Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das fünfte Kapitel

Wie ich habe müssen aus Liebesgram und übergroßer Neigung zu den Wissenschaften ein schlimmes Leben führen, und wer eigentlich daran schuld war

Es erging mir wie unglücklich Liebenden oft: ich wußte den Schmerz nur dadurch zu betäuben, daß ich mich in den Taumel eines äußerlich vergnüglichen und in Wahrheit recht unbefriedigenden Sinnengenusses stürzte.

An Geld fehlte es nicht. Zwar die elenden paar Groschen des filzigen Onkels waren bald ausgegeben und noch ein Sümmchen an Schulden dazu. Ich war aber inzwischen volljährig geworden und hatte über meine Abfindung zu verfügen, die mir Bruder Georg in Raten auszahlte, so gut er's konnte.

Um mich auch hier als wahrheitsliebenden Mann zu erweisen: ich hab's toll getrieben damals. Trüge wohl noch heute die Wirkungen im Nervensystem herum oder läge gar schon seit vielen Jahren in meinem Kistlein, wenn ich nicht über die unverwüstliche Brinkmeyersche Bauerngesundheit verfügte.

Die Flöte lag still in ihrem Futteral. Nahm 53 ich sie doch mal vor, so erwiesen sich die Finger als ungehorsam, ja die Flöte selbst ließ ihren lieblichen Ton vermissen, gleichsam als schmollte sie wegen der langen Vernachlässigung. Womit sie denn, genau wie es einer lebenden Geliebten auch bei mir ergangen wäre, nur immer eine um so gründlichere Vernachlässigung erreichte.

Die Schuld an dem wilden Treiben schreib ich aber gerechterweise einzig und allein der Schule mit ihren verkehrten Maßnahmen aufs Konto.

Der Leser hat sich jedenfalls, wenn ihm auch vielleicht diese letzte Begebenheit einigermaßen aus dem Rahmen zu fallen schien, bis jetzt das Bild eines jungen Mannes vorgestellt, dessen Wesen mit einer gewissen Einseitigkeit auf geistige Bestrebungen gerichtet ist. Da muß ich denn doch aber daran erinnern, daß ich vom Lande bin. Das freie Feld war und blieb mein eigentliches Lebenselement. Will sagen: mein ursprüngliches. Denn es soll nicht bestritten werden, daß auch die Wissenschaften mir ein Lebenselement geworden waren.

Ich war, um mich so auszudrücken, eine Kraftnatur. Das bißchen Turnen, das man damals auf der Schule trieb, schaffte mir keine Luft. Nun hatten jene Verleumdungen, aufs angenehmste verbunden mit der Beschränktheit, Borniertheit und Böswilligkeit der Pauker, meinen guten, aber gar zu leichtgläubigen Direktor dahin gebracht, daß er mir gleichsam Polizeiaufsicht zudiktierte. Die Stadt sollt ich nicht verlassen, 54 ohne ihn um Erlaubnis zu fragen und was der Vexationen mehr waren.

Weshalb ich mich dieser Tyrannei auch nur der Form nach gefügt habe und nicht vielmehr kurz und bündig von der Schule abgegangen bin, weiß ich heute nicht mehr. Als sie zuerst einsetzte, lebte meine Mutter noch, der ich den Kummer wohl nicht antun mochte. Nachher kann mich nur eine überschwengliche Liebe zu jenem zweiten Lebenselement, zu den Wissenschaften, gehalten haben, insonderheit zu jenem Dreigestirn, unter dessen sanftem Leuchten sich nicht nur meine Schulzeit, sondern meine ganze Bahn hienieden abgewandelt hat: Cicero, Platon und Anaximander.

Wenn ich nicht ganz auf den Gipfel der Weisheit gelangt bin, so liegt die Schuld wie gesagt an jenem barbarischen Erziehungssystem. Ich hätte freilich, rundheraus gesagt, wenig Respekt vor mir selbst als jungem Burschen, wenn es mir nicht gelungen wäre, den Schikanen zu einem guten Teil ein Schnippchen zu schlagen. Allein der Zwang blieb doch sehr arg. Was Wunder, daß sich meine überschäumende Jugendkraft in einem Treiben Luft machte, an das ich heute, so lustig es auch war, nicht ohne ein leises Unbehagen zurückdenke!

Die Schuld trifft, wie gesagt, unmittelbar die Schule mit ihrem geistlosen Drill. Geht man aber auf den letzten Grund zurück, so wälze ich die Verantwortung für mein wildes Treiben auf den Rotbart, den Barbarossa. Wenn der 55 nämlich seine rechtswidrige Teilung Sachsens nicht vorgenommen hätte, so wäre gar nicht abzusehen, was die Fürsorge der Sachsenherzöge aus Kattenhausen im Laufe der Jahrhunderte gemacht hätte. Niemand weiß, ob dann nicht heute die Jugend der kleinen Städte ringsum das Gymnasium in Kattenhausen besuchte, statt umgekehrt. Daß ich aber im Elternhause ein andres Leben geführt hätte, liegt für jeden auf der Hand, den nicht etwa die herkömmliche Verehrung für den Rotbart völlig verblendet hat.

Sollte nun aber jemand zu alledem sagen: Freundchen, du hältst deine Leser für gar zu dumm! Nach deiner Beschreibung habt ihr's getrieben wie Studenten, und zwar wie Juristen in den ersten vier Semestern. Da soll euch niemand, nicht ein einziger der vielen Lehrer, auf die Sprünge gekommen sein? Credat Judaeus Apella!

Dem hab ich zu erwidern: Freundchen, wenn du's besser weißt, so schreib doch meine Lebensgeschichte statt meiner zu Ende! Trete dir den Platz an meinem Schreibtische gern ab, will dich auch in allen Lebensbedürfnissen aufs beste verpflegen. Denn diese Arbeit hat mir schon mehr Schweißtropfen abgepreßt, als die Fährlichkeiten meines Lebens zusammengenommen. Hätte sie längst aufgegeben, wenn sie nicht im Dienste der von der Lüge mißhandelten Wahrheit geschähe.

Wie wir's getrieben haben, weiß ich; wie es geschehen konnte, daß uns die Lehrer wohl bei 56 einzelnen Uebertretungen, aber nicht im großen abfaßten, obgleich der Verdacht und der Eifer, uns alle und mich ganz besonders zu überführen, wahrlich sehr groß waren, das zu erklären überlasse ich dem Lehrerkollegium. Sofern noch einige dieser würdigen und gelehrten Männer am Leben sein sollten, werden sie sich an Wilhelm Brinkmeyer, davon bin ich überzeugt, sehr wohl erinnern, mit welchen Gefühlen, ist eine Frage für sich.

Als ich die Schule verlassen hatte, dauerte es allerdings nicht mehr lange mit der Herrlichkeit der Sachsen. Man haschte sie und verfuhr mit den Trefflichen, als hätte man ein Rattennest aufgestöbert. Wäre ich noch dagewesen, sie hätten sollen die Finger davonlassen. Habe wahrlich andre Dinge in meinem Leben fertiggebracht, als ein Lehrerkollegium hinters Licht zu führen. 57

 


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