Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das erste Kapitel

Wie ich schon in zarter Jugend der Menschen Bosheit erfahren mußte

Eheu! Mit diesem Weheruf aus dem klassischen Altertum pflegte ich während meiner Gymnasialzeit das göttliche Dreigespann des Phaeton zu begrüßen, jenes verwegenen Jünglings, der sich, wie uns Ovid überliefert, dereinst der Lenkung des Sonnenwagens unterwunden hat, aber weil ihm die Kräfte des Apollon fehlten, auf das elendste dabei umgekommen ist. Eine Erzählung, die mir in dem derzeitigen philosophischen Abschnitte meines Lebens höchst bedeutungsvoll erscheint, als ein Symbolum der allermeisten menschlichen Bestrebungen, ja vielleicht des menschlichen Lebens überhaupt. Wenn wir nämlich das von jenem Phaeton befahrene Himmelsgewölbe dem Tummelplatze dieser Erde und sein Gespann unserm Schicksal gleichsetzen, so ergibt sich, daß wir uns wohl alle in grüner Jugend vermessen, das Gefährte nach unserm Willen über die Bahn zu lenken, da wir doch nach einiger Strecke erkennen müssen, sofern wir nicht bis zum Ende 17 in geistiger Blindheit beharren, daß vielmehr das Gespann uns führt, wohin es ihm beliebt. Auch hinsichtlich der Gleichsetzung unsers Schicksals mit einem durchgehenden Gespann erscheint mir der Vergleich keineswegs zu hinken. Irgendwas von Sinn und Verstand vermag ich in dem Walten der Schicksalsmacht wenigstens in meinem Leben nicht zu entdecken.

Was nun schließlich das klägliche Ende des Unternehmers anlangt, so ist, solange die Welt steht, noch keines Menschen Fahrt anders ausgegangen als mit dem Tode. –

Der aufmerkende Leser wird nicht erst der ausdrücklichen Versicherung bedürfen, daß mein Weheruf nicht etwa einer Abneigung wider die Wissenschaften entsprang. Das war so wenig der Fall, daß ich schon von der Obertertia an beflissen war, mich auf mein erwähltes Fach, Theologie und Philologie, vorzubereiten, indem ich Sextanern und Quintanern, deren Eltern mich darum anließen, gegen ein geringes Taschengeld Nachhilfestunden erteilte.

Schalte hier ein, daß ich schon damals erfahren mußte, wie der die härtesten Enttäuschungen erlebt, der von den Menschen Dank, Anerkennung oder irgendwas andres erwartet als schnöden Undank. Habe wahrhaftig kein Petroleum gespart, denn eine Gaslampe war damals noch ganz was rares, und dem jungen Körper so manche Stunde Schlafes entzogen, der ihm doch so bitter not tat, damit ich die Nachhilfestunden nicht dilettantisch, sondern nach 18 System und Methode zu erteilen lernte. War mir aber freilich auch nicht verliehen, Schädel voller Stroh und Sägespäne in Behälter der Wissenschaften umzuwandeln. Da nun aber die lieben Eltern gar nichts andres von mir verlangten als eben diese schwierige und übernatürliche Verwandlung, mußte ich ja freilich von Rechts wegen die Dummheit und die Faulheit, aus welchen Eigenschaften sich die jungen Aefflein aufs angenehmste zusammensetzten, mit meinem guten Rufe ausbaden. Denn von wem sonst als von eiteln und boshaften Affeneltern sollten Verleumdungen ausgegangen sein wie die, daß ich meine Nächte zu ganz was andrem gebrauchte, als zu wissenschaftlichen Bestrebungen? Selbst vor dem Ohr des Direktors machten diese schamlosen Ausstreuungen nicht halt, so daß ich bei all meinem Fleiße nicht glänzend angeschrieben war, ja manche Stunde Karzer verbüßen mußte, wo ich Lob, Ehre und Auszeichnungen hätte erwarten dürfen.

Wider unsern alten Direktor, der nun schon so lange in der Erde liegt, soll indessen hier kein Vorwurf erhoben werden. Er war ein guter Mensch und ein gelehrtes Haus; aber leichtgläubig.

Dieser Armee von Verleumdungen vermocht ich mich um so weniger zu erwehren, als sie, ihrer Scheußlichkeit bewußt, das Tageslicht mied und im Dunkel feiger Anonymität focht, so daß ich auch heute noch die Verleumder in jenen läppischen Eltern nur vermute. Welche Vermutung 19 für mich freilich der Gewißheit gleichkommt. Denn wen sollt ich mir sonst zum Feinde gemacht haben, der ich still für mich hinlebte, niemand etwas zuleide tat, die Jugend durch Ermahnung und Beispiel zu fördern beflissen war, dem Alter aber, nach der Vorschrift des Lykurgos, mit der allertiefsten Ehrfurcht begegnete? Völlig zu schweigen von dem lieblichen Gesäusel meiner Flöte, mit dem ich die Menschen erfreute. Denn dies Instrument verstand ich mit einiger Virtuosität zu spielen, besonders, wenn ich mich an jenes Dreigestirn machte, das mir immer als das leuchtendste an dem Himmel der Musik erschienen ist: Bach, Palästrina und Floto.

Eheu! So rufe ich heute, wenn ich bedenke, wie sich der Gutherzige und Friedfertige in dieser argen Welt von allen Seiten gestoßen sieht, der Böse aber zu Reichtum, Ehren und Aemtern gelangt.

Damals aber, als ich noch nicht die Erfahrungen eines aus Plagen und Enttäuschungen zusammengesetzten Lebens hinter mir hatte, galt der Weheruf einzig dem Qualm und der Unruhe der Stadt. Mich verzehrte die Sehnsucht nach meinem Dorfe. Hörte in Gedanken statt des verworrenen Straßenlärms des Hirten anmutige Schalmei, von reichbesetzter Tafel sehnte ich mich nach Milch und Schwarzbrot, und wie das Paradies erschien mir im Gedränge des Marktes und des Schulhofes das friedliche Dorf, wo sich Reich und Arm die von der gleichen Arbeit schwielichte Hand zum Gruße reichen, wo Neid, 20 Habsucht, Gewalttätigkeit keine Stätte haben.

Was soll ich endlich von der Jugend im engsten Sinne sagen? Fliehet, o ihr Jünglinge, jene Bruthöhlen der Verderbtheit, die Städte, und begebt euch aufs Land, wo euch am Busen der Natur ein Leben voller Unschuld winkt! Wer nämlich, nachdem er diese meine Lebensgeschichte mit verständigem Geiste zu Ende gelesen haben wird, vermöchte sich wohl, indem er bedenkt, wie allenthalben auf meinen Wegen die Fallstricke jener Heiden- und eigentlichen Teufelsgöttin, der Venus, gelegen haben, und wie nur meine auf den Lehren des Heraklit und des Chrysostomus aufgebauten Grundsätze mich vor diesen Fallstricken bewahrt haben, jenes Ausrufes zu entschlagen, mit denen der klassisch gebildete Mensch seiner Betrübnis Ausdruck verleiht: Eheu!

Und wiederum: Eheu! Trieben doch jene Paviane von Eltern ihren Undank noch weiter. Wie ich mein Lebtag vieles andere gewesen sein mag, woran ich heute nicht mit gleichmäßigem Vergnügen zurückdenke, aber ein Stubenhocker niemals, so hielt ich's mit meinen Schülern wie der göttliche Plato mit den Seinigen, das heißt, ich gab meine Nachhilfestunden ambulando, auf Spaziergängen. Bei Wind und Wetter mußten die Stadtsöhnchen mit mir hinaus, sie mochten schaudern oder nicht; hat ihnen auch nichts geschadet, sondern sie im Gegenteil von Husten und Schnupfen, daran sie sonst drei Viertel des Jahres krächzten, so ziemlich kuriert. Wie 21 aber haben ihre Eltern, zur Schande der menschlichen Gattung, mir gedankt? Wodurch wohl sonst als durch das natürliche Erzeugnis ihres innersten Wesens, durch Lüge und Verleumdung!

Da sollt ich denn wahrhaftig diesen Knaben, die zu derlei Künsten soviel Begabung hatten wie Mastschweine zum Hürdenrennen, statt der Wissenschaften solche Nutzlosigkeiten beigebracht haben wie Baumklettern, Schlittschuhlaufen und gar Forellenkitzeln. Welche letztere Verdächtigung mich um so tiefer verletzte, als mir wohl bekannt war, daß die Fische dem Staate gehören, oder demjenigen, welcher das Recht der Fischerei vom Staate erpachtet. Ich übergehe die schmählichste Verdächtigung, als deren Erwähnung ich meiner gänzlich unwürdig erachte. Ich soll nämlich die mir anvertrauten Jünglinge gar zu echter Wilderei verleitet haben. In einem Schlupfwinkel, den man, so weit erhob sich die Frechheit jener Leute, sogar ausfindig gemacht haben wollte, sollten wir die Fische und das Wildbret gebraten, auch das gestohlene Gut noch mit verbotenen Getränken begossen haben.

Bis an das Ohr des Direktors drang die Verleumdung. Der Herrliche aber kannte seinen Brinkmeyer besser, glaubte, wie er sich ausdrückte, meinen treuherzigen Augen mehr als den wider mich sprechenden Indizien, und betrachtete die Angelegenheit nach einer kurzen und nicht gerade besonders umsichtig geführten Untersuchung als abgetan.

22 Mich aber verdroß der Undank dermaßen, daß ich die Nachhilfestunden solchen überließ, die noch auf den Dank der Welt rechneten. Für mich mochten die kleinen Meerkater in roher Unwissenheit aufwachsen.

Denn gesetzt den Fall, ich hätte getan, was man mir zur Last legte, hätte es etwa diesen ungeleckten jungen Hunden geschadet, wenn ich sie zu praktischen Leuten erzogen hätte? Des ferneren: was sind das für Gesetze, daß Fische und Wild nicht dem gehören, der ihnen durch Geschicklichkeit und Klugheit beizukommen vermag, sondern faulen Geldsäcken, die ihre Forellen ohne Geist und Sinn mit englischen Angeln übertölpeln, oder gar bezahlte Leute dazu anstellen, indem es ihnen nur um die Schlemmerei zu tun ist, und sich die Tiere des Waldes in Massen zutreiben lassen, nicht anders als wie man in den großen Fabriken Chikagos die Schweine abschlachtet? Was sind das für Gesetze, frage ich noch einmal! Da schlag doch das Donnerwetter hinein!

Aber ich setze diesen Fall nur um der theoretischen Erörterung willen. In Wirklichkeit war mein Sinn viel zu sehr auf die Wissenschaften gerichtet, als daß ich die kostbare Zeit mit solchen Allotrien vergeudet hätte. Jene eine Forelle, die ich einmal joci causa fing, um den jungen Dächsen das Ding zu zeigen – sperrten die Stadtmäuse die Augen auf, da das scheue Fischlein wie ein Brett im Wasser stand und im Hui gefangen war! Jene eine Forelle, sage 23 ich, wurde unverzüglich wieder in ihr feuchtes Element gesetzt, da wir denn noch lange an ihren munteren Taucherkunststückchen, mit denen sie mir gleichsam danken wollte, unsern Sinn ergötzten. Denn ich blieb eingedenk, daß es sich sowohl für die Bürger wie für die heranwachsende Jugend geziemt, den Gesetzen des Staates gemäß zu leben, auch wenn wir diese Gesetze als töricht kennen.

Wie nun aber den Lieblingen der Götter alle Schläge des Schicksals zu ihrem wahren Heil gereichen, so geschah es mir, daß die Muse der Töne, die ihren Sitz in mir aufgeschlagen hatte, aus der Jauche dieser Verleumdungen, dem wohlgedüngten Apfelbaume gleichend, nur noch süßere und aromatischere Früchte zog.

Mein Spiel wurde ganz und gar vergeistigt, meine Flötentöne klangen den Leuten, die sich abends, der Hitze des Sommers und den Schneestürmen des Winters Trotz bietend, unter meinem Fenster ansammelten, gleichsam wie Lobgesänge aus einer besseren Welt. Als ich mich einmal auf die Straße begab, um frische Luft zu schöpfen, konnte ich es nicht hindern, daß mich die Menge auf die Schultern hob und um die ganze Stadt herumtrug. 24

 


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