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Siebzehn

Grüneichen, am 30. Juni

Nun werden wohl die Leute Achtung vor mir bekommen, ich bin volle siebenzehn Jahre. Wer es nicht glauben will, sehe sich nur die riesige Geburtstagstorte an, auf der die Zahl 17 prangt. Die Brüder schrieben, daß sie jetzt mit Achtung zu mir aufschauen; Vater hat versprochen, mich jetzt nicht mehr Gänseblümchen zu nennen, und Mutter sagte mir zu meiner großen Freude, ich habe ihr in der letzten Zeit so tapfer geholfen, daß sie beinahe Sophie nicht mehr vermißt habe. Das freut mich am meisten, denn wenn Sophie später verheiratet ist, muß ich ganz an ihre Stelle treten. Ich will meinen Eltern eine recht treue Stütze werden und sie, wenn sie alt sind, hegen und pflegen. Ich habe Mutter schon versprochen, wenn sie alt ist und graue Haare bekommt, darf sie nichts mehr tun, da soll sie den ganzen Tag im Lehnstuhl sitzen, und ich besorge die Hauswirtschaft allein.

Die jungen Mädchen des Dorfes, die Mutter mitunter Sonntag nachmittags um sich sammelt, um etwas Gutes mit ihnen zu lesen, brachten mir schöne Blumen und Kränze. Mutter Krusen hatte mir ein Paar feine Strümpfe gestrickt, Friedchen kam mit einem großen Kringel aus dem Wirtschaftshaus, und mein alter Freund, der Melker, der geschickt im Binsenflechten ist, brachte mir ein zierliches Körbchen, das er selbst angefertigt hatte. Der Gärtner hatte Blumen geschickt, die den Geburtstagstisch zierten, auf dem viele schöne und wertvolle Gaben von den Eltern lagen. Gundchen hatte eine mühsame Stickerei fertig gemacht und dazu die Stunden benutzt, die sie jetzt ohne mich zubringen muß, wenn ich in der Wirtschaft tätig bin. Fräulein Gretchen endlich hatte mir ein hübsches Bild gemalt und mit den kleinen Schwestern allerliebste Klavierstücke eingeübt, die am Nachmittage zum besten gegeben wurden. Dazu war ein herrlicher Sommertag, der Garten stand in schönster Blütenpracht, und mein Herz war fröhlich und guter Dinge.

Mit Frau Pfarrer, Emmy und den jüngeren Geschwistern haben wir im Garten unter der großen Linde beim Hause Kaffee getrunken; wir haben viel von Otto und Sophie gesprochen. Otto ist bald mit seiner zweiten Prüfung fertig, dann kann er schon eine Pfarre bekommen. Frau Pfarrer ist sehr glücklich über ihre Schwiegertochter, die eine so praktische, fleißige Frau zu werden verspricht. Wir lasen ihr einen Brief von Sophie vor. Sophie beschreibt darin das Leben in der Pension, erzählt, daß sie selbst sich glücklich fühlt, und daß sie Tante Eva sehr liebgewonnen hat. Sie bewohnen ein Landhaus, das in einem großen Garten liegt, in dem die jungen Mädchen sich in den Freistunden nach Herzenslust tummeln dürfen. Sophie hat viel zu tun, und kann noch manches lernen, was ihr für ihren künftigen Haushalt sehr zustatten kommt. Musik wird dort viel getrieben, in den Abendstunden hat auch Sophie Zeit zum Musizieren und muß oft vorspielen.

Mutter sagt, sie freue sich für Sophie, daß sie eine Zeitlang mit Tante Eva leben könne, es werde für ihr ganzes Leben von gutem Einfluß sein. Vielleicht darf ich Vater, wenn er im Herbst Sophie abholt, begleiten, darauf freue ich mich schon jetzt. Gundchen spricht viel davon, daß sie ihren Onkel besuchen will. Er hat eine große Amtswohnung in der Nähe des Gymnasiums und einen schönen Garten. Natürlich werden wir sie nicht allein fahren lassen, es steht also viel Schönes in Aussicht.

Von den jungen Mädchen aus der Stadt, mit denen ich das Kränzchen zusammen hatte, sind schöne Postkarten gekommen. Wir haben uns nämlich unsere Geburtstage untereinander gesagt und uns das Versprechen gegeben, daß wir uns beglückwünschen wollen. Ein Geburtstag ist doch etwas Schönes. Man wird von jedem freundlich angesehen und beglückwünscht und trägt den ganzen Tag ein festliches Gefühl mit sich herum.

Abends spät, als die Gäste uns verlassen hatten, saßen Gundchen und ich in der Freundschaftslaube. Es war ein stiller, warmer Abend. Der Mond lächelte mild und freundlich auf uns nieder, und wir bauten Luftschlösser für die Zukunft. Die guten Eltern gingen auch noch im Garten spazieren und setzten sich dann ein Weilchen zu uns. Erst gegen elf Uhr gingen wir hinauf. Eigentlich hätte ich gleich zur Ruhe gehen müssen, aber ich verspürte große Lust, den heutigen Tag und seine freundlichen Erlebnisse ins Tagebuch einzuzeichnen. Gott der Herr wolle mich behüten und mich immer mehr zu seinem Kinde machen, damit ich ihm zur Ehre und meinen Eltern zur Freude lebe. Darum will ich ihn bitten am Schluß dieses Tages.

 


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