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Schiller: Die Räuber

»Dies Stück ist kein Theaterstück. Nehme ich das Schießen, Sengen, Brennen und dergleichen hinweg, so ist es für die Bühne ermüdend und schwer.« Das hat von den ›Räubern‹ Schiller selbst gesagt. Es kann immer nur für schlechte Bühnen wahr gewesen sein. Nie aber ist es weniger wahr gewesen als am zehnten Januar 1908. Da saßen wir fünf Stunden zitternd, glühend und unersättlich, wie am ersten Tag, vor diesem Drama. Dem Dichter, selbstverständlich, zum mindesten den halben Dank. Nur daß eben doch ein Kerl wie Reinhardt nötig war, um uns die zeitgebundenen Teile zu beleben und mit den ewig gültigen auf einen Ton zu stimmen. Für diesen Ton gabs keine Wahl. Es mußte der Ton der Jugend sein, der überschwänglich tobenden, himmelhoch jauchzenden, anarchisch kühnen Jugend aller fruchtbaren Epochen. Er umbrauste uns an jenem Abend mit der Gewalt von Donnerhall und Schwertgeklirr; und wenn jetzt die Arbeit auch dieser Vorstellung, wie jeder andern, sich prüfen und in ihren Einzelheiten bewerten lassen wird, so wäre es gleichwohl verkehrt, daraus zu schließen, daß Arbeit irgend sichtbar war.

Die Szenen, die sich da in schnellster Aufeinanderfolge abrollen, entstammen wesentlich der ersten Fassung. Die zweite hat Reinhardt einzig für den vierten Akt herangezogen. Der Vorteil ist, daß Hermann eine Art Entwicklung hat. Dafür muß manches fallen, was wohl nicht nur für mich mit unvergänglichen schauspielerischen Erlebnissen verknüpft ist. Es mag fallen; denn wen möchte einer, der Matkowsky sah, noch die väterliche Erde küssen sehen? Das Gesamtbild tritt jedenfalls in vollem Glanz heraus. Es ist, trotz allem Glanz, mit ungeheurer Sachlichkeit gemalt. Um ihretwillen werden sogar erlaubte Effekte verschmäht. Wie herrlich die Sonne dort untergeht! heißts an der Donau. Jeder Regisseur gießt hier ein violettes Glühlicht auf die Waldlandschaft und auf den beichtenden Kosinsky. Bei Reinhardt hat den Sonnenuntergang die Phantasie zu leisten. Bei ihm gibts keinen Abweg von dem einen Ziel: den beiden gleichen Hälften dieser ›Räuber‹, der gräflich atheistischen und der revolutionären Banditen-Tragödie, zu gleichem Recht zu helfen.

Schloß Moor wird ganz lebendig. Dieser konventionell-langweilige Tummelplatz eines hilflosen Theatergreises und der bedauernswertesten Sentimentalen hat hier schon szenisch Farbe, Stimmung und fast so etwas wie Geschichte. Das unwohnliche Wohngemach, hinter dem sich von links und rechts die Bildergalerie entlangzieht, und von dessen Mitteltür ein schmaler Gang in Franzens Zimmer läuft; dieses Zimmer, das mit unheimlichem Gerät die Sinnesart seines Besitzers kündet; des alten Moor rotausgeschlagener Ruheraum, der in seiner Enge und dank dem altertümlichen Klavier ein Ort der Kunst und der Behaglichkeit sein könnte: an allen diesen Stätten hausen leibhafte Menschenkinder. Herr Schildkraut hat als alter Moor zum Glück nicht den gebrechlich-breiigen Gemütston, in dem sämtliche Besonderheiten untergehen. Wenn Schillers Drama wider die Tyrannen loszieht: einer von ihnen wird wohl dieser alte Moor sein. So ist es auch gewiß gemeint, weil ohne eigenes Verschulden und ohne Angst vor der Vergeltung der Graf nicht derart schnell den plumpsten Verdächtigungen Glauben schenken würde. Herr Schildkraut vereinigt Sicherheit der Haltung, leichte Beschränktheit, Herzensgüte und einen Rest von Jähzorn zu einer Studie, die seit dem Shylock zum ersten Mal wieder seinen alten Ruf rechtfertigt. Den hergebrachten Jammermann würde der Schreck ja wirklich töten. Unsrer wird erst durch den Hungerturm gebrochen und hat für diesen Zustand onomatopoetische Tierlaute, die um so mehr ergreifen, als man ihn kurz vorher noch mit Verständnis und Genuß Amalias Gesang hat lauschen sehen. Dieser meist fortgelassene Gesang ist auch eins von den Mitteln, durch die sowohl die Zeit wie die bestimmte Sphäre des Hauses Moor vergegenwärtigt wird. Fräulein Höflich übt ihn erst am Klavier und dann zur Laute und ist kunstlos genug, um keiner zünftigen Sängerin zu gleichen, kunstvoll genug, um unsern Ohren eben so wohl zu tun, wie sie den Augen immer wohltut. Den alten Moor hat vor Herrn Schildkraut Mitterwurzer schon gerettet; Amalia von Edelreich hat schwerlich je zuvor so menschenähnlich ausgesehen und geschrien. Wenn dies herzhafte Edelfräulein Hermann, mein Rabe, liebt, so ist es einmal nicht der Gegensatz, der anzieht. Auch Herr von Winterstein befreit seine Figur aus der Schablone. Blind, wie er vor Rachsucht aus verschmähter Liebe ist, und ohne die Fähigkeit geistiger Selbstkontrolle läßt er sich übertölpeln. Das wird mit leisen Strichen so glaubhaft gemacht, wie irgend möglich ist. Aber schon mitten in der hergeleierten Zweckrede überkommt ihn sichtlich Reue, die eine erzieherische Wirkung für ihn hat. In jener eingeschobenen Szene des vierten Akts, wo sich, nach Schillers Wort, die beiden Schurken aneinander zerschlagen, wird der Schurke Hermann nur zerschlagen, um noch ein Mann zu werden. Herr von Winterstein, der sich jetzt überhaupt langsam zu finden scheint, hat hier diejenige entschlossene Rauheit, die Hoffnungen für Hermanns Zukunft weckt. Am ersten Abend folgte das Einschiebsel derjenigen Szene, wo der alte Daniel den Räuber Moor erkennt. Da Hans Pagay dieser treue Schaffner war, kann man sich denken, welche Perspektive patriarchalischen Verhältnisses vom Herrn zum Diener sich damit ergab. So kam eins zum andern, um Schloß Moor von allen Seiten zu beleuchten. Um es aber nicht für sich allein bestehen zu lassen, um Fäden auch ins zugehörige Dorf zu spinnen, hatte man ausnahmsweise Pastor Moser aufgeboten: Herr Steinrück wetterte aus Leibeskräften, wie um zugleich den Ärger loszuwerden, daß er nicht Franzens Rolle spielen durfte.

Der Franz des zweiten Abends war am ersten Abend Spiegelberg. Herr Moissi sprüht von Komödienfreude und überträgt sie mühelos auf Partner wie auf Publikum. Sein Spiegelberg schillert in tausend Lichtern und hat ein Tempo der Zunge und eine Beweglichkeit der Glieder, daß die Bühne selbst zu tanzen scheint. Dieses Lümpchen ist ganz gewiß aus einem edlen Haus. Man wäre gar nicht überrascht, ihn plötzlich Kosinskys Vergangenheit als seine eigene zum besten geben zu hören: so rassig und kulturvoll wirkt diese farbenfröhliche Romanenkunst. Noch in den spätern kleinen Szenen und in den kürzesten Repliken ist jedes Wort von bezwingender Macht: um wieviel mehr die Aufreizung zum Räubertum. Es war am zweiten Abend nachzuprüfen, daß der gewaltige Premiereneindruck der Libertinerszene dem Spiegelberg von Moissi zuzuschreiben war. Der plebejischere und doch nicht komischere Gaunertypus von Herrn Biensfeldt kann ihn im geringsten nicht ersetzen. Das ist der eine Grund, warum es bei der ursprünglichen Gruppierung bleiben sollte. Der zweite Grund ist, daß im andern Fall Herr Moissi und nicht mehr Paul Wegener Franz ist. Der Franz von Moissi ist, losgelöst von der Figur des Dichters, durchaus nicht ohne Reiz. Sich selbst den Schillerschen Steckbrief auszustellen, hätte er keinen Anlaß; er läßt ihn weg. Die Fahlheit des magern Gesichts, das Grinsen des dünnen Mundes, ein unsicherer Blick aus kleinen Augen, der schleifende Gang der eingeknickten Beine: das reicht aus, um ihn auch ohne Hottentottenmaul von seiner Schönheit unbefriedigt sein zu lassen. Aber bei weitem mehr noch als der Körper wird die Seele der Gestalt gemildert, und hierin scheint mir doch die Grenze überschritten. Dieser Franz Moor hat Charme. Er konversiert berückend, um uns die Wirkung auf den Vater zu erklären, und hat uns unversehens selbst berückt. Das ist die Kanaille? Das ist ein netter, von Haus aus gutartiger Bursche, zu dem es gar nicht paßt, wenn er nach einem alten Mann mit Füßen tritt, der kindisch schmollt, wo er Skorpion sein sollte, und den man gern zärtlich und hilfreich streicheln möchte, sobald das unverdiente Schicksal ihn ereilt. Da ist Paul Wegeners Franz von anderm Schlag. Zu dem faßt man kein Herz. Der regelrechte Wüterich, mit rotem Schopf, mit breiter Fresse und einer Gallenfarbe, bei deren Anblick man selbst gelbsüchtig werden kann. Wegener ist der Ansicht, daß Franz Moor, bei dessen Gestaltung Schiller, nach seinem eigenen Bekenntnis, den Menschen überhüpft hat, menschlich gar nicht zu erklären ist, und weist ihn drum ins Reich der Unzurechnungsfähigkeit. Dafür ist er mit Mitterwurzer totgeschlagen worden. Zu Unrecht: denn selbst wenn ich mich nicht ziemlich deutlich an dessen Franz erinnerte, würde ich ihm von seinem Biographen eine mentale Abnormität nachgesagt finden, die beinah schon ins Irrenhaus gehöre. Auch Wegener entwirft ein Krankheitsbild, dem, bei allen pathologischen Kinkerlitzchen, ein großer Zug ins Wüste nicht gut abzusprechen ist. Das Unglück ist nur, daß die Bühne andern Kunstgesetzen unterliegt als Malerei und Plastik. Grell, graß und kreischend, ein Plakat, illuminiert und fresko, steht dieser Franz auf Anhieb da. Fünf Dramenakte aber leben von Bewegung, von Abwechslung, von Steigerung. Wegener, ein bischen trocken, glanzlos, undurchsichtig, bleibt dieses alles leider schuldig. Gleichwohl ist ein beängstigender Kulissenstürmer nicht allein Schillerscher als Moissis sanfter Knabe, sondern auch glücklicher im Stil der Aufführung und, namentlich, in seinem Übermaß ein Ausgleich zu Herrn Oscar Beregis allzu maßvollem Karl. Mehr freilich wäre diesen: Karl nicht vorzuwerfen. Er ist kein Ungeheuer. Die flammend ungestüme Gesetzlosigkeit des Räuberhauptmanns ist ihm nicht gerade zuzutrauen. Aber es ist eine Tugend, daß er sie auch nicht forciert. Ihm genügts, ein Mensch zu sein: ein lyrisch-sentimentaler, weltschmerzlich angehauchter, dabei doch feurig starker, edler, schöner Mensch; nur eben gar kein Titanide.

Jetzt glaubt es oder glaubt es nicht: daß weder Franz noch Karl uns ganz befriedigt, tut der Gewalt von Reinhardts Leistung keinen Abbruch. Ihm heißt das Drama nicht nach einem von den Mooren, sondern schlechtweg: Die Räuber. Auch hier sind Einzelheiten leicht zu kritisieren. Schweizer könnte jünger, Roller saftiger, Kosinsky hingerissener sein. Was tuts! Die Masse lebt in wunderbarer Glut. Gesellen wie Spiegelberg und Schufterle verschwinden in der Schar der Gutgesinnten. Sie hausen Tag und Nacht in einem Wald, der gar nicht aufzuhören scheint. Man blickt in dunkle Tiefen. In den Wipfeln sitzen Wachen. Sie geben Zeichen, da Roller im Triumph empfangen werden soll. Von allen Seiten taucht es raunend und rufend auf und ballt sich rasch zusammen. Dann wälzt sichs wie ein mächtiger Leib vom Berg herab und jubelt wie aus einer Riesenkehle. Man muß an sich halten, um nicht begeistert mitzuschreien. Das Räuberlied in sonst im schlechten Sinn Theater: Wenn ich nicht irre, hörten wir geübte Stimmen Chorus singen. Bei Reinhardt ist es ein Naturereignis, das den Zusammenhang dieser rebellischen Gesellschaft mit Erde, Baum und Himmel, mit Wind und Mond und Sonne malt. In ihrem stürmisch jungen Pantheismus liegt das Geheimnis dieser Vorstellung. Man ist vom Zug und Fluß und Wurf und Schwung der Sache mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele hingenommen.


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