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Wir kamen zur Küste von Portorico und kriegten mit Kannibalen Streit. Tjek, tjekkelek …; (Zähneklappern, Kastagnetten.) Wir beteten zu unserm Patrone und legten Nägel in unsre Kanone und schossen und stachen und schlugen und machten Feuer. Ha, ha, ha! (Chorgebrüll.)
Und hungrig waren wir hinterdrein. Eine krause Jungfrau war zu haben. Tjek, tjekkelek …; Unser Topf kam ins Kochen. Und sie kam hinein mit Feder und Rumpf. Denn man bekommt Appetit auf blauer See. Ha, ha, ha!
Prächtig schmeckt, wie sie geht und steht, eine krause Maid mit Haut und Haar! Tjek, tjekkelek …; Für jedes Leckermaul nach Geschmack, – ich liebe Brust und Hintern und Hand und Mund und Leib, Schenkel und Bein! Ha, ha, ha!
Dann stochern wir unsern hohlen Zahn mit Rippen von der Schönjungfrau. Tjek, tjekkelek …; Juchhe, ein Knochentanz, Klabautermann mit Krallen und Schwanz, heran, heran, Klabautermann! Ha, ha, ha!
Wir fanden Eldorado, Gott sei Dank, als wir zum erstenmal Tabak schmausten. Tjek, tjekkelek …; Juchhe, ein Knochenwalzer mit Rauch und Feuer aus deinem Hals! Dank für Tabak und Geschmack und Schnack zwischen Pack! Ha, ha, ha!
Schrot in der Büchse, die Maid auf dem Spieß! Nilpferdpeitsche: Sklavenfleiß! Tjek, tjekkelek …; Schwarz ist der schwarze Mann, die Zierde der Plantage, im Sonnenbrand – und darum ist der weiße Mann so weiß! Ha, ha, ha!
Wie tolle Hengste tobten wir, und kriegten Frauen, mancher fünf. Tjek, tjekkelek …; Wir brachten Vitzliputzli um, hinterher aber packte uns der Teufel, und so mancher kehrte ohne Nase heim. Ha, ha, ha!
Vom weiten Meere hab ich genug, es macht klüger, aber nicht jünger. Tjek, tjekkelek …; (Zähneklappern, Kastagnetten.) Bald werde ich meine Herzallerliebste am Heimatstrande wiedersehn und hoffe, sie war immer so treu wie ich …; Ha, ha, ha! (Chorgebrüll.)
Solch verhältnismäßig schmucke und andere schlimmere Kannibalenlieder, in dem eigenen Gebell der Eingeborenen, sang die Mannschaft an Bord der Sklavenschiffe, die Gold nach Westindien brachten und an Stelle der eingeborenen Bevölkerung, die in den Minen starb, Negersklaven von der Guinea-Küste nach den Inseln frachteten. Zwei Welten begannen von einander abzufärben.
Heere von Menschen, ganze Bevölkerungen standen bereit, sich hinüber zu wälzen, als sich ein Ausweg gefunden hatte, der von Europa fortführte. In Europa war eine große Abrechnung im Gange, zwischen Prälaten, Fürsten und streitsüchtigen Theologen, die Kirche ging in Stücke und verlor die Alleinherrschaft über die Seelen, um sich darauf in mehrere, nicht weniger intolerante Kirchen zu spalten; viele Geißeln, statt der großen Peitsche. Die Kronen lauerten und zogen die Götter an sich, die die Kirche durch ihren inneren Zwiespalt nicht mehr zu halten vermochte. Bevor diese Abrechnung aber zu Ende war, vergingen drei bis vierhundert Jahre. Und die einfachen Leute, die in jedem Fall in die Klemme gerieten, was auch geschah, die Reformation, aber keine Reform bekamen, Bauern, die härter unterdrückt wurden als vorher, nachdem sie die paar Edelleute niedergedroschen und einige wenige Burgen abgebrannt hatten, der Überschuß des Mittelalters auf den Landstraßen, Bettler, Soldaten ohne Sold, brotloses aber lebenskräftiges Pack, – sie alle konnten nicht warten, die Mißvergnügten drängten zur Küste und bissen in den Werbetaler, mit dem Leute, mit rohem Gold an den Fingern, in den Hafenstädten herumliefen, die Karavellen stießen von Land, mit Leuten geladen, die noch kein Stand waren, es aber werden sollten.
Mißvergnügte Leute wie Rodrigo de Triana wanderten aus, jener Seemann, der zuerst an Bord des Pinta Land gesehen, die versprochene Leibrente von 10 000 Maravedis aber nicht erhalten hatte, er war mißvergnügt, wütend, und seine Wut dauerte das ganze Leben lang, was die Leibrente nicht tat; der Admiral bekam das Geld, er hatte das erste Licht des Landes am Abend gesehen – ha, nicht von Licht, sondern von Land war die Rede gewesen! Der Admiral aber war im Recht, fällte selbst das Urteil, strengste Gerechtigkeit, zuerst ist zuerst! Rodrigo war wütend den Rest der Reise und während der ganzen Rückreise und außer sich, als sie ein halbes Jahr später nach Hause kamen und ganz Spanien mit ihren ungeheuren Neuigkeiten blendeten.
Während der Admiral wie ein Prinz in Sevilla gefeiert wurde und eine Einladung an den Hof in Barcelona bekam, der ehemalige Kartenzeichner war zu Ehren gekommen, er wurde geadelt, nein, er war von jeher adlig gewesen, – stürmte Rodrigo in sein Triana und ging den Berserkergang durch sämtliche Weinkneipen, donnerte auf den Tisch, auf alle Tische, bedrohte Unschuldige, ohne ihnen jemals ein Haar zu krümmen; mit trocknen Tränen im Halse lachte er das Lachen des Betrunkenen und schüttelte den Kopf, während er in sein Glas hineinlallte:
Zuerst ist zuerst! Was die Großen sich alles herausnehmen! Wo viel ist, kommt mehr hinzu. Licht hat er in der Dunkelheit gesehen, – sah wohl Licht im Dickdarm! Porca Madonna!
Zechend und mit gezogenem Messer schwankte Rodrigo durch die Straßen Sevillas und sprach laut mit sich selbst, ganz allein in seinem Aufzug, – während Kolumbus seinen Triumphzug durch ganz Spanien machte, ein Jahrmarktsaufzug mit Papageien und goldenen Masken, Farbholz und Bambusrohr, und einem Dutzend armer Wilder mit Nasenringen, – ein schönes Spanien bekamen sie bei dieser Gelegenheit zu sehen, die ganze Christenheit auf den Beinen wegen ein Paar Indianern! – und Kolumbus selbst an der Spitze, auf einem Pferd, das man wahrscheinlich besonders zugerichtet hatte, mit einem Ruder hinten, damit er es lenken konnte …; für diesen ganzen Zauber, Ehrungen, Kolumbus' Platz neben den Majestäten, seinen neuerworbenen Adelsschild, Goldkette, Jagd mit dem Kaiser, gab Rodrigo einen flatus!
Als aber die Gerüchte von den Ehrungen, die dem Admiral zuteil wurden, kein Ende nahmen, da verlor Rodrigo den Appetit in seinem Vaterland und wanderte aus, stürmte nach Afrika hinüber. Dort wurde er Mohammedaner, mochte Kolumbus auch noch seine Seligkeit bekommen, Christenpack, keinen Atemzug wollte er mehr zwischen Hunden tun!
Bis zu seinem Tode saß Rodrigo in Afrika und pries Allah, mit Burnus und Turban bekleidet, von anderen Muselmännern nur durch seine zornigen blauen Augen zu unterscheiden. Den Rest seines Lebens klopfte er Steine und schüttelte die Faust gegen Europa, während er auf Arabisch schimpfte, – die Zunge sollte ihm im Halse verdorren, wenn er jemals wieder ein Wort seiner Muttersprache in den Mund nähme!
So zornig war Rodrigo.
Er hatte Amerika nicht gewählt, wohl aber tausend andere, die Europa ohne Bedauern für immer den Rücken kehrten.
Da waren zuerst die Konquistadoren und ihr Anhang, Cortez und Pizzarro, Diego Almagro, der Chile eroberte, auch er ein Mann von Eisen, mit etwas Ungewöhnlichem, Geschärftem im Charakter, das an los Estremeños erinnert, die die besten und schlimmsten Eigenschaften der Araber und Goten in sich vereinigen. Da war Ojeda, Alvarado, und mit ihnen die namenlosen Heere, die ihnen folgten. Alles, was es in Spanien an alter nordischer Abstammung gab, Normannensaat, das Wagenvolk der Völkerwanderungszeit, die Unruhigen, die seinerzeit nach Süden vorstießen, alle diese ergriffen die Gelegenheit, wieder aufzubrechen. Es war, als ob ein großer überseeischer Magnetberg von weitem wirkte und die Nägel aus Spanien zog.
Nach den Entdeckern und Abenteurern aber kamen die Ansiedler. Das ging nicht so schnell, denn es war der Boden selbst, der sich bewegte, aber es eilte auch nicht, und ihre Zeit ist noch nicht zu Ende.
Denn es ist das große Buch der Emigranten. Die Auswanderung teilte sich in zwei große Ströme, der eine Strom kam aus dem südlichen Europa, bevölkerte das lateinische Amerika, an der Spitze normannisch, die Völkerwanderung durch den Süden gesickert, und auf dem Boden romanisch; der andere, spätere Strom aber kam aus dem Norden Europas, aus der eigentlichen Quelle der Völkerwanderung, daraus bildeten sich die Vereinigten Staaten.
Wieder vertrauten Bauern sich den Wogen an, namenlose, unbekannte Scharen, wieder knarrten die Auswandererwagen in neuen, weglosen Gegenden, Kinder guckten vorn aus dem Wagenzelt, und hinten ragten lange verbrauchte Schäfte heraus, das Werkzeug, der Pflug hatte sich wieder auf die Wanderschaft begeben. Und noch einmal fahren Bauern ihre Wagen für die Nacht in einem Kreis zusammen, zu innerst das Vieh, Feuer wird angemacht und ein bescheidenes Nachtessen unter offenem Himmel eingenommen, während draußen die fremde feindliche Einöde brütet und eine eingeborene, kräftige und grausame Bevölkerung herumschleicht: der Indianerroman mit vielen blutigen und schwärmerischen Kapiteln, der Pfeil, der durch das Dach des Auswandererwagens zittert, das lange Riffelgewehr des Anführers, das die gefederten Reiter aus unmöglichen Entfernungen trifft, Daniel Boone und der letzte Mohikaner! Kalifornien – Trompetenstöße aus der Zeit, als unsere Väter jung waren! Klondyke – unsere eigenen Fanfaren!
Ein gewaltiges, farbenreiches und bewegtes Buch! Was haben die Männer nicht alles gesehen, die die jungen ungeheuren Länder, Küsten, Prärien und Berge, unermeßliche Flüsse, die Kordillieren, Tropenwaldungen, Pampas zum erstenmal erblickten! Stürmisch dringen die Erinnerungen auf uns ein, nie, nie wieder wird die Welt so frisch werden! Nicht noch einmal wird die Welt sich erneuern! Verlorene Kindheit! Verlorenes Mannesalter!
Der arme »Präriescooner«, der auf seinem Wagen nach Westen schwankte und Wagenräderspuren zum erstenmal in unbetretener Erde hinterließ, der in sich die Elemente zu einem Heim und einer Bevölkerung trug, langhaarige, gefurchte, entschlossene Männer zu Pferde, das Gewehr in der Faust, und in der Ferne das Profil eines Indianers zu Pferde, das sich von einem steilen Paß abhebt – ja, so schreitet der lange Zug zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ozean, und aus dem harten, stummen Auswanderer ist der robuste amerikanische Farmer geworden, Millionen, die Millionen ernähren.
Weit wirft Ygdrasil seinen Schatten, der Baum der Völkerwanderung, der seine Wurzel im Norden hat und dessen neue Äste sich über die ganze Welt verzweigen!
Pflanzen und Tiere brechen auf und wechseln die Plätze, bekommen ein Schicksal oder werden darum betrogen; wie durch eine unerhörte Natur-Katastrophe wird der nordamerikanische Bison vom Festland heruntergefegt, und das alte, zahme Vieh von Europa rückt stattdessen ein. Die Pferde werden gelandet, die ersten aus den engen Karavellen der Entdecker, wo sie in dem schaukelnden Spilltau gestanden und monatelang Wüsten von Seen angstvoll angestarrt haben, bis ihnen das Weiße aus den Augen trat, während sie gegen die Planken gestampft und gedonnert und Fohlen geworfen haben, hochbeinige, zottige Fohlen, die von den Wellen immer wieder umgerissen wurden, wenn sie sich auf ihren Beinen erheben wollten, – endlich aber legt man eine Brücke für sie aus, über die sie nicht gehen wollen, sie schlagen mit den Hufen aus, lassen sich widerwillig an Land nötigen, schließlich aber sind sie da! Die Prärie! Erinnern sie sich, daß sie dort schon früher gewesen sind? Ach nein, das ist ja schon eine gute Erdperiode her, sie erinnern sich an nichts mehr, aber wie sie die Köpfe schütteln, als sie wieder Erde unter den Hufen fühlen, sie schlagen mit den Hinterbeinen aus und lassen die Mähne fliegen vor Vergnügen!
Dann traben sie in die neue Welt hinein, beugen die Mäuler zu den Wiesen herab, stempeln die schwarze Erde mit dem Herzstempel ihrer Hufe, vom nördlichsten Nordamerika, der Rundung der Erdkugel, bis hinab zu dem südlichsten Patagonien, sie galoppieren und wiehern und werden wieder wilde Pferde, ein ganzes Festland wird durch einige wenige Paare bevölkert; das ist die schnelle Karriere des eine Zeitlang vogelfreien, aber von neuem mit Lasso eingefangenen und eingezäumten, kopfschüttelnden und ausschlagenden, aber mit Sporen gezähmten, sehr bereitwilligen und verhätschelten Mustangs.
Das Schaf kommt hinüber, bereits mit Kolumbus, und trippelt auf seinen kleinen Hufen an Land, schüttelt den Schwanz und hinterläßt seine Bohnen, eine bewohnte Spur, bekommt sein Frühjahrslämmchen auch hier und friert geschoren einmal im Jahr zum Nutzen der Menschen, kaut seitwärts wieder und stampft furchtbar bestimmt mit dem Vorderbein die Erde, wenn jemand sich seinem Tau nähert, ganz wie in der alten Welt – die Einfalt in Ehren! Hier aber wird das Schaf wieder Herden- und Bergtier und teilt den Boden mit Lama und Alpacca auf unzähligen Hochlanden, steinigen Feldern und Grenzdistrikten.
Der Weizen wandert aus, wird gegen den Mais eingetauscht, der mit seinen großen Gräsern und fruchtbaren »Ohren« nach Europa kommt; aller Weizen in Mexiko soll von zwei Körnern abstammen, die ein Neger schon zu Cortez' Zeiten in einem Sack Reis fand. Von einer Apfelsine, deren Kerne Bernal Diaz hinter einem Tempel pflanzte, stammen Mexikos Orangenbäume ab. Leben und Nahrung birgt sich auf einem geringen Platz und will die Erde gern reich machen, man braucht sie nur in fruchtbarer Erde zu verlieren und zu vergessen.
In einem entlegenen Hochland, in Chile oder Peru, man weiß nicht einmal genau wo, wuchs eine Nachtschattenpflanze, die ihr Leben in bedrohten Perioden dadurch schützte, daß sie Nahrungsstoff in Knollen an der Wurzel sammelte, die Kartoffel!
Eine andere fahle Nachtschattenpflanze, der Tabak, eignete sich eine Macht an wie keine andere Pflanze der Welt, ungeachtet dessen, daß sie alles andere als nahrhaft ist, feige macht und das Leben verkürzt; der Drang im Menschen, sein Wesen mit Gift zu spalten und sich Erlebnisse zu verschaffen, sei es auch durch Krankheit, hat die Hand über sie gehalten. Schokolade, Süßigkeiten kamen, die Zähne gingen. Federvieh für die neue Welt, für die alte den Truthahn!
Wie aber erging es den Eingeborenen? Nicht gut. In einem Lande, wo eine Bevölkerung den Platz einnahm, den sie gebrauchte, und viele neue Millionen hinzukamen, mußte notgedrungen der eine Teil weichen. Die Eingeborenen machten Platz, starben höflich aus. Schon die Konquistadoren konnten mit eigenen Augen sehen, wie die Plätze leer wurden, und füllten sie als gute Haushalter mit frischer Mannschaft aus, eine landflüchtige Insel von Afrika, die sich drüben mehr und mehr breitete.
Das schwache Tropenvolk ging zuerst, konnte mit dem Spanier nicht Land teilen, schüttelte sogar den Kopf über die Anweisung auf ein Jenseits, wenn es sein Leben diesseits nicht leben durfte. Von einem gewissen Hatuey, Kazik auf Cuba, der lebendig verbrannt wurde, wird erzählt, daß er sich erkundigte, als man ihm vor dem Tode die Taufe aufnötigen wollte, ob die Weißen auch in den Himmel kämen, und als er es bestätigt bekam, zog er es vor, unvorbereitet den Scheiterhaufen zu besteigen. Die Indianer im Norden zogen sich finster zurück.
Der Kannibale verschwand. Von den glücklichen Inselbewohnern blieb nichts als der Hunger übrig, ein magerer Schatten auf der Spitze eines Hügels von Schädeln, der der Hoffnung zugrinst, die gegenüber an einer Palme aufgehängt ist.
Doch nicht alle Konquistadoren waren erfolgreich, das böse Gewissen oder Nemesis schlug manche nieder, viele erlitten das Ende eines Raufboldes, die meisten starben eines gewaltsamen Todes.
Ein Seufzer, der versöhnt, ist von dem strahlenden und bewunderten Alvarado zu uns gekommen. Er fand seinen Tod auf einer Expedition nach Kalifornien, in einem ihm würdigen athletischen Stil. Beim Erklettern eines Berges, um eine eingeborene Festung einzunehmen, war der Pfad so steil, daß die Reiter abstürzten, und Alvarado bekam einen von ihnen auf den Kopf, das heißt, er entging glücklich Mann und Pferd, aber ein nachfolgender Felsblock traf ihn und zerschmetterte jeden Knochen in seinem Körper. Er lebte noch mehrere Tage und soll über seine vielen Verirrungen, Gedankenlosigkeiten und ungerechten Handlungen gegen die Wilden geweint haben. Als der zerschmetterte Mann eines Tages seufzte und mehr klagte als gewöhnlich, fragte ein Freund ihn, an welcher Stelle er am meisten litte: In der Seele, el alma, soll er geantwortet haben, und in seinem letzten Willen bestimmte er, daß alle Wilden, die er gebrandmarkt und zu Sklaven gemacht hatte, freigegeben werden sollten. So starb Alvarado in Qualen, ein guter Junge.
Dadurch wurden freilich die Hunderttausende nicht wieder lebendig, die andere Spanier in bestialischem Tropenkoller verbrannten, hinschlachteten, mit Europa verpesteten, in den Minen zu Tode peitschten und vernichteten.
Das Unglück aber wurzelte wohl tiefer als in allgemeiner Bosheit und menschlicher Gefühllosigkeit, die Natur hatte hier Geschöpfe zusammengeführt, die sich nicht vermischen ließen, vom selben Ursprung, der eine Teil aber stand auf einer Urstufe, der andere war so verändert, daß es keine Umkehr mehr für ihn gab; sie konnten sich wohl begegnen, nicht aber mehr aufeinander gepfropft werden, der eine Teil mußte den anderen verdrängen.
Zu weit hatten der Mensch im Urzustand und der Mensch auf einer zivilisierten Stufe sich voneinander entfernt. Der Unschuldszustand des ersteren war allerdings zweifelhaft genug, bereits geprägt von einer beginnenden Kultur, bewußt grausam; wie aber konnten die Eingeborenen sich in der Kunst der Zerstörung mit den Weißen messen? Sie, die Christen, hatten viel Seele, Selbsterkenntnis und ein edles Gottesbewußtsein – waren sie dadurch besser geworden? Mit der Zivilisation wachsen alle Eigenschaften, auch die Roheit, selbst Dummheit, Gefühllosigkeit und Unverstand äußern sich im großen. Nein, einfache Wilde und die Herren der Natur, die ihre Natur verloren hatten, konnten sich nicht mehr erkennen.
Nicht überall war die Grenzscheide unübersteigbar; in Mexiko fand eine Mischung statt, die sich hielt. Die beginnende Kultur dort! Malinas Macht!
Im Norden aber nahm der weiße Mann Land für sich in Besitz, für sich allein, legte Beschlag auf Breitengrade, die ihm von zu Hause zu eigen waren. Da erst war es, als ob Kolumbus Amerika jenen geöffnet habe, deren Instinkt in ihm gearbeitet hatte, für die Nordländer; von einem Punkt hinter ihm begaben die Geschlechter sich hinüber und gründeten das Amerika, das Amerika ist, die Staaten.
Im neuen Boden und lange unbemerkt wuchs die Freiheit auf, die in Europa obdachlos geworden war, die alte Selbständigkeit des Bauern.
Und als sie stark genug geworden war, konnte sie in die alte Welt zurückkehren und dort hell machen; als die Republik, die uralte Volksform der Westländer, wieder in Frankreich eingeführt wurde, geschah es unter dem Einfluß der neuen amerikanischen Union.
Bauern umgepflanzt, neue Wurzeln für das Geschlecht, Wachstum und Wachstum in den namenlosen Familien, die auf souveränen Gehöften geborgen waren, von ererbten Koppeln im alten Land zu neuer Freiheit im Westen, – das war die wahre Linie in Kolumbus' Instinkt als Fährmann. Die Linie, in die er sich verirrte, rächte sich an seinem Leben und an seinen Nachfolgern.
Wenn Rodrigo de Triana es erfahren hat, wird es ihm ein Trost gewesen sein, daß Kolumbus' Herrlichkeit nur so kurz dauerte. König Ferdinand gelang es bald, den »Vizekönig« mit all seinen Rechten aus dem neuentdeckten Land hinauszudrängen. Die Reihe der Nemesis aber wurde fortgesetzt, als Amerika Spanien vierhundert Jahre später seine amerikanischen Besitzungen abjagte, da wurde Kolumbus gerächt.
Wenn der heilige Christophorus Kolumbus' Schicksal und das seiner Nachfolger gesehen hätte, würde er wahrscheinlich mit seinem großen, von Wasser geweichtem Finger auf die Dynastie des Entdeckers gezeigt haben, die bereits nach einem Glied ausstarb, das Geschlecht verwitterte fast sofort oben in der Luft der Macht, Pracht und Geisttötung.