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Sophiens Geburtstag

am 18. April

Eigentlich sollte ich auch schlafen gehen, denn wenn die Eltern wüßten, daß ich jetzt noch sitze und schreibe, würden sie gewiß böse. Aber ich habe so sehr viel Schönes und Wichtiges zu berichten, wenn ich es nicht gleich eintrage, bleiben die Eindrücke nicht so frisch; ich könnte auch manches vergessen.

Das Osterfest verlief sehr schön. Wir fuhren an beiden Feiertagen zur Kirche, doch wunderte ich mich, daß nicht unsere ganze Familie, wie es sonst üblich war, im Pfarrhaus vorsprach, sondern nur die Eltern einen kurzen Besuch machten. Als ich Mutter meine Verwunderung darüber aussprach, lächelte sie und sagte nichts.

Am zweiten Osternachmittag war großes Eierverstecken im Park. Dazu wurden zehn Kinder aus dem Dorf geholt, und meine kleinen Schwestern wie auch Gundchen und ich beteiligten uns mit großem Vergnügen am Suchen. Sophie hatte die Eier teils bunt gefärbt, teils hübsch bemalt; sie versteht alles so gut, ich wollte, ich wäre so brauchbar wie sie. Der Jubel der Kinder war groß, Gundchen, die so etwas zum ersten Male erlebte, rief immer: »Hier ist es doch viel schöner als in der Stadt«, und ich freue mich, daß es ihr so gut bei uns gefällt. Wir sind dem lieben Gott so dankbar, daß er uns schönes Wetter schenkt, denn das Wetter tut viel zur Sache.

Am Abend vor Sophiens Geburtstag hatten wir noch viel zu rüsten. Die Schwestern holten Blumen und Grünes aus dem Garten, und Gundchen und ich wanden zwei schöne Kränze. Einen Kuchen hatte ich unter Mutters Aufsicht schon am Sonnabendmorgen gebacken, er war sehr schön geraten. Am Dienstag war ich schon zeitig auf. Da – um sechs Uhr kam ein Bote aus Holzenau und brachte einen Blumenkorb mit Rosen und Veilchen. Ich lief zu Sophie, die schon im Eßzimmer tätig war, und rief: »Es sind wunderschöne Blumen aus Holzenau gekommen.«

Sie wurde ganz rot vor Freude und sah so hübsch und glücklich aus an ihrem Geburtstagsmorgen, auch umarmte sie mich ein über das andere Mal. Ich half ihr recht schön und ging dann zu Mutter, die den Geburtstagstisch schmückte.

»Heute müssen wir alles doppelt schön machen«, sagte sie, und als ich mich eben wundere, warum Mutter das sagt und ein bedeutungsvolles Gesicht dazu macht, öffnet sich die Tür, Otto kommt auf Mutter zu, begrüßt sie und sagt: »Liebe Mutter, wo ist Sophie?«

Sie deutet stumm nach der Tür, da ist er schon wieder hinaus. Nun nimmt Mutter mich in ihre Arme mit den Worten: »Du sollst die erste sein von Sophiens Geschwistern, die es erfährt: Sophie ist seit Montag vor acht Tagen Braut, sie hat sich mit Otto verlobt.«

Statt mich zu freuen, fing ich an zu weinen, war es Rührung oder Schreck, ich weiß es nicht. Mutter streichelte mir die Wangen und sagte: »Aber, Gänseblümchen, über so etwas weint man doch nicht.«

Da nahm ich mich zusammen, trocknete meine Tränen und sagte: »Wo ist es denn?«

»Was?« fragte Mutter.

»Das Brautpaar!«

»Hier«, rief eine kräftige Stimme, »hier ist es, liebe Schwägerin«, und plötzlich fühlte ich meine beiden kleinen Hände in Ottos großer Hand, und als ich aufsah, hatte er Sophie umschlungen und sagte: »Die gehört nun mir, und heute wird Verlobung gefeiert.«

Das war ein Wort, das zündete. Verlobung feiern sollte etwas sehr Schönes sein, ich hatte schon oft davon gehört, bei uns war es noch nicht vorgekommen. Mein erster Gedanke war: »Das mußt du Gundchen mitteilen!« Ich stürzte in ihr Schlafzimmer und weckte sie.

»Gundchen, schnell heraus, heute wird bei uns Verlobung gefeiert!« Noch schlaftrunken richtete sie sich auf und fragte: »Deine?«

»Unsinn, Sophiens!«

»Ich denke, sie hat Geburtstag?«

»Sie hat beides, Geburtstag und einen Verlobten.«

»Geburtstag und einen Verlobten?« wiederholte Gundchen ungläubig, ihr kam das Ganze ebenso wunderbar vor wie mir. Sie stand sofort auf. Ich half ihr beim Ankleiden und wir staunten nur, wie das alles so schnell gekommen war.

Eben stürmten die kleinen Schwestern uns entgegen. »Schnell, schnell!« riefen sie, »es ist etwas geschehen. Etwas ganz Großartiges! Sophie und Otto haben sich verlobt!«

Ich sagte ganz ruhig, wir wüßten alles, worauf sie uns ganz verdutzt ansahen. Matthias und Christian standen verlegen unten an der Treppe. »Nun«, rief ich, »habt ihr das Brautpaar schon gesehen?«

»Nein«, sagte Matthias, und Christian fügte hinzu: »Was soll das überhaupt, gerade jetzt, da wir Kaffee trinken wollen.«

So hatte jeder seine besonderen Ansichten darüber. Wir Geschwister gingen miteinander ins Musikzimmer, in dem vor dem Morgenkaffee die Andacht gehalten wird. Dort standen die Eltern mit dem Brautpaar. Wir wünschten nun alle Glück, auch die Brüder stotterten einige verlegene Worte; sie lieben solche feierliche Anläße nicht und sahen erlöst aus, als die Mutter ans Klavier ging und wir unser Geburtstagslied: »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren«, anstimmten. Als wir später beim Kaffee saßen, erklärte Vater, der heutige Tag sei ein doppelter Feiertag und solle würdig gefeiert werden.

»Ja«, rief Otto, »laßt Sophie und mich den ganzen Tag allein Spazierengehen, das ist die beste Feier für uns.«

»Das glaube ich, du selbstsüchtiger Mensch«, war Vaters Antwort. »Nein, wir wollen alle etwas von eurer Verlobung haben.«

»Ich scherze ja nur, lieber Vater. Ich weiß ja, daß ihr das ganze Pfarrhaus eingeladen habt. Sophie und ich freuen uns, den heutigen schönen Tag mit unseren Familien, denen wir so großen Dank schuldig sind, feiern zu dürfen.«

Ich stieß Gundchen an. »Das ganze Pfarrhaus«, flüsterte ich ihr zu, »das wird fein.«

Sophie sagte zu Otto, eine Stunde vor Mittag müsse er sie beurlauben, dann gäbe es viel zu tun, worauf Mutter sagte, Sophie habe heute gar nichts zu tun, Friedchen sei in der Küche und außerdem gäbe es Leute genug, die für alles sorgen würden. Was aber sonst zu tun sei, dafür habe sie hier zwei Schnelläufer, die gern bereit seien, zu helfen und zu dienen. Wir wußten, wen Mutter meinte, und nickten ihr beistimmend zu.

Gegen Mittag fuhr unser großer Familienomnibus ab, um Pastors zu holen. Als der Wagen schwerbeladen zurückkam, gab es große Freude. Die Mädchen waren alle in großer Aufregung über die Verlobung.

»Wir sind nun mit euch verwandt, Annchen«, rief Emmy, während ihre Schwestern mit Thildchen und Olga den Verwandtschaftsgrad berechneten. Matthias und Christian gingen mit den kleinen Jungen los; sie hatten versprochen, sie bestens zu unterhalten.

Bei Tisch ging es sehr festlich zu. Es war im großen Saal gedeckt, das beste Geschirr und Silber prangte auf der Tafel, dazwischen schöne Blumen. Trinksprüche wurden ausgebracht auf das Brautpaar und die beiderseitigen Eltern, auch uns Geschwister ließ man leben. Es hat mir sehr gefallen. Am Schluß verkündete Vater, daß ein Gang nach dem Wald unternommen und der Kaffee im Häuschen am See getrunken werden solle.

Es war eine fröhliche Gesellschaft, die dahin wanderte. Das Brautpaar voran mit so schnellen Schritten, daß wir bald aufgaben, sie einzuholen. Wir drei jungen Mädchen folgten, gelobten uns aufs neue ewige Freundschaft. Die Schwestern waren mit Freundinnen und Puppenwagen weit zurück, aber wir wußten, sie würden auch ans Ziel kommen; die Brüder liefen hin und her, wie Jungen es zu machen pflegen. Die Eltern folgten in gemessenem Schritt und begaben sich gleich ins Häuschen, während das Brautpaar stracks in den Wald hineingelaufen war. Thildchen und Olga verschwanden mit Puppen und Freundinnen ebenfalls im Häuschen, die Jungen zogen es vor, den Wald zu durchstreifen.

»Was machen wir, Gundchen?« fragte ich. »Bist du sehr müde oder wollen wir auch in den Wald?«

Sie entschied sich für den Wald, und obwohl es noch kahl war und erst wenig grüne Blättchen sichtbar, so gab es doch Blumen, wilde Veilchen und Anemonen; die Sonne schien so warm, und die Vöglein sangen und zwitscherten.

»Wenn Kurt dies alles erlebt hätte!« sagte Gundchen auf einmal.

»Er hat es schöner als wir«, tröstete ich die Freundin, »im Himmel ist immerwährender Frühling, alles ist licht und herrlich, golden glänzen die Gassen in der Gottesstadt.«

»Du kannst mich so gut trösten, Annchen«, sagte sie, »aber Sehnsucht habe ich doch nach ihm, das kannst du begreifen.«

Ja, gewiß kann ich begreifen, daß Gundchen oft an den verstorbenen Bruder denkt, der ihr so viel war. Aber ihr Schmerz ist doch milder geworden, sie wird hier mehr abgezogen von den traurigen Gedanken, das fröhliche Leben bei uns übt einen wohltuenden Einfluß aus.

Da ertönte vom Häuschen her eine große Glocke. Vater, der immer kluge Gedanken hat, hatte sie mitgenommen, um die ganze Gesellschaft zum Kaffee zusammenzuläuten. Wir fanden das Verandazimmer höchst behaglich eingerichtet. In der Mitte befand sich ein großer Tisch, mit einem weißen Tuch darüber, darauf standen Geburtstags- und Verlobungskuchen. Ein paar riesige Kaffeekannen waren bereit, sich ihres Inhalts zu entledigen. Tassen waren in Menge gedeckt, und um den Tisch herum standen Stühle, die der gute Vater hatte herbringen lassen.

Vater stand mit dem Herrn Pfarrer auf der Veranda, Mutter zeigte seiner Frau den kleinen Garten, der das Haus umgab und Emmy hatte sich eben zu ihnen gesellt. Gundchen und ich standen allein im Verandazimmer und warteten auf das Kommen der übrigen Gäste, denn wir hatten großen Kaffeedurst; da klopfte es. Welcher Fremdling konnte hier eindringen? Ich eilte an die Tür und öffnete. Ein wohlbekannter Herr stand an der Tür.

»Onkel Ulrich!« rief ich, da stürzte Gundchen herbei und umschlang den Onkel. Zu mir sagte er nur in einem kühlen Ton: »Onkel? Bin ich denn Ihr Onkel?«

Ich stotterte verlegen, er möge entschuldigen, ich habe es mir nur Gundchens wegen angewöhnt, worauf er mir freundlich lächelnd die Hand bot und sagte, es sei schon gut, er sei ja auch Gundchens Onkel, daran ließe sich nichts ändern. Ich habe aber gemerkt, daß er durchaus nicht mag, wenn andere, deren Onkel er gar nicht ist, ihn so nennen. Ich werde mich künftig hüten und habe mir vorgenommen, auch wenn ich mit Gundchen von ihm spreche, immer Herr Doktor Schwarz zu sagen. Vater war sehr überrascht und erfreut, Herrn Doktor Schwarz zu sehen, ebenso Mutter, auch Herr und Frau Pfarrer freuten sich, seine Bekanntschaft zu machen.

»Ich muß mich doch einmal nach meinem Nichtchen umsehen«, meinte er, »und außerdem möchte ich von Ihnen, Frau Maria, einen Rat haben. Doch das hat Zeit bis morgen, wenn Sie mich einige Tage behalten möchten.

»So lange Sie Lust haben, lieber Herr Doktor«, rief Mutter. »Wir üben gerne Gastfreundschaft.«

»Ich hörte, als ich auf dem Gut ankam, daß hier heute ein Fest gefeiert wird, ich muß um Entschuldigung bitten, daß ich ungebeten hereinfalle.«

Die Eltern versicherten, daß sie sich beide sehr freuten, Herrn Doktor Schwarz wiederzusehen, und luden ihn freundlich ein, Platz zu nehmen.

»Es ist doch eigentlich ein herrlicher Gedanke, hier Kaffee zu trinken«, ließ sich Frau Pfarrer vernehmen, »wer hat denn den glücklichen Einfall gehabt?«

Vater zeigte auf uns beide. »Dort sitzen die Krabben, die es ausgeheckt haben«, sagte er.

»Dann müssen wir alle den jungen Mädchen unsern Dank sagen«, äußerte Herr Pfarrer.

Onkel Ul– Herr Doktor Schwarz sah auch zu uns herüber und sagte: »Gundchen, es scheint mir, du hast es hier sehr gut.« Sich dann zur Mutter wendend äußerte er: »Sie sieht bedeutend besser aus als im Winter in der Stadt. Wir sind Ihnen großen Dank schuldig, Frau Maria.«

Mutter lehnte dies bescheiden ab und erklärte, sie habe Gundchen sehr gern da.

»Für sie ist es jedenfalls das beste«, meinte Doktor Schwarz, und dann wurde viel anderes besprochen; Herr Pfarrer und Herr Doktor schienen Gefallen aneinander zu finden. Als wir später im Freien waren, gingen die beiden immer zusammen, während Vater sich zum Brautpaar gesellte, und Mutter und Frau Pfarrer viel miteinander zu bereden hatten. Gundchen und ich waren sehr froh, daß der Onkel gekommen war; es ist immer so – gemütlich, wenn er da ist. Heute ist er nun das erstemal in Grüneichen. Ob es ihm hier wohl gefallen wird?

Jetzt höre ich meinen Vater kommen. Wenn er merkt, daß ich noch Licht habe, wird er böse werden. Darum will ich schnell Schluß machen. Ein andermal mehr.

 


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