Adam Karrillon
Die Mühle zu Husterloh
Adam Karrillon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19. Kapitel.

Ach, es waren dazumal arme, ausgehungerte Zeiten, die den Bauer erbärmlich drückten. Die Lasten hoch, das Einkommen gering, die Gesichter vergrämt, der Gang schlaff und energielos. Die Berge mußten das grüne Kleid ihrer Wälder hergeben, es wurde zu Geld gemacht, das Geld rollte davon, und nun standen die nutzlos geschorenen Höhen kahl und öde da. Der Regen riß Furchen in sie hinein, und so sahen sie gealtert und heruntergekommen aus wie die Menschen, die zwischen ihnen wandelten. Scharen von Männern, ein kleines Bündel in der Hand, zogen am Montag weg zur Arbeit in die benachbarten Städte, am Samstag kamen sie wieder, um etwas Geld zu bringen und einige Stunden lang Familienglück zu genießen. Einige, mutiger als die anderen, sagten: »Schlechter kann es nicht werden,« und wagten sich in die Welt hinaus, nach Amerika, nach Australien.

Auch Heinz Wohlgemuth wollte auswandern. Er hatte sein armes Bauerngütchen nebst den zwei Kühen losgeschlagen und war zu seinem Bruder gezogen. Seiner Frau war schier das Herz gebrochen, als sie von ihren 189 Kühen Abschied nahm. Nun saßen sie da, hatten nichts zu tun, als auf den Termin zu warten, an dem der neue Besitzer den Kaufpreis zahlen sollte. Das Herz von Käthe Wohlgemuth war zerrissen. Der Schmerz um die Kühe, die sie verloren hatte, quälte sie, und die Angst vor dem großen Wasser, über das sie reisen sollte, tat das Gleiche. Es gab Szenen zwischen ihr und dem Manne. Heute wollte sie gehen, morgen wieder nicht.

»Was ist da zu machen,« sagte ihr Mann, »ich kann das Meer nicht aussaufen und dich trockenen Fußes hinüberführen.«

In seiner Not fragte er einmal Röse Ricke, was er tun solle.

»Weißt du was,« sagte diese, »du mußt sie an den Anblick des Wassers gewöhnen, ich will ein paarmal mit ihr nach Worms fahren, da ist der Rhein, ein respektables Gewässer, da kann sie sich ein Bild machen, und ihre Scheu verliert sich.«

So fuhren sie ein paarmal mit Erfolg nach Worms und zurück. Käthe Wohlgemuth wagte sich auf die Schiffbrücke, auf eine Baggermaschine, die am Ufer lag, zuletzt sogar in einen Nachen. Das war ein Tag erzieherischen Triumphes für Röse Ricke.

»Hab' ich dir nicht gesagt: Die Sache lernt sich. Schließlich kann man alles, was man will. Nun sieh dir die Leute an, die eben mit dem Schiff vorüberfahren. Da raucht einer Pfeif', da trinkt einer eine Flasche Wein. Sehen die aus, als ob sie wassersüchtig wären und vor 190 hätten zu ertrinken? So machst du's auch, wenn du auf dem Wasser bist. Die Seefahrt nimmt ein Ende, denn wie ich so schätze, wird das Meer kaum zehn bis zwölfmal breiter sein als der Rhein, den du vor dir siehst.«

Damit wandten sie dem Wasser den Rücken und das Gesicht dem Eisenbahnzug zu, der im Rosengarten stand, um nach der Bergstraße abzudampfen. Röse Ricke war eine mitteilsame Natur. Vielleicht hätte sie Millionen verschenkt, wenn sie solche gehabt hätte, da dem nicht so war, mußte sie sich begnügen, alle Welt an ihrem Wissen teilnehmen zu lassen.

Es war ein Mann zu ihnen ins Coupé gestiegen in einer Uniform von der Farbe einer Postanweisung, mit einer Dienstmütze auf dem Haupte. Röse Ricke machte eine ganze Bank frei, zum Zeichen, daß sie die Ehre zu schätzen wisse, mit einem Beamten fahren zu dürfen. Zuerst traute sie sich nicht recht an ihn heran, beguckte ihn von oben bis unten, sah aber schnell zu Boden oder auch nach der Lampe an der Decke, wenn sie merkte, daß er ihrem Blicke zu begegnen suchte. Als sie aber wahrnahm, daß er seine Nase zum Fenster hinaus schneuzte, kam ihr der Uniformierte menschlich näher. Sie fragte, ob er der Kreisrat sei?

Er sagte: »Nein, nur Bahnbeamter.«

»Aber mit großem Einkommen,« forschte sie indiskret, »so schöne Kleider kosten Geld.«

»Die stellt der Staat,« war die knappe Antwort.

»Ja, wer so den Staat hat, der ihm alles besorgt, ist gut daran. Schließlich braucht einer sich nicht einmal 191 eine Frau zu suchen, die liefert wohl auch die Verwaltung?«

Mit dieser Bemerkung machte Röse Ricke den Versuch, witzig zu werden. Der Beamte tat ihr auch den Gefallen zu lachen und sah sie mit intimem Schmunzeln an. Damit hatten sie sich einander enthüllt, und die Serie der Vertraulichkeiten war eröffnet. Nun bogen sich die Köpfe geheimnisvoll tiefer, und Käthe Wohlgemuth hörte außer gelegentlichem Zischen und Schnalzen nur wenige Brocken, die sich ihr nicht zu einem Gedanken runden wollten.

»Ja, in der Tat vortrefflich, ganz vortrefflich.«

»Mittel?«

»Ja, aber nicht gerade viel, dagegen gute Hausmannskost, keine zweite unter der Sonne.«

»Stark?«

»Nicht eben . . . rund und hart wie eine Eichel.«

»Würde passen, wenn nicht zu hochnäsig.«

»Keineswegs, ein wenig kurzatmig am nervus rerum, kann nicht zu hoch steigen wollen.«

»Gut, der Sache nähertreten.«

Das Gespräch der beiden wurde zuletzt so eifrig, daß sich die Worte sprudelnd über die Lippen drängten und Speichel mitrissen, der stäubend die Umgegend netzte und Käthe Wohlgemut in die fernste Ecke drängte. Da, plötzlich gab es einen Ruck. Röse Ricke und der Bahnbeamte stießen richtig die Köpfe widereinander wie spielende Lämmer auf der Weide. Sie sahen sich grinsend an und lachten. Da stand der Zug und eine Stimme rief: »Lorsch«.

192 »Da muß ich heraus,« sagte der Uniformierte und drängte sich aus der Tür. Röse Ricke erhob sich, gluckste und kollerte wie ein Zwerghühnchen und rief dem Manne zu: »Auf Wiedersehen!« Da ging der Zug weiter.

Käthe Wohlgemuth sah zum Fenster hinaus und hatte im Vorblick das Städtchen Heppenheim.

»Was ist das für ein langes Gebäude da drüben,« fragte sie.

»Eine Irrenanstalt für einige wenige Verrückte,« war die Antwort, »die meisten laufen noch frei herum.«

»Der Ansicht bin ich auch,« sagte Käthe Wohlgemuth, »wenn alle drin wären, die hineingehören, so würde ich allein im Coupé fahren. Sag' einmal ehrlich, Ricke, hast du dem Menschen da deine alte Kuhhaut aufschwätzen wollen, oder treibst du sonst einen Fellhandel?«

»Zu dienen,« sagte die weise Frau, »um einen Kuppelpelz zu verdienen. Wer arm ist, muß alles mitgehen heißen.«

Damit war die Unterhaltung abgebrochen, und Käthe Wohlgemuth grübelte still für sich hin und suchte sich ein Bild zu machen, wie manche Leute es anstellten, sich in der Heimat durchzubringen, und dann nicht über das schreckliche Wasser brauchten.

Am nächsten Morgen saß Röse Ricke in der Mühle am Tisch, eifrig bemüht, irgend eine Kleinigkeit, die ihr zwischen die Zähne geraten war, mit dem Fingernagel herauszustochern. Ihr gegenüber saß Liese und hörte mit Aufmerksamkeit zu, wenn die geschwätzige Alte loslegte:

193 »Du solltest dich nicht bedenken, er ist ein Beamter, einer von den allerhöchsten, wie mir scheinen will.«

»So, zu welcher Würde könnte er mich erheben,« sagte Liese gut gelaunt, »was hat er für einen Titel?«

»Was er für einen Kittel hat? gerechter Himmel, gar keinen. Er hat einen Rock mit umgelegtem Kragen und Messingknöpfen darauf. Auch hat er Hosen mit Passepoil in der Naht, und was er in diesen Hosen befehlen tut, das müssen die anderen tun.«

»Soweit läßt die Sache sich hören, wie steht's, Röse, die du ja alles weißt, hat er ein großes Einkommen, oder ist er reich?«

»Unverschämt reich muß er sein. Sein Vater ist von Bibelried, die Mutter ist von Winterkasten. Halt, da fällt mir zum Glück auch ein, was er ist. Man nennt's Meuchelmörder.«

»Meuchelmörder,« lachte Liese laut auf, »also Frau Meuchelmörder, nicht übel Röse. Solltest du nicht vielleicht falsch gehört haben, und er wäre Weichenwärter?«

»Na, meinetwegen Weichenwärter? Übrigens Meuchelmörder oder Weichenwärter, prinzipiell kann das kein großer Unterschied sein. Die Hauptsach' ist, daß all die andern tun müssen, was er sagt. Er ist der Gebieter.«

Mit dieser Unterredung war ein Verfahren eingeleitet, das Liese nach einigem Hin und Her unter die Haube brachte.

»Ein wenig unter ihrem Stand,« sagten die Leute, »das hätte ihre Mutter nicht überlebt.«

194 »Der Mann steigt noch,« sagte Röse Ricke. »Er ist in der Glückshaube geboren, er erbt auch noch, wenn der Großmogul der Mongolei stirbt.«

So war denn in der Mühle, wo das Futter knapp wurde, eines von der Raufe weggekommen, aber die Gehende hatte einiges mitgenommen. Vater Höhrle mußte die Axt in seinem Walde wüten hören, und wenn einer von den Fichtenriesen niederstürzte, daß die Erde bebte, so bebte auch er. Weit weg von seinem Hause, in einem entlegenen Wiesentale, schnitt er Weiden. Die Klagen, die sein sterbender Wald ausstieß, zerschnitten ihm das Herz. 195

 


 << zurück weiter >>