Adam Karrillon
Die Mühle zu Husterloh
Adam Karrillon

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20. Kapitel.

Nickel Lulay, genannt der Backnickel, hatte das Bäckerhandwerk gelernt. Er verstand es aus dem ff, den Teig zu kneten und zu walken, zu salzen und mit Hefe zu versetzen, nur ließ ihn sein Meister nicht schießen, weil er mit dem rechten Auge in die linke Westentasche sehen konnte und gleichzeitig umgekehrt mit dem linken in die rechte. Das war's, woraus der ungerechte Mann den verfänglichen Schluß zog, sein Lehrling habe kein Augenmaß, und das Brot würde an den Rändern grindig, wenn er ihm den Backofen anvertraue. Auch konnte er nicht lange stehen, denn sein Untergestell war etwas kreuzstöckig geraten, so zwar, daß Klaus Priester seine Konfirmandenhosen über einen Sägebock arbeitete und stolz auf sein Kunstwerk zu seiner Gattin sagte: »Mariann, die werd'n recht, bis die Knöpf' noch dran sind.«

Es war also wenig Aussicht, daß der Backnickel unter sotanen Umständen sein Meisterstück machen und selbständig werden könne. Deshalb trat er eines Tages vor seine Mutter und erklärte: »Er wolle einmal die Erdkugel unter 196 die Füße nehmen. Entweder käme er mit einem Zylinder auf dem Kopfe wieder oder nie mehr.«

Seine Mutter weinte und suchte ihm das Wagestück auszureden. Er blieb bei seinem Entschluß und wanderte eines Tages, den Berliner, aus dem rechts ein Pantoffel, links eine Schuhbürste neugierig ins Land hineinsahen, auf dem Rücken, zum Tore hinaus. Er schrieb nicht. Er schrieb um alle Welt nicht und ließ seine Mutter und sonst jedermann im Unklaren, ob er diesseits oder jenseits des Äquators weile. Endlich nach acht langen Wochen kam ein unfrankierter Brief, der seine Mutter einen Augenblick in Verlegenheit brachte, denn sie hatte neben dem Mangel an großem zur Stunde auch kein kleines Geld im Hause. Und doch hätte sie für ihr Leben gern gewußt, was in dem Briefe stehe.

Sie nahm einige Eier in die Schürze und eilte zum Krämer Schütteldich. Unternehmend wie der war, kaufte er den ganzen Vorrat, und die arme Frau konnte vom Postamt den Brief ihres geliebten Backnickels abholen. Es sei zum voraus bemerkt, daß er kein Geld enthielt, und nur die kurze Bemerkung, er weile für einen Tag in Bonames, weil er sich seine Stiefel sohlen lasse. Sei dies geschehen, so werde er nordwärts wandern, so lange, bis er nichts mehr fände, worauf er treten könne. Das war nicht viel, was der Brief sagte, aber es war doch ein Lebenszeichen, und wenn man nur erst wußte, wo Bonames lag, so hatte man doch ungefähr eine Ahnung, unter welchem Sternbild der Verwegene weilte.

197 Frau Lulay wandte sich an einen, den man den Hausleerer nannte, weil er vordem ein Gerichtsvollzieher war. Der Mann lebte von einer kleinen Pension und besaß einen Globus, auf den bei einer Zwangsversteigerung kein Mensch geboten hatte. Daß man diese »Welt überhaupt« um ihre Achse rollen konnte, das war's, was dem Gerichtsvollzieher a. D. manche vergnügte Stunde bereitete und ihn in den Ruf brachte, er beschäftige sich mit geographischen Problemen.

Frau Lulay legte ihm die Frage vor, wo Bonames liege? Der Hausleerer drehte seinen Globus, beguckte ihn, fand aber den Namen nicht. »Eine Hauptstadt,« meinte er, »wie London oder Moskau kann es nicht sein, das sei sicher, das andere aber sei ebenso sicher, daß es nicht zwischen Frankreich und dem Böhmerwald liegen könne, dafür klinge der Name doch zu barbarisch. Vielleicht sei es ein kleines Pfarrdorf in Samarkand da herum.«

Was war nun da zu machen, man konnte keinen Steckbrief hinter dem Backnickel herjagen und mußte sich gedulden, bis es ihm belieben würde, die Welt wieder einmal mit einem Hofbericht über sein Befinden zu beglücken.

Es dauerte einige Wochen, und es erschien ein neuer Brief, abermals unfrankiert. Frau Lulay schloß daraus, daß im Geldbeutel ihres Sohnes Ebbe herrsche, und daß sich seine Rückkehr mit Zylinder noch etwas hinausziehen werde. Sie bezahlte das Strafporto und erhielt als Gegenleistung ein seitenlanges Schreiben. 198

»Liebe Mutter!

Daß man mit krummen Beinen weit kommen kann, wenn man nur unverdrossen eins ums andere Walzer tanzen läßt, kannst Du aus dem Poststempel sehen. Beinah schon bin ich am Ende des Hessenlandes. Seine letzte Stadt habe ich erreicht und denke, hier liegen zu bleiben, und habe Arbeit genommen. Die Straßen sind krumm, und es gehen auch viele Studenten müßig dadrin herum. Auch dem Hans Höhrle bin ich begegnet. Er ist ein feiner Herr und hat ein gesticktes Käppchen auf seinem Kopf, wie jener Kirchweihaff, von dem ich haben wollte, daß Du mir ihn kaufen solltest. Hinter ihm her lief ein abscheulich großer Hund, so groß, wie bei uns ein rechtschaffenes Kalb, so daß ich nicht ganz sicher bin, ob es ein Hund ist oder sonst ein Rindvieh, wie's bei uns keines gibt. Der Hund kommt in der biblischen Geschichte vor in der Nähe von den drei Jünglingen im Feuerofen, nur war's damals kein Hund, sondern ein König. – Jetzt fährt mir sein Name als im Maul herum, aber ich kann nicht drauf kommen. – Der Hans ist aber – trotzdem er ein so feiner Herr ist – gegen mich sehr gemein gewesen. Er hat mich mitgenommen auf die Kneip zu seine Kumpane. Da sitze an die dreißig, vierzig und habe rote Wämser an mit bunte Schnüre dran. Herr Gott, könne die in denen Jacken saufe. – Beinah wär mir ebe der Name von dem Hund eingefalle, nun ist es wieder nichts – 's Bier hat nichts gekost! Sie habe 199 gesagt: Es wär dem Hans sein Examenssatz, weil er gerad eine Prüfung bestanden hätte, was sie Physikum heißen. Wie mer nachts heim sind, habe mich zwei geschleift. Auf einmal habe die Gläser in einer Laterne gerappelt, da sind die zwei durchgegange und habe mich liegen lasse. – Herrgott, wenn ich nur wüßt, wie der Hund heißt – Zwei Polizeidiener sind komme, und einer von dene hat gesagt: »Das ist das Schwein.« »Nein, sag' ich, Schwein ist das keines, ich heiße Nickel Lulay. Schwein ist's, wenn einer voll ist und doch ganz heim kommt. Wenn's einem geht wie mir, so ist das Pech.«

»Wie die Dinge jetzt weiter laufe, so logierst Du heut Nacht auf der Wache, und was eine Laterne kostet, das wirst Du morgen erfahren.« – Der Hund heißt: – – da, nu ist mir der Name doch wieder ausgeschlitzt. – Den Hans Höhrle hab ich von weitem als noch manchmal gesehen, aber ich bin ihm ausgewichen. Ich hab mich geniert, von wegen dem Rausch. Nur neulich, als ich im Philosophewald spaziert bin, da steht er plötzlich da unter einem Haufen Leuten, was sie hier Corona heißen, und ist mit Binden ganz verwickelt, so daß er aussieht, als ob er Hasen vom Krautfeld scheuchen wollte. Gleich drauf ist's losgegange. Sie habe einen Duellzweikampf gemacht. Der Hans mit seim Säbel hat um sich geschlage, wie a Windmühl, aber 's hat nichts genutzt, zu dritt habe se auf ihn geschlagen. Er hat geblut wie 'ne Sau. Ich aber war stolz auf mein Landsmann, daß er sich vor dreien nicht gefürcht hat, und die andern, ich sag Euch, die haben auch ihr Teil 200 kriegt. Neuigkeiten gibt's hier keine, außer, daß die Welt doch viel weitläufiger ist, als wie mer sich das daheim so vorstellt, womit ich bleibe Dein geliebter Sohn

Nickel.        

Apropos: Der Hund heißt Holofernes, das ist aber noch gar nichts demgegenüber, was hierzulande eine Gaslaterne kostet.«

Mit diesem Brief ging Frau Lulay zunächst zum Herrn Gerichtsvollzieher a. D. und machte ihm Vorwürfe, weil er ihr vorgeschnackt hatte, ihr Sohn könne da um Samarkand herum sein, während er tatsächlich noch im Hessenlande weilte.

Der Mann sagte: »Kam nicht sein vorletzter Brief von Bonames?«

»Doch, aber das liegt doch bei Frankfurt und nicht bei Samarkand. Was sollte er sich dorthin bemühen? Kamele kaufen? Die gibts hier auch.«

»Ich hoffe, Sie vermeiden Anzüglichkeiten, Frau Nachbarin.«

»Das hoffe ich auch,« rief Röse Ricke, die eben zwischen die beiden trat und vor Frau Lulay einen Hofknix machte.

»Ihr Diener, meine Gnädige, wie weit haben die kreuzstöckigen Bäckerbeine den Backtrog ihres Herrn Sohnes bereits getragen?«

»Jesses, kann sich das Känguruh en Anstrich geben,« sagte Nickels Mutter, »nun auf von den langen Haxen 201 und ins Dorf hineingehupft, du Beuteltier, damit die Neuigkeit rasch in der Umgegend herumkommt,« und sie überreichte der Neugierigen das Schreiben.

Röse Ricke las und wurde zusehends zappliger. Plötzlich ließ sie den Brief fallen, faßte mit beiden Händen ihre Röcke seitlich der Schenkel, und geschmeidig wie ein Wiesel, schlüpfte sie zur Türe hinaus.

In der Mühle war gegen Abend Gerichtstag. Der Angeklagte war nicht erschienen, aber er konnte in absentia verurteilt werden. Vater Höhrle mit dem stillen, schwermütigen Richtergesicht saß im Lehnstuhl. Röse Ricke, aggressiv wie immer, ging auf und ab. Sie schien den öffentlichen Ankläger vorstellen zu wollen. Agnes saß gedankenvoll da und suchte nach mildernden Umständen, und Suse sah fast objektiv aus, wie einer, der den Tatbestand zu Protokoll nimmt. Man sprach nichts, denn die Verhandlungen sollten erst beginnen, wenn Onkel Schütteldich anwesend wäre. Dieser kam endlich, offenbar in der friedfertigsten Stimmung, denn er hatte seine lange Pfeife mitgebracht und rauchte wie der Backofen eines kleinen Mannes um Pfingsten. Kaum war er da, so legte Röse Ricke los:

»Hinter dem hab ich gleich nichts Gutes gesucht. Er brachte so brutale Fäuste mit auf die Welt.«

»Wer weiß, was geschehen ist,« sagte Agnes, »es gibt Dinge, die ein Rechtschaffener sich nicht bieten läßt. Als er den Rauschkolb schlug, hat ihn niemand verurteilt.«

»Das Duell ist vom Gesetz und von der Kirche verboten, und warum fängt er gleich mit Dreien an?« eiferte Ricke.

202 »Unsinn,« fiel Onkel Schütteldich ein, »was versteht so ein Teigaffe vom Zweikampf. Da laßt mich reden. Einer gegen drei, das gibt's nicht, daher der Name Zweikampf. Als ich noch bei Landfried in Heidelberg lernte, kam ich öfter mit Schnupftabak zu Tante Minchen auf die Hirschgasse und hab' vom Hof durchs Fenster gesehen, wenn die Studenten Duell fochten. Zwei kämpfen miteinander mit blanken Klingen, und zwei andere sekundieren.«

»Ja, aber wenn's keiner merkt, hauen die auch drauf. Weshalb hätte sonst Hans geblutet wie eine Sau – mit Verlaub zu sagen – mit einem allein hätt' der es aufgenommen.«

»Rede vom Kartoffelsieden, Röse, es kann sein, daß du auch das nicht verstehst, aber man traut dir darin doch eher ein Urteil zu. Es hilft nichts, ich muß die Sache vor euer Auge führen, damit's der Verstand begreift,« sagte Onkel Schütteldich, schraubte bedachtsam das lange Pfeifenrohr aus seinem Wassersack, dann suchte er nach der Elle, und damit alles perfekt werde, bewaffnete er Suse mit dem Kehrbesen und Agnes mit der Ofengabel.

»So,« sagte er; »Vater Höhrle stellt die Corona dar, Agnes und Suse sind die Sekundanten. Röse ist der eine Paukant, ich der andere und zugleich der Unparteiische. So Röse, nun die Klinge hoch, so wie ich. Der Unparteiische bietet zunächst: Silentium, für einen Gang Schläger ohne Mützen und mit Binden und Bandagen. Sobald es dann aber ›los‹ heißt, beginnt der Kampf.«

203 Röse Ricke in ihrem Kampfeseifer hatte den Erklärungen wenig Gehör geschenkt. Sie war aufgerückt und hatte mit der Elle dem Onkel Schütteldich eine Quart aufs Pfeifenrohr geschlagen.

»Halt,« schrie dieser.

»Warum halt? Herr Unparteiischer, drüben vor ›los‹ angeschlagen?«

»Jawohl. Bitte den Gegenpaukanten zum ersten Male zu monieren.«

Man sieht, Onkel Schütteldich hatte in diesem sonderbaren Zweikampf bereits drei Rollen. Nun übernahm er noch die des Stiefelfuchses und schob Röse mit der Elle wieder hinter den Mensurstrich zurück.

»Herr Unparteiischer, von unserer Seite kann's weiter gehen«, rief er sich zu und kommandierte ›los‹ für sich und Röse. Diesmal war er vorsichtiger, und als der Gegner die Klinge hob, fuhr er blitzschnell mit einem Durchzieher unter dieser her und Röse mit der Pfeifenspitze ins Gesicht. Vielleicht ist, seitdem die Welt steht, niemals ein schönerer Durchzieher geschlagen worden, und es ist gut, daß er die Spur seines Dagewesenseins zurückließ. Von Röse Rickens Ohr nämlich bis in den Mundwinkel lief eine Zeichnung, die mit der Bügelfalte eines Hosenbeines einige Ähnlichkeit hatte.

»Das Vieh macht ernst,« schrie Röse Ricke und spuckte etwas Blut und einen klingenden Gegenstand auf den Boden. Wie schade, der eine Stoßzahn, der nun schon seit Jahrzehnten auf der Unterlippe getanzt hatte, 204 war dem Verhängnis zum Opfer gefallen. Als Röse Ricke sich dieses Verlustes völlig bewußt wurde, verließ sie der Komment und jede Selbstbeherrschung und sie rückte stoßweise mit der Elle vor. Onkel Schütteldich ging rückwärts wie ein Seiler und suchte sein Schiff in einen Nothafen zu steuern. Leider legte eine Barre in Gestalt eines Fußschemels sich in seinen Kurs, er fiel und schlug donnernd mit dem Hinterkopfe wider die Zimmertäfelung.

Jetzt mit einem Male begriffen die Sekundanten Suse und Agnes ihre hohe Aufgabe. Sie warfen sich zwischen die Kämpfenden und bewahrten Onkel Schütteldich vor der gefährlichen Wut seines rabiaten Gegners.

»Wenn er nur das Genick gebrochen hätte,« schrie Röse erbost.

»Besinn' dich auf dein Christentum,« klang es von Höhrles Sorgensitz.

»Was, wer das Schwert zieht, soll durchs Schwert umkommen,« entgegnete sie mit unerbittlicher Konsequenz, drehte sich um und betrachtete bekümmert die blutige Färbung dessen, was sie ihrem Taschentuch anvertraute.

Als Schütteldich den Rücken des furchtbaren Weibes sah, kroch er eilig vor und raffte einen Gegenstand vom Boden auf. Dann erhob er sich und verlangte Wasser.

»Ein verflucht blutiger Tag, der heutige,« murmelte er, während er sich die Hände wusch.

Die Folgen des greulichen Waffenganges waren im ganzen genommen keine unerfreulichen. Vater Höhrle und Suse waren einigermaßen beruhigt, und Onkel Schütteldich 205 trug tagelang eine stolze Siegermiene zur Schau. Der Goldarbeiter hatte ihm, in Silber gefaßt, einen kleinen Gegenstand an der Uhrkette befestigt.

»Sauhatze mitgemacht, Herr Nachbar,« sagte der Oberförster, der Onkels Weste musterte.

»Die gefährlichste meines Lebens!«

»Etwas lang für eine Eberkrone.«

»Ist's auch nicht, stammt von einer alten Bache!«

Hans war durch Schütteldichs Eintreten gerettet. Für Agnes aber hatte die Burleske ein übles Nachspiel. Ihr Vater hatte, wie alle Welt, von Hansens blutigen Taten gehört, und nun wütete unterm Dache des Weltschirm's ein gewaltiger Sturm, der dem armen Mädchen scharf geschliffene Schimpfworte wie Hagelkörner ins Gesicht trieb. Nach des Alten gefährlicher Rede schien das Ende aller Dinge gekommen zu sein.

Agnes sah nach den Sternen empor, die indes ruhig ihre Bahnen wandelten, gewann Vertrauen zu ihrem Stern und schlief beruhigt ein. 206

 


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