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Ave Stella

In der Stunde zwischen Nacht und Morgen, wenn die Letzten nach Hause gegangen und die Ersten noch nicht unterwegs sind, die kurze Ruhestunde der Großstadt, wenn alles Leben ausgelöscht scheint und die endlosen Straßen ganz leer und schlaff daliegen wie die Adern in einem Körper, dem alles Blut entronnen ist, eine künstliche blasse Steinwelt, dann steht am Himmel ein Wesen und beugt sich spähend über die Welt, ein Weib, aus Licht in Licht geformt, fast unsichtbar.

Sie betrachtet die Welt und sieht, wie die schöne blaue Kugel sich im Äther dreht und ihre Seiten langsam der Sonne zukehrt, immer Nacht auf der einen und Tag auf der anderen Seite, ringsum in einen Mantel von Wasser gehüllt, gespannt und lichtgebrochen wie ein ungeheurer Tropfen, und im Blau die krausen Krusten und grünen bunten Strecken des Festlandes; darüber wieder die durchsichtige Atmosphäre, von Wolken und Luftströmungen bewegt, wie ein Schleier um die blaue Nacktheit der Erde, ein schöner farbiger Ball im Raum, in Äonen beschäftigt, einförmig, immer derselbe sich drehende Körper, der sich von allen Seiten gleichmäßig beleuchten läßt und zu gleicher Zeit um den gewaltigen Lichtkörper kreist, in dessen Strahlen er sich badet.

Beugt das außerirdische Wesen sich tiefer herab, sieht es die unendlichen Weiten der Weltteile, Länder und Reiche und alles Leben, das auf ihnen Schiffe, die auf dem Meere rund um den Ball schreiten, Züge, die von Küste zu Küste über das Festland eilen, Großstädte, in Rauch gehüllt, Verkehrsstraßen, von Menschen gepfeffert, in allen Zonen, von beiden Polen bis zum Äquator, der bunte, fruchtbare, abenteuerliche Kreis der ganzen Welt, Länder, Völker, Tiere, Pflanzen und Dinge, feste Dinge, das Meer blau, rauh und naß, die Rasen grün, und kein Platz auf der Erde, der nicht direkt an den Himmelsraum stößt, jeder Grashalm reckt sich ins Universum.

Die großen alten Flußstädte mit ihren Domkirchen und Mauern rings herum, jetzt nur noch Spuren eines engen Ringes, der sich im Inneren verliert – und meilenweite Straßennetze wie große kristallinische Rinden auf der Erde, nicht eine Brücke, sondern viele, viele über den Fluß, wo seinerzeit eine einsame Fähre von Wald zu Wald plätscherte; von den Wäldern nur noch eine Rekonstruktion in Form von Parks – und von dem ganzen Monstrum geht ein dumpf scharrendes Donnern aus, der nicht endende Stadtton, der zum Himmel steigt.

Die Frau oben hört ihn und blickt herab, wundert sich und faßt an ihr Herz; keiner aber von den Menschen unten begreift, wie für ihn in der Ewigkeit gefühlt wird, mit welchem Weh und tiefem Mitleid ein liebendes Herz, das nicht helfen kann, seinem Treiben folgt.

Wer ist sie? Was ist die rollende Welt? Warum ist sie? Wer ist der Todessegler in der Ewigkeit, der sich selbst überlassen ist, zwischen Weltkörpern, die er nicht erreichen kann, von denen er eine grausame Vorstellung hat, ohne sie erreichen zu können, immer einsam, was frachtet er, warum, wohin? In derselben Stunde, wo der Chemiker mit seinen Gläsern und geheimnisvollen Strahlen experimentiert, dem innersten Leben des Stoffes, in derselben Stunde lauern Neger hinter Termitenbauten mit ihren langen Assagaien aufeinander, was wollen sie, was arbeitet in ihnen beiden, wie hat das alles begonnen und wie soll es enden?

Schulknaben fragen; die übrigen ernähren und vermehren sich, bauen auf oder tun Schaden und sterben.

Das kosmische Wesen aber, das in Gestalt einer Frau über der Erde schwebt, für solche, die sie sehen können, das ist das Leben, der Stamm des Lebens jenseits des Äthers, von dem die Keime auf die Erde gekommen sind, das wahre Leben, der Liebe Ursprung, von dem wir durch unsere Sehnsucht wissen.

Durch einen langen fehlerreichen verlassenen und von neuem aufgenommenen Lebens- und Verwandlungsweg haben Wesen auf Erden eine Form für das gesucht, was ein ewig innerliches, unbekanntes Stammbild auf anderen Sternen ist?

Ave Stella!

 


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