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Schlechte Jahre waren die Ursache, daß die Bauern nicht im Norden blieben, wo sie ihre Heimat hatten. Die Winter waren immer streng, aber ließen sich doch überleben, sonst hätten keine Menschen in diesen Ländern gewohnt. Gerade die Winter hatten sie zu dem gemacht, was sie waren, sie waren von Drengs Blut, durch Widrigkeiten gestählt, und konnten vieles ertragen; aber auch harte Menschen werden aufsässig, wenn die Grenze erreicht ist.
Wohl war die Macht, die sie von der Wurzel aus gebildet hatte, noch über ihnen, aber der Gletscher stand fern im höchsten Norden, und nur bisweilen schien er einen Arm nach den Ländern zu recken, wo er einst geherrscht hatte; dann nahmen die Winter an Härte zu, die kurzen Sommer konnten kaum den Frost von der Erde tauen, Eisberge zeigten sich in der Nordsee, Nebel und Dunst verhüllte die Sonne das halbe Jahr. Die Länder wurden nach der großen Eistauzeit mit ihrem Netz von Seen und Wasserläufen zwischen den feuchten Wäldern und Morasten, wo sich das Ackerland befand, kaum trocken; die Erde bewahrte Kälte in der Tiefe, große Winterüberschwemmungen blieben bisweilen den ganzen Sommer über stehen, der Acker wurde zu einem See oder das spärliche Korn reifte nicht.
Schlug aber nur ein einziger der kurzen Sommer fehl, dann gab es Not im Winter; schon in guten Zeiten reichte der Ackerbau nicht weit, gab es aber mehrere Mißernten hintereinander, dann entstand Not, und es gab kein Korn und nur wenig Fleisch, da man bei Mißernte auch kein Vieh unterhalten konnte. Dann blieb nur die Jagd übrig, und darin mußten sich zu viele teilen. Ja, man war zu zahlreich, auch das gab den Anstoß, die Gehöfte flossen über von Kindern, die im Handumdrehen zu gierigen Schwärmen heranwuchsen; was sollte bei einer Hungersnot aus ihnen werden?
König Schnee regiert in den Ländern zu beiden Seiten des Kattegat, kommt in einem siebentägigen Schneegestöber und besetzt den Himmel, macht die Nacht zu einem Grabe und den Tag zu stöbernder Dämmerung, ohne Grenze zwischen Morgen und Abend, die Luft ist Schnee, der Sturm ist Schnee, er scheint aus allen Himmelsrichtungen auf einmal zu kommen, Schnee wälzt sich aus dem Himmel, und Schnee steht in steilen Wolken lotrecht in der Luft, Schnee gebiert Schnee und wirbelt in Haufen durcheinander, die ganze Welt ist wie ein weißer Brand, aber mit Unglücksdunkel auf dem Grunde, und es ist kalt, kalt, der Tod ist in der Luft; die Menschen werden blaß von dem steten Starren durch die wirbelnde Dämmerung, dort draußen atmet einer allgewaltig, man kann sehen, wie er sich auf Sturmgliedern schwingt, und wie der Schnee unter seinen Schwingen ersteht – Odin, König Schnee ist unterwegs!
Und wenn er sich genug belustigt hat und Windstille macht, liegen die Länder unter Schnee begraben, Schnee bis an die Mitte der Stämme im Walde; soweit die Länder reichen, ist die Erde ein einziges weißes Schneefeld, weiße Küsten bis an den Kattegat, weiß auch drüben in Schonen, zu beiden Seiten des Sundes, der Berg Kullen reicht wie eine Landzunge von Schnee ganz bis ins Meer hinaus, die Inseln sind Schneeinseln, und zwischen den verschneiten Küsten liegt das Meer offen und schwarz da, vor Frost rauchend wie Galle, bis auch die Sunde sich mit klafterdickem Eis schließen, und der Schnee Land und Meer zu einem machen.
Der Fischer, der zu segeln gewohnt ist, muß Bergmannsarbeit mit der Art verrichten, um zum Meer zu gelangen. Während der dunklen Nächte brüllt das Eis von Ufer zu Ufer, eine ungeheure unterirdische Entladung von Kräften, und die Menschen in ihren Fellbetten unter der Erde und unter dem Schnee hören das Dröhnen und kauern sich tiefer in die Felle, es ist das Meer, das seinen Rücken unter die Eisdecke stemmt und sie zu heben versucht; aber es ist gefesselt, und Odin hohnlacht, daß das Echo von Küste zu Küste schallt.
Bis tief in den Sommer hinein, der ein Regensommer ist, bleibt das Eis liegen, und es kommt vor, daß noch alte Eisschollen im Sund treiben, wenn der Herbst und der neue Frost kommen. In solchen Jahren wächst nichts auf den Äckern, das Vieh verkrüppelt, und der Hunger treibt das Volk mit schmalen, hohlen Wangen aus den Dörfern – eine Veränderung muß geschehen.
Von Seiten der Führenden, der Häuptlinge, der Kundigen, die zwischen dem einfachen Mann und den Mächten standen, wurde alles aufgeboten, um den Mißjahren Einhalt zu tun. Es wurde geopfert und nicht gespart; erst opferte man Vieh, mehr als man entbehren konnte, und als das nichts half, opferte man Menschen, Sklaven oder Gefangene, die man sich verschaffte und in allen Windrichtungen aufhängte, da der Gott es grausam zu verlangen schien; die Sommer aber wurden nicht besser.
In einer Gegend entschloß man sich zu dem Ungewöhnlichen, dort wurde der König selbst geopfert, als Versöhner für alle übrigen, und man richtete das Opfer an Odin, den Herrn des Feuers, denn als solcher ließ er ja die Menschheit im Stich. Vielleicht hatte man sich auch an ihm vergangen, indem man in der letzten Zeit die Feuerbestattung abgeschafft und die Toten der Erde auf Hügeln übergeben hatte. Vielleicht zürnte der Herr des Feuers, weil man ihm nicht gegeben, was ihm zukam; man wollte versuchen, ihn wieder zu versöhnen, und wenn jemand ihm durchs Feuer gesandt werden sollte, war der Beste gerade gut genug. Der König selbst hatte nichts gegen diesen Beschluß einzuwenden gehabt.
Das Opfer fand am Sonnwendtag zur Mitwinterszeit statt, dem Feiertag, dem die Alten die größte Bedeutung beilegten, und viel alte Sitte, die die Leute schon vergessen, wurde wieder hervorgeholt, denn man konnte nicht wissen, ob nicht doch Kraft darin enthalten sei. Unter großer Feierlichkeit wurde ein Notfeuer angezündet, nachdem alle Herdfeuer gelöscht worden waren; man machte frisches Feuer an, um den Mächten ein Beispiel zur Nachahmung zu geben. Viel anderes wurde noch probiert, an das manche nicht mehr glaubten; wenn sich die Welt nicht mehr mit dem Verstand zusammenhalten ließ, mußte man zu den Mitteln greifen, womit die Alten sich geholfen hatten. Die Feierlichkeit fand auf einem Berg im Walde statt, dem ältesten geweihten Opferplatz, an dessen Steinen nicht gerüttelt worden war, seit das Volk das Land bezogen hatte, und einigen der Ältesten, die ein gutes Gedächtnis hatten, wurde die Leitung übertragen. Fast die ganze Bevölkerung des Landes, alle Geschlechter waren zusammengekommen, natürlich Frauen ausgenommen, die Mannschaft, das ganze Heer, alles war unter Waffen, nicht weil man in den Kampf sollte, sondern weil der Tag ernst war. Bewaffnete Bauern zu Fuß und zu Pferde hatten sich um den Opferhügel bis tief in den Wald geschart.
Die Feueranbetung wurde an dem dunklen Wintermorgen ins Werk gesetzt, zur richtigen Stunde, kurz vor Sonnenaufgang, unter Beobachtung aller Formen. Die Eingeweihten rieben Feuer, und währenddessen wurden die Opfertiere geschlachtet; ansehnlich waren sie nicht, zottige und knochige Tiere; die barschen Männer, die sie vorführten, sahen grimmig drein, als ob sie bei sich dächten: wenn gewisse Herrschaften für besseres Wetter gesorgt hätten, wären die Rinder besser ausgefallen. Als man Glut entfacht hatte und das neue Feuer zu flammen begann, setzte das ganze Heer sich unter Hornsignalen in Bewegung, schrecklich gellten die Hörner durch den kalten Wald, schrill und freudelos, und das Trampeln des Heeres dröhnte, Glied um Glied zog in Schlachtordnung über die Anhöhe, am Opferplatz vorbei, stumm, aber als ob sie zu Zeugen genommen werden sollten; Reiter kamen Trupp nach Trupp und senkten die Lanzen vor dem Feuer, alle schweigend; nur Getrampel war zu hören, und auf der Anhöhe sah man die schwarzen Scharen auftauchen, als ob die Erde sie gebäre, eine Woge nach der anderen.
Nachdem alle sich dem Feuer gezeigt hatten, wurde der König geopfert. Er trat freiwillig vor im Feuerschein, von Verachtung brausend, und bot seine Stirn dar, mitten zwischen den gerunzelten Brauen empfing er den Schlag und stürzte rückwärts ins Feuer. Im selben Augenblick schlugen alle Mann mit ihren Waffen auf die Schilde, ein einziges Getöse, und ein Huldigungsschrei ging von dem Heer aus, ein Heerschrei aus tausend Kehlen, der wie ein unnatürlich lautes Raubgebrüll im Walde klang.
Als das Opfer, das alle in Harnisch gebracht hatte, vollendet war, wurde es wieder still, und in der Stille, die nur von den knisternden Flammen des Feuers unterbrochen wurde, trat der alte Bauer vor, der das Opfer leitete, und sang die Tagesweise:
Jetzt steigt die Sonne mit lichten Strahlen, und Balders Bahn geht unter in Blut. Wieder hoffen Meer und Himmel. Zu sehen! Zu schauen! Schön ist der Tag!
Allvater schenkte unseren Vätern, daß schlechte Jahre nicht dauern sollten. Ergrautes Alter hält aus am Herd in wilden Wintern, – denn Sonne muß wenden!
Nordische Götter, zwar sparsam mit Golde, schenkten dafür neugeschaffene Sonne jährlich als Gabe! Darum ist der Wahlplatz geweiht dem Bewahrer; Edle weihten sich oft dem Feuer.
Der Bauer legt betend Saat in die Erde; geizig an Saat bekam er niemals Korn. Für Met günstigen Wind, und Regen für Malz! Ohne Gegengabe ist der Kuckuck freigebig.
Wie Hel gähnt des Mitwinters Mond. Die Sonne wendet in pechschwarzem Sack. Ausgehungert singen die Erdensöhne; Vater des Feuers, nimm unser Opfer an!
Die Sonne aber zeigte sich nicht. Es war ein wolkiger Morgen, der Himmel verschlossen, ohne Leuchtkraft, und es schneite, als das Heer sich auflöste und nach Hause zurückkehrte. Die Opfermahlzeit wurde nicht abgehalten, niemand hatte Lust zu essen. Vor Abend war die Glut kalt geworden und die Spuren des Opfers unter tiefem Schnee an der Opferstelle im Walde begraben.
Den kommenden Sommer über sah man sich die Sache noch an, als aber auch dieser ohne Fruchtbarkeit blieb, sah man ein, daß die Mächte nicht gesinnt waren, das Überein kommen zu halten, und man kündigte ihnen den Vertrag. Die Wettergötter bekamen keine Opfer mehr, Freias Altäre standen leer, und als der Frühling wieder ohne Freundlichkeit kam, kündigte man dem Lande und seinen Schutzgeistern, legte die Thronsitze nieder, trat die Herdfeuer aus und suchte andere Ufer auf.
Viele zweifelten bereits an der Macht der Mächte, – existierten sie überhaupt? Die Sonne wendete, ob man ihr Feuerkünste vormachte oder nicht, kam aber niemals näher. Man mußte sehen, wie man sich statt dessen ihr nähern konnte. Ausgehungert und ziemlich gottlos kehrten sie einer Welt den Rücken, die alt geworden war, reif, eine neue in sich aufzunehmen.