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Heimkehr

Wird aber der Todessegler, der fliegende Holländer, niemals Ruhe finden? Gibt es keine Bedingung, die ihn erlösen wird, wenn er sie erfüllen kann?

Es gibt eine. Wenn er erkennen kann, wann er er selbst ist, dann soll er erlöst sein. Unmöglich, das kann kein Mensch. Darum hat er bereits Hunderte von Jahren gesegelt und wird weiter segeln müssen auf den Meeren, bis zum Tage des letzten Gerichtes.

Falls aber die Bedingung lautet: wenn er so und so lange gesegelt ist und Gelegenheit gehabt hat, zurückzublicken und zu erkennen, zu welchem Zeitpunkt seines Lebens er sich selbst als Mensch am nächsten war, mag er auch den ganzen übrigen Teil seines Lebens anders gehandelt haben, als seine Natur es verlangte, so soll ihm doch Erlösung werden. Das geschieht in dem Augenblick, wo er ganz und in Wahrheit zu seinem Wesen zurückkehrt.

Und wenn ihm diese Erkenntnis gekommen ist, soll folgendes geschehen, was gleichbedeutend ist mit der Rückkehr seiner Seele:

Der Sturm, den der Todessegler stets mit sich führt und in dem er immer segelt, soll sich legen, Windstille soll werden, das Wetter sich aufklären und der Schiffer mit geblendeten Augen seinen Sonnenstand sehen, endlich den richtigen. Dann wird das alte, müde Ewigkeitsfahrzeug sich ausbreiten und zu einer Insel werden, im Meere gut verankert. Das Deck soll grünen und eine kühle nordische Wiese werden, mit Blumen auf dem Grunde, Erdgeruch und süßes Gras atmend, eine geringe Pracht nur, doch die Nächte sind hell, und Bienen und Blumen vereinigen sich in der linden Honigluft der Mittagsstunde. Weit ist das Land, keine geringe Insel nur, sondern ein gewaltiges Festland, Platz genug; hat der alte, salzgraue Ozeanfahrer die Elemente zu einer Welt innerhalb der Wände seines engen Schiffsrumpfes gehabt, so soll er wahrlich auch Platz haben, sich zu breiten auf dem festen Lande, in das das Schiff sich jetzt verwandelt hat.

Die Segel schwellen und werden große Kuppelwolken am Himmel, die sich wie ein kühles Zelt über den Sommertag wölben, mit langsam ziehenden Schatten auf der Erde, lächelnden Weiden, Wäldern und Seen im Gemisch.

Die Masten springen aus, aus jedem Knast kommt ein Ast, die Spitze entfaltet sich wie eine Fahne aus frischem Laub, Rahen und Stangen verwandeln sich in Bäume, es braust wie ein Frühlingswind, es flammt hellgrün und duftet kühl, der Wald steht fertig da und schüttelt sein lichtes Kleid unter schwellenden weißen Wolken und blauen Himmelsscherben, Sonne und Schatten vermischen sich zwischen den zarten nordischen Bäumen wie ein Erquickungstrank.

Und seht nur, die Schnitzereien und Verzierungen auf dem alten Schiffe sind alle lebendig geworden, der Hirsch tritt aus seinen Schnörkeln heraus und streckt die Beine, wirft die Stilisierung wie eine Larve von sich und wandert gelassen mit schwankendem Geweih durch die Bäume, das Maul schnuppert duftendes, süßes Laub. Das Eichhörnchen springt aus seinem Schnitzwerk, richtet die gebogenen Glieder auf und galoppiert in der Farbe des Lebens, dem rötesten Rot, wie eine Flamme die Stämme hinauf, auf allen Vieren, der Schwanz von Leben strotzend, und ist im nächsten Augenblick in dem Wipfel einer Birke verschwunden. Aus dem Zimmerwerk, aus Winkeln und Löchern im Schnitzwerk kommen Vögel geflogen, der Habicht segelt in langsamem Flug über die Baumkronen, die Eule flattert lichtscheu und lautlos wie eine Motte zwischen den Zweigen und vermischt sich mit einem Schatten, Singvögel schwirren ein und aus und verteilen sich auf den herabhängenden belaubten Ästen, die gefederte Kehle zum Gesang aufgeblasen.

Jetzt aber geschieht das größte Wunder, Santa Marias Gallionsfigur, die Mutter Gottes mit dem Kinde, wird lebendig, steigt herab und setzt sich ins Gras unter den neubelaubten Bäumen, die junge Mutter mit ihrem Erstgeborenen im Arm, das Leben von vorn, unter freiem Himmel, Frühling, Wald, Kindheit!

Ja, das Leben von vorn, in Gestalt einer jungen Ansiedlermutter, die am ersten warmen Frühlingstag vor dem Blockhaus sitzt, mit ihrem blonden unbedeckten Haar, und ihr Kind sonnt; aus dem nahen Walde erreichen Artschläge ihr Ohr, es ist der Starke, Zimmermann, Landbauer und Jäger in einer Person: die Familie wieder von vorn an einem öden Ort, Kanada, tief in Minnesota oder Dakota, wo Bauern aus dem Norden ihr Wetter und ihre Jahreszeiten wiederfinden und harte Winter das Gleichgewicht ihrer Seele bewahren.

Wie sie dort unter einem Baum sitzt, die Brauen mit der Hand beschattend, sonnenfroh und still, einsam in großer Einsamkeit, aber mit dem Kind bei sich und dem Arbeitstakt des Mannes im Ohr, so saß auch die junge Langobardin vor ihr auf einem gerodeten Weiler in Schonen, die kräftigen Beine in einem Rock aus Hanf, ein notdürftiges Hemd und sonst nur ihr wirres gelbes Haar wie Sonnenschein um den Kopf. Hinter dem Baum, wo sie mit ihrem prächtigen güldenen Sohn sitzt, grast ihre Kuh.

So ist die alte Welt hinübergekommen und zu einer neuen geworden. Das Schiff hat sich zu Feld und Wald verwandelt. Alles ist geworden, was es anfangs war; die Matrosen sind zu lauter Regenwürmern geworden und haben sich in die Erde begeben.

Der große weiße Schiffer aber wird noch weißer, hebt sich über die Erde und löst sich zu einem Streifen Meernebel auf, der vom Strande kommt und unter die Bäume zieht, bis er sich in der Sonne zu nichts verflüchtigt; und wo er gestanden hat, ist nur ein Häufchen Staub geblieben und etwas welkes vorjähriges Laub. Die lange Reise ist zu Ende.


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