Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel.

Wer hätte das gedacht?.

Mit dem Tage war Heinrich schon munter: Freude läßt nicht schlafen; da indeß seine Pauline noch schlief, ging er bis zu ihrem Erwachen in den Garten hinab. Mit welcher Ungeduld zählte er die Viertelstunden und Minuten! ... Es schien ihm, als müsse die Zeit ihren Lauf verdoppeln, um seinen Wünschen zu Hülfe zu kommen. Endlich erschien Pauline, welche wahrscheinlich eben so wenig geschlafen hatte, als er, mit der Einladung zum Frühstück, in Erwartung des Notars. Heinrich folgte ihr; traulich neben einander sitzend, schmiedeten sie Plane für die Zukunft; Heinrich gibt ihr schon den Namen seiner Gattin ... Man pocht stark an die Thüre. »Er ist's!« ruft Heinrich, »Frank, mach ihm auf!« Frank eilt nach der Thüre, Heinrich hört die Treppe heraufkommen, das Herz schlägt ihm vor Freude. Die Thüre geht auf; er blickt hin ... O Wunder! statt des Notars sieht er Müller in das Gemach treten. »Ah! ah! finde ich Sie endlich, mein Herr,« sagte Müller, ohne auf Paulinen Acht zu geben. »Tausend Bombensakerment! ... Sie lassen sich teufelmäßig nachlaufen ... – Wie? Du bist's, Müller?« erwidert Heinrich, indem er sich zu fassen sucht. – »Ja, mein Herr, ich bin's; o! mich erwartete man gewiß nicht! ...«

»Wer ist dieser Mensch, lieber Freund?« fragte Pauline, Heinrich beiseite nehmend.– »Ein braver Soldat, der mich sehr liebt.– Ah! ah!« sagte Müller, als er sich umwandte und Pauline erblickte, »das ist sie also? ... Sie ist meiner Treu hübsch! das muß ich gestehen ...«

Pauline ward roth bis in's Weiße des Auges, und Heinrich, der diesem Auftritt ein Ende zu machen wünschte, bat sie, einen Augenblick in ihr Zimmer zu gehen und ihn mit Müller allein zu lassen. Pauline willigte ein und entfernte sich, noch ganz erstaunt über die Manieren des Mannes, den sie zum erstenmale sah.

»Jetzt, wo wir allein sind, mein Herr,« sagte Müller, »werden Sie mir hoffentlich Ihre neumodische Aufführung erklären! – Wie befindet sich mein Vater? das vor Allem! – Sehr gut, sehr gut, nur hätte er beinahe den Hals gebrochen, als er hinter Ihnen drein fuhr ... – Wie so denn? – Davon ist jetzt nicht die Rede. Sagen Sie mir, mein Herr, was machen Sie in diesem Hause? Wer ist das Frauenzimmer, das ich so eben bei Ihnen sah? – Diese Frau? ist die meinige. – Die Ihrige? ... – Oder wenigstens beinahe, denn sie wird es bald sein. – Gut! ich sehe, sie ist es noch nicht! – Hättest Du im Sinn, Hindernisse in den Weg zu legen, Müller?

– Möglich, mein Herr! –Dann bemerke ich Dir, daß Du Dich vergeblich bemühst; nichts in der Welt vermag mich von ihr zu trennen. – Das ist eine saubere Aufführung, mein Herr? Sagen Sie mir, darf man sich in Ihrem Alter verheirathen, ohne daß man's der Mühe werth hält, seine Eltern um Rath zu fragen?

– Aber sprich selbst, ist meine Pauline nicht reizend? – Ah! was Schönheit betrifft, das ist wahr, da gebe ich zu: sie ist sehr hübsch, aber es gibt schöne Weiber, die darum nicht besser sind.

– Hüte Dich, Müller, meine Geliebte zu beschimpfen! sie ist eben so tugendhaft als schön! – Nun wohl! wenn sie tugendhaft wäre, was zweifelhaft, aber nicht unmöglich ist: soll das ein Grund sein, daß Sie die nächste beste Dahergelaufene heirathen! ... ein Mädchen, dessen Herkunft Sie nicht einmal kennen? – Du irrst Dich, Müller, ich kenne sie, sie theilte mir Alles mit. Ich kenne ihren Vater, seine Unglücksfälle! ... – Potz Henker, lauter Larifari, Herr! – Nein, Müller, meine Pauline kennt keine Lüge; sie hat mir die Wahrheit gesagt. – Nun gut! lassen Sie doch diese wunderbare Erzählung hören. – Ich will Dir Alles mittheilen, was sie mir sagte. Der Vater meiner Pauline ist ein Franzose. – Ein Franzose? ... Der Name Christiern ist also nicht der seinige? – Nein, mein Freund, das ist ein angenommener, welchen die Umstände ihm aufgedrungen hatten. – Und wie heißt er denn eigentlich? – D'Ormeville. – D'Ormeville?« rief Müller vor Erstaunen. – »Was hast Du denn?« fragte Heinrich. – »Nichts! fahren Sie nur fort, ich höre!«

Heinrich nahm seine Erzählung mit folgenden Worten wieder auf: »Du magst also wissen, daß der Vater meiner Geliebten in Militärdienste getreten, schon im Alter von zwanzig Jahren Streit mit einem andern Offizier seines Regiments bekam; er schlug sich im Zweikampf und hatte das Unglück, seinen Gegner zu tödten; das war die erste Ursache all seines ferneren Ungemachs. Die Familie des jungen Gebliebenen war reich und mächtig: d'Ormeville sah sich gezwungen, sein Vaterland zu fliehen, um dem gegen ihn gefällten Todesurtheil zu entgehen. Er kam nach Deutschland, in der Absicht, dort Dienste zu nehmen, nachdem er sich einige Zeit auf den Besitzungen des Barons von Froburg aufgehalten hatte ... – Des Barons von Froburg?... – Ja, mein Freund! er hat, wie man sagt, meine Mutter gekannt ... – Ah! ah! – Er begab sich nach Wien und trat unter die kaiserlichen Truppen. Die Armee war im Begriff, einen Feldzug zu unternehmen; d'Ormeville kämpfte wider die Russen; aber beim ersten Treffen erhielt er einen Schuß in den Unterleib und ward für todt auf dem Schlachtfeld gelassen. Indeß gewährte ein Mann, menschlicher als die übrigen, daß er noch athmete. Es war ein armer Bauer, welchen der Zufall hieher geführt hatte. Er richtete d'Ormeville auf und trug ihn in seine Hütte, wo er ihn mit vieler Mühe in's Leben zurückrief. Länger als ein Jahr blieb er bei dem guten Bauer; erst nach Verlauf dieser Zeit erlaubten ihm seine nun völlig vernarbten Wunden, sein früheres Corps wieder aufzusuchen; aber während seiner langen Krankheit war das Kriegsglück den Oesterreichern ungünstig gewesen; und im Augenblick, wo er zur Armee stoßen wollte, waren die Russen Meister des kleinen Dorfs, in welchem er sich verborgen hatte, so daß er an kein Fortgehen denken durfte, aus Furcht, als Feind erkannt und von den Russen, die keine Gefangene machten, niedergemetzelt zu werden. D'Ormeville beschloß, günstigere Umstände abzuwarten: er trug die Kleidung eines gewöhnlichen Bauers und sah sich genöthigt, zur Fristung seines traurigen Daseins auf dem Feld zu arbeiten. Um diese Zeit machte er die Bekanntschaft der Mutter meiner theuern Pauline. D'Ormeville hat seiner Tochter weder mitgetheilt, wer sie war, noch wie er sie kennen lernte; Alles, was er sagte, war, daß seine Gemahlin starb, als sie Paulinen das Leben gab. D'Ormeville erzog seine Tochter so gut es ging, mit Ungeduld des Augenblicks harrend, wo er nach Oesterreich zurückkehren konnte; endlich war ihm das Schicksal holder, die Russen wurden geschlagen. D'Ormeville stieß wieder zum Heere; doch war seine Tochter der Gegenstand seiner ganzen Sorgfalt: er wußte nicht, wem er dies kostbare Kleinod anvertrauen sollte, als ihn der Zufall mit Madame Reinhard bekannt machte. Diese gute Dame hatte eben erst ihren Sohn bei der Armee verloren und war von Schmerz niedergebeugt. D'Ormeville machte ihr den Antrag, Mutterstelle bei seiner damals vier Jahre alten Pauline zu vertreten. Mit Freuden willigte Madame Reinhard ein, und da der Kriegsschauplatz sie unaufhörlich an ihren Verlust erinnerte, reiste sie mit dem Kinde ab, um ein ihr zugehöriges Häuschen bei Offenburg zu bewohnen, und d'Ormeville versprach, daß er dort sich mit ihnen vereinigen wolle, so wie seine Pflicht es ihm erlaube. Dort, lieber Müller, in jenem hübschen Hause, wohin ich Dich einmal geführt, verbrachte Pauline ihre Jugend unter den Augen der Madame Reinhard, welche sie wie ihre Tochter liebte. D'Ormeville kam hie und da, die ihm vom Dienste freigelassene Zeit bei ihr zu verleben. Seine Tapferkeit hatte ihm den Grad eines Hauptmanns verschafft, und da er ohne Ehrgeiz war, verlangte er nichts weiter. Du weißt, lieber Müller, auf welche Art ich Paulinens Bekanntschaft machte ... – Ja, ja! ich weiß es, und wünschte, der Teufel hätte mich an dem Tage geholt, wo ich so dumm war, Sie allein gehen zu lassen! ... Doch weiter! – Um diese Zeit nun faßte d'Ormeville, von dem Verlangen gequält, sein Vaterland wiederzusehen, den Plan, nach Frankreich zurückzukehren; Pauline wollte ihren Vater nicht verlassen und Madame Reinhard verstand sich zur Begleitung. Sie reisten daher alle Drei nach Straßburg und quartirten sich in diesem Hause ein: hier lebten sie anderthalb Jahre ziemlich ruhig; nach Ablauf dieser Zeit aber entschloß sich d'Ormeville, der seinen wahrhaften Namen wieder annehmen wollte, damit er seine Pauline aus ihrer Einsamkeit ziehen könnte, zur Reise nach Paris, in der Hoffnung, das ungerecht gegen ihn verhängte Todesurtheil ungültig zu machen. Seit seiner Abwesenheit nun hat mich der Zufall oder mein guter Stern... – Sagen Sie lieber: die Hölle! ... – Meine Pauline auffinden lassen; unsere Trennung hatte unsere Liebe vermehrt ... – Da hat sie etwas Sauberes gemacht! – Die gute Madame Reinhard hat unsere Verbindung gesegnet! – Alte Weiber machen immer dummes Zeug! – Und wir gaben uns ohne Rückhalt der uns zu einander hinziehenden Neigung hin! ... Der Himmel nahm indeß diese gute Dame, welche Mutterstelle bei Paulinen vertrat, zu sich; schon lange empfing diese keine Nachricht mehr von ihrem Vater und war in größter Unruhe über sein Schicksal. In der Hoffnung, ihn wiederzufinden, eilte ich nach Paris; aber alle von mir angestellten nur erdenklichen Nachforschungen führten zu nichts! Und weil das Schicksal ihr diese letzte Stütze raubt, ist es an mir, lieber Müller, diese Sorge zu übernehmen: ich werde ihr Gatte werden; meine Pauline gab mir ihr Wort: sie empfing meine Schwüre, und ich kann nicht glauben, daß mein so gütiger, gefühlvoller Vater diese Wahl tadeln könnte.«

Müller blieb eine Weile in tiefe Gedanken versunken. Verwundert über sein langes Schweigen, wollte ihn Heinrich um die Ursache befragen, als Müller begann: »Es thut mir leid, bester Heinrich, ich muß Sie betrüben! aber es ist unmöglich, zu capituliren, Sie müssen auf diese Heirath verzichten! – Was sagst Du, Müller? ... auf diese Heirath verzichten! ... – Ja, wie ich sage, und Sie verlassen mit mir im Augenblick dieses Haus! ... – Und Du glaubst, Müller, ich werde Dir gehorchen? – Ja, ich hoffe es! – Nun, so enttäusche Dich. Was mich an Paulinen fesselt, ist kein vergängliches Feuer, es ist die wahrhafte leidenschaftliche Liebe, und keine Macht der Erde wäre im Stande, mich von ihr zu trennen. – Wohlan denn,« sprach Müller her sich selbst, »ich sehe, daß das schwere Wort heraus muß!« Er tritt näher, und seine Hand ergreifend, sagt er zu ihm: »Mein lieber Heinrich, waffnen Sie sich mit Muth, ich sehe wohl, daß ich Ihnen ein Geheimniß enthüllen muß, das ich gerne für immer verborgen hätte! ... – Was soll das? – Pauline ist Ihre Schwester! – Großer Gott! wäre es möglich? ... Ach nein, Du irrst Dich, Müller, willst mich täuschen! ...«

»Nein, Heinrich, ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt, die Sie lieben, ist Ihre Schwester; denn nicht der Oberst Framberg ist Ihr Vater, nein, d'Ormeville verdanken Sie das Leben!«

Heinrich sinkt vernichtet auf einen Stuhl und Müller erzählt ihm ausführlich, was er über seine Geburt und das edle und großmüthige Benehmen des Obersten Framberg weiß. Schweigend hört Heinrich zu; ein stummer Schmerz, völlige Erschöpfung folgten auf seine heftigen Gemüthsbewegungen und Ausbrüche. Müller leidet beinahe eben so sehr, daß er ihn in solchem Zustande sieht. »Ermannen Sie sich, lieber Heinrich,« sprach er, »lassen Sie sich durch das Schicksal nicht darnieder beugen und zeigen Sie Gefühle, die dessen würdiger sind, der Sie erzog. Thränen dienen zu nichts unter solchen Umständen; hier bedarf es eines männlichen Charakters. Jetzt müssen Sie mir folgen und diesen Ort verlassen ...

– Das werd' ich, Müller; doch sprich, was soll aus ihr werden? – Seien Sie unbesorgt! ... ich kenne meine Pflicht. Glauben Sie denn, der Oberst Framberg werde, nachdem er an Ihnen neunzehn Jahre lang Vaterstelle versah, Ihre Schwester allein stehen lassen in der Welt, als einen Spielball der Zufälle? ... Nein, mein Herr, seien Sie gerechter gegen ihn; er liebt Sie zu sehr, als daß er nicht auch Paulinen lieben sollte! ... – Ach, Müller! Du belebst meinen Muth wieder! ... Wer wird es aber über sich nehmen, meine theure Pauline zu belehren, welche Bande uns umschlingen? ... – Wer? nun zum Henker! ich, und zwar auf der Stelle, denn je mehr man in der Art Krisen zögert, um so giftiger macht man die Wunde. Doch, vor Allem, mein Herr, müssen Sie aus diesem Hause ... – Ohne sie zu sehen? ... – Potz Henker! Zu was möchte das gut sein? Ihre Verzweiflung zu vermehren, und das ist unnöthig. – Und wohin soll ich gehen, Müller? – Gleichviel, überall werden Sie besser sein als hier. Ich will Sie begleiten, in diesem Zustande mag ich Sie nicht allein lassen; alsdann komme ich hieher zurück, und, tausend Donnerwetter! in zwei Stunden, hoffe ich, soll Alles abgethan sein.«

Müller zieht Heinrich mehr fort, als daß er ihn führt. Noch einmal erhebt dieser die Augen nach der Wohnung, die sein Theuerstes in der Welt umschließt, und bei jedem Schritte, der ihn von der Theuren entfernt, blutet ihm das Herz. Der gute Husar geleitet ihn zu Hannchens Tante und empfiehlt ihn der Sorgfalt dieser Frau; aber Heinrich bemerkte nichts von dem, was um ihn vorging. Nun schlug Müller wieder den Weg nach Paulinens Wohnung ein, indem er mit Gewalt die sein Herz bewegenden Gefühle niederkämpfte.

Voll Unruhe erwartete Pauline Heinrichs Zurückkunft, welchen sie mit Müller immer noch im Hause glaubte. Ein geheimes Vorgefühl schien sie von der Lage der Dinge zu benachrichtigen, und als sie Müller allein in ihr Zimmer treten sah, beugten sich ihre Kniee, und Todtenblässe bedeckte ihr Gesicht. Langsam schritt Müller vorwärts, ohne zu wissen, wie er ihr die Abreise des Geliebten kund thun sollte. »Ich komme,« begann er, »Ihnen Heinrichs Lebewohl zu bringen ... – Was, mein Herr! er wäre fort? ... – Ja, mein Fräulein! – Für lange? – Ich glaube. – Und ohne mich zu sehen? – Es mußte sein. – Großer Gott! ... Er liebt mich also nicht mehr! ...« Und Pauline fällt bewußtlos in Müller's Arme. Der gute Husar legt sie sanft auf eine Ottomane nieder. Nachdem sie wieder zu sich gekommen, flossen ihre Thränen reichlich, und mit dem Gefühl des lebendigsten Schmerzes rief sie aus: »Er liebt mich nicht mehr! ... – Alle Wetter! freilich liebt er Sie, mein Fräulein! ... Und gerade darum habe ich ihn zur Abreise gezwungen. – Wie, mein Herr, Sie sind's? ... – Ja, mein Fräulein! Sie verabscheuen mich, nicht wahr? Wohlan, Sie haben Unrecht; ich that nur meine Schuldigkeit. Ihre Heirath durfte nicht stattfinden! ... – Warum nicht, mein Herr? – Weil es nicht üblich ist, daß ein Bruder seine Schwester heirathet. – Was sagen Sie? Heinrich wäre mein Bruder? – Ja, mein Fräulein ! Heinrich ist nicht der Sohn des Obersten Framberg, wie er bis jetzt glaubte, sondern der des Hauptmanns d'Ormeville.«

Nun wiederholt Müller Paulinen, was er Heinrich schon erzählt hatte. Diese hört ihn schweigend; nur ihr Schluchzen unterbrach seine Worte. Nachdem Müller geendigt, ging er mit starken Schritten im Zimmer auf und ab, wobei er zwischen den Zähnen fluchte und sich Thränen aus dem Auge wischte. Der Anblick von Paulinens Schmerz zerschnitt ihm das Herz. »Ha! tausend Bomben!« sprach er in abgerissenen Worten, »wäre ich Pabst! wie schnell wollte ich ihnen Dispensation zum Heirathen geben! ... Aber ich bin's nicht, mein Oberst auch nicht, zum Henker also, nicht mehr geflennt, haben wir kein Herz wie Apfelmuß, und suchen wir die Sache bestmöglichst zu verändern!«

Mein Fräulein,« sprach er, auf Paulinen zutretend. Sie müssen sich fassen; ich weiß wohl, das ist nicht so leicht; worin läge aber das Verdienst, seine Leidenschaften zu besiegen, wenn es nichts kostete? ... – Aber werde ich ihn nicht mehr sehen? – O ja, mein Fräulein, Sie werden ihn wieder sehen, doch erst, wenn die Zeit in euren Herzen eine strafbare Leidenschaft getilgt hat und Freundschaft an die Stelle einer hoffnungslosen Liebe getreten sein wird. – Sie haben Recht, mein Herr; wir mußten uns trennen! ... Aber ach! ... was soll ich ohne ihn werden? ... Ich habe keinen Freund ... keinen Beschützer mehr! ... – Sie irren sich, mein Fräulein! Sie haben Jemand, der Ihnen beides sein wird. – Wer denn? Derjenige, der Ihren Bruder erzog, der ihn wie seinen Sohn liebt. Glauben Sie, der Oberst Framberg werde Sie verlassen? ... – Nie, mein Herr, werde ich die Hülfe eines Menschen erbetteln ... – Das heiße ich einmal einen sehr übel angebrachten Stolz; ich sage, Sie reisen sogleich nach Schloß Framberg ab. – Ich, mein Herr? – Ja, Sie, mein Fräulein! – Und auf welchen Titel? – Haben Sie's schon vergessen? als Schwester Heinrichs. Glauben Sie, mein Fräulein, wir werden Sie allein lassen in der Welt, während Ihr Bruder Titel und Reichthümer genießt, die er mit Ihnen theilen sollte? ... Nein; das ist eine ausgemachte Sache, Sie reisen nach dem Schloß; außerdem wird's auch Ihrem Bruder die Ruhe wieder geben. – Aber, mein Herr! – Was, mein Fräulein? – Wenn der Oberst Framberg ... mich nicht liebt? – O! er wird Sie lieben, das weiß ich gewiß. – Aber wenn ... ich nicht ... – Aha! ich verstehe; wenn Sie ihn nicht liebten! ... Teufel, da wären Sie sehr kitzlich! ... Ein Mann, der zwanzig Feldzüge ehrenvoll durchgemacht! ein Mann, vor dessen Namen schon die Feinde zittern ... ein Mann endlich, der Ihren Bruder erzogen, an Kindesstatt angenommen, wie einen Sohn geliebt hat ... – Ach! ich werde ihn lieben, mein Herr! ... Ja, trotz alle Welt! Sie werden ihn lieben, und Alles wird gut gehen, dafür stehe ich Ihnen!«

Hatte Müller einmal einen Entschluß gefaßt, so mußte derselbe schleunig ausgeführt werden; er forderte daher Paulinen auf, augenblicklich ihre nöthigsten Sachen zusammenzupacken und sich in einer Stunde zur Abreise bereit zu halten. – »Aber, mein Herr,« entgegnete Pauline, »meine alte Dienerin? ... – Die nehmen Sie mit. – Ich kenne den Weg nach dem Schlosse nicht. – Ei! zum Teufel! halten Sie mich für ein Kind, Fräulein ?... Glauben Sie, ich werde Sie allein hinschicken? ... Frank wird Sie geleiten. – Frank, der Diener meines ... meines Bruders? – Ja, der Diener Ihres Bruders. Nun wären also alle Schwierigkeiten beseitigt. Ich will für den Reiswagen sorgen, und diesen Abend werden Sie fern von Straßburg sein.« – Und fern von Heinrich, dachte Pauline, dem abgehenden Müller nachblickend. Sie fand indeß einen geheimen Reiz darin, daß sie den Ort bewohnen sollte, an dem ihr Geliebter erzogen worden war. Schloß Framberg wäre ihr als ein himmlischer Aufenthalt erschienen, wenn sie mit ihm dort gewesen wäre.

Von Paulinen ging Müller zu Frank und sagte ihm, was er zu thun habe. Frank, der vor Müller wie ein Schüler vor seinem Lehrer stand versprach seinen Vorschriften treulich nachzukommen. Nachdem [??dieser??] einen Reisewagen bestellt hatte, dachte er, es werde am [??Ort??] sein, dem Oberst zu schreiben und ihm alles Vorgefallene zu erzählen. Bis jetzt hatte er keine Zeit dazu gefunden; er ergriff also die Feder und schrieb folgenden Brief:

»Mein Oberst!

»Endlich habe ich unsern jungen Mann ausfindig gemacht, und ich darf mich rühmen, nicht ohne Mühe!... Aber es war dringend nöthig, daß ich kam. Tausend Granaten! – eine Stunde später war's nicht mehr Zeit und die Kleine wurde... Aber ich war auf dem Platz, Oberst, hab's auf's Beste von der Welt eingerichtet. Heinrich weiß Alles, Oberst – er weiß Alles, ich mußte es ihm wohl sagen, denn die Kleine ist seine Schwester; und hätte ich ihm nicht Alles erzählt, ich versichere Sie, Oberst, ein Regiment Husaren hätte sie nicht auseinander gebracht. Ich schicke die Kleine nach Schloß Framberg, und Heinrich führe ich Ihnen zu; beide sind in Verzweiflung und heulen, daß es einen Achtundvierzigpfünder erbarmen möchte! ... Sie sehen Oberst, daß Alles gut geht, und ich hoffe, Sie werden mit meinem Verfahren zufrieden sein. Ich bin, mein Oberst, Ihr treuer Soldat und Diener

Müller

Müller versiegelte die kurze, aber energische Epistel und sandte sie dem Oberst zu, indem er dem Boten größte Eile befahl und aufgab, den Oberst von seiner baldigen Ankunft in Kenntniß zu setzen. Als diese Sache abgemacht war, kehrte er zu Paulinen zurück, um ihre Abreise zu beschleunigen.

Mit schwerem Herzen erwartete Pauline den Augenblick, wo Müller sie von dem Theuersten, das sie besaß, entfernen sollte; aber unser Husar hatte bereits so viel Gewalt über sie, daß sie bei seiner Ankunft schnell aufstand und sich zur Abreise anschickte. Müller führte sie mit ihrer alten Dienerin in den Reisewagen, drückte ihr kräftig die Hand und sagte: »Muth! wer im Unglück so viel Ergebung zeigt, wird früher oder später dafür belohnt.« Sich hierauf an Frank wendend, befahl er diesem, die Pferde tüchtig anzutreiben, und eilends rollte der Wagen davon.


 << zurück weiter >>