Adam Karrillon
Die Mühle zu Husterloh
Adam Karrillon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18. Kapitel.

Als Vater Höhrle am nächsten Morgen erwachte, füllte ein kräftiger Kanastergeruch das Zimmer, und ein heiserer Husten ließ sich aus der Gesindestube vernehmen. Der Bauer stand auf und schlich auf warmen Pirmasensern über die Schwelle seines Schlafzimmers. Am Tisch vor der Schublade saß einer in sich gesunken, rauchte und schlief.

»Ach, der Stubenpeter,« sagte Höhrle, »warum schon so frühe?«

»Für mich ist's einerlei, wo ich schlafe,« entgegnete der Angeredete, »und schaffen kann ich heute doch nicht. Die Farbe fließt mit dem Regen nieder, und Häusergiebel sind ohnedies nicht meine Spezialität. Da läßt sich keine Kunst entwickeln.«

»Ihr müßtet Kirchendecken malen, Peter, oder Tabernakel vergolden.«

»Mit Vergnügen, Bauer, wenn nur mehr derartige Aufträge kämen. Aber für dreißig Ortschaften eine Kirche und für eine Ortschaft dreißig Wirtschaften. Das ist schon kein christliches Verhältnis mehr. Der liebe Gott ist selber 171 schuld, wenn sein Geschäft zurückgeht, wer kann denn heutzutage von ihm leben? Der Teufel versteht seine Sache besser, er gründet überall Filialen, hängt Schilder heraus, die ich anstreiche, verzapft Branntwein, und während der die Nasen blau färbt, streiche ich die Stuben blau an, so wird die Stimmung einheitlich. Nun noch oben und unten einen Strich hin, damit man weiß, wo Decke anfängt und Fußboden, dann die Hand auf, und Geld hinein! Sechs Batzen für eine Stube, drei Meter im Geviert. Es ist nicht leicht, sechs hungerige Mäuler zu stillen und seinen eigenen Durst.«

»Das letztere besorgt Ihr allein, Peter, das andere aber überlaßt Ihr doch wohl Eurer Frau. Ihr habt Euch den Spruch des Meister Zwirnsfaden zu eigen gemacht: ›Der Mann muß sehen, wo das Brot herkommt‹, da sah er zum Fenster hinaus, ob seine Frau mit dem Bettelsack nicht käme.«

»Paperlapp, Vater Höhrle, ich schaffe Euch für drei, wenn's was einbringt, sogar im Schlaf, was keinem leicht wird. Seht, das ist schon der zweite Pfeifenkopf, den ich so schlummernd leer rauche, und wie sich einerseits meine Arbeit in Rauch auflöst, so muß sie sich anderseits zu Geld wieder verdichten. Ich bin hier, um ein Geschäft zu machen.«

»Dann heraus mit dem, was Ihr zu verkaufen habt.«

»Euere Frau ist tot, Vater Höhrle, nun laßt Ihr doch Eure Stube tünchen. Seht, wenn so ein Mensch stirbt, so fährt sein Geist nicht gleich mit einmal aus. 172 Er schleicht sich so allmählich weg, wie der Dampf von meiner Pfeife, kriecht an den Wänden hin, fängt sich in Spinneweben und Ecken und will nicht los von dem Orte, wo er seither gewohnt. Die Pfeife brennt schon lange nicht mehr, der Rauch hat sich aufgelöst, und doch hängt von dem, was einst Tabak war, noch allerlei an Vorhängen und Wänden. Ihr könnt es riechen, Vater Höhrle, wenn Ihr eine gute Nase habt. Um dieses Etwas zu vertreiben, stänkert der neue Kreispfiffikus jetzt die Häuser mit brennendem Schwefel ein. Ich mache Euch die Sache angenehmer, laßt Eure Stube machen, Vater Höhrle. Ein neues Wandmuster, noch nirgends sonst verwendet. Drei Schläge, das gibt Farbe, bringt Leben, sieht gut aus und fördert Eure Heiratschancen als Witwer! Laßt Eure Stube machen, Vater Höhrle.«

An dieser Stelle seiner wohlvorbereiteten Rede wurde der Stubenpeter durch polternde Tritte unterbrochen, die vom Hausflur hereinschallten. Auch hörte man eine von den Mägden draußen laut auflachen, als ob ihr jemand etwas Witziges gesagt oder in die Schenkel gekniffen hätte. Im selben Augenblick erschien Rauschkolb im Türrahmen. Er hatte die Pelzmütze ins Genick gerückt und glich so einigermaßen einem lorbeerbekränzten Triumphator.

»Deine Mägde sind kitzlicher als deine Pferde, Vater Höhrle,« schrie er ins Zimmer. »Zu sehr abgetrieben, sie wiehern nicht einmal, mag man sie begreifen, wo man will.«

»Sieh da,« fuhr er fort, »der Stubenpeter. Er hat 173 gestern auf dem Kirchhof getränt wie ein Essigkrahnen. Daß du nur von keinem anderen dein Zimmer weißen läßt, Nachbar, als von ihm.«

»Recht so,« lachte der Stubenpeter, »eine Hand wäscht die andere, und daß du keinem anderen die abgetriebenen Pferde verkaufst als dem Rauschkolb, er hat sich gestern der Toten zu Ehren einen Saurausch zugelegt, auch gibt er dir, was sie wert sind und darunter.«

»Darunter,« fuhr dieser scheinbar beleidigt heraus, »weniger als gar nichts kann keiner bieten, und das sind sie auch wert, denn wer im Gebirge kann diese Seiltänzer brauchen. Zum Ziehen sind sie nicht, in der Furche gehen sie nicht und zum Polkatanzen spielt ihnen Klaus Priester nicht auf.«

»Vater Höhrle,« fuhr er mit besorgter Miene fort, »dir ziehe ich einen Dorn aus dem Fuße, wenn ich dir vierhundert Mark gebe. Aber auch nur dir, keinem anderen, würde ich ein solches Gebot machen, nicht und wenn ich noch Frankfurt dazu bekäme. Du mußt wissen, daß meine Frau so eine böse Ahnung hat, ich könnte aus Rücksicht für dich Gäule anschaffen, und so hat sie mir noch zugerufen, als ich schon auf der Straße stand: ›Kaspar Rauschkolb, daß du es dir merkst, die Pferde oder ich, eines von uns beiden bleibt aus dem Haus!‹«

»Die Pferde oder sie, hat sie das gesagt. und Kaspar Rauschkolb hat sie gesagt? Na, dann die Pferde her,« schrie der Stubenpeter, »so wirst du eine böse Sieben los, kriegst eine neue und kannst als Wanderredner in 174 landwirtschaftlichen Vereinen Vorträge halten über den Unterschied der Weibersorten.«

»Groß ist der, so weit meine Erfahrung reicht, gerade nicht,« sagte Rauschkolb, »beiß nacheinander in einige Holzäpfel und sag', welches der beste war. Übrigens hast du ja auch schon die zweite.«

»Kann annähernd stimmen, wenn du die erste für voll rechnest, obwohl sie mit ihrem Kinde zusammen nicht schwerer wog, als ein halbes Dutzend Schweineschinken.«

»Hast du das Kind als Hochzeitsgeschenk hintenach bekommen, oder hast du es gleich mitgefreit?«

»Mitgefreit,« sagte ehrlich der Stubenpeter, »es war der einzige gute Handel, den ich bis jetzt im Leben gemacht habe. Ich bekam mehr, als einer der freit, verlangen kann, schrieb meinen Namen als Schutzmarke ins Taufprotokoll und erhielt eine anständige Summe Geldes obendrein. Bald schrumpften die beiden zusammen wie Lederäpfel, ich zahlte einige kleine Reparaturkosten an den Arzt und hatte nach Abzug der Beerdigungskosten und der Stolgebühren eine hübsche Summe übrig. Einstehen für einen, der kein Pulver riechen kann, oder den Deckel machen auf einen krummen Topf, das sind die einzigen Möglichkeiten, wie unsereiner zu Verdienst kommen kann.«

»Für Euch, Vater Höhrle, liegt die Sache noch einfacher,« warf Rauschkolb dazwischen, »den Einsteher könnt Ihr nicht mehr machen, aber Ihr könntet ganz gut einer Witwe zu einem Manne verhelfen, wenn sie Euch zu einem 175 vollen Geldbeutel verhilft. Ich wüßte eine melkende Kuh für Euern Stall.«

»Das laßt meine Sorge sein,« schnitt der Müller den Gedankengang des Kaspar Rauschkolb entzwei, »ein jeder nach seiner Art, und Euer Versuch, aus einem Sakrament ein Geschäft zu machen, gefällt mir nicht. Laßt erst die Tote faulen und den Boden düngen, dann wird schon noch das Unkraut aus ihrem Grabe wachsen, auch wenn Ihr nicht den Pfuhl herbeischleppt.«

»Pfeift Ihr auf dieser Schalmeie, Vater Höhrle, na, dann adieu, diese Musik liefert uns der Pfarrer gratis und franko in jeder Fastenpredigt. Aber noch einmal, um vom Geschäft zu reden. Ich habe ein honettes Gebot getan, die Pferde bekommt kein anderer. Ihr wißt, daß ich Euch aus der Not geholfen und bei dem Kahlkopf am Vorschußverein meinen Namen quer geschrieben habe. ›Eine Ehre ist der andern wert‹,« sagte er halb drohend, stand auf und holte ein Streichholz aus der Westentasche hervor.

O ja, er war ein gebildeter Mann, dieser Kaspar Rauschkolb, er wußte, daß man den Leuten nicht das Wandmuster verkratzen soll, deshalb fuhr seine Hand mit dem Streichholz über jene Stelle, wo die Beine sich ins Namenlose verlieren, kam mit einer kleinen Flamme wieder zum Vorschein und eröffnete feierlich den Betrieb in seiner bunten Tonpfeife. Der Stubenpeter orientierte sich derweilen eilig, ob nicht vielleicht gestern einer von der Trauerversammlung seinen Tabaksbeutel hinter den Blumenscherben des Fensters habe 176 liegen lassen, nestelte an der Innentasche seines Wamses und ging hinter Kaspar Rauschkolb zur Türe hinaus.

Gerade nach diesem Aktschluß öffnete sich leise die Küchentür, und Mordche Rimbach, krumm und gebückt, trat auf leisen Katzenpfoten ins Zimmer. Er hatte sich den Umschlag seines Rockes heruntergerissen, zum Zeichen der Trauer, und zwei schwarze Korkzieherlocken hingen elegisch, wie die Ohren eines Wachtelhundes, an den Seiten seines Amalekiterschädels herunter.

»Der Gott, der den Erzvater Jakob beim Tode der Rahel getröstet hat, sei auch dein Trost, Vater Höhrle, er nimmt sich der Seinen an und läßt sie nicht zum Spotte ihrer Feinde werden.«

»Kauft der auch Gäul?« sprach Vater Höhrle, »und hat er dich geschickt, den Handel einzuleiten? Du hast gelauscht, Mordche, als Kaspar Rauschkolb im Zimmer war.«

»Braucht mer zu lausche, wenn Rauschkolb spricht. Ich hab' gehört, wie er dir getan hat e' Schandgebot auf die Gäul. Was soll ich Klappe über den Ohren tragen, solang 's das Bezirksamt nicht vorschreibt? Freilich hab' ich gehört jedes Wort, aber gelauscht hab' ich nicht. Im Gegenteil, ich hab' simuliert, wie ich dir helfen kann, und ich kann's. Ich hab' einen Liebhaber für deine Pferde. Du sollst mein Wort nicht stumpiere, ich biete zwölfhundert Mark. Hier, den Handschlag drauf, und das Geld ist dein.«

Vater Höhrle war von der Höhe der Summe und der größeren Ehrlichkeit des Juden einigermaßen überrascht, aber er sagte nicht sofort zu.

177 »Wohin kommen die Pferde?« forschte er, den Handel hinziehend.

»In einen guten Stall,« war die Antwort.

»Und was verdienst du an dem Geschäft?«

»Von dir nichts; vom anderen alte Ösen, zwei kupferne Kessel und die abgelegten Wagenreife, soviel altes Metall, als zwei Hunde von der Stelle ziehen können, wenn Mordche Rimbach hinten schiebt. Gott der Gerechte, e' alter Jüd' will auch leben, und er verdient sein Brot manchmal ehrlicher wie e' Christ.«

»Jedenfalls mit mehr Anstand als Kaspar Rauschkolb, und deshalb sollst du die Pferde haben,« sagte Vater Höhrle und schlug seine Rechte zwischen die von der Gicht verkrümmten Finger des alten Juden. Der Handelsmann beugte den krummen Rücken noch mehr zur Erde, drehte sich um, und zeigte ein Bündel hänfener Stränge, die aus den Hintertaschen seines Rockes heraushingen. Leise, wie er gekommen war, entschwand er wieder, und es dauerte keine fünf Minuten, so sah der Müller seine zwei Rosse mit aufgebundenen Schwänzen hinter dem alten Juden das Tal hinunterschreiten.

Die Glanzzeit des Hauses Höhrle war vorüber. Mit der Mutter war jener Geist begraben, der durch prunkende Äußerlichkeiten die innere Fäulnis zu übertünchen suchte. Vater Höhrle war mit seinen Kindern da, wo so mancher andere weilte, der immer noch mit einigem Stolz von sich sagen konnte: »Ich bin ein kleiner Mann.« Fast erleichtert atmete der Alte auf, ihm war's, als ob er nun erst wieder 178 Boden unter den Füßen hätte, und wenn er auch von dem Sturz aus der Höhe etwas zerschunden war, so hoffte er doch, daß alles wieder heil und ganz werden könne. Wenn er den Pferden gleichwohl mit einem kleinen Herzeleid nachsah, so war es nur, weil er sie gar zu gerne vor dem Doktorwagen seines Sohnes Hans gesehen hätte. Sie waren so gute Läufer, und sie hätten gewiß auch das Warten gelernt vor den Häusern der Kranken.

Vater Höhrle holte die Ochsen hervor und ging mit ihnen zum Pflügen. Langsam und recht schwerfällig marschierten sie die Furche entlang. Das war bei den Pferden anders; aber der Pflüger machte eine andere recht erfreuliche Bemerkung. Er sah, daß der Bussard hinter ihm fleißig auf die Erde schoß und mit vollem Schnabel nach dem Walde flog. Gut so, dachte der Bauer, der Pflug geht tiefer, als vordem, er sticht in die Nester der Mäuse ein, und was der Falke heute frißt, brauche ich im Sommer nicht zu füttern. Auch lag die Scholle schwärzer und fettiger zur Seite der Pflugschar, fast wollüstig schien der Mutterschoß der Erde sich zu öffnen und nach dem Samenkorn zu verlangen. Vater Höhrle sah das Entgegenkommen und traute seiner Grumme wieder. Sie war zuverlässiger in ihren Versprechungen als die Mühle, wenn sie auch nicht immer mit dem Füllhorn ihre Gaben ausschüttete, ganz mit leeren Händen war sie noch in keinem Jahr gekommen. Der Pflüger hob den Pflugsterz mit Lust, die Morgenstunden vergingen rasch, und als die Glocke vom Schulhausturme zum Mittag rief, sah der Bauer überrascht vom dampfenden Boden auf.

179 Bei Tische war die ganze, nunmehr auf vier Köpfe zusammengeschmolzene Familie Höhrle versammelt. Suse hatte gekocht, Liese den Tisch gedeckt und nicht vergessen, dem Bruder Studio eine Serviette hinzulegen. Es gab Fleisch. Der Vater schnitt jedem sein Teil zu, legte es auf die Teller und ließ sein Messer zirkulieren. Der Bruder war's im flotten Burschenhaus anders gewöhnt. Suse schalt Liese, daß sie nachlässig gedeckt und dem Bruder kein Messer gegeben habe. Liese wollte auf, aber Hans legte die Hand auf ihren Arm und hielt sie nieder. Er wollte in diesem Hause nichts Apartes sein, er konnte warten, bis das Messer an ihn kam. Vater Höhrle hatte den Vorgang gesehen und freute sich dessen, wie er sich über das Aussehen der Scholle gefreut hatte. In seinem Gewese steckte noch ein guter Kern, es mußte auch noch einmal wieder besser kommen.

Der Nachmittag fand ihn wieder im Brachfeld, wo Raben, die nach Würmern suchten, auf sein Erscheinen gewartet zu haben schienen, denn sie erhoben sich und begrüßten den Bauer mitsamt seinen Ochsen durch lautes Geschrei und rauschenden Flügelschlag. Das Auge des Pflügers folgte ihrem fleißigen Zickzackflug, und es kam so Abwechselung in die monotone Wanderung, immer die Furche ab bis zum Nordend und wieder zurück bis zum Südend. Auch der Himmel tat das Seine, den Landmann zu zerstreuen.

Ging er, die Hände am Pflugsterz, dem Norden zu, so sah er in das reine Azurblau des Firmaments hinein 180 wie in eine Unendlichkeit von Ruhe und Frieden. Ging er aber gegen Süden, so sah er hinten über dem breiten kahlen Bergrücken klumpige weiße Wolken herausquellen, zwischen denen ein unsicheres Licht verwegen hinhuschte und drohende Fäuste beleuchtete. »Es wird ein Gewitter geben«, dachte Vater Höhrle; »recht schade, daß wir heute nicht fertig werden.«

Als die Wand immer höher stieg und das vorher unsichere Licht sich zu Blitzen verdichtete, wurden die Ochsen unruhig, und einer suchte den anderen aus der Furche zu drängen.

»Es hilft nichts, wir müssen ausspannen, die Raben haben sich schon im Föhrenschlag in Sicherheit gebracht«, sagte der Pflüger im Selbstgespräch, und er löste die Stränge vom Sellscheid und warf sie den Tieren kreuzweise über den breiten Rücken.

»Feierabend für heute,« kalkulierten diese und trotteten den Berg hinunter der Mühle zu, ihr Herr hinterdrein. In kurzen grollenden Stößen ließ sich der Donner hören, und zuweilen krachte es auch wieder und klang hölzern, als wenn Kegel übereinanderfallen.

»Das kann gut werden, wenn es den Weg aus dem Neckartale herauffindet,« rief der Gemeindeschreiber, der auf seiner Treppe stand und in das Wolkenchaos hineinsah.

Vielleicht hätte er die Unterhaltung weitergesponnen, aber ein Windstoß trieb ihm zertretene Strohhalme und Straßenstaub ins Gesicht. Er hielt die Hände vor die Augen und stürzte ins Hans, gerade als der Topf eines 181 seiner blühenden Geranienstöcke auf dem Pflaster der Straße klirrend zerschellte.

»Bedenkt, daß es nach der Raufe geht,« rief Vater Höhrle dem Gespann zu, und in der Tat, die mächtigen Kugeln ihrer Hüftgelenke bewegten sich ausgiebiger in den Pfannen, die Schritte wurden größer, und als die ersten Regentropfen verspritzend auf die Ziegeldächer niederschlugen, waren die drei unter Dach und Fach. Die Ketten, blank gescheuert all die Jahre schon am Fell der Tiere, legten sich um deren Hals, und es begann das Mahlen der mächtigen Kiefer auf den Heuresten, die sie in der Raufe fanden.

Vater Höhrle war mit seinen Gedanken nicht bei seinem Vieh, er war bei der, die nun zum ersten Male die Schrecken des Gewitters nicht mit den Ihrigen teilte. Ja, sie war eine seltsame Natur. Mochte sie oft tagelang kein Wort mit dem Manne, mit den Kindern reden, mochte sie in ihrem Trotz hart erscheinen, wie ein Bild aus Granit, wenn des Herrn Stimme aus den Wolken zu ihr redete, beugte sie das stolze Haupt, und wenn der Blitz wie ein glühender Speer unheimlich vor dem First des Hauses niederfuhr, dann suchte sie wie eine Henne alle ihre Lieben mit dem eigenen Leibe zu decken, dann konnte sie nicht nahe genug an sie heranrücken, und auf der Truhe in der Schlafkammer vollzog sich oft nach wochenlangem Groll das Sühneopfer der Versöhnung. So verdankte Vater Höhrle den erzürnten Elementen manche Gunst der Zärtlichkeit, und unter der Sprache des Donners festigte sich 182 wieder das etwas gelockerte Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern. So kam's, daß in diesem Augenblick im Herzen des Witwers die Sehnsucht nach der Verlorenen stärker wurde, daß er mit Innigkeit an sie dachte und daß er seine Schritte beschleunigte, um seinen Platz auf der Truhe einzunehmen. Richtig, da saßen auch die drei anderen schon, gerade so, als ob sie auf die tote Mutter warteten, und suchten eines am anderen Schutz und waren bereit, eines mit dem anderen ins Verderben zu gehen, wenn es das Schicksal wollte, alle zusammen, nur keines allein, nur keines allein. Der Vater setzte sich unter sie. Nicht, daß er seine Arme um sie gelegt hätte, ach nein, so weit trieb man die Zärtlichkeiten nicht im Hause Höhrle, er wollte nur bei ihnen sein und ihr Geschick teilen, mochte kommen, was wollte. Während sie so bereit waren, von Gottes Hand Gutes und Böses hinzunehmen, wurde ihre stille Andacht rauh gestört.

Klirrend flog die Tür an die Wand, und über die Schwelle trat mit rohem, polterndem Tritt Kaspar Rauschkolb. Im Hausgang hatte irgend jemand die Ganglampe angezündet, und so füllte ihr roter Feuerschein die Türspalte, ein unheimlicher Hintergrund für so entstellte Züge, wie sie der ungebetene Gast mitbrachte. Das graumelierte Haar starrte in struppigen Bündeln vom Kopfe. Der Bart war aus dem Angesichte hinausgeweht und schien sich furchtsam ins rechte Ohrloch verkriechen zu wollen. Die Augen rollten unheimlich unter den störrigen Brauen. 183 Ein wütender Zorn fegte über dies Antlitz hin, verbog und knickte alles wie eine Windhose und schuf um sich eine schreckenstarrende Wüste. Wäre der Blitz als feurige Kugel durchs Zimmer gerollt, sein Anblick konnte nicht unerträglicher sein als der des Wütenden. Und gar als nun die rohen Worte polternd wie Felsblöcke über den Estrich rollten:

»So hast du's doch gewagt, die Pferde einem anderen zu verkaufen? Lump, bankerotter, wer hat für dich gut gesprochen, ich oder der stinkende Jude? Rüttle ich an einem Pfosten, so drückt das Haus euch platt wie der Ziegelstein die Ratte, und ich werde rütteln! Werde rütteln!«

Sein Arm streckte sich, die krallenden Finger suchten in der Luft nach einem Gegenstand, den sie greifen könnten. Da stieß ihn die sinnlose Wut vorwärts, die plumpen Füße machten drei Schritte der Truhe zu. Kreischend fuhren die Mädchen auf und flohen nach dem Hausgang. Der Müller aber saß bleich und still, als ob er aus Kreide geformt wäre, und erwartete den Angriff.

In diesem Augenblick ereignete sich etwas, was Kaspar Rauschkolb um den Ruhm brachte, das stärkste Rind der ganzen Gegend zu sein.

Hans Höhrle schoß wie ein Tiger vor. Seine Hände packten über der Brust des Gegners, was sie an Kleidern fassen konnten, die stemmenden Schenkel hoben sich mit athletischem Schwellen, und im nächsten Augenblick fuhr Kaspar Rauschkolb durch die Füllung der wieder geschlossenen Tür, wie ein Zirkuspferd durch den 184 Papierreifen. Ein kurzes Ringen noch im Hausgang, dann ein schwerer Fall über die Treppe, und der nächste Blitz beleuchtete einen Flegel, der, auf der Straße stehend, mit seinem Taschenmesser den gröbsten Dreck von seinen Hosen schabte.

Indessen purzelte das Wasser wieder leiser durch die Dachtraufe, der Donner grollte aus weiterer Entfernung und vermochte niemanden mehr zu schrecken. Ein sanfter Luftzug hatte die Wolken vom Firmamente gekehrt, und was noch so herumhing, war dünn und wellig wie eine Staubschicht, über die ein Reisigbesen gefegt ist. Mond und Sterne warfen ihr Licht durch diesen dünnen Schleier zur Erde, man sah, wie die Täler dampften und wie längs des Baches hin dunstige Gestalten sich die Hände reichten und um die Erlenbüsche ihren Geisterreigen tanzten.

Hans blickte durch die Scheiben. Das Mondlicht lockte ihn, und sein unruhiges Gewissen trieb ihn ins Freie. War's da ein Wunder, wenn er nachgab und vor die Tür trat? Der Gedanke, daß er sich an dem Kaspar Rauschkolb vergriffen habe, hatte für ihn etwas Befleckendes. Er war eine vornehme Natur, und alles Gemeine widerte ihn an. Der rohe Akt, zu dem er gezwungen worden war, hatte gleichwohl seine Seele beschmutzt wie seine Hände, und er mußte seinen Namen in schmutzige Mäuler bringen, deren Zunge zwischen faulenden Zähnen schnackte. Es schüttelte ihn, wenn er daran dachte. Auch kam ihm Agnes in den Sinn, und was sie wohl von der Sache halten werde. Zum mindesten sollte sie die Tatsache nicht entstellt von dritten hören, er selbst wollte ihr die Lage schildern und 185 ihren Tadel entgegennehmen. So eilte er denn mit großen Schritten ihrer Wohnung zu. Im Gastzimmer brannte Licht. Als seine Tritte im Hausflur widerhallten, öffnete sich die Küchentür, und Agnes trat heraus. Sie kannte die Sprache seiner Füße. Schon als sie noch das Pflaster der Straße traten, wußte sie, wer kam. Das Mädchen warf sich an den Hals des Geliebten und zog ihn in die Küche nach der Scheibe hin, von der aus man das Herrenstübchen überschaute. Es saßen einige wetterfeste Gäste da, die den Nachguß des Gewitterregens nicht gescheut hatten, um zum Stammtisch zu kommen.

»Weißt du, was die Herren vorhin gesagt haben?« flüsterte Agnes. »Du wärst ein braver Kerl, und ich sollte dir für das, was du getan hast, einen Kuß geben. Das will ich gern, aber nur unter der Bedingung, daß du niemand anders prügelst als den Rauschkolb,« und sie machte einen spitzen Mund, wartete aber bis er kam, um zu nehmen, was sie geben wollte.

Hans holte sich sein Teil und fragte erstaunt: »Aber wie kannst du wissen, was vorgefallen ist?«

»Drüben in der Backstube steht eine und trocknet sich, 's ist Röse Ricke. Wenn die mit einer Neuigkeit geladen ist, wird sie durchschlagend wie eine Granate, was achtet die einen Gewitterregen!«

»Nun, und was sagst nun gerade du zu der Tat?« forschte Hans.

»Genau, was die da drinnen gesagt haben,« und sie spitzte wieder die Lippen. »Und,« fuhr sie nach einer 186 Pause fort, »was die Drohung angeht, die Rauschkolb gegen deinen Vater geschleudert hat, so laß dir darüber keine grauen Haare wachsen. Du weißt, daß ich nicht ohne Mittel bin, ich werde rechnen und schreiben, und du sollst sehen, daß mein Name Klang hat. Aber willst du nicht ein wenig eintreten ins Herrenstübchen?«

»Nein,« sagte Hans, »wir haben die Mutter erst begraben, und dann möchte ich über den lästigen Streit keinem Red' und Antwort stehen. Es ist am besten, wenn ich für mich bleibe und morgen wieder abreise.«

»Ich muß deinen Entschluß loben, auch wenn ich ihn bedauere. So geh mit Gott und sei recht fleißig, denn weißt du, das ist vielleicht recht dumm von mir, aber ich möchte es doch gar zu gerne hören, wenn die Leute zu mir Frau Doktor sagen.«

Sie hing sich in seinen mächtigen Arm, drückte ihr schönes Gesicht wie ein Schmeichelkätzchen wider dessen straffe Muskulatur und begleitete ihn bis zur Haustür. Dort legte sie ihm ein weiches Seidenpapier zwischen die Finger: »Es ist eine Locke von mir, wenn ich nicht ganz bei dir sein kann, so soll wenigstens ein Teil dich begleiten.«

Im Fortgehen sah sich Hans noch einmal um. Der Mondschein floß an Agnes nieder und hob ihr liebes Bild ins Überirdische. Wie ein guter Engel erschien sie ihm. Noch einmal winkte ihre Hand den Abschiedsgruß, dann war sie weg und er auf dem einsamen Wege nach der Mühle.

Am anderen Morgen war Hans schon zeitig auf, um nach der Eisenbahnstation zu gehen. Als er in Husterloh 187 an der Kirche vorüberkam, standen schon geputzte Leute da herum, die zur Frühmesse mollten, denn es war ein Sonntag.

»Da kommt Hans Höhrle,« sagte einer, und alle blickten auf. »Hans Höhrle, der den Rauschkolb geschlagen hat, den Rauschkolb, den noch keiner schlug?« So ging es die Reihe der Kirchgänger bewundernd hinauf und hinab.

»Er sieht nicht aus wie ein Goliath,« sagte einer, »wo hat er seine Kraft sitzen und wo hat er sie her?«

»Von seinem Großvater,« gab einer zurück, »der nahm euch in jede Hand einen Sack mit Korn und marschierte damit wie mit zwei Spazierstöcken nach der Mühle.«

So sprach man von Hans Höhrle mit Respekt. Der Erfolg der einen, rasch vollführten Tat hatte mehr Ansehen auf ihn gehäuft, als die sieben Priesterweihen, die man ihm ursprünglich zugedacht hatte, je vermocht hätten. 188

 


 << zurück weiter >>