Adam Karrillon
Die Mühle zu Husterloh
Adam Karrillon

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4. Kapitel

Schade, recht schade, daß Entschließungen oft so rasch reifen, und daß sie nicht wie die Schlehen am ernährenden Stiele hängen müssen, bis es einmal tüchtig gefroren hat. Mutter Höhrle hatte in der Nacht von Sonntag auf Montag den altbäuerlichen Erfahrungssatz, daß Pferdewirtschaft dem kleinen Besitzer gefährlich werden kann, aus Eitelkeit über Bord geworfen und lenkte ihr Boot ins gefährliche Fahrwasser der Großtuerei verwegen hinein. »Uns übertrumpft keiner,« sagte sie und bestellte die Amtschaise. Sie hatte sich vorgenommen in die Stadt zu fahren, um für die Kinder modische Kleider zu kaufen. »Es geht absolut nicht mehr an, daß die Würmer in ihren billigen Fähnchen herumlaufen und abstechen gegen das Personal der Firma Groß und Moos,« sagte sie zu ihrem Mann, »und Hans, der nun schon bald zur Schule geht, kann nicht länger die Fleischseite deiner abgeworfenen Häute als Galalivree tragen.« Das war's, was sie sagte, was sie verschwieg, war das Folgende: »Schirren wir das Pferd von hinten auf, und haben wir erst die Chaise, so 25 sieht der Dümmste ein, daß sie ohne Pferde zwecklos wäre.« Zur Reise hatte sie sich leidlich modern zurechtgestutzt, und als sie breit wie ein Abbild des Allvaters Brahma in den roten Polsterschonern der Amtschaise saß, konnte sie für einen, der nicht zu nahe stand, immerhin für eine Dame gelten. Ihren Kurs nahm sie an der neuen Dampfmühle vorbei, obwohl es einen näheren Weg nach Heidelberg gab, denn sie wollte, daß ihre Gegner sie sehen und sich überzeugen sollten, daß es auch noch andere Leute gebe, die in einer Chaise eine gute Figur machten. Auch fuhr sie neben der Eisenbahn her. Ihr fiel nicht ein, so was zu benutzen. Mochten arme Leute sich in einem solchen Fuhrwerk wie Dampfpflaumen zusammenquetschen lassen, sie brauchte Platz, und sie war unabhängig genug, um sich weder eine Abfahrts- noch Ankunftszeit vorschreiben zu lassen.

Ihre Einkäufe in den Konfektionsgeschäften waren bald erledigt. Nun kam für sie die Hauptsache, ein Wagenbauer, und womöglich der gleiche, von dem Groß und Moos bezogen hatten. Der Mann fand sich und auch eine gediegene Auswahl von Wagen; als aber der Preis genannt wurde, da erwachte in der geborenen Schütteldich für einen Augenblick wenigstens das Mitleid mit dem Bachmüller Höhrle, und wie der Kutscher seine Pferde stramm nahm und rückwärts zum Hofe hinaushufte, so griff sie, wenn auch ungern, ihren Wünschen in die Zügel und zerrte sie vorübergehend auf ein Pflaster zurück, wo Begehrlichkeit und Ausführbarkeit gleichen Schritt miteinander 26 halten konnten. Ein kalter Blitzstrahl war niedergefahren vor der Mühle zu Husterloh, er hatte sie nicht beschädigt.

In verärgerter Stimmung kam Frau Höhrle, die ihren Groll in der Zugluft des Neckars kühlte, an den Fuß des Schloßberges, wo durch Zierstauden hindurch rote Sättel leuchteten, die auf grauen Eseln lagen. Da schlug ihr der Gedanke ins Gehirn: »Das muß verfangen und kommt nicht zu teuer. Esel haben wir ja und Geld für Sättel auch.«

Nach einer halben Stunde waren drei Sättel, zwei für Damen und einer für einen Herrn gebaut, in der Kutsche verstaut, und die Amtschaise schaukelte zum Karlstore hinaus, der Strömung des Flusses entgegen.

Auf der Heimfahrt nahm man den kürzeren Weg. Mutter Höhrle konnte nicht darauf rechnen, daß sie von den Fenstern der Dampfmühle aus noch einmal gesehen würde, denn der Abend war finster, und eine beträchtliche Kühle dämpfte den Haß der leidenschaftlichen Frau. Zu Hause angekommen, wurden die Sättel im Erdgeschoß untergebracht, die verschiedenen Kartons aber brachte man in die Wohnstube, wo deren Inhalt bei den Kindern freudiges Erstaunen, bei dem Vater Höhrle aber, der trotz seiner blöden Augen weit voraus in die Zukunft blickte, eine bange Furcht erweckte.

Am folgenden Tage ging eine Aufforderung an die bucklige Nähkatherine und ihre Schule, daß sie zur Mühle kommen sollten. Allein es geschah das Unerhörte, die Bucklige lehnte ab, mit dem Ausdruck des Bedauerns, weil 27 sie bei Groß und Moos zugesagt habe. So was war einfach zum Überschäumen. In Mutter Höhrle kochte und brodelte es wie in einem Wurstkessel, und Röse Ricke erhielt den Befehl, der Mißgeburt zu verkünden, »daß es auch wieder andere Zeiten geben könne, und daß der Winter den Haufen Kartoffeln im Keller abflachen und das Holz am Herde knapp werden lasse. Dann aber sollten gewisse Leute nicht wagen, vor gewisse Türen zu kommen. Die Treppe der Mühle sei steil, und leichthin könne einer, der herunterflöge, das Genick brechen.« Röse Ricke richtete ihren Auftrag wörtlich aus und fügte aus dem eigenen noch hinzu: »Die Nähkatherin möchte es nicht so weit treiben, daß die Müllerin prinzipiell werde, denn in diesem Falle werde sie – Röse Ricke – sogar dem Teufel raten, ihr aus dem Wege zu gehn.«

Die Furcht vor der Mühle zu Husterloh war zu der Zeit noch groß genug, um die arme Nähkatherine umzustimmen. Sie zog mit ihrem Gefolge von Nahsichtigen und Halbgelähmten in die Mühle ein. Mutter Höhrle hatte einen staunenswerten diplomatischen Erfolg zu verzeichnen, und ihr Siegerauge glühte über den bleichsüchtigen Mädchengestalten, wie das des Pompejus über seinen Legionen.

Nun begann ein gewaltiges Nadeleinfassen, Garnwickeln, Sticheln und Steppen, und bald blähten sich die Kleider der Mädchen über Puppen von Rohr und Weidengeflecht wie Festwimpel dem großen Tage entgegen, der ihrer harrte. Gehörten die Tagesstunden der Schneiderei, so war der 28 Abend der Reiterei aufgehoben. Der Mühlbaschel mit seinem Anflug von Triefaugen mußte den Kindern im Grasgarten die Kunst des Reitens beibringen.

Hans ließ sich das gern gefallen, die Mädchen aber beugten sich mit verschämten Gesichtern dem Willen der Mutter. So hätte Frau Höhrle vorerst glücklich sein können, wenn nicht zuweilen die Chaise der Firma Groß und Moos vor ihrem Fenster vorübergerasselt wäre und wenn nicht Röse Ricke die Neuigkeit gebracht hätte, daß der Sattler im Dorfe Husterloh eine phänomenale Sache – »Lamperkins« für genanntes Haus in Arbeit habe.

So hatte denn die Woche ihre sechs Werkeltage heruntergearbeitet und Mutter Höhrle ihre Vorarbeiten, um den Kirchenstuhl zu erstürmen, den die Firma Groß und Moos widerrechtlich usurpiert hatte. Diese Leute sollten sehen, daß es vor Gottes Angesicht keine Logenplätze gibt, auch für den nicht, der viel Geld in den Klingelbeutel werfen kann. Die Müllerin hatte große Aussichten in diesem Ringen zu siegen, zumal da sie noch mit gewandter Kavallerie ins Feld rücken konnte, denn die Kinder sollten zum ersten Male auf den roten Plüschsätteln zur Kirche traben. Suse und Liese wollten nicht recht, sie fürchteten aufzufallen. Sie hatten vom Vater die Demut geerbt und den Verstand, und der Wert der Mutter war in ihren Augen gesunken, gerade da, als sie ihren Willen durchgesetzt und sie mit harten Worten in die Sättel gezwungen hatte. So ritten sie denn verschämt und mit niedergeschlagenen Augen die Straße entlang, ihren Bruder 29 in der Mitte. Kam irgend jemand des Weges, so spornten sie ihre Tiere, um rasch vorbeizukommen. Sie hatten das Gefühl, daß sie sich lächerlich machten, und sie fürchteten irgend einen, der ihnen das geradezu ins Gesicht schleuderte. Richtig, eben hatten sie einen Trupp langsam schreitender Kirchgänger überholt, als sie hinter sich die Bemerkung hörten: »Die Bachprinzessinnen. Die Bachprinzessinnen.« Ach, was war das für die Mädchen ein hartes Wort. War damit nicht ausgedrückt, daß man sie der Überhebung beschuldigte, daß man sie für halbverrückt hielt? Hatten sie das verdient, weil man sie einen Meter über das Niveau erhob, auf dem andere sich fortbewegen, indem man sie zwang, auf einen Esel zu steigen? Am liebsten wären sie heruntergerutscht und zu Fuß weitergegangen, aber die Mutter, die eigenwillige, schreckliche Mutter! Und dann ihr Bruder Hans, der sich auf dem Esel wie ein Maharadschah fühlte. Von all dem Herzeleid, das die Schwestern bedrückte, hatte er nicht die mindeste Unbequemlichkeit. Er freute sich der frischen Morgenluft, die mit seinen Locken spielte, war ausgelassen, quälte seinen Esel und wollte vor Lachen vergehen, wenn das Tier allerlei Kapriolen machte, um seinen Quälgeist in den Sand zu setzen. So hatten die Mädchen auch noch die Sorge, daß ihm ein Unfall zustoßen könne, und sie waren wie erlöst, als sie bei einer Biegung des Weges ihren guten Vater vor sich sahen. Still und gedrückt ging er dahin in seinem Sonntagsanzuge, der in seiner stellenweisen Fadenscheinigkeit nicht vermuten ließ, daß sein Träger der 30 Ernährer sein könne so hochtrabender Kinder. Ach wie schnitt die armselige Erscheinung des Vaters wie ein giftiger Vorwurf in das Herz der Töchter ein, ganz anders noch als vorhin der Spottname: »Bachprinzessinnen«. Und gar als er zu ihnen aufsah mit den staunenden stillen Augen, da fühlten sie, daß ihr Platz am Boden sei, bei dem einsamen unscheinbaren Fußgänger, und beide rutschten mit einem Schlage aus den Sätteln und schmiegten sich an seine Seite. In diesem Augenblicke war die Familie Höhrle zerrissen in zwei Teile, von denen der eine weiches Eisen war, der andere ein harter Hammer, der mit permanenter Gefühllosigkeit niederfuhr und die Masse nach seinem Willen formte.

Zuerst war alles still. Die drei fühlten, daß sie in ihrem Empfinden zusammengehörten und freuten sich, daß niemand da war, die Harmonie ihrer Seelen zu stören. Ach! wer war der Niemand? Sie alle wußten es, und doch wäre ihr Geheimnis nie über ihre Lippen gekommen. So wollen wir es sagen. Die Mutter war es, die eitle Mutter, die kein Verständnis hatte für das zartere Fühlen ihres Mannes und ihrer Töchter, und die Furcht vor ihr war es, die aus dem schwachen Vater redete, als er die verschüchterten Mädchen aufforderte, so schnell wie möglich ihre Tiere zu besteigen und dem wilden Bruder nachzutraben, der in toller Ausgelassenheit seinen Esel tummelte und eben auf dem Punkte war, an einer Straßenbiegung sich den kontrollierenden Augen seiner Schwestern zu entziehen. Die Sorge um den Wildfang verdrängte jetzt 31 jedes andere Empfinden. Es begann eine wahre Hetzjagd hinter ihm her, und wie ein Wirbelsturm sauste die kleine Kavalkade die Straße von Husterloh hinauf. Als man vor der Kirchentür angekommen und die Mädchen abgestiegen waren, begann die Verlegenheit erst recht. Was sollte man mit den unleidlichen Eseln machen inmitten der stechenden Blicke aller derer, die um das Gotteshaus standen und auf das Zusammenläuten warteten? Hans Höhrle kam nicht aus der Fassung. Er blieb auf dem Grauen sitzen, und als die Leute lachten, schnitt er ihnen von dem Rücken des Kreuzträgers herunter Fratzen. Die Mädchen aber standen beschämt da und legten die Köpfe mit den verschüchterten Rehaugen auf den Hals ihrer Tiere, rat und hilflos und warteten, wie führerlose versprengte Soldaten, auf irgend jemand, der kommen und ihnen befehlen möchte.

Die Mutter hatte heute wieder ihren großartigen Tag. Sie hatte die Amtschaise bestellt, saß geschwollen darin, überholte gleichfalls ihren nominellen Gebieter und kam nach einer Weile glücklich bei ihren Sprößlingen an. Nun kam Leben in die Gruppe. Man band die Esel an kleine eiserne Ringe, die an der Mauer des Wirtshauses angebracht waren, und großartig, als ob sie zu einer Krönung schritte, sah man die Müllerin, die drei Kinder hinter sich, unter dem Spitzbogen des Kirchenportals verschwinden.

Das Gotteshaus war noch wenig gefüllt. Nur hier und da saß einer, der sich die Zeit mit dem Anschauen der Stationsbilder vertrieb, ein anderer gähnte und ein dritter benutzte die Zeit, bevor die Orgel anfing, störend 32 dreinzureden, zu einem kleinen Schläfchen. Mutter Höhrle erregte Aufsehen bei diesen wenigen, als sie mit ihrem Gefolge zwischen den Bänken dahinschritt, mit einem Schlüssel, den ihr der Schlosser angefertigt hatte, den Stuhl der Firma Groß und Moos aufschloß und sich mit herausfordernder Stirne umsah, als ob sie sagen wolle: »Hier bin ich, und ich will den sehen, der mich da hinauswirft.« Vor dieser Haltung verduftete der Kirchendiener in die Sakristei, und Röse Ricke, die von dem Kitzel, etwas zu erleben, hergetrieben, gedankenlos einen Rosenkranz zöpfte, weckte ihre Nachbarin, deutete mit dem Finger nach der Müllerin und flüsterte leise: »Das kann gut werden.« –

Indessen fingen die Glocken an zu läuten, und alles, was draußen seither stumpfsinnig herumgestanden hatte, drängte sich nun wie eine Herde Kamelkälber in das Gotteshaus, stieß und drückte sich, trat sich auf die Hühneraugen und tat so, als ob es durchaus keine andere Gelegenheit mehr gebe, sich einen Unterstützungswohnsitz im himmlischen Jerusalem zu sichern. Getragen von dieser schwappenden Menschenwelle kamen auch die Damen der Firma Groß und Moos herangeschwommen und trieben auf ihre reservierten Plätze zu. Als sie diese schon zum Teil besetzt sahen, warfen sie hochmütig fragende Blicke um sich, die Mutter Höhrle mit einem grimmverbissenen Lächeln beantwortete. Suse und Liese wollten nichts sehen. Sie knieten da, drückten die Gesichter in ihre Gebetbücher. Der kleine Hans aber, der die Mimik richtig beurteilte, hoffte auf eine kleine Abwechslung und hätte zunächst 33 nichts lieber gesehen, als eine kleine Balgerei zwischen den zwei feindlichen Firmen. Er glühte förmlich in dem Verlangen, zerfetzte Hauben zu sehen und heruntergerissene Zöpfe. Doch er sowohl wie Röse Ricke kamen nicht auf ihre Kosten. Die Orgel fing an zu präludieren, und ihre milden Töne lockten aus dem Gewölbe herab einen wahren Tauregen von Gottesfrieden, der Starres geschmeidig machte und allzu Sprödes leise niederbog. Dann fing man an zu singen, und es war, als ob das Herz den Schatz mild versöhnlicher Regungen nicht fassen könne und ihn hinauswerfen müsse in alle Lüfte. Suse und Liese knieten in der Menge drin. Sie sangen nicht; die Angst, daß sich irgend etwas ereignen könne, drückte ihnen die Lippen zu, aber sie beteten leise: »Herr Gott, gib Frieden allen Herzen.«

Da mit einem Male, was war denn das? Von draußen her ein fürchterliches Brüllen, mitten hinein in den frommen Gesang der Gemeinde.

»Suse, die Esel,« flüsterte Liese und sank tief in sich zusammen. »Auch das noch,« gab Suse leise zurück und zog ihren Bruder, der die Sache von der heitersten Seite nehmend bereits auf die Bank gestiegen war und Faxen machte, zu sich herunter und hielt ihm den Mund zu, als er stoßweise Versuche machte, laut hinauszulachen. Mutter Höhrle fing mit ihrem breiten Rücken all die höhnenden Blicke auf, die wie Pfeile von allen Seiten nach ihnen geschossen wurden. Aber die Mädchen, die armen Mädchen, sie hatten das Gefühl, als ob sie nackt 34 im prasselnden Hagelwetter ständen. Was konnten sie mehr tun, als die Augen zu schließen? O, hätten sie doch auch die Ohren schließen können, um nicht die Esel hören zu müssen, die schrecklichen Esel und das Zischeln giftiger Zungen neben sich.

Endlich ward's draußen stille. Der Kirchendiener war hinausgeeilt. Er fand den Vater Höhrle bereits bei der Arbeit, und die zwei brachten die Tiere nach einem entfernten Stalle, wo sie sich aus Mangel an Anregung wieder schweigsam verhielten. Hans, den seine Schwestern unter die Bank gedrückt hatten, war da unten eingeschlafen, und nun hätten auch diese wieder ruhig werden können, wenn sie nicht der Gedanke an den Heimweg in qualvoller Aufregung gehalten hätte. Wer gab ihnen ein Gewand, das sie, der Menge unsichtbar, meinetwegen durch die Nacht des Hades in ihre stille Dachkammer entführte?

Ach das Geschick ist grausam, und wem es einmal übel will, dem spart es keine Demütigung und keine Schande. Umsonst blieben die verschüchterten Tauben nach dem Gottesdienst noch eine geraume Weile auf ihrem Platze, endlich mußten sie doch hinaus. Draußen stand die steifgewordene Menge, die es sonst so eilig hatte, zum Mittagstische zu kommen, fest wie eine Mauer, und achtete nicht der glühenden Sonne, welche die Partei der Mädchen ergreifend, unbarmherzig niederbrannte. Es half nichts, auch dieses Spießrutenlaufen mußte noch ausgehalten werden. Mit niedergeschlagenen Blicken gingen die Kinder durch die lachende Gasse, die man so gefällig für sie geöffnet hatte. 35 Sie sahen nichts als den Fußboden, aber sie hörten leise höhnendes Kichern und wieder das schreckliche Wort: die »Bachprinzessinnen«.

Vater Höhrle hatte für seine Töchter vorausgedacht. Er trat neben sie, nahm sie bei der Hand und führte sie in den Flur eines befreundeten Hauses. Das Hinzutreten des schlichten Alten gab den armen, durch Putz verunzierten Mädchen wieder Ansehen und Würde. Man hörte keine Zurufe mehr.

Hans blieb der Mutter überlassen, die Mannes genug war, für ihn zu sorgen und sich über alles hinwegzusetzen.

Den ganzen Tag über hielten die Töchter zusammen mit dem Vater sich im Hause des Gastfreundes, und erst am Abend, als der Neumond [?] über den Bergen stand und ein fahles Zwielicht, das alles in graue Schleier hüllte, über das Tal hin ausgoß, wagten sie es, eng an den Vater geschmiegt, der Mühle zuzustreben. Ohne die Wohnstube noch einmal zu betreten, schlichen sie die Holzstiege hinaus zu ihrer Kammer, wo der Gott des Schlafes die Müden und Vergrämten in seine Arme nahm, sie leise wiegte und sie vergessen ließ, was der Tag ihnen Schweres zugefügt hatte. 36

 


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