Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das achtundzwanzigste Kapitel

Wie ich durch mein Streben nach der höheren Bildung in eine mißliche Lage geraten bin. Wie die übel bekannten Lästerzungen das gedreht haben

Hab ich das um den Bengel verdient, daß er seinen alten Großoheim gegen dies Linien- und Winkelgestell von Mathematikus unrecht behalten läßt?

In einer Schülerverbindung abgefaßt! Und dieser grüne Junge, dieser Hans Vornimstall wahrhaftig der Senior! Er soll seinen Großoheim kennen lernen!

Ist das Sitte bei uns Brinkmeyers, daß man sich mit Schimpf und Schande von der Schule jagen läßt?

Hat mich doch so aufgeregt, daß ich auf der linken Körperseite ganz hülflos geworden bin. Muß nun ein Kerl, der sich mit Hops und Stoppelhar herumgeschlagen hat, wie ein dreijähriges Kindlein in sein Bababettchen gebracht und am andern Morgen, ziemlich unnützerweise, wieder angezogen werden.

Dieser Tölpel! Ein Lehrerkollegium! Ich 433 hätte sollen in seiner Stelle sein! Er soll mich kennen lernen!

Trifft sich gut, daß ich mich dieser Tage damit beschäftigt habe, mein Testament aufzusetzen. Er soll sich umkucken!

Aber ich lasse mich doch nicht unterkriegen. Wenn ich sollte auf der rechten Seite auch noch gelähmt werden, so werde ich von meinem Schmerzenslager aus diktieren, damit der Haupt- und Glanzteil dieses Berichtes nicht ungeschrieben bleibt, die Rettung und der Ruhm meines Namens, die Beschämung und unermeßliche Blamage meiner Verleumder.

Da ich aber grade in der rechten Stimmung bin, will ich hier eine Angelegenheit vorweg behandeln, die der Zeit nach in den zweiten Teil gehört, und zwar in die spätere Hälfte. Sie würde übrigens da auch den großen Zug nach oben einigermaßen störend unterbrechen.

Allerdings werde ich auch hier, wie eigentlich immer, so oft ich den rechten Weg verfehlt habe, dem unparteiischen Leser nicht nur als ein unschuldig von Dämonen in die Irre Geführter, sondern als ein grade durch seine edelsten Eigenschaften Verunglückter erscheinen.

Ich muß nämlich bemerken, nicht um mich zu rühmen, sondern weil es zum Verständnisse des Folgenden nötig ist, daß mein Vermögen mich nicht nur nicht veranlaßt hat, ein Schlaraffenleben zu führen, sondern mir stets als eine stille, aber eindringliche Mahnung erschienen ist, über 434 die berufliche Tätigkeit hinaus mich auf der Höhe der Kultur meiner Zeit zu erhalten.

Eben weil ich nun mein Geschäft so ausgedehnt hatte, daß es eine ganze Mannesarbeit erforderte, konnt ich nicht selbständig nachprüfen, ob der Dichter der Ballade von irgendeinem Siege eines Feldherrn namens Gattamelata wirklich den Gipfel unsrer Kultur bedeutete.

Da wir nun geziemend angepocht hatten, rief jemand im Zimmer: Warten!!

Urania meinte, er säße gewiß über seinem Buchstaben, woraus ich mir indessen kein rechtes Bild machen konnte.

Nach einigen Augenblicken rief eine Stimme, die aber nur ganz leise, wie aus einem hintern Zimmer zu hören war, herein. Als wir nun eingetreten waren, sahen wir uns nach allen Seiten um und selbst Urania war verdutzt, denn das Zimmer war leer. Da rief die Stimme: Tür zu! Was einigermaßen unheimlich klang, denn sie schien im Zimmer und doch wieder nicht im Zimmer zu sein. Wir kannten uns ja aber beide von früher her in der geheimen Dimension einigermaßen aus. So fürchteten wir uns nicht, ich machte die Tür zu und wir erwarteten unverzagt, was kommen würde.

Die Sache verlief denn auch soweit ungefährlich. Es öffnete sich nämlich von innen heraus die Tür eines Kleiderschrankes, in dem ein natürlicher Mensch sichtbar wurde. Ich schickte mich an, ihn als einen Einbrecher festzunehmen, Urania riß mich aber mit wahrem Entsetzen am 435 Rockschoße zurück, woraus ich schloß, daß der Kulturgipfel selbst im Schranke steckte. So half ich ihm auf das Liebreicheste beim Herausklettern, was sich auch als nötig erwies. Denn er hatte einen krummen Rücken und man merkte ihm überhaupt an, daß ihm das Ersteigen seiner Höhe ziemlich erschöpft hatte.

Nachdem er uns nun mitgeteilt hatte, daß der Kleiderschrank seine feste Burg vor dem durch das Oeffnen und Schließen der Stubentür entstehenden Sturmwinde sei, versucht er uns dahin aufzuklären, daß unser Ziel in nichts anderm bestehen könne, als die Verhältnisse bei uns einzuführen, die so ums Jahr 1400 herum in Italien geherrscht hätten. Ganz besonders nachahmungswert erschien ihm das Leben einer Sorte von Feldherren, die er Condottieren nannte, deren Burgen aber nach seinen Andeutungen nicht grade Kleiderschränke gewesen sind.

Es wollte mir indessen scheinen, als ob das Recht nicht immer auf der Seite der Condottieren gewesen wäre. Auch hätt ich ihm können mit Leichtigkeit beweisen, daß Italien sowohl ums Jahr 1400 herum, wie überhaupt, ein verlottertes und verkommenes Land gewesen ist, und daß unser Ziel nichts andres sein darf, als Einführung der deutschen Zustände ums Jahr 950 herum.

Da er aber als ein so gebrechliches Wesen vor mir hockte, mochte ich ihm das nicht antun.

Urania fragte, ob er heute schon seinen Buchstaben bewältigt hätte, was er aber einigermaßen 436 übel zu nehmen schien. Denn er meinte, es habe erst ein Uhr geschlagen, man schiene ihn für einen Dichter von der Sorte zu halten, die ihre hundert Verse auf einem Bein stehend herunterdichtete. Wer eine Ahnung von den Geburtswehen der großen Dichtung hätte, würde es nicht verwunderlich finden, daß zuweilen Wochen hingingen, ohne daß ihm die Stimmung anflöge, die den rechten Buchstaben erzeugte.

Nachdem Urania ihren Irrtum gebührend beklagt hatte, gab er ihr die Erlaubnis, daß sie mich heute abend mit in seinen Vortrag bringen durfte, der im geschlossenen Kreise stattfand und für die Person zwanzig Mark kostete.

Ich hörte unterwegs von Uranien, daß dieser Genius außer der Ballade von dem Siege des Gattamelata, an der er an einem Tage niemals mehr als einen Buchstaben schriebe, nichts gedichtet hätte und auch nichts dichten würde. Daß gerade dies das allerkultivierteste sei, mußt ich auf Treu und Glauben annehmen, da sie selbst noch nicht soweit vorgedrungen war. –

An diesem Nachmittage erfuhr ich das Schicksal eines andern Künstlers, das mir die Verschiedenheit in dem Erdenwallen des Genius auf das erschütterndste veranschaulichte.

Ich erging mich in den Anlagen der Stadt. Es war Juni und ich hatte den Mittag Ananaserdbeeren mit Schlagsahne gegessen.

Als ich mich nun ganz in die durch Uranien wachgerufenen Erinnerungen und in damit zusammenhängende Betrachtungen platonischen 437 Charakters verloren hatte, fühlt ich mich plötzlich infolge der Ananaserdbeeren mit Schlagsahne unliebsam in die rauhe Wirklichkeit gerissen.

Zum Glück hatte die Stadtverwaltung in der angenehmsten Weise für solche Zustände vorgesorgt. Es stand nun da angeschrieben, daß man sich wegen des Schlüssels an die Aufwartefrau wenden möge, die dafür einen Groschen zu fordern habe. Wer beschreibt aber meine Empfindungen, als die Frau, die mir gleich bekannt aussah, vor freudigem Erstaunen jenen Schlüssel zu Boden fallen ließ und sich als meine gute Jolanthe entpuppte!

Da drängten sich hundert Fragen auf die Lippen, die denn freilich für den Augenblick mußten zurückgestellt werden. Demnächst erfuhr ich von meiner alten Freundin, der Tränen der Rührung wie ein Bächlein in die Bluse liefen, was die Dulderin alles hatte müssen durchmachen. Das Band mit dem Genius war leider zerrissen. Von dem wohltätigen Zwange meiner Aufsicht entbunden, hatte er sich in seiner Kunst des Austrinkens der Eiskübel dergestalt vervollkommnet, daß er seine musikalischen Bestrebungen darüber einigermaßen vernachlässigt hatte. Da er nun auch seine genialische Leidenschaftlichkeit dem Major gegenüber nicht hatte bezahlen können, war ihm schließlich der Stuhl vor die Türe gesetzt worden. In dem Streite der Gefühle, der sich in dem empfindsamen Herzen Jolanthes erhob, hatte die Liebe zu der Stätte ihres Wirkens obgesiegt. Sie wußte nicht, was aus dem Genius geworden 438 war, den sie übrigens, widerspruchsvoll wie das tiefe Gefühl so oft ist, ihren herzallerliebsten Dreckaffen nannte. Als sie nun selbst hatte müssen wegen der höheren Lebensjahre ihrer Wirksamkeit doch schließlich entsagen, da hatte sich Urania ihrer auf das Liebreichste angenommen und der bewährten alten Freundin diese Stelle verschafft, die sie als eine einträgliche Sinekure bezeichnete.

Ich gab der Guten, so viel ich an barem Gelde eben entbehren konnte, und nahm mir vor, ihrer ferner zu gedenken, was denn auch geschehen ist.

So kam ich zu dem Vortrage in einer tragischen Erschütterung wegen der Ungewißheit und Rätselhaftigkeit des Menschenloses. Allein der Dichter ließ keine Trübsal aufkommen, sondern verlangte von uns, daß wir wegen der Morgenröte froh sein sollten, was er die hedonische Weltauffassung nannte, und was wir denn auch auf das bereitwilligste versuchten. Des ferneren verlangte er, wir sollten freie Menschen sein, und zwar sollte uns ein Stolz auf die Selbstbestimmung unsres Lebens, wolle heißen die Schönheit und Unverhülltheit unsrer Körper beglücken.

Hier nun erhob ich mich und führte in einer Gegenrede aus, dieser Stolz hätte sich nach der Schönheitlehre des Platon bei edeln Frauen über fünfundvierzig in eine bloße Idee zu vergeistigen, was Uranien dermaßen überwältigte, daß sie mit lautem Gekreisch in Ohnmacht fiel.

Da nun die Eingeweihten mir auf diese Höhe 439 nicht folgen konnten, ließ ich mich herbei, mich noch über folgendes Thema zu verbreiten: Eine ungewöhnliche Körperkraft, wie Beispiels halber diejenige, über welche der Redner selbst verfügt, wirkt, sofern sie sich weder verhüllt noch mäßigt, auf hedonische Naturen unerfreulich.

Der Vortrag packte mein Publikum so, daß es mir gelang, mich ohne jede, mir bekanntlich bis in den Tod verhaßte Ovation still zu entfernen; denn die Eingeweihten hatten die Sprache verloren.

Diese an sich doch recht belanglose Begebenheit nun hab ich nebst einigen an sich ziemlich ebenso nebensächlichen Erlebnissen aus früheren Jahren einem aus der hochachtbaren, sittsamen und von allen Tugenden gezierten Stammtischgesellschaft erzählt, deren Mitglied ich bis dahin gewesen bin. Der fand begreiflicherweise nichts an diesen Histörchen auszusetzen, als daß er sie nicht selbst erlebt hatte. Denn sie enthielten hoch romantische Erlebnisse, wie zum Beispiel Befreiung einer Prinzessin aus den Netzen intriganter Höflinge, Entlarvung eines internationalen Hochstaplers namens Cagliostro und ähnliches, was ich hier aus Bescheidenheit unerwähnt gelassen habe.

Auch die übrigen Herren der Gesellschaft nahmen den Bericht mit Entzücken auf, wie sie sich mir für gelegentliche Mitteilungen aus meinem und andrer Leute Leben immer dankbar gezeigt haben. Nun war – und ist – aber ein Staatsanwalt darunter, ein baumlanger Flaps, von dem 440 ich keine besondre Eigenschaft zu erwähnen wüßte, außer einer hartnäckigen Stuhlverstopfung. Der hetzte so lange, bis er mich alten Mann in der tiefsten Einsamkeit hatte. Daß er, der einzelne, eine ganze Gesellschaft erwachsener, äußerlich ernsthaft aussehender Männer dazu bringen konnte, ihre wahre Ueberzeugung zugunsten eines pharisäischen Muckertumes zu verleugnen, wird nur den wundernehmen, der sich über die Natur der allermeisten Menschen in einem beneidenswerten Irrtum befindet. Welche Natur sich ohne alles drum und dran mit einem Worte auf das Anschaulichste schildern läßt: Schafsnatur.

Ich könnte mich ja nun herrlich rächen, indem ich hier erzählte, was Freund Ix in Wahrheit sucht, wenn er sich aus Begeisterung für den Chorgesang zu jedem Sängerfest begibt, oder indem ich die Geschichte von Ypsilons Jugendfreund in Berlin zum besten gäbe, dessen vor zehn Jahren erfolgtes Ableben Freund Ypsilon seiner Frau noch heute Schonunghalber verschweigt. Könnte ich etwa nicht von jedem einzelnen ähnliches berichten?

Aber das sei ferne, daß ich mich durch eine so niedrige Rache mit diesen Kerlen auf eine Stufe setzte. Meine Rache sei ebenso edel, wie groß: Dies Buch!!

Ist mir auch nicht danach zu Sinne, mit Steinen auf andre Leute zu werfen, und wenn sie mir noch so wehe getan haben.

Sondern es lastet mir auf dem Herzen, wie 441 man doch sein halbes Leben hinter Schmetterlingen hergelaufen ist, statt seinen Acker zu bestellen, und wie die Schmetterlinge aussehen, wenn die bunten Flügel davon sind. Will man den Leuten die Vergänglichkeit recht beweglich vor Augen führen, soll man kein Totengerippe malen, sondern ein schönes Weib, eins von denen, die uns zu allen Totschlägen verlocken könnten, und dasselbige zwanzig bis dreißig Jahre später.

O jerum!

Auch jene höchst bemerkenswerten geistigen Waffen, die wir in grünender Jugend an schönen Weibern wahrnehmen und freigebig mit ängstlich bewundernden Benennungen bis zu dämonisch versehen, wo anders hätten sie ihren Wohnsitz als in unsrer eignen Phantasie oder in einem andern Zentrum unsres Gemütslebens!

Indessen muß ich als eingefleischter Platoniker doch wieder bekennen, daß man diese Dinge, je nach der Stimmung, auch anders ansehen kann. Ein schönes Weib ist und bleibt bei alledem eine höchst bemerkenswerte Erscheinung. Wenn ich um die Mittagstunde am Fenster sitze, tut es mir immer leid, daß man so selten eine sieht, die den Kenner voll befriedigt. Besonders fehlt es bei sonstigen Vorzügen gewöhnlich an einem schönen Gange, wie er mich an Urania, auch in ihren reifen Jahren, immer wieder mit einem wahrhaft platonischen Vergnügen erfüllt hat. 442

 

Da sei Gott vor, daß ich sie ließe Hand an mein Gehirn legen!

Mögen ihre Messer an alle Glieder setzen, aber nicht ans Gehirn. Wenn's das Herz wäre, ich ließ es hingehen. Aber das Gehirn, das edle Werkzeug unsres Geistes, das Gott sichtbarlich durch den Panzer des Schädels vor jedem Eingriffe hat wollen sicher stellen, das ist mir zu gut für modernen Chirurgenwitz. Eher wollt ich eines schlimmen Todes sterben, ehe daß ich solchem Frevel mein Leben verdanken möchte.

Nun aber, da es, wie sie behaupten, nicht gleich in den Tod gehen soll, sondern nur in ein immer widrigeres Leben, wär ich ein arger Tor, wenn ich dieser mir von Gott auferlegten Buße durch einen Frevel zu entgehen versuchte. Hätt es ja doch drüben dermaleinst nachzuholen. 443

 

Wenn's in den Tod ginge, was wär es denn weiter. Ich habe müssen so viel von meinem natürlichen Schlafe hergeben, daß mir der Schlummer bis zum Tage des jüngsten Gerichts gar nicht übel vorkommt.

Das war in den Zeiten, als ich außer der Ziegelei noch eine ganze Anzahl von Neubauten betrieb, wobei mir die zweijährige Maurerarbeit so gut zu statten kam. Da mußte mich mein alter Gudehus jeden Morgen um halb vier Uhr wecken, und wenn ich mich ja einmal um vier noch nicht erhoben hatte, kam der Alte wieder, klopfte mächtig und schalt: Dit is aber hüt' ne Slaperie!

Dann bracht ich die Bücher in Ordnung, eine Tasse Kaffee, und hinaus auf die Bauplätze.

War weiß Gott kein Herrenleben, aber es war Segen dabei, und war doch eine schöne Zeit. Allein das gehört in den zweiten Teil, den ich dieser Tage beginnen werde. Muß nur erst die Folgen des Aergers überwinden, den mir der Widerstand gegen diese Menschenzerschneider gemacht hat. 444

 

Mir ist so still, als wär ich, was ich sein sollte, ein Altenteiler, das Abendrot glänzte am Himmel und ich säße, wo ich sitzen sollte, auf der Bank vor unserm alten Hause, das Georg abgerissen hat, als ihm seines Bruders Geld zu Kopfe gestiegen war.

Kommt mir wunderlich vor, daß ich ihm deswegen Jahre lang gegrollt habe, da der Groll das alte Haus doch nicht konnte wieder aufbauen.

Schade ist's, daß man nicht noch einmal anfangen kann. Man ist doch, wenn man's im Alter bedenkt, wie ein scheu gewordenes Pferd durchs Leben gerannt, in blinder Hast und Wut. Man hat getobt und gerast gegen Menschen, die einem im Grunde gar nichts anhaben konnten, und hat nicht geahnt, wo das wahre Unheil eigentlich gesteckt hat.

Könnten alle neben mir sitzen auf der Bank im Abendrot, die mich im Leben geärgert haben. und wir könnten uns in aller Behaglichkeit über die alten Zeiten unterhalten, Mercado, Esperanto und wie sie heißen. Allenfalls auch die Haberkorn-Weiber. Ja selbst wenn ich dem Barbarossa da drüben begegnen sollte, werd ich ihm, glaub ich, mit aller seinem Range 445 zukommenden Rücksicht vorhalten, was ich ihm aufs Kerbholz schreiben muß, und seine Gegenrede geziemend anhören.

Mit dem Schulmeister Warnecke ist es freilich eine andre Sache. Wenn ich den im Jenseits wiederfinde, den werd ich mir langen. Du Hans Narr, werd ich ihm sagen, hattest du nichts besseres auf Erden zu tun, als meinen guten Eltern deine gottverdammten Flöhe ins Ohr zu setzen?

Am Arm werd ich ihn packen, wenn die unüberhörbare Posaune tönt, und wenn der Weltenrichter dann fragt, was mein Leben gefrommt habe, so werd ich sagen: Lieber Gott, das mußt du wissen. Denn bei meiner armen Seele, und wenn ich tausend Höllen verfallen sein sollte, ich weiß es nicht. Hätte aber der Fürwitz dieses hier nicht mein Leben gekreuzt, werd ich sagen, dann könnt ich Rede stehen, so gut wie jeder andre brave Bauersmann. 446

 

Diese Nacht saß ich in einem Kellergelaß. An den Wänden hingen Wappen und Zierrate, auf dem Tische standen Bierkrüge und Aschenbecher, alles in blau und weiß. Das Ganze erschien mir knabenhaft und doch verrucht. Um mich herum saßen pomphaft ernste Gestalten. Ich gehörte auch dazu. Niemand sprach ein Wort. Es lag eine große Hoffnungslosigkeit über uns.

Endlich stand einer auf, den ich bisher nicht gesehen hatte und sagte: Die von Kattenhausen gehen heimwärts.

Da wußt ich, daß es mein Junker war und daß ich erlöst werden konnte, wenn ich mit ihm ging. Es hielt mich aber wie Blei auf meinem Stuhle, daß ich kein Glied rühren konnte, bis ich erwachte. –

Das kann doch nicht sein! Ich muß doch erst den zweiten Teil schreiben! 447

 

Abermals mein Junker!

Wir waren diese Nacht nicht in dem gottverlassenen Keller, sondern wir gingen miteinander heim von der Schule. Ich hatt ihm irgend was erzählt und er schüttelte den Kopf und lachte, wie er immer tat, wenn ich wieder eine rechte Dummheit angestellt hatte.

Hab ich das nicht auch wirklich zuguterletzt noch einmal fertiggebracht? Wie komm ich dazu, den Leuten dies alles auf die Nase zu binden? Bin ich in meinen alten Tagen zum Schwätzer geworden?

Hätt ich nur einen Freund, der mir einen redlichen Rat gäbe! Weiß nicht, ob es nicht wohlgetan wäre, ich ließe dies Bündel in Feuer aufgehen, oder ich ordnete an, daß man es mir ungelesen mit in mein Kistlein legte.

Was geht es die Welt an, wem ich gut war und wer mir böses angetan hat? 448

 

Da mir nun zum drittenmal von meinem Junker geträumt hat, geziemt es sich für einen bedächtigen Altsachsen, daß er der Wahrheit ins Auge sieht und sich in aller Ruhe überlegt, ob es zum Sterben geht oder nicht.

Es wird sich nun jeder Christenmensch ohne weiteres überzeugt halten, daß es für einen verklärten Geist außerordentlich schmerzhaft sein muß, in irgend einer Art, sei es im Traum oder sonst als Erscheinung, auf die Erde zurückzukehren. Diese Einsicht findet denn auch ihre erfahrungsmäßige Bestätigung in der Beschwörung des Propheten Elias.

Der Schmerz wird um so peinvoller sein, je höher sich der Geist in seinem Sphärenfluge schon über das Irdische erhoben hat. Das hatt ich damals nicht so bedacht, als ich mit meinem toten Junker sprach. Hatte auch im Gefühl, wie ich es, warum weiß ich nicht, so oft gehabt habe, daß ich jung sterben würde.

Es besteht aber auch die Voraussetzung der Abrede nicht mehr. Die war ja, daß ich ein wildes Leben führen würde, und davon kann, hätte bald gesagt leider, schon längst nicht mehr 449 die Rede sein; selbst den Rotwein und die Zigarre hab ich seit Monaten fortgelassen.

Zu alledem kommt, daß ich mich heut wohler fühle, als seit langer Zeit, ich glaube seit Jahren. Ja, ich spüre so was wie eine Sieghaftigkeit in mir. Wüßte nicht, daß ich jemals so ein Gefühl in meinem Leben gehabt hätte.

Bin demnach gewiß, daß mir mein Junker nicht erschienen ist, sondern den Traum hat mir der Dämon gesandt, der mir mein Leben so vielfach verpfuscht hat. Er will nichts andres, als mich in Angst setzen, damit der zweite Teil meiner Lebensgeschichte ungeschrieben bliebe, der diesen ersten überstrahlen wird wie die Sonne die bleichenden Gestirne.

Morgen will ich zu guter Stunde frisch beginnen.

Dem Gespenst aber biet ich Trotz und schreibe schon heute:

 


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