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Hofmannsthal: Cristinas Heimreise

Hofmannsthal weiß selber und er sagt es auch diesmal wieder: daß es ein andres ist, ob man etwas tut, und ein andres, ob man davon redet. Seine Buchkomödie hat er getan; von seiner Bühnenkomödie hat er geredet. Man sehe diese sechs Bilder an einem Abend, und man lese die drei Akte am nächsten Morgen. Sie füllen die Bühne nicht. Ihr Schritt reicht nicht hinüber, weil sie in jedes schwebende Schrittchen, in jede ihrer wiegenden Bewegungen, aber nicht minder in jede regungslose Stellung so ehrlich selbstverliebt sind, daß sie sich nur mit Widerstreben davon trennen. Was fröhlich, schwerlos, beschwingt und anmutig geträumt war und an dem willigen Leser vorüberfliegt, bekommt auf diese Weise selbst für den willigsten Zuschauer Zentnergewicht. Es lastet unerbittlich und um so unerbittlicher, als es dazu noch literarisch und literarhistorisch fest verankert ist. Hofmannsthal hat auch zu diesem Lustspiel schrecklich viel gelesen. Sein Venedig am Ende des achtzehnten Jahrhunderts ist so bleich, so auffallend karg und dünn geraten, weil er sich nicht auf das verlassen zu dürfen glaubte, was feine glücklichen Augen je gesehen. Es ist ein Teilchen von Venedig, wie Hofmannsthal es sich aus Goldonis Komödien und Casanovas Memoiren möglichst zeitgetreu herstellen wollte und doch nicht recht zeitgetreu herstellen konnte, weil er ja auch diese Werke mit seinen gegenwärtigen Sinnen aufnehmen mußte. Immerhin macht dieses Teilchen von Venedig nur ein Teilchen der Dichtung aus und obendrein das erste: die nächsten Bilder geben Cristinas Heimreise von Venedig über Ceneda nach Capodiponte oder von der Ahnungslosigkeit über den Irrtum zur Wahrheit. Vielleicht ist das die Komödie.

Cristina fährt selbstverständlich mit der Postkutsche. Aber auch Hofmannsthal gelangt mit seinen Postkutschenmitteln zu keinem andern als einem Postkutschenziel. Er spricht mit der überströmenden Beredsamkeit, die wir aus seinen Dramen wie aus seinen kritischen Schriften kennen, unaufhörlich von den zwei Welten der Liebe, von der Welt der gaukelnden Falter und der Welt der beharrenden Kachelöfen, und führt zwar nicht die eine ad absurdum und die andre zum Triumph, gibt aber so demonstrativ der bürgerlichen Zuverlässigkeit das letzte Wort, daß man das bei einem überlegten Künstler wie ihm als eine Art Glaubensbekenntnis wird auffassen können. Wie steht Florindo, der Cristina in Venedig verlockt, in Ceneda verführt und vor Capodiponte verlassen hat, am Ende da? Er ist die jüngere Ausgabe des Abenteurers aus Hofmannsthals frühem Versspiel und noch in hohem Maße fähig, von Begierde zu Genuß zu taumeln und im Genuß nach der Begierde zu verschmachten. Er unterscheidet sich von seinem ältern Vetter dadurch, daß er nicht viel im Kopfe zu haben braucht, weil seine Männlichkeit für jeden Mangel aufkommt, und man erschrickt ein bischen, wenn er plötzlich Weisheit predigt, die denn auch mehr des Dichters als Florindos Weisheit ist und von Florindo nur geäußert, aber nicht befolgt wird. Vor Zeiten war es Schnitzlers Weisheit. Professor Wegrath und sein Felix blicken aus umfriedetem Bezirk auf Julian Fichtner und den Herrn von Sala, die ihr Egoismus zu der Straße der Verlassenheit verurteilt hat. Genau so sieht Cristina, die sich, nach dem Rausch, zu einem angejahrten Kapitän gerettet hat, an seiner breiten Brust geborgen, auf Florindo und sein Schicksal. Die Situation ist wahr, und die Stimmung, ein Gemisch von Trotz und Wehmut, rührt. Cristina versteht und verzeiht, lächelt tapfer über die Vergangenheit, fügt sich ruhig in die Gegenwart und erwartet wenig von der Zukunft. Leider weiß sie ihren Zustand auch zu pointieren. Wer bei Schnitzler so etwas vermag, der ist zumeist ein Dichter und von Hause aus geschaffen, sich druckreif auszudrücken. Hofmannsthal will durch die Eindringlichkeit seiner Formulierungen, die über Stand und Bildung der Figuren weit hinausgeht, nach Möglichkeit wieder gut machen, daß der Rückzug seines Lebenslust-Spiels auf das Gelände einer philiströsen Selbstbescheidung, wo nicht für ihn, so doch für uns eine größere Überraschung ist, als die dramatische Ökonomie verträgt. Weil er nicht überzeugen kann, hofft er zu überreden. Es wäre uns wertvoll und nötig, zum mindesten überredet zu werden, wenn die Geschichte der heimreisenden Cristina wirklich Hofmannsthals Komödie wäre. Sie ist es nicht.

Die Komödie selbst ist kaum geschrieben. Was auf der Bühne steht, ist, noch einmal, umständlich, dickflüssig und vielfach langweilig. Aber bei uns liegt das Feinste und Schönste zwischen den Wörtern, sagt der alte Kapitän, der das freilich weder sagen noch auch nur empfinden wird. Für die Komödie hat er Recht. Was sie zum Kunstwerk macht, ist nicht ihre Struktur, sondern ihr Ambiante, nicht ihr Gewicht, sondern ihre Leichtigkeit, nicht ein Inhalt, der sich erzählen ließe, sondern eine Musik, die nicht nachzuweisen ist. Sie tönt wie von Silberglöckchen aus den Szenen, in denen überhaupt nichts vorgeht. Wenn im Gasthaus zu Ceneda an der Wirtstafel der fremde alte Herr eingeschlafen ist und die junge Unbekannte – die bei Florindo Cristinas Nachfolgerin sein wird – den Kopf in die Hand gestützt, traurig ins Leere starrt; wenn im Nebenzimmer der glückliche Florindo zur Geige singt und die Dienerschaft nicht zur Ruhe kommen läßt; wenn der Aufbruch erfolgt ist, Cristina in ihrem Zimmer die erste und, was sie nicht weiß, auch einzige Nacht mit dem Geliebten heranwartet und dieser noch mit dem Kapitän und seinem Diener Punsch trinkt, sein Herz entlädt, sich an seinen Worten berauscht und den Duft der Stunde in ein paar Sätzen fängt: so ruht freilich über alledem eine menschliche Zartheit und eine artistische Noblesse, die schwerer wiegt als eine kompakte Handlung mit musterhaftem Knochenbau und vorschriftsmäßigem Bühnentritt. Weil das der Komödie abgeht, wird man sie nicht durchsetzen können. Aber man muß, wie der Dichter, in sie verliebt sein und muß wünschen, in sie verliebt zu machen. Sie stammt von einem Deutschen und gleißt in den südlichsten Farben. Sie ist ein Monstrum, ist zweihundertzwanzig Seiten oder vier Theaterstunden lang, kommt nicht vom Fleck und hat doch keine Spur von Fett. Sie befaßt sich mit einfachen Seelen – auch Florindo ist ein Don Juan, wie er nicht primitiver zu denken wäre – und da ist es nicht weiter erstaunlich, daß Hofmannsthal ihre Sprechweise häufig verfehlt. Aber wie echt und innig sind die Beziehungen, die er zwischen diesen Seelen herstellt! Zu dem guten alten Kapitän Tomaso gehört wie sein Schatten ein halbmalayischer Bedienter, Muley Hassans redlicherer Sprößling, den sein schwarzes Blut zu den absonderlichsten Sprüngen peitscht, und dem die Komiken des Stücks zur Hälfte aufgetragen sind. Sein Herz ist besser als seine Komik, die sich schnell erschöpft und am Ende nur noch fast verdrießlich tröpfelt. Dieser Pedro ist Tomasos Kurwenal, wie Pasca die Brangäne der Cristina ist, und es scheint ganz in der Ordnung, daß aus beiden, wie aus Marke und Isolde, schließlich auch ein Pärchen wird. Tristan bleibt allein oder wird doch immer wieder schleunigst einsam. Das humoristische Gegenstück zu diesem fanatischen Frauenfreund Florindo ist der fanatische Menschenfeind von Hausknecht, auf dem die stärkere Hälfte Hofmannsthalscher Komik ruht. Die Komik dieses Kerls lebt nämlich nicht blos von Verhunzungen der deutschen Sprache, sondern von einer galligen Weltanschauung, und weil er Episode ist, ermüdet er uns nicht.

Aber hätte uns denn die Komödie überhaupt ermüden müssen? Man gebe Bahrs ›Konzert‹ von Anfang bis zu Ende, und es fällt, nicht bei uns, wohl aber bei der Menge, durch. Brahm hat, nach seinem eigenen Wort, ein ›Streichkonzert‹ daraus gemacht, und der Erfolg hat ihn bestätigt und belohnt. ›Cristinas Heimreise‹ brauchte keinen schwächern Erfolg zu haben. Es durfte nur nicht so wie Wagner in Bayreuth behandelt werden. Es durfte nur, bei solchem Mangel an Massivität, nicht in sechs umfängliche Bilder, sondern höchstens in vier zerteilt und um keinen Preis auf vier, sondern höchstens auf zwei Stunden ausgedehnt werden. Es ist schwer, anzunehmen, daß das Deutsche Theater, das an praktischen Köpfen schließlich nicht ärmer ist als jedes andre Theater, allein die Schuld an dem Irrtum trägt. Es wird wohl so gewesen sein, wie's meistens ist: daß der Dichter auch nicht eine Silbe hergeben wollte. Aber wenn man schon Reinhardt die Verantwortung für die Seitenzahl des Stückes, sogar des gespielten Stückes abzunehmen bereit ist, so ist man doch verpflichtet, ihm das Tempo der Aufführung vorzuwerfen. Ein Regisseur wie Reinhardt wird sich in eine Komödie wie diese noch schneller und gründlicher verlieben als ein Kritiker. Aber ist es nötig und erlaubt, sie deshalb auch zu zelebrieren? Gerade weil der Dichter sie um nichts erleichtert hatte, mußte sie auf Zehenspitzen huschen. Auf der Bühne des Deutschen Theaters klebte sie förmlich fest. Das Ergebnis waren Genrebilder von der Kleinmalerei, die sich der Undramatiker Hofmannsthal gedacht haben mag, die ihm aber ein Theatermann verweigern mußte, weil sie den Gesetzen des Theaters Hohn spricht. Es kam die begreifliche Selbstsucht einiger Schauspieler hinzu, die merkten, daß auch die andern Faktoren der Aufführung sich Zeit ließen, die darum so behaglich wie möglich an ihren Rollen herumbastelten, trotzdem aber zum Glück, mit den übrigen, die Verpflichtung fühlten, einen ganzen Menschen mit seinem Klima, seiner Vergangenheit und womöglich noch seiner Zukunft darzustellen. So entstanden fünf Gestaltungen, die nur lebhafter aufeinander eingespielt zu werden brauchen, um auch die Absicht der Komödie, nicht blos jeder einzelnen Figur zu erfüllen. Mir sind diese fünf Gestaltungen beinahe gleich lieb. Herr Arnold als Hausknecht ist wie ein leibhaftiger Molch, der sich in ein Igelfell gewickelt hat, und Herr Schildkraut hat die Rasse und den Witz für seinen schwerverliebten Muley Hassan. Die drei andern wirken ebenso für sich wie als Kontraste. Der zarte Moissi und der mächtige Diegelmann, und die blonde Heims und der dunkle Moissi: das sind von vornherein malerische Werte, aus denen aber auch schauspielerische Werte werden, weil Diegelmann den unnachahmlich wahren Ton der mannhaften Biederkeit für seinen Kapitän im dicken Halse hat, weil die Heims Cristinas seelenvolle Reinheit im ersten und ihre still und rasch entschlossene Überlegenheit im letzten Drittel ohne Mühe trifft, und weil Moissi mit seiner Grazie, seinem Blick und immer wieder seiner Stimme nicht allein Cristinas Willen lähmt.


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