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Fünftes Kapitel.

Heinrichs Erziehung.

Wir wollen nun sehen, wie Mütter die ihm gestellte Aufgabe löste, und welches die Erziehung des kleinen Heinrich war. Müller fing damit an, seine Wohnung neben der seines Zöglings aufzuschlagen; so wie der Tag graute, trat er in Heinrichs Zimmer, zog ihn ungestüm ans dem Bette, kleidete ihn an und nahm ihn zu einem Spaziergang im freien Felde mit, wohl wissend, daß diese Leibesbewegung seinen Zögling stärker und kräftiger mache.

Wieder heimgekehrt, nahm man das Frühstück, aus etwas kaltem Fleisch und Wein bestehend, ein; Müller war der Meinung, das tauge mehr, als alle Thees und Kaffees in der Welt; vielleicht hatte er nicht Unrecht; aber ich glaube, es war ihm im Grunde auch nicht unlieb, selbst dieses Frühstück benützen zu können. Hierauf trat Müller seinen Zögling, doch nur auf zwei Stunden, einem alten auf dem Schloß wohnenden Magister ab, der beauftragt war, ihn Schreiben und fremde Sprachen zu lehren. Müller empfahl Heinrich unaufhörlich, sich mit dem Studium der Wissenschaften nicht so sehr den Kopf zu zerbrechen, weil er den Degen gut zu führen für nöthiger hielt, als Latein sprechen zu können: und der junge Mensch, sich auf Müllers Beistimmung stützend, warf Herrn Bethmann (so hieß der Lehrer) zuweilen die Bücher ins Gesicht, weil er ihn langweile, und er lieber fechten lernen wollte. Herr Bethmann schrie; aber Müller war entzückt, und ersterer hatte immer Unrecht.

War dieser Unterricht vorüber, so führte Müller den Kleinen in den Hof, setzte ihn auf ein Pferd und ließ das Thier beinahe eine Stunde lang im Hof herumtraben und galoppiren; auch kannte der kleine Heinrich in seinem zehnten Jahre die Pferde besser, als sein Elementarbuch. Nach diesem kleinen Zeitvertreib schritt man zu einem andern wichtigeren; man mußte exerciren und die ehrenvolle Handhabung des Säbels lernen. Darin zeichnete sich Müller besonders aus, und wenn er mit seinem Zögling zufrieden war, so belohnte er ihn durch Freisprechung für morgen von jedem Unterricht bei Herrn Bethmann.

Nun setzten sich die Herren zu Tische. Müllers Grundsatz war, hier möglichst lange sitzen zu bleiben, und dies war der einzige, worin er mit Herrn Bethmann übereinstimmte, welcher die Ehre theilte, mit den Herren zu speisen, weil Müller gerne Jemand bei sich hatte, der ihm bei Tische die Stange zu halten vermochte, bis sich sein Zögling selbst mit ihm betrinken könnte.

Gewöhnlich waren beide nach Tisch nicht mehr im Stande, irgend etwas zu unternehmen. Herr Bethmann, der mit Müller rivalisiren wollte, lag stets am Ende des Mahls unter dem Tisch, und da Müller nun Niemand mehr zum Disputiren hatte, schlief er am Kamin, seine Pfeife rauchend und ein Kriegslied summend, ein.

Während seine beiden Lehrer im Schlafe lagen, machte Heinrich seine Streiche. Von Niemand mehr beaufsichtigt, rannte er durch Schloß und Garten, hielt im Stalle an, band die Pferde los, stieg ohne Sattel auf und verheerte den Garten, indem er kreuz und quer durch die Gänge und Gemüsebeete ritt, ohne auf das Geschrei des Gärtners zu hören, der in Verzweiflung war, daß er nie seine Pflanzungen zur Reife gedeihen sah.

Eines Tages indeß entschloß sich der Gärtner, ärgerlich darüber, daß Heinrich jeden Abend seine Arbeit vom Morgen zerstörte, Rache zu nehmen. Nach seinem reiflich überdachten Plane kaufte er einige Schwärmer, brachte sie unten an einem Baume in der großen Allee an, die Heinrich am häufigsten und liebsten verwüstete, und bis zu einem Gebüsch, worin er sich verbarg, Laufpulver streuend, erwartete er ruhig seinen Feind, bereit, im Augenblick seines Vorbeikommens anzuzünden, in der Ueberzeugung, das Pferd werde beim Knall der Explosion seinem Reiter auf irgend eine Weise übel mitspielen.

Der Erfolg rechtfertigte alle Erwartungen des Gärtners; sobald Heinrich sah, daß Herr Bethmann unter dem Tische lag und Müller eingeschlafen war, stürzte er die Treppe hinab, lief in den Stall, band das beste Pferd los und bestieg es mit dem Vorsatz, wie früher die Gartenbeete zusammenzureiten.

Er galoppirte demzufolge auf die unheilvolle Allee zu; aber o, unvermuthetes Unglück!... die Explosion fand statt: das Pferd bäumt sich und setzt seinen Reiter ab, der ebenfalls durch das plötzliche Knallen zu erschreckt war, als daß er sich hätte fest auf seinem Thiere halten können, und zehn Schritte weit hinausgeschleudert wurde. Die ganze Dienerschaft des Schlosses lief bei dem Geschrei ihres jungen Herrn zusammen, der Gärtner, einer der ersten: auch Müller ward aufgeweckt; erschreckt über das zu seinen Ohren dringende Geschrei, wirft er, um schneller Heinrich zu Hülfe zu eilen, die Tafel über Herrn Bethmann zusammen.

Unsern jungen Freund hatte mehr Furcht, als Schaden betroffen, einige Quetschungen abgerechnet, war ihm weiter nichts zugestoßen. Indeß theilte er, über die Ursache seines Falles befragt, Müllern das Geschehene mit; dieser wüthend, daß man es gewagt, seinem Zögling eine Falle zu legen, schwört, daß, wenn er den Schurken von Thäter entdecke, er ihm die Lust zur Wiederholung benehmen wolle. Sämmtliche Diener betheuern ihre Unschuld und man kehrt im Gespräch über diesen Vorfall nach dem Schloß zurück.

Dort hatte sich aber eine andere Ueberraschung vorbereitet; unten an der Treppe hört Müller einen sonderbaren Lärm aus dem Speisesaal herausdringen, vier Stufen auf einmal nehmend, läuft er hinauf und findet Herrn Bethmann sich unter dem Tisch zwischen Flaschen und Schüsseln wälzend, und nach Möglichkeit anstrengend, seinen Kopf aus einem Punschnapf herauszuarbeiten. Endlich gelingt es ihm, jedoch nur mit Zurücklassung seiner Perrücke. Als die Stille wieder etwas hergestellt war, ging man auseinander und begab sich zur Ruhe.

Durch seinen Sturz vom Pferde gezüchtigt, war Heinrich eine Zeitlang etwas friedlicher und begnügte sich damit, im Hofe zu galoppiren. Der Gärtner freute sich im Stillen über den guten Erfolg seiner Kriegslist und sah mit Entzücken seine Gemüse emporschießen.

Nach und nach verwischte sich der Eindruck des Sturzes, und Heinrich fing an, den engen Kreis seiner Reitschule langweilig zu finden. Als er endlich wieder geheilt war, schlug er auch den Weg nach dem Garten wieder ein und machte aufs Neue, daß ihn der Gärtner zu allen Teufeln wünschte. Müller, der den Streich mit den Schwärmern nicht vergessen hatte und vor Verlangen brannte, dessen Urheber zu erforschen, faßte bald dringenden Verdacht gegen den Gärtner, dessen wiederholte Klagen seinen Unmuth nicht verkennen ließen. Er beschloß daher, unserem Mann aufzupassen und die Gewißheit seiner Vermuthungen zu erlangen; die Gelegenheit dazu ließ nicht lange auf sich warten.

Der Gärtner, müde, zu sehen, daß seine Vorstellungen zu nichts führten, entschloß sich, sein Experiment zu wiederholen, um dem jungen Heinrich seine Reitkünste im Garten völlig zu entleiden; und damit ihn die Lust nicht anwandle, später aufs Neue zu kommen, dachte er, es werde nicht übel sein, wenn er die Dosis verdreifache und die Sache dadurch wirksamer mache.

Wie aber es anstellen? Das wenige Pulver, das er im Schlosse hatte auftreiben können, war bei der ersten Explosion verbraucht worden. Nach einigem Nachsinnen dachte er, Müller müsse eine mehr als zur Ausführung seines Planes hinreichende Quantität besitzen, und er wolle einen Augenblick seiner Abwesenheit benützen, um den Bedarf zu holen.

Es stand auch wirklich nicht lange an, bis Müller herabkam, wo er unsern Mann um das Schloß herumschleichen sah. Müller that, als ob er, ohne etwas zu ahnen, weiter ginge; aber nach einigen Schritten kehrte er um und folgte dem Gärtner leise. Dieser, nicht ahnend, daß man ihm folge, trat in das Zimmer, nahm die für nöthig erachtete Quantität Pulver und eilte schnell in den Garten zurück, wobei er über den neuen Streich, den er unserem Husarenzögling zu spielen im Begriff war, in den Bart lachte.

Aber Müller hatte Alles gesehen! und da er den überzeugenden Beweis von der Bosheit des Gärtners erlangt hatte, versprach er sich, glänzende Rache zu nehmen. Nach wohl überlegtem Plane ließ er den Gärtner Alles rüsten, was seine Explosion recht geräuschvoll machen konnte, und harrte mit Ungeduld auf den zur Ausführung seines Projekts bestimmten Augenblick.

Endlich kam dieser von Müller und dem Gärtner so sehnlichst gewünschte heran. Nachdem Letzterer sein Kunststück gehörig vorbereitet hatte, versteckte er sich im Gebüsch, von wo aus er die Lunte anbrennen wollte. Er wartete nicht lange: der Galopp eines Pferdes ließ sich vernehmen, es kommt näher ... Alsbald legt er Feuer an das Laufpulver ... Aber o Ueberraschung! ... o Verzweiflung! ... er selbst wird durch die Gewalt des Pulvers weit weggeschleudert und fällt unter durchdringendem Geschrei auf den Rasen nieder.

Man denkt sich leicht, daß Müller es war, der den Pulverstreifen durch einen andern an den Versteck des Gärtners führenden abgeschnitten und das Gebüsch so mit Pulver unterminirt hatte, daß er ihm die Lust benahm. Andere in die Luft zu sprengen.

Auf dem herbeigaloppirenden Pferde saß Niemand: Müller hatte seinen Zögling von der ihm gelegten Falle benachrichtigt und dadurch vom Erscheinen abgehalten.

»Aha! ... Schurke, Du also willst Deinen jungen Herrn in die Luft sprengen, weil es ihm gefällt, Deinen Spinat mit den Füßen seines Pferdes zu bearbeiten! ... Dreifache Kanonade! ich weiß nicht, woran es hing, daß ich Dich nicht so hoch wie der Kirchthurm des Dorfes habe springen lassen! ... – Aber, Herr Müller! ... was ich that, geschah zum Besten des Herrn von Framberg! ... Was wird unser Herr sagen, wenn er seinen Garten in diesem Zustande findet! ... Wisse, Schlingel, mein Oberst liebt seinen Sohn mehr, als seine Kohlköpfe, und mag es meinem Zögling gefallen, das ganze Schloß umzukehren, so steht es Dir nicht zu, ein Wort darüber zu sagen.«

Der Gärtner schwieg und hinkte nach seinem Häuschen zurück, indem er alle jungen Leute, Pferde und Husaren zum Teufel wünschte. Müller aber, stolz über das Gelingen seines Planes, feierte seinen Sieg mit dem Glas in der Hand, und diesmal brachte Herr Bethmann die Nacht unter dem Tische zu.


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