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Die Karavelle

De muy pequeña edad entré en la mar navegando, é lo hé continuado hasta hoy. La mesma arte inclina à puien le prosigue à deséar de saber los secretos deste mundo.

Santa Maria

Aus der St. Georgs-Kirche in Palos, Südspanien, schimmert um die Mitternachtsstunde Licht, dort wird Gottesdienst für die Besatzung der drei Schiffe abgehalten, die beim Morgengrauen die Anker lichten sollen; es war die Nacht jenes dritten August 1492.

Die kleine Hafenstadt ist so erregt, wie eine Stadt nur sein kann, denn die Reise, die hier seit Monaten vorbereitet worden ist, ist eine aufsehenerregende Reise, und Palos selbst hat seinen gewichtigen Anteil daran, denn die Schiffe sind aus Palos, die Besitzer und die Mannschaft; freilich machen sie die Reise nicht ganz gutwillig mit, denn sowohl Schiffe wie Besatzung sind von der Regierung dazu gedrängt worden; der Führer dagegen ist ein Fremder, ein Italiener, von Gott weiß woher, der sich bei den Großen Gehör zu verschaffen gewußt und einen ganz handgreiflich wahnsinnigen Plan durchgedrückt hat, nicht mehr und nicht weniger als eine Weltumseglung, dorthin, wo der Pfeffer wächst, – also das Ganze ziemlich toll und dazu angetan, Palos zu beunruhigen, diejenigen, die mit müssen, und die Familien und Freunde, die zu Hause bleiben. Nicht viele Erwachsene suchen in dieser Nacht ihr Bett auf; die Seeleute, die mit sollen, mehr oder weniger freiwillig, wappnen sich gegen das Ungewisse, indem sie abwechselnd der Kirche und dem Wirtshaus Besuche ablegen.

In der Kirche findet eine große Feierlichkeit statt, die ganze Besatzung geht zur Beichte und bekommt das heilige Abendmahl, aber auch wahrend der Nacht schleicht sich mancher Sünder in die Kirche, wenn die Glocken mahnen, um ein Ave abzubeten und die Stirn auf den Steinfliesen zu kühlen, bis ferner unwiderstehlicher Becherklang lockt und man wieder hinausschleicht. Es ist eine schwierige Nacht, und manch ein Gesell schwingt wie ein Pendel zwischen dieser Welt und dem Jenseits hin und her.

Nur einer hält in der Kirche aus, ununterbrochen bis zum letzten Augenblick. Der Führer selbst, Christoph Kolumbus. Stundenlang kniet er vor dem Bilde der heiligen Jungfrau, die gewaltigen behaarten Schifferhände gefaltet, selbst ein Bild heiliger Ruhe und Insichgekehrtheit, stumm, mit unbeweglichen Zügen, übernächtig, in Gebet und Betrachtung versunken. Der Schein der Wachskerzen fällt auf den kräftigen Kopf mit der roten Mähne und den merkwürdigen blauen Augen unter Brauen, die sich ganz weiß von der flammendroten Haut abheben, wettergebräunt von einem Leben unter freiem Himmel, dem Wetter selbst; die ungewöhnlich große Gestalt ruht in sich selbst, ist Kraft in Ruhe. Wenn dieser Mann ein Abenteurer ist, so gehört er jedenfalls nicht zu der windigen Sorte, er ist gewichtig, allein Rücken und Schultern sprechen für ihn, wie er dort kniet, und manch flackernder Blick, der Trost bei den heiligen Bildern der Kirche sucht, endet unwillkürlich bei ihm; denn nützlich ist es, sich gut mit unserer lieben Frau zu stehen, aber schließlich soll doch er das Schiff führen! Seine Lippen bewegen sich, als ob er Buchstaben formte und buchstabierte, und man nickt, nickt, murmelt selbst mit, seine Gebete müssen doch Kraft haben – denn wenn er nicht in Gnaden steht, wie soll es dann anderen ergehen?

Was der Admiral fühlt, was seine Seele bewegt, steht nicht auf seinem Gesicht geschrieben. Seine Augen sind gerötet, aber es ist auch unerhört heiß in der Kirche, die Luft in dem kleinen Raum ist dick von Weihrauch und dem süßlichen Rauch der Wachskerzen, deren Flammen, klein, mit bunten Ringen durch den Dunst leuchten, wie verwachte Augen; die Luft ist wie in einem Treibhaus oder einer Wöchnerinnenstube, übersättigt von Räucherwerk und Tönen. Die Priester messen und läuten die Altarglocken, und die Glocken draußen durchbeben die Mauern, die Orgel spielt und spielt, die Messe schwillt wie eine Woge, laut gesprochene lateinische Beschwörungen auf dem Gipfel, die Heiligenbilder sehen hinter einem Schleier hervor – und noch immer liegt Kolumbus auf den Knien vor dem Altar der Jungfrau Maria. Die Filztüren am Eingang klappen auf und zu und lassen hin und wieder einen Luftzug herein, die Mannschaft kommt und geht, schon dringt bläulicher Tagesschein herein, wenn die Tür geöffnet wird; sogar die Priester gähnen hinter der Hand und blinzeln mit trockenen roten Augen. Wie aus Spinngewebe und Staub erbaut, tritt der Kirchenraum aus der Dunkelheit hervor, Säulen und Mauern erstehen im einfallenden Tageslicht, die Wachslichter verblassen, fahl begegnen sich Nacht und Tag. Die Seeleute, die im Laufe der Nacht so viel hin und her gependelt sind, schlafen mitten in einem Ave oder einem Aufstoßen ein und erwachen wieder, indem sie mit dem Kopf gegen den Kirchenboden stoßen, stöhnen; jetzt heißt es leben oder sterben!

 

Draußen aber geht ein kalter Hauch durch die Morgendämmerung, und ein schlammiger, fruchtbarer Geruch steigt vom Fluß herauf; Rumpf und Maste treten aus der Dunkelheit hervor, die drei Schiffe liegen segelfertig mit halb eingezogenen Segeln, die Lichter werden gelöscht, man kann ohne sie sehen, Jollen eilen auf dem Strom zwischen Land und Schiffen hin und her, die letzten Dinge werden an Bord gebracht.

In einem Wirtshaus am Hafen schwingen einige von der Mannschaft die letzten Becher und nehmen den letzten Abschied von Freunden. Hier haben die Brüder Pinzon, die Führer der zwei Schiffe, eine Schar um sich versammelt und gehen noch einmal den Plan dieses mehr als zweifelhaften Unternehmens durch. Sie fühlen das Interesse, das man ihnen entgegenbringt, nehmen es mit Gelassenheit entgegen und sprechen leise wie Männer, die Bescheid wissen, so daß man sich um sie drängt, um sie zu verstehen, denn als seekundige, ortseingesessene Männer hat ihr Wort Gewicht. Martin Alonzo als Ältester äußert sich zuerst, nach ihm Vincente Yannez, der derselben Meinung ist, sie aber noch stärker beteuert; alles, was sonnenklar ist, wird gesagt und wiederholt. Nur über eines äußern die Männer sich nicht, sondern pressen die Lippen fest aufeinander, über den möglichen Ausfall der Reise; Martin Alonzo schweigt und Vincente schweigt, beide aber sind geschwollen von dem, was man nicht sagt, und Martin Alonzo, der in edler Haltung dasteht, auf dem einen Bein ruhend, das andere vorgestreckt, zuckt die Achseln, steckt den Kopf dazwischen, als ob er sich vor den Elementen ducke, und zeigt beide Handflächen, – quien sabe? Und Vincente macht einen Buckel und zeigt ebenfalls beide Handflächen, – quien sabe? Die Brüder tragen Wasserstiefel, die bis an den Leib reichen, wer weiß, was einem alles bevorsteht, ihr Oberkörper aber steckt in Eisen, Küraß und Helm, doch mit offenem Visier; in Kürze aber werden sie es niederschlagen, und dann sind sie verriegelt, auf dem Wege zu unbekannten Ungeheuern, Menschenfressern und Heerscharen.

Ein weitläufiges Wirtshaus mit dunklen Ecken und Winkeln, man war etwas umnebelt, keiner wußte recht, was hier und dort im Hintergrund vor sich ging, weibliche Stimmen waren durch den Becherklang zu hören, Saiteninstrumente, Gesang und taktfestes Händeklatschen von allen auf einmal, wie ein großes, rasendes Herz, und über aller Köpfe wogt es plötzlich, knistert und betört – man hat ein Mädchen auf einen Tisch gehoben, sie tanzt, einen gefährlichen Tanz bis an den Rand; jeglichen Tanz scheinen die Mauren also nicht mit außer Landes genommen zu haben, als man sie vor kurzem verjagte, denn hier ist ein Wesen, so geschmeidig, als hätte sie einen Flitzbogen im Rücken, einen Leib wie ein Aal; und die Flöte mit den wenigen Löchern und den vielen Wiederholungen weiß auch einer zu handhaben, der sich darauf versteht, der Tanz hat afrikanischen Einschlag, und der Aal windet sich zählebig auf dem Tisch, das Mädchen stößt einen Schrei aus, und mit den Füßen auf einer Stelle feststehend, schwingt sie sich wild herum, die Burschen brüllen Brava; an der Wand, bis zur Decke hinauf, zeichnet sich der Schatten der Tänzerin, mit erhobenen Armen und verdrehten Hüften, in der Mitte hintenüber gebeugt, sie kreischt wie eine Stute, der Spielmann rast über die Saiten, und die nasalen Triller der Flöte wiederholen sich in schnellerem und schnellerem Tempo, die Klatschenden trampeln jetzt auch mit den Füßen, die Kastagnetten klappern wie rasend, das Johlen ist wie ein einziger fortgesetzter Schrei, denn morgen soll man sterben, aber heute, heute hat man alles, was zum Leben gehört!

Ja, es war ein wilder Abend gewesen – einige von den Männern hinkten auf einem Bein, das andere war lahm geschlagen, andere konnten nur mit einem Auge sehen, trugen einen blutigen Verband über dem anderen, – denn dieser tolle Abend hatte ja damit begonnen, daß man den Stier losließ! In solch kleiner Stadt hat man natürlich keine Arena, aber einen Stadtstier hat man und versteht sich zu belustigen. Der Stier war auf die Straße gelassen worden! Hui! Jesus! Seht, der Stier steht ganz allein auf dem Marktplatz, allmächtig, und fegt mit seinem Schwanz um sich – alles stürzt polternd die Treppen hinauf, in die Häuser, auf allen Vieren, kopfüber – der Stier trabt mit erhobenen Hörnern mitten durch die Straße, ganz allein, Türen werden zugeschlagen, ein Paar Füße verschwinden noch über einer Planke, hui, die ganze Straße ist wie durch Zauberei leergefegt, die Leute beugen sich aus Luken und Dachkammern, um zu sehen, – und jetzt ist die Arena in Ordnung, sie hat sich selbst arrangiert. Aus den Häusern springen junge, flinke Burschen und beginnen den Stier mit ihren Mänteln zu reizen, Reiter galoppieren schief im Sattel um die Straßenecke, mit langen gefällten Lanzen: Zusammenstoß, Schlacht, eine Staubwolke voll Pferdebeinen steht gegen den Himmel, die Reiter stürzen übereinander, ein Blutsturz, der Stier hat das erste Pferd auf seinen Hörnern aufgespießt, die Straße brüllt, und jetzt entsteht Handgemenge, Knall, Fall und Hurlumhei, Jagd von einem Straßenende zum anderen und wieder zurück, bis der Stier reif ist, den Todesstoß zu empfangen, – das Zeichen wird gegeben und alles zieht sich zurück, bis auf einen einzigen, den jungen Desperado, er und der Stier bleiben allein Aug in Auge mitten auf der Straße stehen. Er hat nur eine nackte Klinge in der Hand, wie einen Spieß, den Griff mit einem Lappen umwickelt. Der Mord geht in atemloser Stille vor sich. Das wütende Tier, mit blutiger Glut im Auge, und der schlanke, tödlich entschlossene Mann, der lauernde Spieß, – und plötzlich schreit die Straße auf und wird lebendig von Gegenständen, die die Menschen sinnlos aus den Fenstern werfen, Hüte, Kleider, Blumentöpfe, einige stürzen sich selbst auf die Straße,– denn er hat es getan, der Spieß steckt im Bug des Stieres, die Spitze hat sein Herz durchbohrt, er fällt um, wie vom Blitz getroffen!

Und jetzt sitzt der Desperado im Wirtshaus und ist eingenickt, das Kinn ist ihm auf die Brust gesunken, viele Male ist er während der letzten vierundzwanzig Stunden betrunken gewesen und wieder nüchtern geworden, übersättigt von Ehrenbezeugungen, erschöpft, in wenigen Minuten ein Menschenalter gealtert, – und morgen, nein, heute, heute soll er fort, draußen steht der Tag und betrachtet mit grauem Gesicht den Desperado und die Tänzerin.

 

Ein Mensch, auf den niemand weiter achtete, hatte sich im Laufe der Nacht zwischen den Gruppen bewegt, bald hier, bald dort, unausgesetzt redend, ohne daß jemand den Zusammenhang verstehen konnte, aber es schadete auch nichts; hin und wieder ließ er ein schallendes Gelächter ertönen, bei dem dieser oder jener sich umdrehte, um zu sehen, was sich denn so besonders Lustiges ereignet hätte; aber es war nichts zu sehen, nur dieser Marktschreier, der Babuin, wie er genannt wurde, hatte wieder einmal etwas gesagt, das er selbst ungeheuer amüsant fand.

Er war ein kleiner schwärzlicher Mann mit einem großen Gesicht und malvenfarbigem Mund, wie ein alter Hausierer anzusehen; er war in Palos aufgetaucht, um seine Waren feilzubieten, und hatte auch recht gute Geschäfte bei den Seeleuten gemacht, die die lange Reise antreten sollten und sich mit allem möglichen versehen mußten. Der Babuin war ungeheuer ausgelassen, schien berauscht, da keiner nüchtern war, und schwatzte drauf los, sich wie ein Dionysos gebärdend und durch den Raum stolpernd. Doch Wein war nicht über seine Lippen gekommen, und er stolperte, weil er auf einem Bein lahm war. Er näherte sich bald diesem, bald jenem mit seinen Waren, von der Seite, wie eine Krabbe, vertraulich schwänzelnd, lauter Grinsen und Freundlichkeit, er machte sich klein, noch unansehnlicher, als er von Natur war, kläglich, in jeder Beziehung wie ein Hund, nur die Augen standen ihm wie magische Kugeln aus dem Kopf, mit einem offenen, frechen Blick, den die Anwesenden indessen zu betrunken oder zu dickhäutig waren, zu bemerken. Wenn man mit dem Babuin Scherz trieb, oder jemand ihn von sich abschütteln wollte und ihm mit einem Schritt auf den Leib rückte, wich er zurück, und sein Gesicht zitterte, furchtsam, geblendet, die Augen wurden ganz klein, als ob er schwächlich und leidend einer rauhen Wirklichkeit ausgesetzt würde, gleichzeitig aber verzogen die Lippen sich und legten die Zähne bloß, man hüte sich – es war nur eine Grimasse, dann grinste er wieder und kroch heran, wedelte, lag fast auf der Erde, noch an allen Gliedern vor Angst zitternd, so daß es einen Stein rühren konnte, und die Vorderpfote offenbarte einen Gegenstand, den man nur einmal ansehen möchte, ein neugeprägtes Amulett, – und zum Schluß wurde doch noch ein Handel abgeschlossen.

Wenn das Interesse für ihn aber nachließ, erhob er seine Stimme, eine erstaunlich kräftige und hohe Stimme für solch kleine Brust, und machte sich zum Ausrufer, ein langes, kunstfertiges Rezitativ, das er mit Nebenbemerkungen ausschmückte und hin und wieder durch einen plötzlichen Lachanfall färbte:

Amulette! Amulette! Beste St. Jago de Compostela! Der Apostel silbervergoldet, in Messing oder Blei, an Kraft gleich, der Beschützer aller Seefahrer! Rosenkränze, imitiertes Olivenholz aus dem Garten Gethsemane, Rosenkränze, selbstbetende Rosenkränze! Kruzifixe, in Elfenbein und Metall, für jede Passion! Reliquien, Fragmente von Heiligen, alle Körperteile! Ablaß vorhanden, eine kleine Partie Briefe! Das Bild der Jungfrau Maria, immakuliert! Beschädigt, zu herabgesetztem Preis! Arzneien! Salben! Rhinozeroshorn, das Liebe anregt, echte Mumie aus Ägypten, gestohlen, aber mit originalem Geruch! Gebetbücher! Zauberbücher! Geheimbücher! Ha, ha, ha!

Der Babuin wieherte und schüttelte sein lahmes Bein; die Hälfte seiner Worte hätte genügt, daß er lebendig verbrannt worden wäre, wenn jemand seinem Gekräh zugehört hätte, jeder aber hatte mit seinem eigenen Gekräh genug, so daß er nach Belieben mit dem Feuer spielen konnte. Das Wirtshaus war ein einziges Geschrei, wie eine Feuersbrunst, die ihren Höhepunkt erreicht hat.

Schließlich aber stürzte das Dach ein, aus jedem Feuer wird Asche. Es verlautete, daß der Admiral die Kirche endlich verlassen habe und im Begriff stehe, sich einzuschiffen; die Musik verstummte, ein fahles Tageslicht füllte die Winkel des Wirtshauses, die Gäste brachen alle auf einmal auf und strömten zu den Booten am Fluß; ein Kanonenschuß draußen von der Santa Maria verkündete laut und dröhnend, daß die Ebbe einsetzte, das Signal: die Stunde der Abfahrt war gekommen.

Gerade als Christoph Kolumbus im Begriff war, ins Boot zu steigen, um zum Schiff hinauszufahren, wurde er einige Minuten aufgehalten; die wenigsten bemerkten es übrigens, es war nur dieser Hausierer, Babuin genannt, der vor die Füße des hohen Schiffers kroch und ihn ansprach. Wenige hörten, was er sagte, und keiner verstand ihn, er schien Latein zu sprechen. Kolumbus stand hochaufgerichtet und sehr ernst da, noch ganz versonnen und verklärt, wie Leute, die vom Abendmahl kommen, und als er den Wicht zu Ende gehört hatte, wandte er sich und stieg ins Boot, ohne ein Wort gesagt zu haben, und niemand konnte ihm ansehen, welchen Eindruck die Bemerkungen des Fremden auf ihn gemacht hatten.

Der Händler sprach in einem hastigen, flüchtigen Ton zu Kolumbus, verbesserte sich beständig und bezeichnete seine Rede selbst als Geschwätz, machte allerhand närrische Bewegungen, legte sein Gesicht vor dem hohen Mann in zitternde Falten, wie vor der Sonne, platzte aber im selben Augenblick los, rieb seine albernen Hände vor Untertänigkeit, – plötzlich aber glätteten sich alle Falten seiner Fratze, er sah menschlich wie durch viele Masken auf, mit einem seltsamen alten Blick; noch immer schwätzend, mit einem leeren Gelächter, zog er sich zurück, indem ein unbegreiflicher Reflex ihn veranlaßte, von sich selbst Abschied zu nehmen, ja, er streckte wirklich seine Hand aus und drückte sie mit der anderen, versank in die Erde vor Verwirrung und zeigte alle seine Zähne, zwei Reihen großer Nagezähne, wie Mühlsteine im Munde, er gackerte, flackerte am ganzen Körper von tausend Einfällen – und war fort! Und was hatte er gesagt?

Vale – glückliche Reise wünscht Euch ein alter Reisender! Gestatten Sie, daß ich hinzufüge: die Idee Euer Hochwohlgeboren, Indien auf dem Wege nach Westen zu suchen, wie ich mir habe sagen lassen, obgleich Indien im Osten liegt, ist wahrlich nicht übel, sintemal es nichts Neues ist, ein Problem zu lösen, indem man sich davon in diametral entgegengesetzter Richtung entfernt, hi, hi, hi! Doch liegt eine noch kürzere Lösung so nah, daß man darüber stolpern könnte, – warum reist man überhaupt so weit, da Richtwege doch bekanntlich die süßesten sind? Die einzig richtige Entdeckungsreise ist gemacht, es gibt nur eine: ad genibus ad genua,– und sind Euer Hochwohlgeboren nicht just von dort? Ratsch!

Er stimmte sein schrilles Lachen an, das wie Tiergeheul klang, hielt aber gleich wieder inne und näherte sich einen Schritt, funkelnden Auges, senkte die Stimme vertraulich:

Ist nicht die größte Entfernung, die die Menschheit zurücklegt, eine Reiteration auf der Stelle? Hören Sie auf einen guten Rat, sparen Sie eine kostbare, zweifelhafte Reise und vertiefen Sie sich zu Hause in ein Studium – ich kann Ihnen ein Buch anbieten: Itinerarium amoris, von einem Kenner und Gynographen verfaßt, als Buch allein betrachtet eine Seltenheit von Rang, wie ich wohl behaupten darf, ein Unikum, Membrane aus dem zweiten Jahrhundert, hat seinerzeit zu der Alexandrinischen Bibliothek gehört, von wo ich es entfernte, unedel, wodurch es aber noch an kuriosem Wert gewinnt; nicht wahr, alles in allem ein unschätzbarer Band …; aber ich schwatze, will einem Mann Reisen verkaufen, der auf dem Fallreep steht! Das Meer ruft! Ein Amulett mit auf den Weg? Oder ein unschuldiges Götzenbild, ein kleines Weib, auf dem Meer ist man so allein, schauen Sie her, nicht größer, als daß ich es in meiner hohlen Hand halten kann, eine Bronze von Aphrodite, wunderbar patiniert, edelste griechische Arbeit, von Kennerhänden seit Jahrhunderten geglättet, aber trotz allem intakt, das Weib selbst, in reifer Mädchenfülle, immer jung …; nein, auch das nicht? Das Meer ruft! Ja, auch ich bin im Begriff aufzubrechen – und wer weiß, wer von uns am weitesten kommt, Euer Hochwohlgeboren mit den großen Schiffen und allen günstigen Winden, oder ich mit meinen alten Siebenmeilenstiefeln? Unsere Wege scheiden sich. Sie gehen nach Süden, und ich habe die Absicht, nach Norden zu reisen. Spanien ist kein Aufenthaltsort mehr für einen alten Wandersmann, und den Krebsgang nach Afrika mit den Arabern hat er nicht im Sinn mitzumachen. O ja, die Erde brennt ihm hier unter den Füßen, er wird kühlere Rasen aufsuchen. Bereitet man dem Alten ein Lager auf glühendem Rost, dann ersteht er aus der Asche wie ein Vogel Phönix, wie alle Welt weiß, aber alle Welt weiß auch, wie das Feuer schmeckt …; ssssss! Wenn man ihm bedeutet, daß er gehen kann, dann schüttelt er sich den spanischen Staub von den Füßen, ai, ai, ai!

Erst hob er seinen rechten Fuß und schüttelte ihn heftig, darauf den linken, sah sich nach allen Seiten um, wie gejagt, desperat, wie eine Ratte in der Falle, seufzte und die gespannten Züge erschlafften, wurden menschlich, drückten den Kummer eines alten Mannes aus, aber nur einen Augenblick, darauf knisterte er wieder, künstlich und unverwüstlich:

Leben Sie wohl! Und auf Wiedersehen! Wie gesagt, Euer Hochwohlgeboren ziehen gen Süden und ich nach Norden, obgleich es richtiger umgekehrt wäre. Vielleicht aber begegnen wir uns dennoch …;

Er trat ganz nah an Kolumbus heran, legte seine Hand an den Mund und flüsterte: jeder reist in seine Himmelsrichtung …; die Welt aber ist rund!

Als er seinen Stich ausgespielt hatte, trat er schnell zurück:

Vale!

 

Bei Sonnenaufgang konnten Feldarbeiter, die zeitig auf waren, einen kleinen Mann mit einem Stab in der Hand und seiner Kramkiste auf dem Rücken, hinkend, aber merkwürdig schnell, nördlich aus Palos herauswandern sehen; zur selben Zeit hörten sie Kanonensalute und Glockenläuten von allen Kirchen, Kolumbus verließ mit seinen Schiffen den Hafen.

Die Sonne ruhte wie eine gewaltige Sphäre am Horizont, als die Schiffe die Anker lichteten und mit dem Strom drehten, während sie mit allen Geschützen salutierten. Und die Glocken in Palos taten ihr Bestes, sie waren nur klein; da waren die von St. Georg und einigen anderen Kapellen, die Glocken im Kloster La Rabida ließen sich aus der Höhe vernehmen, und in der Ferne konnte man alle Glocken aus Huelva hören; auch die Gemeindekirchen auf dem Lande stimmten mit ein, es klang wie ein Meinungsaustausch zwischen einer Flotte, die reiste, und allen Kirchen, die zu Hause blieben. Sie bellten nicht so kräftig wie die großen Domglocken in den Flußstädten Europas, dafür aber arbeiteten sie in einem ganz rasenden Tempo, man mußte an schwärmende Bienen denken, hinter denen man mit dem gellenden Messingmörser herrennt, und tatsächlich schien man dasselbe zu beabsichtigen: Bleibt, bleibt hier! sagten die Glocken und bimmelten, was sie konnten; die Schiffe aber wollten nicht bleiben, sie schossen mit ihren schweren Geschützen, daß der ganze Rumpf bebte, hüllten sich in Pulverdampf und fuhren flußabwärts mit der Ebbe, eine große, plumpe Karavelle an der Spitze und zwei kleinere schlanke hinterher.

Draußen in der Bucht glücklich angelangt, setzten sie alle Segel und begannen Fahrt zu bekommen, das Atlantische Meer empfing sie mit einer Dünung, in der sie sich hoben und senkten. Vom Lande aus sah man die drei Boote in der See nicken und langsam kleiner und kleiner werden, von einem Unterstrom in das ruhig atmende Meer hinausgeführt. Schließlich, als sie weit draußen waren, sah man, wie die Flaggen und Wimpel gestrichen wurden, und von dem Hintersteven der Santa Maria ging eine weiße Wolke aus, die auf den Wogen liegen blieb, während man fern, wie durch Federdecken, den Abschiedssalut hörte.

Draußen auf den Schiffen aber sah man, wie die spanische Küste sich ausbreitete und um ihre Landzungen drehte, die Sonne stand in einem Strahlenfächer in der Richtung von Cadiz; je mehr sie sich entfernten, desto mehr kam das Innere des Landes in Sicht, verlor aber mehr und mehr an Deutlichkeit, fern und hoch schwebte die luftige Schneekette der Sierra Nevada wie eine Wolke zwischen Wolken; das Land streckte von beiden Seiten der Bucht die Arme nach ihnen aus. Als die Küste aber unklar wurde und ins Meer zu versinken begann, gingen mehrere von der Mannschaft an die Reling, küßten sich auf beide Hände und breiteten sie mit einer leidenschaftlichen Gebärde zum Lande aus, bekamen feuchte Augen, und ein Stoß ging ihnen durchs Herz, der Abschied war nicht zu ertragen.

Nur oben auf dem Achterkastell, einem Platz, den er nicht mehr verließ, ging Kolumbus auf und ab, den Blick vorwärtsgewandt, auf die Richtung, in die der Kurs gesetzt war, nach Südwesten, und ob es ihm bewußt war oder nicht, er drehte sich nicht ein einziges Mal nach Spanien um. Auf seinen Wink wurden die grünen Kränze, mit denen die Schiffe vor der Abfahrt geschmückt worden und die jetzt verwelkt waren, über Bord geworfen. Jetzt wurden diejenigen der Besatzung, die man hatte einsperren müssen, die Strafgefangenen, die gezwungenen Leute, losgelassen; sie liefen auf Deck herum wie Hunde, witterten zum Meer und zum Lande hinüber – eine Meile draußen – vorn das offene Meer – madre de dios! – Einige von ihnen, alte, blasse Gesellen, schütteln nur den Kopf, sie wissen, daß sie nichts mehr zu hoffen haben, die Jungen aber werfen sich händeringend aufs Deck und weinen, weinen, als ob ihrem Dasein der Boden ausgeschlagen wäre und alles Leben sich auf einmal herausweinen wolle.

Die Möwen folgen dem Schiff und verständigen sich untereinander in ihrer spärlichen Sprache, mit einem Auge das Kielwasser beobachtend. Mit Schiffen sind sie sehr vertraut, jawohl, das kennen sie, daß eine Insel von besonderer langgestreckter Art sich vom Festland löst und auf eigene Faust in Bewegung setzt. Das sind nicht die Inseln, auf denen man sich niederläßt und brütet, im Gegenteil, Menschen befinden sich darauf, darum gehörige Entfernung, aber diese Art Inseln haben den Vorteil, daß nicht selten etwas Eßbares abfällt, das wissen die Möwen. Miv, sagen sie zueinander im Fliegen, das bedeutet, daß der Tag blau, und Meer und Himmel in Ordnung sind.

Gegen Abend aber werden die Möwen doch bedenklich, sie sind gewöhnt, daß reisende Inseln sich zwischen Küsten bewegen, die man aus der Höhe im Auge behalten kann, diese drei aber scheinen sich in gerader Linie von allem Land zu entfernen und dorthin zu streben, wo gar kein Land mehr ist. Das wird selbst den Möwen zuviel, und der Zeitpunkt kommt, wo sie umkehren.

 

Während der ersten Tage vernahm man nicht viele Worte aus dem Munde des Admirals an Bord der Santa Maria, er ging mit festgeschlossenen Lippen und umdüsterter Stirn auf dem Achterkastell auf und ab, keine Möglichkeit, ihn zu besänftigen, nicht einmal die Tatsache, daß man nun doch endlich aufgebrochen war, konnte ihn milder stimmen, so außer sich war er über die Verspätungen, die Verspätungen bis zum letzten.

Er hatte ja im Frühjahr aufbrechen wollen, darauf war alles eingesetzt gewesen, denn es war wesentlich, den Sommer vor sich zu haben, natürlich, stattdessen kamen sie erst fort, als der Sommer zu Ende war, gegen Herbst, – bezeichnend für den ganzen Plan, für das ganze Leben; als er jung war, hatte er seinen Plan fertig, begegnete aber allen möglichen Hindernissen, und als er endlich die Chance seines Lebens ausnutzen wollte, fühlte er mit unüberwindlicher Bitterkeit, daß es zu spät sei, war er doch bereits in dem Alter, wo man zurückblickt. Vierzehn Jahre, vierzehn lange Jahre, von seinem achtundzwanzigsten bis zum zweiundvierzigsten, die Jahre im Leben eines Mannes, in denen die Beweglichkeit am größten ist, hatte er damit verbracht, das Fahrzeug instand zu setzen, und jetzt, wo die Fahrt beginnen sollte, war er steif und grauhaarig, vor der Zeit gealtert, aus Gram, weil die Zeit vergangen war! Ungeduld, Ungeduld, und nichts anderes dafür als die Jahre! Wohlan, wenn man nichts anderes durch die Fahrt erreichte, dann mit vollen Segeln dem Tod entgegen!

Noch einmal ziehen die Widerwärtigkeiten der vierzehn Jahre durch seine Erinnerung, er erlebt alle Demütigungen noch einmal, und die Mannschaft sieht, wie der Admiral seine Schritte auf dem Kommandodeck, wo er wie ein Löwe auf und ab geht, beschleunigt, sie sehen, wie der Kopf ihm schwillt und noch röter wird; sie meinen, daß er sich ihretwegen verdüstert, und schlagen die Augen nieder, stürzen sich mit Eifer auf ihre Arbeit. Der Admiral aber denkt an die Jahre in Portugal, gedenkt der verlorenen Jahre, der Kränkungen: als der König hinter seinem Rücken Schiffe aussandte, nach dem Besteck, das er angegeben hatte, ihm seine Gedanken stahl und ihn als verschrobenen Menschen sitzen ließ! Ja, nur die Großen können sich solches erlauben! Darum besitzen sie ja auch ihre Reiche! Als die Leute des Königs aber einige Tagereisen auf den Ozean hinausgekommen waren, wurden sie seekrank, kehrten um und berichteten, daß der Ozean zu groß sei; sie waren ganz verkommen, redeten wie im Fieber, und es vergingen Tage, bevor sie wieder richtig im Kopf wurden. Ho! Glücklicherweise beschützt ein männlicher Gedanke sich selbst!

Der Admiral bleibt stehen und hebt seinen Löwenkopf, umfaßt das Schiff unter sich mit einem abwesenden Blick, sieht ihnen allen über den Kopf; und die Mannschaft duckt sich, sie liebt es nicht, die Augen zum Achterkastell zu erheben, jedenfalls nicht höher als bis zur Mitte der Treppe. Sie wissen wohl, daß sie Verachtung verdienen, waren sie doch nicht alle Engel, als sie an Bord kamen. Fast ist es, als ob das Tauende ihnen schmeckt, und es tanzt während der ersten Tage reichlich auf ihrem Rücken. Wenn Diego sich eingebildet hat, daß er eine Lustreise machen würde, dann hat Diego sich geirrt, der aufgelöste Zustand, in dem er an Bord gekommen ist, wird mit eiserner Hand in die strengste Zucht verwandelt. Bootsleute und Schiffer machen sich vielleicht ihre Gedanken über diese Narrenreise, an Bord aber soll Zucht herrschen. Bevor man die Kanarischen Inseln erreicht hat, ist Diego ein nüchterner Mann geworden, gehorsam, flink, die Hände von Pech geschwärzt, so oft hat er die Maste hinaufklettern müssen, und mit hübschen sauberen Zehen vom vielen Spülen am frühen Morgen.

Diego hieß jeder fünfte Mann der Besatzung, wie jeder dritte in Spanien, das ist dasselbe wie Jakob, der Heilige und Apostel: Diego besaß nicht mehr Ähnlichkeit mit seinem Namensvetter, als der Name mit Jakob, eine entfernte Ähnlichkeit, die die Zeit abgenutzt hatte, das übrige ersetzte er durch ein Bild des heiligen Jago, das er, auf einem Schilling geprägt, an einer Schnur auf der Brust trug. An Land war Diego Desperado, der Stier aller Stiere; als Küstenbewohner war er so gut für ein Abenteuer als Landsknecht in einem gemieteten Heer wie als Matrose und bewaffneter Trabant an Bord einer Galeere geeignet; Waffengattung wie Elemente waren ihm gleichgültig; das Abenteuer, in das er hier halb unfreiwillig verwickelt worden war, war sicher das unübersehbarste und unsicherste seines Lebens.

Wie ein Samenkorn, das ins Meer verweht worden ist, mit seinem Keimblatt und den Möglichkeiten, eine Pflanze zu werden, wenn es Land erreicht, so war Diego seinem Spanien entrissen und in die Gewalt des Windes gegeben worden mit der Möglichkeit, Wurzel zu schlagen – wo? – oder zu sterben. In dem viereckigen spanischen Kopf mit den blaurasierten Backen und dem glühenden Blick steckte alles Mögliche. Was war nicht alles über das Andalusien hingegangen, woher er und seine Vorfahren stammten? Den Namen hatte das Land von den Vandalen bekommen, einem nordischen Wandervolk, das sich in Afrika verloren, nachdem es dort seine Spuren hinterlassen hatte. Stattdessen war Nordafrika nach Spanien gekommen, die Mauren, während etlicher Jahrhunderte, mit ihren arabischen Häusern, Pferdehufen über den Türen, ihren Frauenkäfigen, bis man sie vor kurzem wieder nach Afrika hinübergejagt hatte – mehrere von denen, die an Bord waren, hatten gesehen, wie die kastilianische Flagge auf der Alhambra gehißt wurde – damit war ihr Wesen aber noch nicht aus Andalusien vertrieben worden. Auch andere Fremde hatten im Lande hausiert und ihre Spuren hinterlassen, Goten, Römer, Griechen, und noch weiter zurück Urzeitvölker aus Afrika, aus dem alten Karthago, in der frühesten Zeit Phönizier, die allerwärts schnüffelnden Seeratten aus Kleinasien – von ihnen allen hatte Diego einen Tropfen Blut oder war durch Berührung von ihnen geprägt worden, er hatte das unruhige Schicksal seiner Vorfahren geerbt, war tapfer, begehrlich, blutig, ein Vernichter, mit Todesverachtung auch für seine eigene Person, wie die Waghälse aus dem Norden, für die Furcht das einzige Vergehen war, das es gab; er ist grandios, hat die spanische Haltung, ein Erbteil von den Römern, mitsamt der Toga, dem Mantel, mit dem er seine Ungewaschenheit verbirgt, und ist unzuverlässig, wie dies und jenes, das aus den Ländern des Mittelländischen Meeres kommt, er hat Leidenschaft, aber ist arm an Gefühl, ein Asiat in der Liebe, rasend, vor allen Dingen unbeständig – und dennoch im Grunde ein Iberier, Urspanier, für immer in seiner Natur beruhend, reich an Gegensätzen und mit losen Zusammenhängen, alles in allem ein Mensch, redselig, liebenswürdig, die Seele voller Musik, – denn zwischen seinen Müttern waren die schönsten und stummsten Frauen der Welt.

So war Diego, der jetzt zur See fuhr und mit einer Ehrerbietung, die nicht allzu echt war, seine Augen zu der Kommandobrücke erhob, dem Allerheiligsten, wo der Admiral in rastloser Wacht auf und ab schritt – er war augenblicklich der stärkste (der verfluchte Italiener), mit ihm mußte man sich gut stellen, wenn man aus dieser Klemme herauswollte. Die Pulverfässer im Lastraum der Santa Maria waren mit einer Seele geladen wie Diegos, Schwefel, Kohle und Salpeter in oberflächlicher Mischung, aber mit einer gefesselten Hölle in sich, die durch einen Funken losgelassen werden konnte, und dieser Funke glühte in Diegos Kabylenaugen.

Der Admiral seinerseits hatte ein Auge voller Vorbehalt für seine Besatzung; wenn er sich die nagenden portugiesischen Erinnerungen bei seiner Wanderung auf dem schmalen Kommandodeck von der Seele gegangen war, schritt er noch stärker aus und machte noch heftiger kehrt, im Gedanken an das, was ihm in Spanien widerfahren war. Acht Jahre lang Geschwätz! Was hatte er für Sohlen verbraucht, während er in dem Gefolge königlicher Personen herschritt, zwischen Bittstellern, Kammerdienern und Schmarotzern, und das Lächeln auf jedem albernen Gesicht, wenn er gesehen oder nur genannt wurde, Kolumbus, das Original, sogar die Kinder auf den Straßen johlten hinter ihm her! Der Rat in Salamanca, der seinen Plan prüfen sollte! Aufschub, Hoffnung, Enttäuschung, auf und nieder, Armut, Heimatlosigkeit, die Unbeständigkeit und Gefühllosigkeit der Fürsten, eine lange, lange, mühevolle Wanderung, die ihn gelehrt hatte, was Bettler leiden. Jeden Tag mit flammender Entschlossenheit, zum Sprung bereit, und jeden Tag nichts anderes als neue Einblicke in die Menschennatur, durch Jahre, Jahre, Jahre! Sein letzter schwerer Gang, als er, nachdem er alle Hoffnung aufgegeben, mit seinem kleinen Sohn Spanien verlassen wollte und nach dem Kloster bei Palos, Santa Maria la Rabida, gekommen war, wo er um Brot gebeten hatte, im Namen Gottes des Allmächtigen! Da hatte er zum erstenmal mit Grauen gefühlt, daß er ein alter Mann geworden war! – Ja, das Glück hatte sich gedreht, er war dennoch fortgekommen. Nie aber würde er vergessen, nie würde er verzeihen, was er gefühlt hatte, als er mit zitternder Hand die Gabe für sich und seinen Knaben entgegennahm: so zittern die Hände alter Leute.

Abermals bleibt der Admiral auf dem Achterdeck stehen, und Diego blickt verstohlen hinauf und sieht, daß dieser große graue Mann fürchterlich ist, hat er Erscheinungen und verwünscht er Geister oder warum ist er so furchtbar? Und Diego versteckt sich, damit das böse Auge ihn nicht finden kann, bekreuzigt sich gründlich, von der Stirn bis auf die Brust herab, von Schulter zu Schulter, Madre! flüstert er, und sein Gesicht verfärbt sich. Ein starker Mann, der dort oben, und wer weiß, mit welchen Mächten er in Verbindung steht!

 

Während der letzten Augusttage aber, bevor die Kanarischen Inseln erreicht waren, wo angelegt und ausgebessert wurde, und während der ersten Tage im September, wurde die Stimmung an Bord weniger gespannt. Noch war man ja in der bekannten Welt, und die Besatzung konnte ihr Unglück nicht wochenlang fühlen. Diego erinnerte sich seiner vergessenen Lieder und vertraute sich Wind und Wetter in leidenschaftlichen Brusttönen an, war voll süßer Worte vor Entbehrung wie ein Anbeter, und wenn er Zeit hatte, und das schöne stille Wetter ließ ihm genügend freie Zeit, die Segel blieben Tag und Nacht gesetzt und brauchten nicht gebraßt zu werden, spielte er Würfel an Deck, schüttelte die launischen Steine aus dem Becher, gespannt, wie viele Augen er bekommen würde; man spielte nicht um nichts, Geld und Wertsachen an Bord wanderten nach und nach von einem Diego zum anderen und wieder zurück, mehrmals, bald war man Besitzer der ganzen beweglichen Habe an Bord, Gegenstand der kriechenden Untertänigkeit aller, bald war man an den Bettelstab gebracht; wie es aber auch ging, es blieb stets in der Familie. Das Spiel war hitzig, bisweilen nicht ohne Gefahr für Leben und Glieder, das Blut kam ins Kochen, Diego wurde bis auf den Grund seiner Seele aufgewühlt. Wenn er Pech hat, setzt er alles ein, was er besitzt, schließlich sein Hemd, man sieht, wie er heimlich die Lippen bewegt, er macht Maria Versprechungen, und wenn er trotzdem verliert, zerreißt er sein Hemd, beschimpft die Mutter Gottes mit einem Fluch, der sich nicht wiedergeben läßt und sie mit dem Bösen auf eine Stufe stellt, von dessen verräucherter Gnade man täglich an Bord leben muß, daß Gott erbarm! Schließlich spielt Diego um sein Amulett, und wenn auch das verloren und er ein nackter Heide ist, spielt er um sein Haar, sein Leben, seine Braut, seinen Anteil am Himmelreich, um alles, bis das Glück sich wieder wendet.

Am nächsten Tag hat Diego vielleicht alle seine Besitztümer und ein gut Teil von dem der anderen zurückgewonnen. Zur Veränderung spielt man Karten, wenn man sich darauf versteht, denn dazu gehören höhere Zahlenbegriffe; die Analphabeten an Bord sehen zu, eine zahlreiche, interessierte Schar, die die wenigen Zauberkundigen umgibt; sie sitzen mit hochgezogenen nackten Beinen in einem Kreis auf Deck und hexen, jeder mit einem Fächer von apokalyptisch bunten Bildern in der Hand. Es ist das Glücksbuch, und das Blättern darin ist mit Gemütsbewegungen verbunden, man streitet, durchbohrt sich mit Blicken, pocht hitzig mit den Knöcheln auf Deck, nickt grimmig, mischt die Karten von neuem und schleudert eine nach der andern aufs Deck: Spadille, Basta, Ponto, der Gegenspieler ist vernichtet! Man kraust die Stirn, denkt tief nach, wirft alle Karten auf einmal auf den Tisch und schiebt Dukaten von einem Haufen auf den anderen, unerklärliche Vorgänge für die Analphabeten, die verwundert zusehen. Wie kann man soviel in seinem Kopf behalten! Die Bilder auf den Karten sind einem allerdings vertraut, da sind Landsknechte, Könige und Damen, entzückende Wesen, die einzigen an Bord. Diego seufzt, drückt eine Karte mit beiden Armen an die Brust und preßt sie stürmisch, es ist Herz-Dame, ach ja, ach ja!

Was fehlt Diego, er umarmt die Wassertonne, wenn er in ihre Nähe kommt, überschüttet sie mit zärtlichen Worten, seine Stimme ist so sanft geworden, er singt Abendlieder und ist drauf und dran, vor Schmerz zu vergehen, er ist lustig, schwärmerisch, witzig, es gibt wenig Dinge, die seine Phantasie nicht auf eine bestimmte Spur leiten: die schwellenden Segel, hu, hei, wie sie sich straffen, straffen. Der Mastbaum ist so schlank, so taillenschlank, er muß ihn umarmen, er wirft Nina Kußhände zu, der Schwester, die in der Nähe segelt; Pinta läßt ihn kalt, das ist ein männliches Schiff, Schwester aber ist süß, sie neigt sich so anmutig in den Wellen, taucht den Bug mädchenhaft unter, der Schaum ist wie ein Spitzenkragen, und was hat sie für kleine straffe Segel, hu, hei! Sogar an höchster Stelle verbesserte sich die Stimmung an diesen sonnigen Tagen, bevor man die Kanarien erreichte. Der Admiral öffnete hin und wieder den Mund, ja, es geschah, daß er vom Achterkastell herunterkam und sich unter andere Sterbliche auf dem Mitteldeck mischte, und bei dieser Gelegenheit entdeckte Diego, daß der geheimnisvolle Mann ein schönes, warmes Lächeln hatte und in gewisser Beziehung der Anspruchsloseste von allen an Deck war.

Für gewöhnlich war er sehr beschäftigt mit seinen Messungen und algebraischen Künsten, jeden Tag hing er sein Astrolabium in der Sonne auf, um die Elemente darauf wirken zu lassen, Diego sah es nie, ohne daß ihm ein Schauder über den Rücken lief; eigentlich hätte die magische Scheibe und all ihre Geheimbuchstaben, mitsamt dem Mann, der sie benutzte, verbrannt werden müssen, wenn nicht die Sicherheit des Schiffes auf ihren Kunststücken beruht hätte. Nachts zeigte der Admiral auf den Himmel mit großen Zirkeln, spannte sie von einem Stern zum anderen, anmaßend und ohne die Ehrfurcht, die man seinem Schöpfer schuldet, vielleicht zum Besten der Fahrt, Diego aber gefällt es nicht.

Wenn Diego am Steuer steht, hat er seine ernsten Stunden, das Steuern selbst fällt ihm leicht, an die Nachbarschaft des Kompasses aber kann er sich nicht gewöhnen, unheimlich ist ihm die lebendige zitternde Nadel in ihrem Glashaus, die beständig nach Norden zeigt, wie das Schiff sich auch dreht, und nach der man sich richten muß; besonders abends stehen ihm manchmal die Haare zu Berge, wenn er die Nadel beim Schein der kleinen Laterne herumschnüffeln sieht; mit den Mächten, die dahinterstecken, ist er nicht im Bunde, Diego bekreuzigt sich, steuert und richtet sich nach dem Kompaß, für alles weitere aber mag der Schiffer einstehen.

 

Der Admiral war ruhiger geworden, es war, als ob er einen tiefen, erlösenden Atemzug getan, die vergangenen Jahre begraben hatte und dem Kommenden nun mit Ruhe entgegensah. Er war auf dem Meere, segeln war ein Teil seines Wesens, mit jedem Tag fühlte er sich mehr auf dem Schiff zu Hause.

Es ging jetzt gen Süden, und obgleich der Herbst nahte, wurde es mit jedem Tage wärmer! Ja, das Alter hatte ihn angerührt, man hatte ihm seine besten Jahre geraubt, Gott vergeb's ihnen, jetzt aber, mit jeder Stunde, die er älter wurde, näherte er sich, – wem näherte er sich? Dem ewigen Sommer, sagte die Sonne, der schönen Luft, die jeden Tag schöner wird, der günstige Wind, die Wellen sagten es, die wie ein großer blauer Vortrab gelassen voranschritten, die Sterne sagten es, die Sterne!

Mit ihnen ist Kolumbus in den langen, erquickenden Nächten zusammen, zu ihnen erhebt er seine Seele, folgt ihnen auf ihrer weisen, aber unerforschlichen Bahn. Hoch am Himmel stehen die beiden Leitsterne, im Bilde des Kleinen Bären, nach denen Seeleute zu steuern pflegen. Dicht daneben der Nordstern, um den sie im Laufe der Nacht eine halbe Drehung machen, die große Himmelsuhr, die dem Seemann nachts die Zeit anzeigt. Darunter der Große Bär, der von den Sternbildern den größten Platz am Himmel einnimmt – und dennoch, wie ungeheuer viel größer ist noch der übrige Himmel! Der Orion steigt herauf und brüstet sich wie ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen, der Tierkreis, der Abendstern zeigt seine ferne strahlende Seele, mit jedem Abend schreitet er sichtbar ein Stück weiter, der Mond macht seine abwechslungsreiche Wanderung, der blinde Mond, Freund unserer Nächte, der große, schöne Mond!

Nie wird man müde, den Sternenhimmel zu betrachten, ihn über sich schreiten zu sehen, von Abend bis Morgen; Kolumbus, der nie schläft, sättigt seine Seele mit Tag und Nacht, sieht die Sonne aus dem Meer emporsteigen und ihren Herrschergang über den Himmelvollenden, sieht sie rot und mächtig auf der anderen Seite wieder ins Meer sinken, und es ist, als ob Zeit und Raum sich in seinem innersten Sinn einprägen, er fühlt, wie lange sie gefahren sind, und wo sie sich befinden; eine außerordentliche kosmische Seherkraft ergreift ihn. In stillen Nächten, wenn er allein auf dem Achterkastell steht und die Sterne sich über ihm drehen, meint er, die sieben Himmel gellend, aber ungeheuer fern tönen zu hören, einer immer im anderen. In kurzen berauschenden Augenblicken hat er ein Gefühl von dem, was der Verstand ahnt, aber nicht gestalten kann: von den Himmeln und ihren Umdrehungen, mitsamt den Himmelskörpern, die in derselben Sphäre liegen. Bisweilen meint er einen knarrenden Laut zu hören, durch tausende von Meilen erstickt, und er nickt vor sich hin: das sind die Achsen der Sphären, die sich gegeneinander reiben, und die Nacht um ihn her wird so groß – wie mächtig ist der Mahlgang des Himmels! Allmächtiger!

Wendet er den Blick von den schimmernden Nägeln der Himmelswölbung ab, so liegt das Meer unter ihm in einem Ring, kolossal, und dennoch, er weiß, wie klein der Fleck ist, den man überschauen kann, das Meer erstreckt sich so unendlich, einem Menschen schwindelt – so riesengroß, so unbegreiflich ist die Erde!

Er fühlt es, gerade hierin birgt sich Kolumbus' tiefste Erkenntnis, eine durch sein Leben auf dem Meere gesammelte Erfahrung, an und für sich unfaßbar und dennoch durch direkte Erfahrung oder eine Art Ahnung begründet: die Erde ist rund! Schon in alten Schriften wird davon gesprochen, wenn auch nicht in der Bibel, doch muß man es mit dem inneren Auge gesehen haben, um es zu erfassen. Die Höhe der Sterne, der Winkel, in dem sie zum Horizont stehen, sagt es einem. Wenn man die Stellung der Sterne am Himmel genügend studiert, die Meere nach Nord und Süd zwischen Island und Guinea oftmals befahren hat, wenn man die ganze Zeit einen Überblick über die Entfernungen behalten, das Log im Kopf hat, dann kann man fühlen, daß die Erde rund ist, ja, durch eine gewisse unerklärliche Erkenntnis kann man sogar empfinden, wie groß sie ist.

Das waren die Beobachtungen, das war das innere überzeugte Schauen, das Kolumbus die Idee zur Weltumsegelung eingegeben hatte. Denn wenn die Erde von oben nach unten, von Norden nach Süden rund war, mußte sie es auch von Osten nach Westen sein, um den Äquator herum, und fuhr man lange genug nach Westen, mußte man schließlich um die Erde herumkommen. Keiner hatte es glauben wollen, jetzt wollte er es beweisen!

Auf dem Wege von Spanien bis zu den Kanarischen Inseln war der Unterschied bereits auffallend; wenn man im Sehen geübt war, ja, bis zu einem gewissen Grade konnte man den Unterschied jeden Tag fühlen; man empfand, daß man auf einer ungeheuren Kugel segelte, und nicht einen Augenblick verlor man das Gefühl dafür, wie weit man nach Westen gelangt war.

Wenn er so weit nach Süden gefahren war, wie er sich vorgenommen hatte, sollte scharf nach Westen gesteuert werden, und dann würde es sich zeigen!

In den klaren Sternennächten, wenn Kolumbus mit dem Universum allein war, konnte er sehen, daß er Recht hatte. Wäre es sonst möglich, daß die Sonne und der Mond und alle Fixsterne und Planeten, kurz gesagt, die Sphären, sich um die Erde drehten, wenn die Erde nicht rund war und sich frei im Raum bewegte?


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