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Der Adler und die Schlange

Das älteste Symbol der Azteken stand in Verbindung mit der Gründung ihrer Hauptstadt, denn Tenochtitlan bedeutet Ort der Kaktusklippe, eine Klippe, worauf sich so viel Erde gesammelt hatte, daß ein Kaktus darauf wuchs, und auf dem Kaktus saß ein Adler, der in seinem Schnabel eine Schlange hielt: so war die Natur der mexikanischen Hochebene in einem Bild zusammengefaßt.

Wo die Ur-Azteken dieses Zeichen sahen, hatten sie ihr Pueblo gebaut. Nach der Ankunft der Spanier konnten sie dieses Totem als ihr Schicksal erweitern, im dramatischen Sinn, als einen tödlichen Zweikampf. Noch heutigentags ist es das nationale Wahrzeichen Mexikos: der Adler und die Schlange, die sich geeinigt haben und ihre Kräfte zusammentun.

Die Epoche Cortez aber war der Adler, der mit Schnabel und Krallen auf die Klapperschlange herabsauste.

Die Eroberung Mexikos ist in allen Einzelheiten bekannt; wie Cortez über die Hochebene zog, die Verschwörung in Cholula, Malinas Rolle, und das Blutbad, der Einzug in Mexiko und Montezumas Gefangennahme in seiner eigenen Stadt. Das Intermezzo mit Narvaez' und Alvarados zweifelhaften Taten in Mexiko, während Cortez abwesend war, der Aufruhr, Montezumas Tod und der unglückselige Rückzug aus Mexiko, die Rückkehr und Belagerung, die Hinschlachtung der gefangenen Spanier, die Hungersnot unter den Eingeborenen und schließlich die Übergabe. Darüber liegen weite und breite Beschreibungen vor, die, je ausführlicher, desto mehr an Klarheit und Schwung verlieren.

Die wahre Reihenfolge der Ereignisse in Ehren; für die Erinnerung, den inneren Blick aber zeichnet sich die Eroberung von Mexiko in einer Verkürzung, so daß man die Entfaltung der Charaktere von einem Punkt aus betrachten kann, ohne Rücksicht darauf, ob die Ereignisse in Wirklichkeit früher oder später stattfanden; das Gesetz des Dramas. Man sieht die Hauptpersonen vor sich, Cortez und Montezuma, Malina, Alvarado, Sandoval und die anderen Helden, Vitzliputzli und seine widerwärtigen Priester, jene grauenerregende Nacht, als Spanier und Mexikaner in der düsteren Menschenfresserstadt miteinander kämpften, auf den Deichen eines salzigen Sees, wie in einem Venedig der Unterwelt – die sechzig nackten, frierenden Europäer, die oben in Vitzliputzlis Tempel geopfert wurden, während die anderen Überlebenden zusehen mußten – welch ein Panoptikum! Brennende Altäre, brennende Häuser, die Szene mit Feuer gemalt, und im Hintergrund Popocatepetl, der in den brennenden Himmel ragt, Feuer über Feuer!

Das Stück beginnt also ganz chronologisch mit der Verschwörung, Montezuma aber muß im Vordergrund, nicht hinter den Kulissen, stehen, die Bühne stellt Tenochtitlan vor, das Blutbad kann mit Alvarados Blutbad zusammengefaßt werden, und die mit zwei multiplizierten Metzeleien sind dann mit dem großen Frühlingsfest in Verbindung zu bringen; letzteres ist übrigens historisch genug. Den Rest, den großen Kampf in der Stadt, den Sturm auf die Tempel, den Rückzug, die Opfer, die Einkreisung und die Hungersnot kann man in hastigen Akten folgen lassen.

Also: das Frühlingsfest wird unter uralten seltsamen Formen gefeiert, ein junger ausgewählter Azteke, der schönste und kräftigste von allen, wird als Gott ausgerufen und mit vier der schönsten Jungfrauen des Landes vermählt, und die Flitterwochen werden mit allem Überfluß zwanzig Tage lang gefeiert, als ein Symbol der Fruchtbarkeit und des Frühlings, der mit all seinen Gaben wiederkehrt. Am einundzwanzigsten Tage wird das Fest allgemein, alle jungen Männer und Frauen kleiden sich festlich, herrliche Mäntel aus Quetzalfedern, die Glieder mit Gold und Edelsteinen geschmückt, eine wahre Wonne fürs Auge, und in einer großen Prozession, so heilig, daß keine andere öffentliche Handlung, auch kein Krieg, an jenem Tage stattfinden darf, begleitet man die junge Familie, den Gott und seine Bräute, über den großen Marktplatz in der Mitte der Stadt Tenochtitlan und über alle Treppen zum höchsten Punkt des großen Tempels hinauf. Hier knien alle nieder und beten den jungen Gott an, in dessen Körper, wie man meint, der große Tezcatlipoca selbst Wohnung genommen hat. Darauf wird er den Priestern übergeben, geopfert und geschlachtet, sein Herz wird in dem goldenen Räuchergefäß vor das Bildnis des Gottes gestellt, während seine Glieder dem Volke zum Verspeisen übergeben werden, unter Gesang und Tanz.

Aber während des Festes ist nicht alles so, wie es sein soll, denn es steht geschrieben, daß es unterbrochen wird, bevor es harmonisch zu Ende geführt ist; die jungen Kaziken, die in der Prozession gehen, die Blüte der Geschlechter des Landes, in kostbaren Federmänteln und mit alten ererbten Smaragden, sehen sie wirklich so sorglos und unschuldig aus, wie es sich bei einem Freudenfest gehört? Leg deine Hand auf ihr Herz, und du wirst vielleicht etwas Hartes spüren. Warum tragen sie den Macquauitl unter dem Gewand der Unschuld? Der Mexikaner ist düster von Natur, blickt man sich aber um in den wimmelnden Straßen, wird man vielleicht bemerken, daß ihre Lippen noch schmäler sind als gewöhnlich und ihre Augen wie ihr eigener trüber See.

Einer liest in allen diesen Gesichtern wie in einem offenen Buch, Cortez, denn er kennt die Geheimschrift, von Malina hat er sie gelernt. Sie hat im stillen gewirkt, nachts ist sie umhergeschlichen, nackt wie eine Schlange, durch alle Ecken und Winkel der Stadt, hat bald hier bald dort in der Nähe vornehmer Kaziken gelauscht; um sich unkenntlich zu machen, brauchte sie sich nur zu entstellen, schwierig genug, denn diese Flamme von einem Weibe ist stets in die Augen fallend, aber es ist ihr geglückt: sie trägt Wasser in der Gestalt einer blöden Sklavin in das Allerheiligste der eingeweihten Priester, sie ist bei Montezuma, ohne daß er es ahnt, sie wohnt einer Sitzung bei, die heimlicher ist als der Abgrund. Darum ist Cortez so allwissend, darum kräuselt sich seine Lippe so grausam unterm Knebelbart, ohne daß jemand es zu deuten vermag. Was hat er in tiefer Heimlichkeit bereitet?

Ein seltsames Kleeblatt, das hochmütig in einer Gruppe beisammensteht und dem schönen, wonnevollen Auszug zuschaut, dem Frühling in Prozession, Cortez, Montezuma, und Malina. Cortez zur Feier des Festes in Eisen von Kopf bis Fuß, höchste Gala, seine schweißige Soldatennase schnuppert aus dem Helm; Montezuma in einfacher Gewandung mit wenig Schmuck; als Höchster des Reiches braucht er keine Pracht zu entfalten, und er hat Trauer. Gewiß, er steht hier als freier Mann, tiefste Ehrfurcht bringt man ihm entgegen, und doch weiß er, daß er ein Gefangener ist. Malina mit einem Kopfputz aus Federn und einer kleinen durchbrochenen Körperverhüllung aus Kolibrifedern. Diese drei haben nur zartes und zuvorkommendes Hoflächeln für einander, während sie genau wissen, was der andere weiß, das heißt, Cortez und Malina wissen, was Montezuma weiß, und blicken ihm in die Augen, wenn er spricht und ehrlich ist, er aber weiß nicht, daß rings um den Marktplatz herum Artillerie und geschwärzte Männer mit der Lunte in der Hand stehen und daß Reiterei mit entblößten Klingen hinter den Toren hält …;

Da ist es, als ob die drei fürstlichen Zuschauer, denen man sich bisher ehrerbietig ferngehalten hat, Mittelpunkt in einem Kreis werden, der sich mehr und mehr zusammenzieht, zufällig lauter sehr große Azteken, kriegerisch anzusehen, aber natürlich unbewaffnet, nur mit langen, faltenreichen Gewändern bekleidet:

Wie schön, an solchem Festtag alle Gedanken an Blutvergießen beiseite zu lassen und sich ganz dem Zutrauen hinzugeben, das man für einen ehrenwerten Fürsten empfindet, sagt Cortez mit einer Verbeugung und blickt Montezuma ins Auge, der Knebelbart zuckt, und er kommt Montezumas Gesicht so nah, daß dieser sich etwas zurückbeugt, indem er nickt und das Gesagte bekräftigt.

Cortez aber kommt ihm noch näher mit seinem großen schweißigen Gesicht, und seine blauen hervortretenden frechen Augen blitzen wie Stahl. Leiser aber fügt er noch eine Bemerkung hinzu, die eine tödliche Wirkung auf Montezuma zu haben scheint. Das Leben entweicht aus seinem Blick, seinen Zügen, seiner Gestalt, er ist ein toter Mann, wie einer, der aus dem Hinterhalt gezielt und nicht getroffen hat und dem der Feind sein Vorhaben geradeswegs ins Gesicht sagt.

Ja, Cortez erzählt ihm mit wenig trockenen Worten, daß er seine Pläne kennt, die Verschwörung gegen sein Leben, die in diesem Augenblick reift …; und an seiner Seite krümmt sich Malina, beugt sich vor, damit Montezuma ihr Gesicht sehen kann! Er wird noch grauer, denn jetzt erkennt er sie an dem Licht, das sie über ihre Augen laufen läßt, er erinnert sich ihrer und der Nacht, weiß, an wen er alles verraten hat, und in einer Sekunde erfaßt er sein ganzes Elend.

Noch hält Cortez ihn wie auf seinen Blick gespießt, das Gesicht dem seinen ganz nah – der Adler und die Schlange – dann aber überläßt er seine Züge ganz der Grausamkeit, richtet sich höher auf und winkt mit seiner behandschuhten Hand. Eine Schar verkleideter Tlascalen, Bundesgenossen, die sich die ganze Zeit zwischen der Menge aufgehalten haben, stürzen sich auf gewisse Azteken; die verschworenen Kaziken und hohen Familienoberhäupter ziehen die Mäntel vielsagend von ihren verborgenen Waffen, – vor Ablauf einer Stunde werden sie lebendig am Pfahl verbrannt, unter sich ein Feuer aus den Pfeilen und Speeren der Eingeborenen, die eine besonders lebhafte Wärme geben.

Cortez' erhobene Hand aber hat noch mehr bedeutet, – plötzlich donnern Kanonen aus allen vier Himmelsrichtungen, die Häuser sperren sich auf wie Rachen, und heraus kommt langsam Alvarado geritten, wie ein schimmernder Turm aus Eisen, Mann und Pferd wie aus einem Guß und einem Rhythmus, hinter ihm die ganze Reiterei mit geschlossenen Visieren, die blanken geschliffenen Klingen in der Luft blitzend. Und jetzt fängt auch der Soldat in Cortez Feuer, der Feldherr ist fertig, mit der Linken klappt er das Visier herunter, mit der Rechten zieht er das lange, pfeifende Schwert aus der Scheide, spuckt zwischen Hand und Schaft – Jago! Ein lauter, durchdringender Schrei erklingt neben ihm, wie von einer springenden Pantherkatze – Malina ist's, die ihrem raubgespannten Herzen Luft machen muß.

Alarm. Artillerie und Musketsalven, Pfeifen von Armbrüsten, Einhauen der Reiterei, und die ganze schön geschmückte Frühjahrsprozession, die vornehmste Jugend des Landes schwimmt in ihrem Blut; der Gott, der sich selbst geopfert werden sollte, ist mit all seinen Kränzen von Pferdehufen unkenntlich zertreten; durch die dicht gestauten Menschenmassen ziehen sich blutige Furchen auf den Straßen, die sich vom Markt aus so glatt bestreichen lassen, Geschrei, Raserei und Tod.

Und dann eine unheimliche Pause, hunderttausend Seelen halten den Atem an vor Entsetzen über das, was geschehen ist und noch geschehen wird.

 

Die Folgen: Aufruhr, ganz Mexiko erhebt sich, nicht nur die Vornehmen, sondern auch das Volk, von den Priestern aufgepeitscht, der Ausrottungskrieg gegen dieses Ungeziefer, das sich für Götter ausgibt und in der Stadt eingenistet hat, um alles Gold an sich zu reißen und damit außer Landes zu rennen, beginnt. Bisher hat man alle ihre Schamlosigkeiten, ihre Kränkungen geduldet, hat geduldet, daß sie auf dem heiligen Boden der Götter ihren eigenen Marterpfahl errichteten, nur weil Montezuma nachsichtig für sie eingetreten war, er, den sie wie einen Indianer behandelt und in dessen Person sie für ewige Zeiten den alten aztekischen Häuptlingsstamm bis an die Wurzel gekränkt haben, die göttliche Würde; jetzt ist es genug.

Die Götter waren bis zum äußersten getrieben, Vitzliputzli schwitzte kaltes Feuer nachts in seinem Heiligtum, wie die Priester sagten, phosphorisierte; daß Popocatepetl erschüttert war, konnte ein jeder sehen, er würde sicher bald die Welt vergehen lassen. Wahrzeichen sprachen vom letzten Tag, ein dreijähriges Kind, das geopfert wurde, hatte vor seinem Tode Prophezeiungen in einer Sprache gelallt, die niemand verstand; in dem Leib eines anderen Opfers hatte man einen Stein gefunden, der die Form eines vielzackigen Blitzes hatte; ein Kondor, der von Osten geflogen kam, hatte ein Aas auf Vitzliputzlis Teocalli fallen lassen …; bedurfte es noch mehr Zeugnisse? Mexikos Schicksal war ungewiß, – diese fremden Betrüger aber, die den Donner gestohlen hatten und an denen alles bis auf die Hautfarbe Schwindel war, sollten sterben, und wenn auch jedes Bleichgesicht tausend Mexikaner kosten würde!

Der Aufruhr brach bei Tagesgrauen los; abgesehen von allen anderen Mächten wollte man die Sonne, den Sonnengott selbst, als Gefolge haben. Vor Sonnenaufgang erhob sich im Lande Mexiko ein Laut wie von Maikäfern in einem Sack, das heiße Geflüster eines ganzen Volkes –, und als die Sonne ihre Mittagshöhe erreicht hatte, hob sich, so breit wie die ganze Stadt, eine Säule von Staub und Geschrei zur Sonne hinauf, die ganze zahllose Mannschaft der Stadt griff den Palast, wo die Weißen sich verschanzt hatten, auf einmal an, mit einem Regen von Steinen, Obsidianpfeilen, im Feuer erhärteten Stangen und Speeren, mit den bloßen Fäusten, Zähnen, wenn man sich nahe kam. Tausende fielen vor den Kanonen und den unermüdlichen spanischen Toledoklingen, häuften sich vor dem Palast, aber es kamen immer neue Tausende, mit Geschrei, Gebrüll, Geheul aus tausend Kehlen, ohne Ende, vom Augenblick des Sonnenaufgangs, den ganzen Tag hindurch; es war darauf berechnet, den Feind zu schrecken – und schreckte ihn auch.

Für die eingeschlossene spanische Schar, mit Narvaez' Truppen gut zwölfhundert Mann, sechstausend Tlascalen und achtzig Pferden, war die Lage tatsächlich verzweifelt, das ganze Land war gegen sie, der Erdboden schien sich zu öffnen, wohin sie auch blickten, um Mexikaner in schwarzen Wogen auszuspeien; Heere und immer wieder Heere von todesverachtenden Wilden, wie Teufel in Tierfellen und Federn, wälzten sich an den Palast heran, heulend, brüllend, im Hintergrund ein ohrenbetäubender Lärm von schreckenerregenden Instrumenten, Trommeln, eine Hölle von Pfeifen mit vier Löchern gellte ununterbrochen, auf geriffelten Antilopenhörnern wurde mit Muscheln gerieben, eine Musik, die von Satan selbst erfunden zu sein schien.

Das Blut floß an jenem Tage in den Straßen von Mexiko wie Bäche. Brandpfeile gelangten in den Palast und zündeten das Holzwerk an, viele Spanier fielen, wenn sie auch für jedes Leben tausend andere nahmen. Das Geheul und die Höllenmusik ermatteten sie im Kopf, nicht alle hielten den Heldenmut aufrecht, Narvaez' Soldaten begannen davon zu reden, warum sie eigentlich sterben sollten. Um Cortez wohlhabend zu machen. – Unruhe auch in den eigenen Reihen.

Als die Stellung nicht mehr gehalten werden kann, macht Cortez einen Ausfall zusammen mit den Tapferen, Alvarado, Sandoval, Olid, allen jenen Sportsleuten, für die eine Schlacht eine Kunst ist, und gemeinsam stürmen sie Vitzliputzlis Tempel, obgleich die Pyramide auf all ihren einhundertvierzehn Terrassen schwarz von mexikanischen Kriegern ist, die brennende Holzstücke auf die Angreifer herabwälzen, sie erobern den Tempel nach dreistündiger Akrobatik und morden, stecken die Türme in Brand und – und jetzt kommt Vitzliputzli!

Die Mexikaner sehen ihn aus seinem Heiligtum wie eine Kröte aus ihrem Loch kommen, aber in liegender Stellung, wie geht das zu, – die Spanier gehen hinterdrein und schieben ihn, er gelangt viereckig über den Rand des höchsten Absatzes und donnert viereckig über alle Stufen herab, ein Dutzend an der Zahl, reißt ein Loch in das Mauerwerk, schlägt eine Ecke von sich selbst ab, raucht mit Donnergeruch und zerschmettert schließlich eine Gruppe Priester in roten Kitteln, die heulend zu Füßen der Pyramide gestanden haben!

Eine gewaltige Tat, das war der eigentliche Fall von Mexiko, – die Bravada, die Mexikaner selbst aber waren noch nicht tot, sie kommen, immer mehr, eine schwarze Woge aus der anderen, wie der Rauch bei einem Brand, schießend, stechend, heulend, kein Spanier, der nicht schon verwundet ist, was ist zu tun?

Eine Hinwendung an das Volk durch Montezuma selbst hatte man schon versucht, er hat doch sonst Macht über das Volk gehabt, man hatte ihn dazu vermocht, auf das Dach zu treten und ihnen Vernunft zuzureden. Ein großer Augenblick, der Lärm nahm wirklich einige Minuten ab und machte einer nie gekannten Stille Platz, als Montezuma erschien und die Scharen, die ihn für den höchsten und würdigsten Menschen gehalten hatten, seiner ansichtig wurden. Er sprach, eine einzelne dünne menschliche Stimme klang durch dieses Meer von Stille, Tausende von finsteren Augen richteten sich auf ihn.

Eine Antwort aber bekam er nicht. Steinwürfe und Pfeilschüsse antworteten ihm, verwundet und blutend wankte Montezuma und mußte fortgeführt werden.

Nein, eine Antwort hatte er nicht bekommen, denn er war nicht Montezuma mehr. Sie hatten ihn aus ihren Herzen gerissen. Der Rat, die alte Urmacht, war zusammengetreten und hatte das Urteil gefällt; der Geschlechtserbe hatte sich verbrochen, er war jetzt nur noch ein Niemand, an seiner Statt war Guatemozin, der nächste im Stamm, zu Gottes Stellvertreter und Führer im Felde ausgerufen worden.

Da versuchte Cortez sich selbst an das Volk zu wenden. Nach der Einnahme des Tempels stieg er auf das Dach, mit Malina, seinem Dolmetscher, verschaffte sich Gehör, Totenstille trat ein, und er sprach zum Volke, keine milden Worte von Frieden und Versöhnung, sondern die kalte Perspektive des Feldherrn, die auf moralische Wirkung berechnet war:

Sie könnten selbst sehen, ihr Tempel sei zerstört, die Götter im Schutt, glaubten sie wirklich, daß sie ihm auf die Dauer widerstehen würden? Im guten verspräche er ihnen dies und das, bei fortgesetztem Widerstand würde kein Stein von Mexiko auf dem anderen bleiben!

Und diese harte Anrede wurde von Malina in Flötentönen übersetzt, die Pantherkatze führte ganz allein das Wort in dem Menschenmeer und miaute die Rede des Eisenmenschen über die Tausende von Kriegern herab, über deren Köpfen der Kriegsstaub wie eine Wolke lag. Malina schlängelte sich einschmeichelnd und leckte sich um den rosenroten Mund, für die feierliche Gelegenheit mit Federn bekleidet, durch die die kupferglühenden Glieder wie üppiges Feuer leuchteten; ein williges und wolllüstiges Echo für Cortez' vernichtende Worte.

Ein alter Kazik, der Wortführer war und sehr deutlich sprach, antwortete ihm, daß die Weißen in Kürze nichts mehr zu essen haben würden, die meisten von ihnen seien verwundet und zusammengeflickt, – und im übrigen wären die Brücken auf den Deichen abgebrochen, ein Entrinnen gäbe es nicht mehr!

Das war wahr.

Nach der Pause wieder Trommeln, Pfeifen, Antilopenhornkreischen und Geheul von hunderttausend brüllenden, schreienden Azteken: der Beerdigungschor, der von neuem einsetzte und nicht aufhören würde, bevor das Leichenbegängnis vorbei war. Und welche Gräber erwarteten sie!

Mittlerweile starb Montezuma. Ein Schlag für Cortez, denn wenn er im Augenblick auch in Ungnade war, so hatte er doch eine Partei und hätte ihm noch nützen können. Aber man konnte ihn nicht am Leben erhalten, er riß seinen Verband ab, wollte nicht essen, schwieg hartnäckig und hielt die Augen gesenkt, von dem Augenblick, wo sein eigenes Volk ihn gesteinigt hatte, bis zu seinem Tode. Die Chronik bemerkt, daß er es ablehnte, das Kruzifix zu küssen.

War Kolumbus der enttäuschteste Mann der Geschichte, so war Montezuma es seinerseits auch; beide hatten die große, echte Hoffnung genährt, Gott zu schauen, und der eine hatte einen Kannibalen, der andere einen Cortez erlebt.

In der Nacht nach Montezumas Tode trat Cortez den Rückzug an.

 

Es war jene berühmte, traurige Nacht, die Diaz ohne Zartgefühl die Nacht nennt, als sie aus Mexiko hinausgeworfen wurden. Bei dieser Gelegenheit macht er eine Erfahrung, die ihm neu war, und mit der er nie gerechnet hatte – er lernt das Fürchten. Er spricht selbst voller Verwunderung und in den seltsamsten Ausdrücken davon, fast als ob die Furcht ein schauerliches Wesen außerhalb seiner selbst sei, mit dem er bei dieser Gelegenheit Bekanntschaft machte. So schrecklich war die Nacht.

Betrachtet man mehrere Ereignisse in der Verkürzung, so sieht die Nacht folgendermaßen aus, Popocatepetl ist als Hauptperson gedacht:

Er steht an seinem Himmel und flackert, in seine eigenen glühenden Träume verloren, mißt seine eigene lange Zeit aus, und in einem seiner Augenblicke, wenn er Feuer schlägt und die ganze Hochebene unter sich im Feuerschein beleuchtet, ein Lavaland mit schwarzen Schatten und einem Salzsee mit schwerem, mattem Wasser, im See eine Stadt, wie aus Blut und Kalk zusammengebacken, in einem solchen Augenblick machen die dort unten Geschichte, der Adler und die Schlange kämpfen miteinander, ein Zweikampf in der Luft, der Raubvogel entführt die Schlange zwischen seinen Krallen, und der Wurm krümmt sich und sucht die Brust des Adlers mit dem Giftzahn.

Cortez wartete den dunkelsten Teil der Nacht ab, soweit es in Tenochtitlan mit den hundert flammenden Altären überhaupt dunkel werden konnte, bevor er aufbrach, mit Artillerie, Pferden und seinem ganzen Troß, eine besondere Abteilung trug die große Zimmerbrücke, die in aller Heimlichkeit gebaut worden war, um den Schlund zwischen den Deichen zu überbrücken.

Es war der Schlund der Trauer, der sie von dem Festland trennte, dort fand die Schlacht statt und dort erlitten sie ihre Verluste, mit der brennenden Stadt im Rücken und den Mexikanern hinter sich auf dem Deich, das Meer schwarz von Kanus; die Mexikaner merkten den Abmarsch nur zu bald und zündeten alles an, was in der Stadt brennen wollte, um dem Feinde heimzuleuchten, folgten ihm mit Geheul und Gebrüll und scharfen Speeren, einer Welt von Glasscherben, und die Spanier mußten auf sie niedermähen, um sie sich vom Leibe zu halten, reihenweise, während bis ins Unendliche neue Reihen und mehr Kanus vorrückten.

Eine entsetzliche Nacht. Etliche kommen hinüber, dann versagt die Brücke, und ein lebendiger Brei von Menschen ringt im Wasser, ertrinkt, mordet, der Schlund füllt sich mit Kanonen und dem sinkenden Troß, so hoch, daß es einigen noch glückt, sich darauf einen Weg zu bahnen, als letzter im Nachtrab springt Alvarado hinüber; unmöglich, sagt der gewissenhafte Bernal Diaz, die ganze Welt aber behauptet bis zum heutigen Tage, daß er es getan hat; hinüber kam er.

Ja, dort auf dem morastigen Grund des Meeres landeten alle die guten Kanonen; der größte Teil von Cortez' Gold, in Kisten und Kasten, fand dort einen Platz für die Ewigkeit, jammerschade, Sonne und Mond in gediegenem, getriebenem Gold, Barren, die genügt hätten, ein ganzes Haus zu bauen, und die aus allen Kunstwerken Tenochtitlans gegossen waren; Edelsteine von unsagbarem Wert. Nur die schwermütigen Lieder des spanischen Heimatlandes waren imstande, solchen Kummer wiederzugeben. Ja, sie verloren alles. Ein langer Schrein aber wurde von dem Troß geborgen, er sollte durch, Cortez verwandte seine zuverlässigsten Träger dabei und ließ ihn von seinen schärfsten Klingen bewachen, und darin lag Malina, wie ein Juwel zwischen Federn gut verstaut, immerhin ein Vermögen an Quetzalfedern. Sicherlich hat sie während des Transportes geschlafen und warme Träume gehabt.

Malina überlebte den Jammer der Nacht. Sonst verloren die Spanier alle ihre Sklaven und Sklavinnen; Montezumas Kinder, die mit im Troß waren, wurden getötet. Die Pferde ertranken bis auf zwanzig. Diaz weiht Alvarados roter Stute eine Träne, sie muß ihrer wert gewesen sein. Noch von einer Frau ist die Rede, die gerettet ward, die einzige Kastilianerin, die den ganzen Feldzug mitgemacht hatte, nach Diaz, sie hieß Maria de Estrada – Straße? Estrade? – und war eine ausgezeichnete Frau, kämpfte mit dem Zweihandschwert wie ein Mann auf dem Deich und kam mit dem Leben davon. Welch ein Weib! Man folge ihrem Schicksal in Gedanken!

Siebenhundert Spanier kamen in jener Nacht um, ertranken oder wurden getötet, einige gefangen genommen, die meisten waren namenlos, und dennoch war jeder einzige einst von seiner Mutter jubelnd zur Decke emporgehoben worden, ein Engel in Windeln, war mit den Jahren Trabant und Landläufer geworden und mußte nun hier als geknicktes Rohr enden. Aber auch Granden und Caballeras fielen in jener Nacht, Cortez' beste Freunde und Helfer, die nie, nie vergessen werden sollten!

Die Opfer: Die Armen, die Unseligen, die lebend den Azteken in die Hände fielen und für die Götter geschlachtet wurden, Weiße, Christen, ach, in ihren Augen spiegelte sich das größte Grauen, das es je gegeben hat, die Nacht von Tenochtitlan, sie allein von allen mußten mit offenen Augen, bei vollem Bewußtsein, geradeswegs in die Hölle gehen!

Man sah es vom Deich aus, wie sie nackt über alle Terrassen des Tempels geführt wurden, auf allen Rundwegen den ganzen Weg aufwärts, in einem Feuerschein, der so klar war wie der Tag und von brennenden Altären, brennenden Häusern herrührte, während ferne Feuerblitze des Popocatepetl den ganzen Himmelsraum überflackerten. Ja, die weißen Todesopfer wurden gezwungen, den heiligen steilen Weg der Mexikaner zu gehen, ein Bild ihrer Wanderung als Volk, von den Tropen über die Leiter der Zonen bis zum Dach der Welt, mit Peitschen und Stichen wurden sie vorwärtsgetrieben, die Hände auf dem Rücken gefesselt; vom Deich aus und jenseits der Küste sah man ihre weißen Körper zwischen roten und schwarzen Teufeln schimmern, die roten Priester im Ornat, Schlachtkittel und fliegenden Haaren, –die jungen weißhäutigen Söhne Spaniens, mit dem blauen Blut, sangre azul, das durch die Haut schimmerte, wie eine Landkarte von lieblichen rosenroten Flußtälern, die wundervolle Haut ihrer Mütter, Milch von ihrer Milch, – und als sie die Plattform erreicht hatten, sah man, daß sie gezwungen wurden, vor dem Jaspisaltar zu tanzen, vor Vitzliputzlis Opferstein, er selbst war im Augenblick abwesend, wurde jedoch von seinen Priestern vertreten!

Vor diese Priester wurden sie geführt, hoch oben auf der Spitze der Pyramide, als ob es in der Luft sei, Nacht und Feuer unter ihnen, Nacht und Feuer über ihnen, weil der Berg sich wie ein böses rotes Auge über die ganze Welt neigte, um sie herum eine Schar glücklicher Henker, in Mänteln wie geronnenes Blut, Geier mit hängenden beschmutzten Flügeln, das Haar eine Matte von Blut, lange Nägel, die meisten ohne Ohren, wie Vögel glucksend, während sie die Obsidianmesser klirrend gegeneinander rieben! Rasseln mit Kesseln, Gabeln und großen Bütten unten in den Vorhöfen, Flöten, Antilopenhornkreischen, – Trommellärm!

Die große Todestrommel! Ja, heute nacht ertönt sie von dem Gipfel des Vitzliputzlitempels, die Trommel des letzten Gerichtes, aus der Haut der Riesenschlange gefertigt, weithin hörbar wie ein tiefes Gebrüll, ein langsamer, entsetzlicher Pulsschlag in der Nacht, Bum – Bum! Unten in der Stadt kommen die Frauen aus den Häusern, die einzigen, die in dieser Nacht des Kampfes zu Hause sind, sie schmieren dem Schlangentotem draußen an der Hausmauer Blut in den Mund, als sie die Schlangentrommel vernehmen, die ältesten, tiefsten Symbole Mexikos werden heraufbeschworen.

Beim Dröhnen dieser Abgrundstimme gehen die verurteilten Spanier in den Tod. Alle Bilder des Todes sind in ihren Augen: das Pflaster vor dem Tempel aus Schädelknochen, Knochengerüste, kunstvoll ausgebaute Hügel aus Totenköpfen, geräucherte Mumienköpfe auf Stangen gespießt, der Abgrund wie gepflastert mit aufwärts gewandten Gesichtern, der grinsende, der nackte Mensch …; wahrlich, ja, das war die Unterwelt.

Der junge spanische Edelmann …; da berührten sie ihn, kamen ihm nah mit ihrer abscheulichen Körperwärme, drängten sich seiner Seele auf mit ihrem Grinsen, die Hunde, da brachen sie seine Haltung nieder, legten ihn in eine lächerliche Stellung, schnitten ihn auf, oh, das tat nur weh, – dann aber griffen sie ihm an sein Herz, griffen ihm an sein Herz!

Bum – Bum!

Und wenn es ihm im letzten Dämmern vor den Ohren läutet, wenn er in einer wohltuenden Dunkelheit alleingeblieben ist, – mag dann die Trommel tönen, mag das letzte geschehen, Hölle für Hölle, mag es drunten in der geschäftigen Priesterküche rumstieren und überkochen, mag es mit Geiergeschrei aus den Vogelhäusern der Götter rufen, wo die großen Vögel unter ihren Schwingen Dunkelheit und Feuerschein zusammenfächeln, mag es aus den Menagerien knurren, wo Puma und Jaguar auf leisen Pfoten schleichen und ihren Rücken krümmen, die gelben Augen auf das gerichtet, was die stinkenden Wärter bringen werden, das Ocelotlgrab, mit einem Würmernest Katzen auf dem Grunde, scheckig wie die Boaschlange und lautlos wie sie, mit denselben schmalen, aufrechtstehenden Pupillen …;

Klatsch, klatsch, sagt es in dem Grab der Klapperschlangen, als ihnen die Eingeweide zugeworfen werden, der Anteil des grauen tödlichen Gewürms, und in dem flackernden Licht, das von einem Widerschein des Himmels, Popocatepetls fernem Feuer, herabdringt, entsteht ein gleitendes Leben, kaum von dem Staub unter dem fetten, schuppigen Gewürm zu unterscheiden, es kommt aus Löchern und Ecken hervor, läßt die trockene Zunge spielen, kostet die Luft mit schuppigen Mundwinkeln und kleinen hartgebrannten Augen, ein leises Klappern ist durch die Dämmerung zu hören, die Kastagnetten im Schwanz …;

Bum – Bum!

Auf der anderen Seite des Meeres saß Cortez und hörte das unaufhörliche Hämmern der Todestrommel, sah das Entsetzliche, erkannte seine Freunde von weitem, sah sie den schrecklichen Gang machen, sah sie sterben, – und da weinte Cortez über die Leiden seiner Brüder, ein hartes verlassenes Knabenweinen mit Halsschmerzen und vielen Qualen.

Der Kopf eines Wesens streicht an ihm entlang, ein Ohr reibt sich an ihm, Malina will trösten, will ihm den Verlust ersetzen, Cortez aber knipst sie fort, wie ein Stäubchen, das zwischen seine Träne gekommen ist; sie kann ihm nicht helfen.

Nein, nur eines konnte ihm helfen, wie die Zeit bewies, was er schwor, die Faust zu Mexikos flammenden Tempeln erhoben: daß er sie der Erde gleichmachen wollte und daß all die widerlichen Henker in der Erde modern sollten! War sein Schwur nicht begreiflich?

Und es kam, wie er geschworen hatte. Mit Mord und Menschenschlachtung wurde er aus Mexiko hinausgejagt, mit Belagerung und Hungertod kam er zurück.

Es wäre besser gewesen, wenn Popocatepell Mexiko und die ganze Hochebene unter einer Aschenschicht begraben hätte, als daß das geschah, was in den Straßen von Mexiko gesehen wurde, als es zu Ende ging, als die Mütter wieder verzehrten, was sie dem Leben gegeben hatten, und Vitzliputzlis Priester im Hungerwahnsinn, als die letzte Klapperschlange verzehrt war, sich gegenseitig verstohlen anblickten – nein, keine Hoffnung mehr, es war ja nichts Eßbares mehr an ihnen, nur abgezehrte lebende Leichen waren sie, die sich mit den letzten Kräften zur Aasgrube schleppten, um dort auf ihren Gesichtern zu verenden.

So weit treibt eine Untat die andere.

 

Beim Morgengrauen fand noch ein letztes Opfer auf der Plattform mit den herabgebrannten rauchenden Türmen statt, nachdem Vitzliputzlis Bild mit großer Mühe in Raserei und Triumph alle Stufen heraufgeschleppt worden war, von Hunderten von Männern, wie ein Schwarm leidenschaftlicher Ameisen um eine Kohlraupe, und seinen Platz wieder eingenommen hatte, etwas beschädigt, ein Loch im Kopf, alle Edelsteine und aller Putz zerbrochen oder verloren, aber doch noch Vitzliputzli, der alte. Man zitterte, daß er für seine Mißhandlung Rache nehmen würde – aber hatte man ihn nicht schon genug gerächt? Mexiko war gereinigt, was hatte er für seltene große Opfer erhalten, – und jetzt sollte er das letzte und beste bekommen, den Gott der weißen Fremden!

Gerade vor Sonnenaufgang fand das seltsame Opfer statt; das hohe lebensgroße Kruzifix, das die Spanier auf dem Platz vor dem Palast errichtet hatten, wo sie Gäste gewesen waren und wo man sie ausgewiesen hatte, wurde in feierlicher Prozession alle Treppen hinauf, rings um den Tempel herum, zur Plattform getragen.

Hierauf konfrontierte man die beiden Götter miteinander. Man überließ sie eine geraume Weile sich selbst, während sogar die Priester von der Plattform auf die nächste Stufe zurückwichen, und Tausende von Mexikanern, die die übrigen Terrassen füllten, noch wahnsinnig nach dem nächtlichen Mordrausch, schweigend, wie rasendes Vieh glotzte.

Ja, ja, mochten die Götter sich betrachten und etwas sagen, sie hatten sich sicher allerhand zu erzählen, von ihren Passionen, ihren Eindrücken von den Menschen seit tausend Jahren und dergleichen. Die Götter aber blieben stumm.

Es war, als verständigten sie sich durch eine Sprache, die vor aller Augen beim Morgengrauen ausgebreitet lag: die Erde mit Leichen bedeckt, das halbe Pueblo eingestürzt wie Bäckeröfen nach einem Steinregen, rauchende schwarze Überreste des Zimmerwerks aus wohlriechendem Zedernholz, das jetzt nur stinkenden Brandgeruch von sich gab, der Tempel von der obersten bis zur untersten Stufe mit Blut und toten Körpern überschwemmt, ein Berg von Leichen, der See bis weit hinaus rot gefärbt, roher Blutdunst auf der Erde, bis über die Spitze des Tempels.

Unter der ungeheuren Trommel liegt der Trommelschläger tot, er ist vor Raserei geplatzt, nachdem er die ganze Nacht wie ein Teufel um die Trommel des letzten Gerichts herumgetanzt hat, brüllend, in einem Orkan seines eigenen Haares, nackt, die Glieder wie aus rotglühendem Kupfer; jetzt ist er abgekühlt, liegt gekrümmt auf seinem Knüppel, wie ein Mann aus Asche.

Sonnenaufgang! Stille! Weit und breit glotzen Land und Berge in der dünnen Hochlandluft, die Ringe des Himmels und der Erde treffen sich in der Ferne. Popocatepetls Rauch steigt zum Morgenhimmel hinauf, er ist heute nicht schwarz, sondern weiß.

Stille! Die Götter stehen sich Aug in Aug gegenüber. Sie rühren sich nicht. Vitzliputzli breit, kurzhalsig, ein Loch in der Stirn, ohne Nase, nicht wenig beschädigt, aber doch noch ein Block. Der weiße Gott stumm und steif an seinem Kreuz, in ewiger Agonie, der Mensch, wie er sich selbst gebettet hat.

Da steckten sie das Kruzifix in Brand, und als das Auge der Sonne über den Himmelsrand stieg, verbrannte es, indem es ein blasses Feuer kerzengrade in die Luft sandte.

Vitzliputzli aber sollte bald wieder die ganze Reise die Treppen hinuntermachen, und diesmal sollte er mit dem Kopf nach unten zwischen Ruinen und Schutt eingegraben liegen bleiben, bis einst die Nachwelt ihn fand und ihm einen Platz mit einem Zettel in einem Museum gab, ein Stück monströser Skulptur, zum Entzücken derjenigen, die ihren eigenen Genius in den Fetischen der Neger wiederfinden, im übrigen aber die häßliche Form für einen Alpdruck, aus dem die Menschheit erwacht ist. Wo der Tempel stand, steht jetzt Mexikos Domkirche; wenn nicht mehr in Furcht gemacht werden kann, wird in Gefühl gemacht.

Eine schimmernd weiße Schneekuppel aber füllt Popocatepetls erloschenen Krater.


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