Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Greiner: Der Liebeskönig

Der Maßstab ist alles. Wer in die rechte Hand Shakespeare und in die linke Hebbel nimmt, der kann fast die ganze deutsche Dramatik der letzten fünfzig Jahre kurz und klein schlagen. Ohne Zweifel. Aber er verdiente dann nichts andres, als selber mit Lessing und Aristoteles totgeschlagen zu werden. Leben und leben lassen, was auch nur ein Stämmchen zu werden verspricht. Die tötende Lauge bleibe für die Schmarotzerpflanzen. In einem Theatermonat, der hintereinander Schönthan und Sudermann, Sardou und Blumenthal, Georg Engel und Jon Lehmann gebracht hat, müßte der unverrückbare Weltenabstand zwischen solchen Stümpern oder Falschmünzern und dem erfolglosen Ringen eines Leo Greiner zum mindesten durch den Ton literarischer Achtung anerkannt werden. Sogar daran hat man es diesmal fehlen lassen. Aber was sind wir wert und nütze, wenn wir einen so fundamentalen Unterschied nicht mehr sehen und sichtbar machen? Mit welchem Recht fordern wir von den Dramatikern die intimste individuelle Charakteristik, wenn wir für den verunglückten Handwerker und den verunglückten Dichter nur dieselbe Sorte von parodistisch höhnendem Witz haben?

›Der Liebeskönig‹ ist verunglückt, und Leo Greiner ist ein Dichter. Dieses wird schwerer zu beweisen sein als jenes. Die Fehler des Dramas sind zahllos wie die Kinder Kunhards des Fruchtbaren. Wladimir von Polen, der Liebeskönig, ist Richard der Dritte, Arnold Kramer und Hamlet zugleich geworden. Der Stofflichkeit, beileibe nicht dem Wert nach. Von Richard dem Dritten hat er die Häßlichkeit. Ein Knäuel Glieder, mit einem unbekannten Fluch beladen. Den Richard macht das zu einem heroischen Bösewicht, der droht und befiehlt, tötet und bezwingt; Wladimir bettelt und dient, meuchelt und unterliegt. Richard ist ein Mann, Wladimir ein Weib. Der Mann handelt, das Weib leidet. Das hat für das Drama verschiedene Folgen: der handelnde Mann fesselt dadurch, daß er handelt, und durch das, was er vollführt, durch sein Wesen und durch seine Taten; das leidende Weib in Mannesgestalt stößt ab durch seine Naturwidrigkeit und langweilt durch die Unveränderlichkeit seines Leidens. Shakespeare ist darum für fünf Akte überreich versehen, Greiner ist mit dem ersten Aufzug fertig: sobald er nämlich erzählt hat, wie Wladimir zwei Jahre lang, als Frau Venus verkleidet, auf Geheiß der Kaisertochter Isabella durch die Lande gezogen ist; und sobald er gezeigt hat, wie sie den König trotz seinem Opfer oder vielmehr gerade wegen seiner Selbsterniedrigung verschmäht … Das alles wird hier nicht festgestellt, um wider die Abrede mit dem Größten einen Kleineren zu erschlagen, sondern um den Kleineren zu belehren, der für die eigene Produktion die häufig überlegen gehandhabte Theorie selbst in ihren Grundzügen vergessen zu haben scheint. Greiner weiß nur so viel, daß er bereits zum zweiten Aufzug Stoffzufuhr nötig hat. Zu Richard dem Dritten gesellt sich Arnold Kramer, zum siegreichen Prototyp der Häßlichkeit der gottgeschlagene Märtyrer seiner Brunst. Wieder hat Greiner einen entscheidenden Fehler begangen. Nicht etwa, den man ihm vorgeworfen hat: daß Wladimir, der um seiner verzehrenden Liebe zu Isabella willen die Liebesnacht der verlockendsten Sultanstochter ausgeschlagen hat, daß dieser König kurz darauf um die Straßendirne Marianne wirbt. Das ist gar kein Widerspruch. Inzwischen hat Isabella ihn ja verraten, mit Schmach bedeckt und seine Liebe zu der Einen in Haß und Trotz und in unbezähmbare Gier nach dem Weib als Geschlecht verwandelt. Das ist ganz logisch und überzeugend durchgeführt. Das Unglück liegt tiefer. Damit Brunst als aesthetisches Motiv erträglich wird, muß der Brünstige was mehr als brünstig sein. Er braucht kein Schlachtenheld zu sein wie Richard; er kann ein Künstler sein wie Arnold Kramer. Seine Künstlerschaft braucht nicht durch greifbare Leistungen bezeugt zu werden; der Glaube an sie kann von dem leuchtenden Vertrauen eines Vaters wie Michael Kramer auf uns überstrahlen und wird es tun, sobald die Beseelungsmacht eines Gerhart Hauptmann dahintersteht. Leo Greiner sah ein, daß dergleichen für seinen Liebeskönig geschehen müsse. Er trachtete ihn also zum Denker zu machen. Zum Grübler und Wahrheitssucher. Was gäb' nicht Wladimir für eine Stunde Blindheit! Denn sein Verhängnis ist, wie durch Glas im Innern des Menschen Kräfte und Triebe zu erkennen. Er ist ein Gottverwandter und sieht und weiß zuviel, als daß er handeln könnte. Hamlet der Pole. Warum nicht? Hier war der schmale Weg, uns diesen seltsamen König, wie spät auch immer, nahezurücken. Greiner ist seitab geraten. Wofern es ihm zu schwierig war, seinen Wladimir indirekt, durch Spiegelung und Widerspiegelung, zu charakterisieren, mochte er ihn immerhin reden, über sich und die Welt reden lassen, so viel er wollte. Hamlet redet auch fortwährend. Ich muß nicht daran erinnert werden, daß dabei die innere Handlung unaufhaltsam weiter schreitet, die sich hier längst in Wohlgefallen aufgelöst hat. Ich will vielmehr darauf hinaus, daß Hamlets Worte zu seiner Tatenlosigkeit und zu den Geschehnissen des Dramas stimmen. Bei Wladimir stimmen sie nicht. Was die Charakteristik retten und unsern Anteil wecken soll, des Liebeskönigs Denkertum, wird durch das Ereignis des letzten Aufzugs ad absurdum geführt. Wenn es wirklich Wladimirs Schicksal ist, sich und den Leuten bis ins Herz zu schauen, so kann es ihn unmöglich zu Tode überraschen und erschüttern, von seiner Frau Marianne, der frühern Dirne, zu hören, daß sie ihn ohne Liebe einst genommen hat. Ein Denker und Wahrheitsucher, wie er, der sich nicht nur bewußt ist, sondern es ausspricht, daß einer sich an der Natur versündigt, der um ein Weib statt seines Mannestums sein Königtum ausspielt, ahnt und erwartet auch die Rache der betrogenen Natur. Es gäbe eine Rettung: Wladimir für eine Spielart Hjalmar Ekdals anzusehen, der das gerade Gegenteil von dem ist, als den er selber sich charakterisiert. Dafür fehlt hier jeder Anhalt und jede Andeutung. Aber es wäre ja auch nur eine logische, keine künstlerische Rettung. Es würde die Figur nicht wertvoller machen. Es bleibt also nichts übrig, als den wortreichen Grübler am Ende aller Enden für einen Dummerjan zu nehmen, und damit ist die Gestalt des Liebeskönigs und das Drama ›Der Liebeskönig‹ unheilbar geköpft.

siehe Bildunterschrift

Emil Orlik: Das Wintermärchen. Böhmen

So könnte man fortfahren. So könnte man der Reihe nach alle andern Figuren, ihre Meinungen, Handlungen, Unterlassungen messen und zu klein, zu schwach befinden. Man könnte fragen, warum im Munde dieser Menschen, deren Gedanken doch unablässig um die Aktionen der niedern Minne kreisen, jeder derbe Ausdruck verletzt, und könnte antworten, daß er vielmehr im Munde des Dichters verletzt, zu dessen Geistigkeit seine Sinnlichkeit wunderlich schlecht paßt. Es ist aber wichtiger, endlich zu der Verheißung dieses Dramas zu kommen. »Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.« Leo Greiner hat, bei aller Intelligenz, Chaos in sich. Dramen, so reich an Verirrung und Verwirrung, schreiben nur, die etwas sind und mehr zu werden versprechen. Sich ein umgrenztes Thema zu stellen und es mit Erfolg gradlinig nach allen Richtungen zu durchschreiten, ist unrühmlicher, als die ganze Welt umfassen zu wollen und nichts von ihr festzuhalten. Greiner möchte den Hebbel auf den Grabbe, den Wedekind auf den Sturm und Drang türmen, möchte das Urdrama des Geschlechts schaffen, in dem alle andern enthalten sind, und verliert sich aus Überfülle ins Leere. Aber in dieser Leere blitzen immer wieder Genialitäten auf, sei es des szenischen Einfalls, sei es der Dialogwendung, die aus einem geheimnisvollen Gefühlsgrund stammen. Könnte Greiner seine Klugheit vergessen und geriete er an einen dramatisch möglichen Menschen und eine Handlung, die für diesen charakteristisch wäre, so müßte man ihn wahrscheinlich als Auch Einen begrüßen. Ein Drama wie der ›Liebeskönig‹ kann uns nicht weiterführen. Aber es, mit all seinen fressenden Schäden, dargestellt zu sehen, wird seinen Dichter weiterführen, und so wollen wir uns der Aufführung dennoch freuen.

Es war nicht am förderlichsten, daß für den mehr denkenden als gestaltenden Leo Greiner zwei Köpfe wie die Damen Durieux und Eysoldt eintraten. Um so stärker wirkte der neue Mann Paul Wegener, der dasselbe Gesicht wie die beiden einander so ähnlichen Frauen und allem Anschein nach weit mehr Natur hat. Es war auch nur intelligent, daß er dem König jede Haltung und Hoheit nahm, weil diese imstande gewesen wären, über seine Schreckensfratze obzusiegen. Aber es verriet eine mächtige Kraft, wie er das lebensunfähige Stück sicher durch alle Fährnisse trug.


 << zurück weiter >>