Adam Karrillon
Die Mühle zu Husterloh
Adam Karrillon

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11. Kapitel

Hans hatte in jenen Tagen nach Hause geschrieben und nicht ohne Ruhmredigkeit die Tatsache erzählt, daß er mit acht anderen durch die Porta triumphalis eines glänzend bestandenen Examens in die Quarta eingezogen sei. Das entsprach den Tatsachen. Jedoch er wußte es so darzustellen, als ob er allein in vereinsamter Größe durch das Mittelportal gegangen wäre, während die anderen sich durch bescheidene Seitenpförtchen gedrückt haben sollten. Von seiner Assoziation mit Ammelung und seiner Ansiedelung in der Nähe des Ofens schwieg er. Mutter Höhrle belegte den Brief mit Beschlag, zog sich gut an, nahm eine Wachstuchtasche an den Arm und überraschte die Leute der Nachbarschaft mit ihrem Besuch. Sie fing mit dem Wetter an, führte die Unterhaltung durch Tanzbodenraufereien, aufgelöste Verlobungen, Scheunenbrände und Wolkenbrüche hindurch bis zu einem Punkte, wo sie, ohne dem vorherigen Gedankengange das Genick zu brechen, erzählen konnte von Hansens Großtaten und dem Aufsehen, das sein Genie in der Fremde errege. Man hörte ihr verwundert zu, versicherte, daß man etwas anderes eigentlich kaum erwartet 95 habe, und bestätigte der überglücklichen Mutter, daß es der Kirche und dem Staat recht schwer fallen dürfte, ein Amt zu schaffen, in dem der fertige Mann seine Fähigkeiten und sein Wissen entfalten könne. Das Gerede von Hansens Triumphen pfiff sich verstärkend wie der Wind um alle Häuser, nachdem auch Röse Ricke der Herold seines Ruhmes geworden war und verkündete, daß er sein Pfarramtsexamen prinzipiell bestanden habe, und daß er nur deshalb noch nicht erschienen sei, um im Dorfe seine Primiz zu feiern, weil sein neues Meßgewand nicht fertig geworden wäre. Einigen Zweifeln begegneten die Übertreibungen der weisen Frau nun doch. Der Krämerjörge meinte:›So lange einer noch keine Brille habe, könne an ihm die Priesterweihe nicht vollzogen werden,‹ und der Schneiderhiesel sagte: ›Ein Streichholz taugt nichts für ein Spundloch, und ein Pfarrer ohne Bauch ist nichts für die Kanzel. So Sachen verstehe er besser. Hans müsse erst einhundertfünfzig Taillenweite haben, bevor man zu ihm das Vertrauen haben könne, daß er ein Kind richtig taufen und ein Brautpaar einsegnen könne.‹

Vater Höhrle war, seit er Hansens Brief gelesen, ein anderer Mensch geworden. In seinem Gesicht lag ein goldener Freudenschimmer wie ein verirrter Sonnenstrahl, der ein felsiges Hochtal am späten Abend küßt. Hatten seine Blicke in die Zukunft sich seither in das leere Einerlei einer grauen Nebelwand verloren, so sah er jetzt das seither kompakte Dunstgebilde zerrissen und einen kleinen lichten Pfad, der durch dasselbe hindurchführte und vor der 96 Schwelle eines Pfarrhauses mündete inmitten gut gepflegter Kreuz- und Leichensteine. Er sah dort, wo die kletternde Rebe abschnitt, ein Giebelzimmer und darinnen ein alterndes Ehepaar zufrieden und vom Weltgetriebe abgestoßen in der Hauspostille lesen. Und dann war es ein schier reizvoller Gedanke, hier am Ende aller Dinge unter Astern und Syringen den langen Schlaf zu schlafen, während die Sutane des betend umherwandelnden Sohnes in dem Rauschgold der Kränze ein leises Flüstern weckte. Daß sich die Mühle nicht halten würde, sah Vater Höhrle ein. Er sah den Tag kommen, wo er seine Habe im Taschentuche über die Schwelle seines Hauses tragen, und Groß und Moos das Anwesen benutzen würden, um alte Säcke und Riemenscheiben darin zu verstauen. Dieser Tag, so sicher wie der Tag des Gerichtes, sollte ihn nicht zweifelnd finden, wohin er seine Schritte lenke. Er sah eine offene Tür und in deren Rahmen einen würdigen Pfarrherrn, der sein Sohn war, der seine Arme nach ihm ausstreckte und zu ihm sagte: »Vater, du hast meine Jugend geführt, gestatte, daß ich dein Alter stütze.« Diesem Ziele hoffte er jetzt entgegen, und wenn er einsam vor sich hinschritt, so verglich er in halblautem Selbstgespräch die Mittel, die ihm noch geblieben, mit den Aufwendungen, welche die weite Reise noch erforderte. So belauschte ihn eines Tages Suse, als sie im Unterholze Futter schnitt, und er plaudernd über den Waldpfad ging. Sie sprach ihn an, und was er sich selber vorgeredet hatte, verschwieg der Vater der Tochter nicht. Das Kind war ihm Vertrauter, Freund und Berater geworden. In ihr 97 aufnahmefähiges Herz schüttete er seit jenem Abend in der Mühlstube seinen Kummer, aber auch sein Hoffen, und er erlebte die Freude, Suse ein zweites Mal groß zu sehen.

Sie hatte von einer Patin ein kleines Vermögen geerbt. Das bot sie dem Vater an, damit er des Bruders Studiengang vollende. Gestehen wir's nur, daß Vater Höhrle um das Erbe wußte, und er hatte mit der Idee geliebäugelt, daß sie es opfern könne; aber bei näherem Zusehen erschien ihm der Gedanke greulich wie ein Kirchenraub, und er verschloß ihn in den äußersten Winkel des Herzensschreines. Jetzt aber, wo Suse selber ihn der Ausführung nahe brachte, begrüßte er ihn wie einen Freund des Hauses und drückte seinem Kinde tränenden Auges die Hand. So schien das Schifflein des Hauses Höhrle, vom Wind der neuen Zeit arg zugerichtet, doch noch stark genug, um eine Bucht zu erreichen, in der es vor Einbruch der Nacht verankert werden konnte.

Suse, die genau wußte, wie es um sie alle stand, schrieb ihrem Bruder einen kurzen aber ernsten Brief. Sie gratulierte ihm zu seinem Erfolge, sagte ihm, wieviel Sonnenschein er damit ins Hans getragen, verhehlte ihm aber auch nicht, daß er der Sohn armer Leute sei und Zeit und Mittel zurate halten müsse.

Hans war betroffen von diesem Briefe und aus seinen Himmeln gefallen. Der Eltern Verhältnisse hatte er in anderem Lichte gesehen. Aber aus Susens Briefe sprach eine überzeugende Wahrhaftigkeit und weckte in seinem Innern eine Stimme, die ihn vorwurfsvoll fragte, ob er 98 auch alles getan habe, um die Hoffnungen zu erfüllen, die man auf ihn setzte. Auch quälte ihn eine tiefe Scham deshalb, weil er sich sagen mußte, daß jenes Bild, das man sich zu Hause von ihm machte, seiner wirklichen Lage nur wenig entsprach, und daß der Klang seiner Münze hier, wo er sie an den Mann bringen mußte, viel leerer war, als dort, wo er ohnedies nichts dafür eintauschen konnte.

Der Letzte zu sein, das wurde ihm ein schier unerträglicher Gedanke. Zu grübelnder Tatenlosigkeit verurteilt, füllte er, die Zukunft mit Projekten schmückend, seinen Platz in der Klasse aus und studierte die Kehrseite seiner siebenzig Mitschüler. Da saß auf dem ersten Platze der große James. Er hatte blondes Haar, das aus dem Wirbel in Büscheln abstand, wie dürres Riedgras, und einen mageren Hals. Auch sah man den Tragbalken einer Brille vor seiner Schläfe herlaufen und sein Ohr umgreifen. Er war kein schöner Knabe, aber er war brav, fleißig und, wie der Klassenführer sagte: »Bei weitem der Erste.« Wie ein Bronzebild auf einer Riesensäule überragte er seine Umgebung in einsamer frostiger Höhe. Unser Hans schauerte, wenn er sich nur in seine Nähe denken sollte.

Doch da war noch eine mehr körperlich als geistig hervorragende Größe in der Klasse, das war der Ignaz Kaufmann. Er saß ungefähr in der Mitte wie ein Grenzstein, der zwei Gemarkungen scheidet. Er hatte ein wohlgenährtes Gesicht, und unter jedes seiner Ohren warf die kommende Mannbarkeit bereits ihre flaumigen Schatten in 99 das gesunde Rot seiner Wangen. Bei Raufereien im Schulhof war er entschieden die erste Persönlichkeit der Quarta, und da er immer auf Seiten der Minoritäten kämpfte, so erwarb er sich den Ruhm hoher Ritterlichkeit. In seiner Nähe zu sitzen, gab Sicherheit der Person und die Gewißheit, daß man noch versetzt wurde. Hans wünschte nichts sehnlicher, als im Schatten von Ignazens Backenbart zu wohnen. Da wollte er hin. Teilnehmen am Unterricht, fragen und gefragt werden, vorwärtsschreiten und nicht zurück. Im stillen tat er, was er nur konnte, um dieses Hochfliegen vorzubereiten, und der Subrektor im Konvikte war ihm behilflich. Ungezählte Male nahmen sie im Nominativ cum Infinitiv »das Subjekt des Satzes beim Schwanz, zogen es an den Anfang und konstruierten persönlich.« Hans wollte etwas aus sich machen, seitdem er die Gewißheit hatte, daß die Verhältnisse es gebietend erheischten. 100

 


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