Adam Karrillon
Die Mühle zu Husterloh
Adam Karrillon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23. Kapitel.

Gegen die Mittagsstunde des folgenden Tages saß Klaus Priester auf seiner Pritsche und nähte ohne sonderliche Begeisterung an einem Paar blauer Leinenhosen. Ach Gott, die Kunst allein ernährte ihn eben nicht, und von dem Geld, das die Klarinette verdiente, konnte ein Mann mit so gediegenem Durst, wie der des Klaus Priester war, keine Katze ernähren.

Was das nur heute bei ihm war? Die Fersen wollten nicht unter den Schenkeln liegen bleiben, und die Nadel machte allerlei kleine Ausflüge rechts und links vom geraden Weg ab, willkürlich ins Zeug hinein. Da konnte nichts Gutes dabei herauskommen. Plötzlich warf der Schneider die Hosen in die Ecke, die Scheere hinterdrein und sprang vom Tisch herunter. »Marianne,« rief er seiner Frau zu, die vorm Ofen stand und den Kaffee röstete, »wer von jetzt ab keine Hosen mit auf die Welt bringt, der kann mit nackten Beinen herumlaufen. Ich mache keine mehr.«

Die Frau sah seufzend von den sich bräunenden Bohnen auf, wagte aber nichts zu sagen, denn Klaus Priester 228 führte in seinem Hause ein despotisches Regiment. Auf den Boulevards des Seine-Babels hatte er in seinen Wanderjahren den Monsieur Chevalier Tailleur gespielt, und etwas von dem gehobenen Herrschergefühl eines Pariser Nadelfürsten war in ihm stecken geblieben, als er wieder heimkehrte in sein enges Bauerndorf. Sein »Laissez-moi tranquille!« schmetterte Frau und Kinder in die dunkelsten Ecken des kleinen Häuschens und sein »Fermez la porte!« setzte fünf Paar Füße in zappelnde Bewegung.

»Cherchez mon chapeau!« kommandierte er, während er sich das Vorhemd um den Hals band, und Marianne eilte nach dem Kleiderkasten. Den Hut verwegen aufs rechte Ohr geworfen, den Überzieher tadellos gestrichen, den Stock zwischen den spielenden Fingern, so verließ Klaus Priester sein Haus in wiegender Gangart, als ob er sich zu den Königen im Exil begeben wollte, ins Café Maxim. Die letzte Nacht hatte den Glacéhandschuh seiner Existenz umgekrempelt. Die glatte Seite war wieder nach außen gekommen. Zum Lord hatte ihm nie mehr gefehlt als eben das lumpige Geld. Das hatte er nun, seitdem er den Schrot gefunden. Wer will es ihm verdenken, wenn sein Auge heute über jedem, der ihm begegnete, wie über einem verkommenen Banausen verächtlich blitzte? Da stand Herr Schütteldich unter seiner Ladentür. Sah der Mensch nicht aus, als ob er in einer Heringshaut steckte? So ölig, so gelblich schimmernd. Nein, er war für Klaus Priester kein Umgang mehr. Zwar schuldete der Gevatter Tailleur ihm etwas Geld für gelieferte Kolonialwaren, 229 auch war es möglich, daß Mariannens Kleid noch nicht bezahlt war. Aber das sind doch keine Gründe, den Menschen zu grüßen. »Man wird ihm einen Wechsel schicken, zu diskontieren bei der Bank von Frankreich. Bei meiner Seele, das wird man, und der Mensch wird kaum wissen, wie man das Ding zu behandeln hat.«

Klaus Priester ging erhobenen Hauptes vorüber und grüßte nicht. »Pst, Pst,« zischte Schütteldich zwischen den Zähnen durch. Das überhörte man. Man konnte sich in seinen Ideenassoziationen nicht stören lassen, denn man entwarf soeben den Plan zu einer Villa in Boulogne sur Seine. Alles sehr nett, alles sehr vornehm, nur war die Marianne schlecht darin unterzubringen. In keiner Ecke wollte sie eine gute Figur machen. Sie nahm sich ungeschickt aus, wie ein Futtertrog in einem Salon. Verdammt, da hatte Klaus Priester einen Fehler gemacht. Er mußte Husterloh das Verdienst lassen, ihn geboren zu haben. Das mußte dem Neste genügen, ihn weiterhin festzuhalten, das war ein Verbrechen. Nun, er war ja schon einmal von hier fort und in Paris gewesen. Man wird Frau und Kinder reichlich alimentieren. Es pfiff im Bois de Boulogne mehr wie ein Vogel, der sein Nest in der Provinz hatte.

Unter derart hochsinnigen Gedanken kam unser Mann in den Hirschen und auf das Zimmer des Gänseschrot. Der lag in einem gestickten Nachthemd im Bett und rauchte an einer Zigarre, so lang fast, wie eine Siegellackstange.

230 »Servus!« grüßte Klaus Priester und hob mit Grandezza den Pariser Zylinder von seinem Schädel.

»Ah, mein zukünftiger Kassenrendant,« war die Antwort auf seinen Gruß, »nehmen Euer Gnaden Platz!« Und eine unvergleichliche Bewegung, ausgeführt von einer reichlich vergoldeten Hand, nötigte den Eintretenden in die Ecke eines verschossenen Plüschsofas.

»Bei guter Laune heute und geneigt, deinen Verdauungsapparat in den Dienst meines Geldbeutels zu stellen?« forschte Schrot.

»Deines und jedes anderen, so wahr mein Magen an einer Musikantenkehle hängt,« war die bescheidene Antwort.

Da erhob sich Schrot und schlüpfte in die Ärmel eines seidenen Schlafrockes, aus dessen Seitentasche er ein Portefeuille, gefüllt mit Banknoten hervorzog. Er warf es mit einer Miene, als ob einer eine Zigarre verschenkt, auf die Schenkel des Klaus Priester.

»Da nimm,« sagte er, »bestreite heute und in den folgenden Tagen unsere Ausgaben und laß mich nicht sehen, daß die Deinen hungern. Was lustige Wochen an meinem Vermögen herunterbeißen, läßt eine glückliche Nacht wieder daranwachsen.«

»Einverstanden,« lachte Klaus Priester, »wer wie du das Ölkrüglein der Witwe von Sarepta besitzt, kann seinen eigenen Salat und den der anderen gut anmachen und kann auch noch einen Wagen schmieren, den ich zu einer Promenadenfahrt bestellen werde.«

Nach diesem Zwiegespräch unter vier Augen begann 231 in dem Kirchdorf Husterloh eine Reihe von Tagen, die, nach der Häufung der Lebensgenüsse gerechnet, ein Menschenleben vorstellen könnten, die aber am Kalender säuberlich heruntergezählt kaum mehr als anderthalb Jahre ausmachten. Im Weltschirm war ein ewiges Hochzeitstreiben. Gäste kamen und gingen, keiner griff mehr nach seinem Geldbeutel. Die Schiefertafel hinter der Einschenk nahm einige kabbalistische Zeichen auf, die wieder verschwanden, wenn Klaus Priester in Zahlerlaune war. Der Metzger ging nach Fettvieh über Land, der Jäger nach Wild in den Forst, und Dirnen und Spielleute hatten's gut. Die Hand des musizierenden Schneidermeisters war die segnende Hand eines Priesters auch ohne das Sakrament der Priesterweihe. Der Arme, der sein Holz nicht zahlen konnte, wandte sich bittend an den Kirmeßmusikanten. Jedes Rechnen schien überflüssig, es gab nur noch ein großes Nehmen, von dem alle Welt profitierte, ausgenommen Frau Priester. Der Mann, der das Schrotsche Geld zum Fenster hinauswarf, verwendete nichts zu seinem eigenen Vorteil, und hätte Marianne es nicht verstanden, nächtlicherweile die Hosentaschen ihres Eheherrn zu brandschatzen, sie wäre die einzige gewesen, die, mitten im goldenen Regen stehend, Durst litt.

Zuweilen verschwanden die beiden Freunde für einige Tage. »Sie sind auf Reisen,« sagte der Gasthalter zum Weltschirm. Sie waren an der Spielbank. Schrots melusinische Quellen flossen zuweilen spärlicher. Man mußte nachgraben, um neues Wasser zu finden.

232 Kaum war es in der Gegend bekannt geworden, woher die Reichtümer des ehemaligen Gänsehirten stammten, so bemächtigte sich aller der unselige Taumel einer krankhaften Spielwut. »Hab' ich nicht in der Schule zwei über ihm gesessen, warum sollte mir nicht gelingen, was ihm gelang?« sagten sich Hinz und Kunz. Wer ein vierblättrig Kleeblatt fand oder von Läusen träumte, war sicher, daß ihm das Glück eine Überraschung aufgespart habe.

Peter Krummholz bekannte sich in der Beichte zu einem halbausgewachsenen Meineid. Der Priester legte ihm als Buße auf: Sieben Vaterunser und neun Gegrüßet seist Du, Maria. Als die gebetet waren, zog Ruhe ein in sein Gemüt von wegen des Meineides, aber sehr große Zweifel erwachten, wie die Zahlen sieben und neun an der Spielbank nutzbringend zu verwenden seien. Je nachdem man sie stellte, machten sie ein anderes Gesicht, und nur Gott und die Kartenschlägerin konnten wissen, welches das richtige war. Die weissagende Sibylle am Ende des Dorfes war eine von den wenigen, die neben dem Roulette einen bleibenden Vorteil zogen.

In ihrem Hause verkehrten, sobald die Nacht ihren Schatten über die Wiesenpfade warf, die hervorragendsten Menschen von Husterloh. Jedem wußte sie einen Rat, der seine Hoffnung weckte und seinen Wagemut stärkte. »Stecke das Strumpfband von Käthchen Dingeldein in die Westentasche, die hat Drillinge geboren, ohne einen Mann zu haben, so was bringt Glück,« sagte sie dem einen. Dem anderen gab sie den Rat, sich vom Förster Brausewetter 233 die Stiefel zu leihen, weil der den Dusel hatte, einen Hasen totzutreten, als er glaubte, über einen Kartoffelsack gestolpert zu sein.

Auch Vater Höhrle in seiner Not war eines Abends, als kein Sternlein leuchtete und die Dunkelheit wie ein schwarzes Bahrtuch vom Himmel niederhing, zum einsamen Hause der Kartenschlägerin geschlichen. Unstät und unsicher wanderte er auf den Zehenspitzen ums verlassene Haus, streckte sich am Fenster so hoch, daß seine Augen über den Rahmenschenkel reichten, und musterte nun durch die von der Tranlampe erhellte Scheibe das Innere des Zimmers. Da saß das Gerippe der grämlichen Alten über einen Zinnteller gebeugt, der verkehrt auf dem Tische lag, und zählte Erbsen. Das war widersinnig, aber es war etwas anderes, als was andere Leute taten, und das schon machte Eindruck auf Vater Höhrle und erhöhte seinen Glauben an ihre Wissenschaft. Kein Zweifel, sie war allein. Die Lampe durchleuchtete das Zimmer bis in jeden Winkel hinein, ja noch bis unter die Bettlade, denn man sah da einen kleinen Korb stehen, aus dem der dicke Kopf eines weißen Katers schlaftrunken hervorlugte.

Daß er die vielbegehrte Frau glücklicherweise allein fand, das war nach dem Geschmack des Vater Höhrle. Mein Gott, er galt seither als aufgeklärt. Zwar hatte er in den Drangsalen der letzten Jahre schon manches an Ansehen verloren; er hätte ja auch den Ruhm, ein gebildeter Mann zu sein, entbehren können, aber ungern hätte er es doch gesehen, wenn man ihn mit der 234 urteilslosen Menge auf einen Haufen warf. Er war der Vater eines angehenden Arztes, dessen Beruf nur mit den Realitäten des Lebens rechnen durfte, und es wäre ihm unangenehm gewesen, wenn die Leute von ihm öffentlich gesagt hätten, er glaube an die Albernheit der Wahrsagerei. Und doch brauchte er einen Blick in die Zukunft jetzt mehr denn je. Deshalb nahm er nach zweifelndem Schwanken einen Anlauf und schritt über die Schwelle der Kartenschlägerin.

Die Alte, als sie merkte, daß Kundschaft kam, erhob sich und zog mit einem lauten Ratsch den Vorhang des Fensters zu. Der Kater kroch aus seinem Korbe, machte ein paarmal einen Buckel, als ob er die Absicht hätte, die Bettstelle zu verrücken, und kam dann schnurrend näher, um sein juckendes Fell an Vater Höhrles Schenkeln zu reiben. Derweilen hatte das graue Mütterlein ihre Hornbrille geputzt und auf die Nase gesetzt.

»Ihr seid's, Vater Höhrle,« rief sie aus, »die alte Hexe weiß die Ehre eures Besuches zu schätzen, obwohl ihr bekannt ist, daß die Nacht euch den Gefallen tun muß, eure Schamröte zu verdecken. Es gibt Narren, die mich verehren, und Toren, die mich fürchten. Ihr aber sollt mich achten lernen. Mich rührt euer Los, weil es das Los der breiten Masse ist in unserer unseligen Zeit. Gebt mir ohne Scheu eure Hand; wenn ich euch nützen kann, so soll's geschehn.«

Der Mann gehorchte willenlos wie ein Kind, und er duldete sogar den greulichen Kater, der ihm aufs Knie 235 gesprungen war und ihm ab und zu die buschige Rute unter der Nase herzog. Die Kartenlegerin schaute bei der roten Glut der Ölfunzel lange und nachdenklich in die Hand ihres Klienten, bis ein Anflug von Trauer diese alten vom Schicksal gemeißelten Züge etwas milderte, ihnen das gespenstisch Unheimliche nahm und Menschlichkeit in sie hineinzauberte.

»Bedauernswerter Mann,« sprach sie nach langem Nachdenken, »was hier geschrieben steht, kann euch zu wissen nicht frommen. Will das Unglück zu uns kommen, so mag es unhöflich eintreten und vorher nicht klopfen. So schreckt uns doch nur seine Gegenwart und nicht auch die Furcht vor seinem Kommen. Ihr seid mir fürs Schweigen nichts schuldig, und wenn ich euch jetzt einen Rat gebe, den ich nicht aus den Linien eurer Hand geholt habe, so ist der damit bezahlt, daß ihr beim Weggehen die Türe rasch hinter euch schließt, damit der Strolch von Kater nicht entweicht und spät nach Hause kommend meinen Schlummer stört.« Die Alte räusperte sich und fuhr fort:

»Ihr kennt den Zug der Pilger, der so um Peter und Paul herum von Steinach kommt und nach Walldürn geht. Hans Rubenschuh, der Besenbinder, trägt den Herrgott voraus. Wenn die Prozession mit Gesang durch Husterloh zieht, und ihr hört im Chor die Rumpelbäuerin von Löhrbach krähen, dann kann euch geholfen werden, dann schließt euch an. Manch einer schon, der sich nach einem Pfennig bückte, fand einen Groschen. So, nun geht und gebt mir auf den Kater acht, denn wenn der Unhold das 236 Freie erreicht, dann gnade Gott aller Katzenjungfernschaft weit und breit.«

Vater Höhrle ging, hob an der Türe mit dem Fuße den Kater hoch und warf ihn in die Stube hinein. Er maunzte, fiel aber, wie Katzen immer tun, auf die weichen Sammetpfoten. Als der diebische Schleicher einsah, daß sein Versuch, zu entkommen, mißlungen war, brach er in ein klägliches Heulen aus, das die Stube füllte und weithin noch in die Nacht hinausdrang. 237

 


 << zurück weiter >>