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Drittes Kapitel.

Clementine.

Unfern dem Schlosse des Barons von Froburg lag auf einem Hügel, von dem aus man die reichen Besitzungen des Vaters unserer Clementine erblickte, eine kleine, mit einem hübschen Gärtchen umgebene Hütte. In diesem bescheidenen Asyle wohnte die Amme der Tochter des Barons. Sie hatte der letzteren stets die Zärtlichkeit einer Mutter bewiesen und ihr alle Sorgfalt und Pflege einer solchen angedeihen lassen. Clementine ihrerseits liebte die gute Mariane zärtlich und ließ keinen Tag vorübergehen, ohne sie zu besuchen.

An einem schönen Frühlingsabend begab sich Clementine auf den Weg nach der Hütte. Das Wetter war nie so schön gewesen; eine sanfte, reine Luft berauschte die Sinne, und die untergehende Sonne schien nur mit Widerstreben einen Tag zu beschließen, den sie so schön entfaltet hatte.

Von einem unwiderstehlichen Gefühle hingerissen, vertiefte sich Clementine ins Gehölz, das sie, um zu Marianens Hütte zu gelangen, durchschneiden mußte. Bald sich müde fühlend, setzte sie sich am Fuße eines Baumes nieder und überließ sich süßen Träumereien, wozu sie das rings um sie her verbreitete Stillschweigen einlud.

So saß sie schon geraume Zeit, als sie ein ziemlich naher Flintenschuß aus ihren Betrachtungen aufschreckte: schnell wandte sie sich um und sah einen jungen Jäger. Beim Anblick Clementinens blieb der Jüngling betroffen stehen, und statt sich wegen der ihr eingejagten Furcht zu entschuldigen, hatte er nur Augen für den reizenden Gegenstand, der sich seinen Blicken darbot.

Clementine gewahrte zuerst das Sonderbare ihrer Lage; sie stand auf und wollte sich entfernen, als der junge Mann auf sie zulief und sie sanft am Arm zurückhielt.

»Wie! mein Fräulein, sollte ich Ihnen Furcht gemacht haben? – Sie nicht, mein Herr, nur Ihre Flinte... – Wollen Sie meine Entschuldigung genehmigen? ich hatte Sie nicht bemerkt; denn gewiß, wäre das bälder geschehen, so hätte ich unmöglich mehr an die Jagd denken können... – Es würde mir leid thun, mein Herr, wenn ich Ihr Vergnügen störte... – Ach, mein Fräulein, gerne würde ich jedes andere Vergnügen für das hingeben, welches ich in diesem Augenblick empfinde ...«

Clementine erröthete; der junge Mann schwieg und sie standen aufs Neue unbeweglich einander gegenüber.

Inzwischen brach die Nacht herein; Clementine machte wieder einige Schritte. – »Sie entfernen sich, mein Fräulein? – Ja, mein Herr, die Nacht kommt und es ist Zeit, ins Schloß zurückzukehren. – Sie bewohnen das Schloß Froburg? – Ja, mein Herr. – Wenn das Fräulein mir erlauben wollte, Sie dorthin zu begleiten? – Nicht nöthig, mein Herr, ich kenne die Wege sehr gut.« Damit entschlüpfte Clementine leichten Schrittes und ließ den jungen Mann allein, dessen Augen ihr bis zum Saum des Waldes folgten.

Athemlos langte Clementine im Schloß an; zum erstenmale ließ sie einen ganzen Tag verstreichen, ohne ihre gute Amme zu besuchen. Sie vergaß Andere, um nur an die so eben stattgehabte Begegnung zu denken. Umsonst wollte sie diesen unwillkürlichen Gedanken verjagen, unaufhörlich schwebte ihr das Bild des jungen Jägers vor und erfüllte ihre Seele mit noch nie gekannter Unruhe.

Am folgenden Tage begab sie sich zur nämlichen Stunde nach Marianens Hütte. Indeß vertiefte sie sich, trotz ihres geheimen Wunsches, mit dem Unbekannten wieder zusammen zu treffen, nicht ins Gehölz, sondern ging gerades Wegs zu ihrer Amme. Nachdem die gute Frau sie über ihr gestriges Ausbleiben gezankt hatte, mußte sie sich zu ihr setzen und ward eingeladen, ihr Mahl, aus Milch und Obst bestehend, zu theilen. Doch war Clementine nicht in ihrem gewöhnlichen Zustande. Eine geheime Unruhe, ein neues Gefühl bewegten sie. Ihre gute Amme, welche die Veränderung in ihrem ganzen Wesen wohl bemerkte, fragte sie um die Ursache, und Clementine, die kein Geheimnis für dieselbe hatte, machte sie mit dem gestrigen Zusammentreffen und dem Gegenstand, der sie beschäftigte, bekannt, was sie ihrem Vater nie zu erzählen gewagt hätte: so wahr ist es, daß Sanftmuth und Vertraulichkeit zum Zutrauen hinreißt, während die Ehrfurcht gegen die Eltern öfters die Quelle einer gegen sie beobachteten Zurückhaltung ist.

Mariane, die in diesem Zusammentreffen nur etwas ganz Natürliches fand, ohne die Folgen desselben vorauszusehen, wunderte sich über Clementinens Aufregung. Während sie diesen Gegenstand besprachen, pochte man an der Thüre. Herzklopfen zeigte Clementinen an, daß es ihretwegen geschehe: Mariane öffnete und wirklich trat auch der junge Mann aus dem Wald in die Hütte.

Er lächelte, als er die bald erröthende, bald zitternde Clementine gewahrte. Die gute Mariane staunte beide mit offenem Munde an, unschlüssig, ob sie schweigen oder reden solle.

Leicht fand der junge Mann einen Vorwand für einen Besuch; er sagte Marianen, daß er gegen Abend, auf der Jagd verirrt, in großer Verlegenheit gewesen sei, worauf er dann die Hütte erblickt habe. Er bat um etwas Milch und Obst, da er seit dem Morgen nichts genossen habe. Sich hierauf an Clementinen wendend, grüßte er sie schüchtern und sagte, er preise sich glücklich, daß der Zufall ihm ein zweites Mal das Vergnügen, ihr zu begegnen, verschaffe.

Clementine lächelte ebenfalls, denn ein inneres Gefühl schien sie errathen zu lassen, daß nicht der Zufall es sei, der den jungen Jäger hergeführt. Mariane begriff nun, es sei derjenige, der ihrem Fräulein (wie sie Clementine nannte) gestern Abend begegnet war, und sagte ihm, daß er nicht gelegener hätte kommen können, und Clementine so eben von ihm gesprochen habe. Zärtlich blickte der junge Mann das erröthende Mädchen an, Mariane aber sah noch immer befremdet auf beide.

Nach und nach verschwand indeß der Zwang, Vertrauen trat an dessen Stelle, und der Jäger froh, Clementinen nicht mehr unbekannt zu sein, theilte den Frauenzimmern mit, daß er ein Franzose sei, d'Ormeville heiße, frühe seiner Eltern beraubt und bei seinem geringen Vermögen in den Militärdienst getreten sei; nachdem er einige Zeit mit den französischen Heeren im Felde gestanden, habe er mit einem seiner Kameraden einen Ehrenhandel gehabt, sich mit ihm geschlagen und seinen Gegner im Zweikampf getödtet. Die Familie desselben sei reich und mächtig; er, d'Ormeville, arm und ohne Protektion, habe sich genöthigt gesehen, zu entfliehen, um dem peinlichen Gericht auszuweichen, und sei nach Deutschland gekommen, in der Absicht, die Dienste des Kaisers zu nehmen. Auf dieser Reise habe er einige Zeit in einem, dem Schlosse Froburg nahegelegenen Dorfe verweilt und gerade, als er sich mit der Jagd unterhalten, die reizende Clementine getroffen.

Die Tochter des Barons fragte mit reger Theilnahme, ob er jetzt in Sicherheit sei. D'Ormeville antwortete, daß er nichts mehr fürchte, seit er sich in Deutschland befinde, und fügte hinzu, sein sehnlichster Wunsch sei jetzt, noch lange in der Gegend zu verweilen, die sie bewohne.

Auf solche Weise ward dies unerwartete Zusammentreffen für Clementine die Quelle mannigfacher Leiden. D'Ormeville erlangte anfangs nur schwer die Erlaubniß, Clementine auf einen Theil des Rückwegs zu begleiten; zwar war Mariane stets bei ihnen: ist aber die Gegenwart eines Dritten hinreichend, das Aufkeimen der Liebe zu ersticken?

Clementine fehlte keinen Abend in der Hütte; und d'Ormeville seinerseits war eben so pünktlich. Er fand stets irgend einen Vorwand, dort zugelassen zu werden. Die gute Mariane sah nichts Unrechtes darin, daß zwei so liebenswürdige junge Leute öfters beisammen waren; überdies hatte d'Ormeville durch sein sanftmüthiges und zuvorkommendes Wesen ihre Freundschaft gewonnen, und Niemand schickte sich, wie sie sagte, besser mit ihrem Fräulein zusammen.

Unsere jungen Leute hatten sich bald verständigt. Die Augensprache genügte ihnen nicht mehr, und während eines Tages Mariane im Garten war, warf sich d'Ormeville Clementinen zu Füßen und gestand ihr seine Liebe.

Was hätte sie erwidern können, das er nicht schon wußte? Sie schwuren sich gegenseitig zu, einander anzugehören und ewig zu lieben. Das Geschick indeß, welches nicht immer mit unsern Wünschen übereinstimmt, schien denen der beiden Liebenden entgegen sein zu wollen. Clementine gestand d'Ormeville, daß ihr Vater die Franzosen nicht liebe und nicht leicht seine Einwilligung zu dieser Verbindung geben werde. D'Ormeville hielt ihr entgegen, daß er in deutsche Dienste trete und dieser Umstand ihren Vater vielleicht günstiger für ihn stimmen könne. Clementine glaubte es: was man wünscht, glaubt man so leicht! ...

Die Zeit verstrich inzwischen und d'Ormeville, der schon bei der Armee hätte sein sollen, konnte sich nicht zur Trennung von Clementinen entschließen. Jeden Abend genossen unsere Liebenden, mit der guten Mariane, welche voll Freude ihren Reden zuhörte. um einen Tisch sitzend, das süße Vergnügen, welches man im Zusammensein mit dem geliebten Gegenstand empfindet, und gewöhnlich gingen alle drei mit einander bis an die Thüre des Schloßparks, wo Clementine mit dem Versprechen schied, am andern Tage wieder zu kommen.

Als sich jedoch Mariane eines Tages unpäßlich fühlte, konnte sie Clementine auf dem Heimwege nicht begleiten. Es war spät: bei traulichem Liebeskosen hatte man die Stunde vergessen und Clementine durfte nicht allein gehen; sie mußte wohl d'Ormeville's Arm annehmen. Der Abend war prächtig und rief unsern Liebenden den ersten Tag ihres Zusammentreffens zurück. Am Walde standen sie still, tausend köstliche Gefühle bemächtigten sich ihrer Herzen. D'Ormeville drückte seine Geliebte in seine Arme; Clementine gab sich ganz seinen Liebkosungen hin, und beide vergaßen die Welt und ihre Convenienzen, um nur noch an die Liebe zu denken.

Da unglücklicherweise das höchste Vergnügen die kürzeste Dauer hat, so schwand die Täuschung, die Sinne wurden wieder ruhiger und Clementine sah mit Entsetzen den Abgrund, in welchen sie gestürzt war. Doch d'Ormeville war bei ihr, er stillte ihren Schmerz, trocknete ihre Thränen, etwas Leichtes für einen Liebhaber! Clementine lächelte ... Wenn die Liebe den Genuß überlebt, ist man immer noch glücklich.

Man mußte sich indeß trennen, und dies war das Härteste! ... Endlich ging Clementine durch die kleine Pforte des Parks nach Hause; aber wie sehr zitterte sie, als sie durch die Gemächer des Schlosses hinflog! Mit welcher Verwirrung redete sie nicht den Urheber ihrer Tage an! Wenn der Baron erst zwanzig Jahre gezählt hätte, er hätte Alles geahnt. Aber unsere Eltern sind nicht mehr, wie wir, im Alter der Leidenschaften; darum ist es auch leicht, ihnen die in uns tobenden zu verbergen.

Je mehr indeß unsere Liebenden der Liebe pflegten, um so weniger dachte d'Ormeville an seine Abreise, bis ein unerwartetes, aber ganz natürliches Ereigniß ihn an seine Pflicht erinnerte; Clementine fühlte sich guter Hoffnung. Diese Nachricht erfüllte d'Ormeville mit Freude, ließ ihn aber doch fühlen, daß es Zeit sei, einen entscheidenden Schritt zu thun.

Man kam überein, d'Ormeville solle augenblicklich zur Armee abreisen! eben kam ein Krieg zwischen Rußland und Oesterreich zum Ausbruch; der Augenblick, sich auszuzeichnen, war da. Clementine sollte ihren Geliebten von Allem auf dem Schloß Vorfallenden in Kenntniß setzen. Man hoffte, er werde vor der Geburt des unter ihrem Herzen ruhenden Kindes wieder zurückkommen; und dann wollten sich beide Liebenden dem Baron zu Füßen werfen, ihr Vergehen bekennen und seine Verzeihung erlangen.

Nach Feststellung dieses Planes dachte man nur noch an seine Ausführung: d'Ormeville verließ die Geliebte nicht, ohne viele Thränen zu vergießen, und Clementine fühlte ihre Sinne schwinden, als sie Denjenigen abreisen sah, den sie als ihren Gatten betrachtete.


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