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Vollmoeller: Catherina Gräfin von Armagnac und ihre beiden Liebhaber

›Catherina Gräfin von Armagnac und ihre beiden Liebhaber‹. Vollmoeller überläßt es uns, eine Gattungsbezeichnung für seine Dichtung zu suchen. Man könnte sie eine dramatische Ballade oder ein Balladendrama nennen, wenn sie etwa in der Mitte aufhörte. Ein Mann erfährt von der Untreue seines Weibes und tötet den Ehebrecher. Das ist, nebenbei gesagt, der ganze Vorgang eines so mustergültigen Balladendramas wie der Hauptmannschen ›Elga‹. Vollmoeller aber beseitigt den Liebhaber – nicht um ein Ende, sondern um eigentlich erst den Anfang zu machen. Er führt einen zweiten Liebhaber ein und verlegt den entscheidenden dramatischen Kampf in die Seele der Frau, die zwischen den beiden Jünglingen, dem toten und dem lebendigen, schwankt. Er schafft damit eine Gefühlswirrnis, die weit über das Wesen der gradlinigen Ballade hinausgeht. Was geschieht in Catherina? Jehan von Orleans, den sie zur Nacht erwartet, droht am Tor der Burg der Tod. Sie weiß nur eine Rettung. Der Ritter Tristan hat seit Monden, harrend von des Morgens Lichte bis zu Abends Schein, der Gräfin seine Leidenschaft gezeigt. Sie lockt ihn zu sich und will ihm für sein Leben einmal ihre Liebe geben. Tristan von Toggenburg küßt ihre Hand. Er fürchtet, wenn dies Höchste ihm geworden … und geht den Pfeilen in dem Augenblick entgegen, wo Raoul von Armagnac der Gräfin bereits das Haupt des Prinzen Jehan bringt. Tristan kehrt unversehrt zurück. Seine zarte Inbrunst hat Catherina tief gerührt. Es gab schon vorher Augenblicke, wo sie den andern fast vergaß. Jetzt läßt sie sich von Tristans Liebeswerben einlullen und – zugleich erwecken. Ja, tragt mich! seufzt die Träumende. Tristan, verlaßt mich! ruft die Wache und hat Besonnenheit genug, ihm glaubhaft vorzutäuschen, daß sie folgen wird. Er geht voll Hoffnung, und sie springt, mitsamt dem Haupt des Prinzen, in den Tod.

Man müßte erschüttert sein. Eine tragische Verkettung von Umständen, die zwei Menschen das Leben kostet und zwei andre nicht glücklicher macht. Alle vier wären jeder Teilnahme würdig: der alternde Graf Armagnac, den Ehrbegriff und Liebeswut und Rachegier wie Furien hetzen; der süße Prinz von Orleans, der wie ein räudiger Hund von niedern Knechten hingemeuchelt wird; Tristan de l'Orme, der zu lang im Traum zu Füßen seiner ›Herrin‹ lag und, da er erhört wird, sich gelähmt fühlt; Catherina endlich, für die nicht minder Liebe des großen Tods Gefährte ist, in letzten Gründen beide gleich und eins. Die Romantik des Mittelalters in ihrer Mischung von verruchter Grausamkeit und sensitiver Schwärmerei wird durch und um die vier lebendig. Das Kolorit der Zeit nimmt uns mit seiner Pracht gefangen. So kennerisch entzückt blickt man auf einen Gobelin. Ein Drama soll was mehr. Vollmoeller hat das Drama geahnt. Bei dieser Konstellation, bei diesen wuchtigen Gegensätzen zwischen den Menschen und in den Menschen selber war das nicht schwer. Aber er hat es mit lyrischen Mitteln zu fassen und zu gestalten gesucht. Lyrik ist auch im Drama nötig und gut an ihrem Ort. Die Luft war neu. Die Sträucher dufteten. Er führte mich, die Zweige streiften leise, und Blüten fielen. Vögel rührten sich. Der Rasen war wie Samt. Ich schwebte auf. Mein Blut sang heiß in fremden Melodien – – Er legte seine Hand auf meine Brüste … Das ist dramatisch erlaubte und eindrucksvolle Lyrik. Sie charakterisiert Catherina und ihren Geliebten als überschwängliche Naturen und führt uns weiter, wenn auch nur weiter in die Vergangenheit zurück. In jedem Fall ist hier Bewegung. Nach dieser Exposition aber hätte das Drama selber zu beginnen. Die Konstellation brauchte nur ausgenutzt zu werden. Vollmoeller setzt entschlossen an. Die Schläge prasseln. Katastrophe folgt auf Katastrophe. Man sollte meinen, daß der Dichter von dem Tempo seiner eigenen Fabel mitgerissen werden müßte. Aber er hält stand. Er besinnt sich auf seine dichtenden Zeitgenossen in ganz Europa und erinnert uns abwechselnd an d'Annunzio und Maeterlinck und Wilde und Hofmannsthal und George. Ein lyrischer Wolkenbruch tritt ein. Mit Versen sind alle Wege überschwemmt, die zu dramatischen Wirkungen führen könnten. Es sind Verse von jeglicher Art: flammende und sanfte, dunkelglühende und rauschende, geschmäcklerische und wahrhaft erlesene. Man möchte als Leser wenige missen, auch nicht die nachempfundenen. Auf der Bühne könnten und müßten selbst die originalsten fallen. Tristan wird Geograph und schweift auf Flügeln des Gesanges um den Erdball, zu den entlegenen Häfen im goldnen Archipel, in der Levante, im Marmormeer, am Horne von Byzanz, bei den Lagunen, auf der blauen Zante. Catherina wird Philosophin und forscht nach den Zusammenhängen dieses Lebens, glaubt endlich klar zu schauen, wie durch des Zufälligen verwirrt Geflecht die vorbestimmten geraden Bahnen laufen des tiefern Willens. So grauenhaft abstrakt kann dieses köstliche Gefäß voll Liebe werden. Man sieht am Ende mit Gleichmut auf sie und auf ihr und ihrer Liebhaber Schicksal. Bei Balzac, Vollmoellers Vorgänger, war dieser Gleichmut ein verständnisinniges Lächeln. Dort steckt die Gräfin den zweiten Mann in einen Kasten, und als der Gatte mit dem blutigen Haupt des ersten kommt, ist Eva innerlich bereits im Land der neuen Leidenschaft. Ein Gleichnis voll Humor. Vollmoeller gibt einen Einzelfall mit einer sengenden, doch kühlen Glut. Es zeugt von seltener Kunstfertigkeit, wie dieser lyrische Eklektiker von erstem Rang ein dramenähnliches Gebilde zugehämmert hat. Aber das Ergebnis einer solchen Tätigkeit kann allenfalls ein Schmuck, nie eine Macht in unseren Leben werden.

Für die Kammerspiele ist die Tatsache der Aufführung rühmlicher als die Bühnenleistung. Ein umstrittener Autor wie Vollmoeller mußte endlich einmal gespielt werden: aber er mußte besser gespielt werden. Hier war wieder ein Fall, wo Regie und Darstellung die Aufgabe hatten, für den Dichter zu denken. Je langsamer er vorwärts schlich, desto eiliger hatte ihr Lauf zu sein. Da war es schon äußerlich vom Übel, daß die drei Bilder, die engstens zu einander gehören, weil dieser Dreiakter ja eigentlich ein einziger Akt ist, durch gähnende Zeitabstände getrennt waren. Aber das wäre wahrscheinlich leichter zu ertragen gewesen, wenn es auf der Bühne vollmoellerischer zugegangen wäre. Wie Catherina und ihr Tristan beschaffen sind, sollte eher sie aus Welschland, er aus Deutschland herzustammen scheinen. Hier wars umgekehrt. Lucie Höflich war ganz deutsch. Dies Bildnis ist bezaubernd schön, konnte man im ersten Akte schwärmen. Aber auch innen lebte eine schaffende Gewalt, die aus dieser Catherina, wenn schon niemals eine Renaissancegestalt, so doch ein Lebewesen von Fleisch und Blut machte. Im dritten Akt erlahmte offensichtlich mit der Kraft die Lust. Hier reichte, für eine gewagte Seelenanalyse königlichen Stils, die robuste Blondheit und gesunde Nüchternheit der Höflich nicht hin und nicht her. Mit ihr versagte, wider die Erwartung, Alexander Moissi. Der war doch sonst kein schlechter Sprecher? Hier blieb alles tonlos, und Vollmoellers ohnehin gefährdeter Schlußakt versank. Es ist mir zweifelhaft, ob ihm, bei seinem antidramatischen Charakter, die beste Darstellung wesentlich nützen würde. Aber es ist unzweifelhaft, daß ihm diese Darstellung wesentlich geschadet hat.

siehe Bildunterschrift

Emil Orlik: Die Räuber. Das Schlafzimmer des alten Moor

siehe Bildunterschrift

Carl Czeschka: König Lear. In Cornwalls Haus


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