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Die Voraussetzungen

Christoph Kolumbus stammte aus Genua, Ligurier von Geburt, sein Wesen wird aber erst von Grund aus verständlich, wenn man ihn als einen Sprößling der Langobarden auffaßt, eines Volkes, das von der Lombardei aus die Küste aufgesucht hat.

Soweit man weiß, war Kolumbus von nordischem Typ, blondhaarig und sommersprossig, mit blauen Augen, ein Gepräge, das man von nördlichen Schiffern und Bauern her kennt. Sein Geschlecht war mehrere Generationen in den Bergen oberhalb Genuas ansässig gewesen, die letzte Station auf dem Wege zum Meere, es waren Bauern, die durch Handwerk und Berührung mit der Küstenstadt Seefahrer geworden waren. Die Völkerwanderung hatte die Vorfahren von vergessenen Küsten an der Nordsee quer durch alle Länder der Welt und alle unruhigen Jahrhunderte des Mittelalters bis zum Mittelländischen Meer geführt – Kolumbus sollte sie noch weiter führen. Die Geschichte der Langobarden ist Kolumbus' Vorgeschichte, in seinem Blute erbte er, mag der Ursprung auch vergessen sein, tiefe und starke Einflüsse von wandernden Vorfahren.

Seine seelische Einkleidung aber ist eine andere. Lange vor seiner Geburt hatte das Christentum, in der buchstäblichen Auffassung der Bauern, die Überlieferungen seines Geschlechts abgelöst, war ein Teil des Wesens seines Geschlechtes geworden. Von seinem Vater, einem gewöhnlichen Handwerker, wird er nach dem heiligen Christophorus genannt, was bei frommen Leuten damals allgemein Brauch war; man wollte seinen Kindern gern einen Beschützer geben, zu dem man aufsah, und den man gleichzeitig verstehen konnte, Fleisch von ihrem Fleisch. Alle Welt hieß Christoph, Kolumbus aber fühlte sich, als er auf der Höhe seiner Verantwortung stand, bewußt als Nachfolger des Christus-Trägers. Darum gehört die Legende vom heiligen Christophorus, in ihrer natürlichen Deutung, das Christentum in primitiver Auslegung, mit zu den Voraussetzungen, die Kolumbus gebildet haben, sie enthält den Geschmack der Rasse.

Sein Gemüt aber war aus früheren Eindrücken der Gotik gebildet, der Form, unter der nordische Völker sich in das Christentum eingelebt haben. Eine Tiefe des Denkens, das in den Erinnerungen der Nordländer wurzelt und sich darüber hinaus in die Ewigkeit erweitert, hat die heidnisch-christliche Mythe von der Mutter Gottes geschaffen. Ihrem Wesen nach ist sie rein nordisch, von dem biblischen Ursprung hat die heilige Jungfrau nur den Namen behalten. Das Christentum verlangte von den Heiden Seele, Anbetung, und sie gaben, was sie zu geben hatten, das, was ihnen heilig war, das Weib als Frau und Mutter. Sie machten das alte, schöne Hingabeverhältnis zur Frau zum Mittelpunkt ihrer Religion, sie dichteten ihren Wald und ihr Schiff zu einer Kathedrale um, ihr zum Preis. Kolumbus war ein Kind der Gotik; will man die Entstehung seines Wesens ergründen, muß man die der Gotik ergründen, zu der Jugend des Geschlechtes zurückkehren, zum Urbild der Mythe von der Mutter Gottes, dem Herzen der Gotik. Kolumbus hatte sie in Form einer universellen Sehnsucht geerbt: dem Ewig-Weiblichen; die heilige Jungfrau wird die Frau in seinem Leben. Sein Schiff heißt Santa Maria.

 

Kräfte, die auf verlorene Quellen in seinem Ursprung zurückweisen, waren die Veranlassung, daß Kolumbus auf eine Welt zustrebte, die er niemals finden sollte.

Tiefliegende nordische Instinkte werden gekreuzt und beherrscht von Oberflächenströmungen aus einer Welt, die sein Bewußtsein bildeten, der Welt des Südländers, dem lokalen Gepräge, dem Zeitgepräge; bald benimmt er sich wie ein Italiener, bald wie ein Spanier, immer aber wie ein Christ; eine innere illusorische Welt steht zwischen ihm und der Natur, die er sogar mit dem befangenen Blick der damaligen Zeit betrachtet, mehrere Wirklichkeiten, die ineinanderlaufen, ebenso wie die Himmel der damaligen Zeit, die allesamt von der Erfahrung ziemlich unabhängig waren, ähnlich wie das Imago Mundi – und trotzdem geht Kolumbus quer durch alle eingebildeten Wirklichkeiten und kommt in einer neuen wieder heraus.

Die Eigenschaft, die ihm das ermöglichte, der Mut, war rein und monumental bei ihm ausgeprägt, er besaß eine vollkommene Unerschrockenheit, die er von seinen Vorfahren geerbt hatte, die Eroberer und Ansiedler gewesen waren, und denen hohes Spiel die gewohnte Daseinsform geworden war. Mut und Ausdauer, seemännische Waghalsigkeit, Unbeugsamkeit im Vorgehen sind die reine Linie, die Kolumbus als Entdecker charakterisierten. Er ist Sportsmann und er ist Geist, seine Beweggründe sind zeitlos; wo er sein Unternehmen als Mission auffaßt, wirken die Elemente in ihm, und er geht drauflos, als ob die ganze Menschennatur ihn dazu drängte.

Dagegen, persönlich, als Individuum in dem, was er durch Erziehung und Notdurft ist, hat er seine Begrenzung, fällt durch gemischte Eigenschaften auf, Stattlichkeit und Kleinlichkeit, die sich nicht zusammenreimen lassen, Seherkraft und Schwäche bei unmittelbarer Beurteilung; großzügig, wie er ist, ist er nicht immer edelmütig, selbst an dem Maßstab seiner Zeit gemessen, sondern beklagt sich, wenn andere, die stärker sind als er, ihm Unrecht zufügen; er hat seinen Namen nicht ganz von Kläglichkeit freihalten können. Seine Pläne waren eines Königs würdig, doch war es, als ob ein Erbe, das er nie eingelöst hatte, ihn am Erdboden festhielt. Bodengierig war er, ein Ökonom, doch im großen Stil, wie die Eroberer und Freibeuter, mit denen er verwandt war; die Langobarden nahmen es nicht so genau, wenn es galt, Besitzungen zu erwerben und festzuhalten; wie ein geborener Stifter von Reichen näherte Kolumbus sich dem Fürstenpaar, in dessen Dienst er seine große Landeroberung machte, natürlich wie ein Gleichgestellter, mit einem Imperium an der Hand und einer Dynastie fertig im Kopfe – das Fürstenpaar hatte ja übrigens auch nichts weiter voraus vor ihm, als daß es der letzte Schößling eines Geschlechtes war, das in weiter Ferne ebenfalls Eroberer und Bauern gewesen. Daß er den gekrönten Häuptern nicht gewachsen war, zeigte sich erst später; seinem Aufstieg fehlte eben eine Reihe von Generationen, die Übung darin hatten, das festzuhalten, was sie sich genommen. Wie die meisten Seeleute hatte Kolumbus einen etwas unbeholfenen Gang auf dem Lande, er war echter als freier Schiffer auf seinem Deck, denn als Admiral und dekorierte Figur bei Hofe. Wer konnte ihn ehren? Als Siedler im großen Stil hatte er seinen eigenen Rang, ordnete sich aber dem anderer unter.

So wie Christoph Kolumbus sich kraft seiner Natur und seiner Stellung entfalten mußte, ist er sicher der Typ des Nordländers, dessen Fähigkeiten aufflammen und dessen Verirrung tiefgehend ist, wenn er nach dem Süden verschlagen wird.

Äußerlich betrachtet, als Auftritt, ist Kolumbus' Karriere ein Spiel, das mit den gangbaren Kunstformen eigentlich keine Ähnlichkeit hat und dennoch von allen Züge aufweist, dem Roman, dem Drama, der Komödie; es ist abenteuerlich, tragisch und bisweilen zum Lachen, sangbar und zugleich disharmonisch. Er fängt als Alltagsmensch an, das gewöhnlichste Epos, das darum auch ungeschrieben geblieben ist, begibt sich dann zu unermeßlichen Dimensionen hinaus, alles peinlich wahr und doch bei näherer Betrachtung Theater, eine Kulissenwelt von Fabel und Irrfahrten; und er endet als ein enttäuschter Mensch, dem die unbarmherzige Nemesis der Komödie um die Ohren hagelt. Die Handlung seines großen Stückes entwickelt sich wie eine Posse, er wird wie Blindekuh zwischen Weltteilen losgelassen und stößt wirklich auf einen, ohne zu wissen, welcher es ist, und ohne es je zu erfahren. Und er stirbt, aufs Trockene gesetzt, ungefähr wie ein Maschinist durch einen Fall, dem niemand Beachtung schenkt, während das Stück ohne ihn ruhig fortgesetzt wird, mit neuen Figuren und neuen, gewaltigen Akten auf der Bühne. Die Mißhandlungen, die ihm zuteil wurden, fielen ihm als Clown des Stückes zu, obgleich er dessen Urheber war. Alles amüsiert sich, ohne daran zu denken, daß der Clown auch Gefühl hat, hinterher rekonstruiert man seine Leiden und läßt es die Henker entgelten, dasselbe Publikum erteilt das Martyrium und die Glorie: erst grausam, hinterher kriecht man vor dem Namen, – ist ein Publikum je anders gewesen? So aber, wie Kolumbus war, sein schönes Sehnen, seine Fehler, hat man ihn gern, das große verirrte Kind, unsern Bruder.

Erst für die Nachwelt besteht Kolumbus als Gestalt und wird zu einer Mythe. Kein gültiges Konterfei ist von ihm überliefert. Das idealisierte Bild, das sich von dem Seefahrer gebildet hat, so wie wir es von dem übernommenen Denkmaltyp kennen, trifft indessen ungefähr das Richtige, einen nordischen Kopf, der weicher und pompöser ist als der Inbegriff von Rasse, den er in Wirklichkeit vorstellte. Zu Kolumbus' wirklichem Porträt gehört, daß er sein Gesicht vor der Geschichte verhüllt und nur Rasse ist; eine wahre Schilderung von ihm muß darum von dieser handeln.

Nur der, in dem Vergangenheit verstaut ist, hat Fracht für die Zukunft. Kolumbus wächst mit der Tragweite seines Werkes; die Geschichte aber ist ihm durchs Herz gegangen. Dort, wo er steht, trägt er eine Brücke, die ferne, getrennte Welten verbindet. Er setzt eine Grenze zwischen Illusion und Wirklichkeit, nicht durch das, was er gedacht hat, sondern durch das, was er gewesen ist und wozu er in Leidenschaft den Anstoß gegeben hat.

Auf seltsame, tragische und großartige Art vereinigt er in seinem Schicksal eine schöne Irrfahrt und die totale Desillusion, die sich indessen als fruchtbar erweist, er zeigt den Weg zu einer neuen Wirklichkeit, obgleich er sich selbst verliert. Er ist der enttäuschteste Mensch der Weltgeschichte:

Denn als er die rettende Insel fand, verging sein Traum. Eine Welt schob sich zwischen ihn und den äußersten Strom. Wiederkehrer und Weltumarmer! Da schwoll dein Fernweh, da trug dein Herz wie die wandernde Bürde der Welle den ewigen Weltenschmerz.

Kolumbus vollendet die nordische Wanderung und macht gleichzeitig das Christentum als terrestrischen Traum unmöglich. Das Himmelreich, das er suchte, war der mystische Aufenthaltsort der Bibel, das Paradies, das er indessen auf der Erde suchte. Er wußte nicht, daß es in seiner eigenen Natur wurzelte. Er segelt nach Indien, meint das Paradies und findet die neue Welt – nicht wahr, der liebe Gott, oder einer, der schlimmer ist, führt ihn an der Nase herum! Und dennoch hat er den Fund getan!

In Kolumbus' Person vereinigt sich die heidnische Natursehnsucht mit der Fata Morgana des Christentums, – zusammen gehen sie zugrunde! Man könnte sagen, daß Kolumbus, wenn man ihn als Helden in der Schicksalstragödie betrachtet, in der die Elemente ihm überlegen sind, der erste moderne Mensch ist, die erste gottverlassene Figur, er ersetzt das Geistesgefängnis und den Aberglauben des Mittelalters durch Raum und Wirklichkeit.« Die neue Zeit aber baut sich auf Erwerbungen auf, die nach ihm kamen; anderen Köpfen mit geschulten Voraussetzungen, die er nicht besaß, zerbrachen das Imago, woran er glaubte, und machten die Welt größer; er brachte die Welt seinem Auge nah, starb aber unaufgeklärt.

Man muß ihn betrachten als einen Mann seiner Zeit und als das, was er durch Vererbung und Erlebnis war, was er mit seinen Augen sah, als Abenteurer, Phantast, Glücksritter und Bedauernswürdiger, mit seiner kurzen Herrlichkeit und langen Berühmtheit, als Schiffer an Bord der Karavelle, die ihn mitsamt seiner Ladung von Mittelalter trug – und die an jener Küste strandete, wo er anklopfte und nicht eingelassen werden sollte. Sein Werk aber weist auf das Geschlecht zurück, und wo es auf andere Hände übergeht und er vergessen wird, ist dennoch er die Hauptperson.

Das eigentliche Ereignis in seinem Leben aber ist doch das Älteste und Allgemein-menschlichste von allen, das, weshalb wir alle ausreisen und womit wir alle wieder nach Hause kommen, die verlorene Hoffnung:

Christoph Kolumbus, dein weißes Haar, deines Alters Eis krönen die meerkalten Wikingerbrauen und deiner Seele Schiffbruch. Uns gabst du die Erde wieder und betratest der Unsterblichkeit gischtenden Schaum. Jetzt deckt dein großer Schatten den Traum, den du nie erreicht hast.

Die Entdeckungsreisen, ein Werk von vielen, umfassen unwillkürlich Kolumbus als Mittelfigur. War er doch der Entdecker, der in weitestem Umfang von der Idee der Entdeckung getragen wurde.

Nachdem die Erde im ganzen einigermaßen bekannt geworden und Amerika als neuer Weltteil hinzugekommen war, bildete sich spontan und vage, wie Volkssagen zu sein pflegen, die zwischen Seeleuten verbreitete Vorstellung von einem Schiffer, dem man auf dem Meere begegnen kann, einem Gespenst, er sowohl wie sein Schiff: der fliegende Holländer.

Es ist, als ob der alte nordische Wandertrieb, der heimatlos geworden, seit alle Meere befahren und die Erde oftmals umsegelt ward, sich in einer Mythe fortsetzte, einer Reise, die niemals ein Ende finden, in einem Schiffer, der niemals sterben kann. Richtig im Bau, aber zufällig in der Form, ist das Märchen von dem Geisterschiff mit dem Namen eines holländischen Seemannes in Verbindung gebracht worden – müßte es in Wirklichkeit nicht auf Kolumbus zurückgeführt werden? Es gehört als letzter Akt zu seiner Mythe. Das Gespensterschiff ist ja Santa Maria. Kolumbus ist die ruhelose Schifferseele, die die Meere bis zum Tage des letzten Gerichtes befahren soll. Denn:

Unselig ist der, dessen Weh und Begehren nie sterben können. Die Meerwelle hebt sich so öd und schwer auf offener See. Da steht er gefesselt, der fliegende Schiffer, auf dem Gespensterschiff und führt die Toten unter dem weißen Mond. Die Meerwelle hebt sich so öde.

Das Gespensterschiff ist das schwergeladene, nicht existierende, aber doch furchtbar wirkliche Geisterschiff, das Gedächtnis, die Geschichte der Menschheit.

Auf diesem Schiff ist Kolumbus Führer. Viel Volks ist an Bord, geringere und auch bessere Leute als er, Sucher und Streber, alle dazu verdammt, ihr Leben in einem Bilde fortzusetzen; er, der am meisten verlor und am meisten gewann, ist Kapitän der Toten.

Mit diesem Fahrzeug soll hier gereist werden.


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