sich, daß Heinrichs Verwirrung ihm Schrecken verursachte, daher begab er sich, sobald sich Müller und sein Schlafkamerad in ihr Zimmer eingeschlossen hatten, in ein anstoßendes Gemach, öffnete einen Schrank, stellte sich dicht an die Scheidewand und hörte da ihr ganzes Gespräch.

Man kann sich seinen Schrecken vorstellen, als er sich erkannt wußte; aber das Ende ihrer Unterredung beruhigte ihn ein wenig. Da er sah, daß sie zu Fassung eines Entschlusses den andern Morgen abwarteten, hielt er es für klug, sich eiligst aus dem Staube zu machen, und mitten in der Nacht verließ er das Haus.

Verwundert, so früh aufgeweckt zu werden, ließ Oberst Framberg seine Reisegefährten ein; aber noch mehr war er erstaunt, als er sah, mit welcher Vorsicht Müller die Zimmerthüre wieder hinter sich zuschloß und welches geheimnißvolle Wesen über ihre Züge ausgegossen war. Abscheu und Entrüstung folgten bald auf das Staunen, wie er erfuhr, in wessen Hause er so lange sich aufgehalten. Er befahl indeß den Beiden, sich zu bezwingen und nichts von ihrer Aufregung bemerken zu lassen. »Wie? mein Oberst,« sagte Müller, »wir sollen diesen Schurken da nicht erwürgen? – Nein, Müller, unsere Pflicht steht entgegen; bedenke, daß ich fast einen Monat Gastfreundschaft in diesem Hause genieße: der Besitzer ist ein Ungeheuer; aber nicht an uns ist es, die Gerechtigkeit gegen ihn zu waffnen; sei überdies ruhig, Müller, und glaube sicher, daß, wenn er auch einen Augenblick der ihm gebührenden Strafe entgeht, es nur geschieht, damit das Schwert des Gesetzes etwas später über ihn richte. – Sie wollen es, Oberst, ich gehorche. – Es muß sein, denn unter allen anderen Umständen wäre ich der Erste gewesen, der euch aufgefordert hätte, meine Freunde, die Erde von diesem Bösewicht zu säubern; doch wir wollen nicht länger in der Höhle des Verbrechens bleiben; mich drängt es, anderswo eine Luft zu athmen, die nicht durch Banditenhauch verpestet ist.«

Mit diesen Worten ging Oberst Framberg aus seinem Zimmer; Heinrich und Müller folgten ihm. Im Hofe trafen sie auf Karl und vernahmen, daß sein Herr schon vor Tagesanbruch aus dem Hause gewandert sei. »Daran that er wohl ...« murmelte Müller zwischen den Zähnen; »denn beim Teufel! hätte ich ihn gesehen, würde ich meine Entrüstung nicht haben bemeistern können.«

Unsere drei Reisenden stiegen zu Pferde und trabten eiligst davon, um sich schneller von einem Hause zu entfernen, welches Entsetzen in ihnen erregte.


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