Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das dritte Kapitel

Wie Eindringlinge von kosmopolitischer Färbung unseren Bestrebungen entgegenzuarbeiten versuchten, aber unserem wissenschaftlichen Rüstzeuge elend erlagen

Eheu! Warum sind solche Abschnitte so selten, warum von so kurzer Dauer!

Geschah auch hier, was uns im großen, in der Weltgeschichte, so oft begegnet: Der feindlichen Gewalten wurden wir Herr, die Freunde ruinierten uns.

Der erste und Erzfeind war, leider muß man sagen selbstverständlich, die Schule. Denn wie sich unsre wissenschaftlichen Bestrebungen in einer freien und den herrschenden Schulbegriffen schnurstracks entgegenlaufenden Richtung fortbewegten, war es eben nur natürlich, daß uns die Vorträge unsrer Lehrer, mochten wir ihr ehrliches Bestreben auch bereitwillig anerkennen, nicht imponieren konnten. Besonders aber war es die heitere und gesellige Form unsrer platonischen Abende, die wir in der ja oft genug von Einsichtigen beklagten trockenen Atmosphäre der Schulstunden nur zu schmerzlich vermißten.

Insoweit liegt der Fehler am System. Den 32 Vorwurf aber vermag ich dem Lehrerkollegium, selbst unsern würdigen Direktor eingeschlossen, nicht zu ersparen, daß es nicht nur kein Bestreben merken ließ, unsrer Eigenart gerecht zu werden und uns durch erhöhte Aufmunterung zu gewinnen, sondern sogar verblendet genug war, uns durch kleinliche Polizeimittel, selbst den Karzer verschmähten diese Leute nicht, beugen zu wollen. Mit welchen kurzsichtigen Maßregeln sie natürlich nur erzielten, daß wir uns innerlich der Schule noch tiefer entfremdeten.

Der zweite Feind war der ewige Widerpart jeder freien Bewegung und alles Großen auf der Erde, das Geld. Genauer gesagt: der Mangel an Geld. Der Jurist allerdings, ich will ihn der Einfachheit wegen bei seinem Bundesnamen Faß nennen, war so gestellt, daß er uns beiden wohl aushelfen konnte, manchmal auch ausgeholfen hat. Jedoch überstiegen anderseits seine Bedürfnisse das normale Maß eines Jünglings und selbst eines voll erwachsenen Mannes dermaßen, daß der Gute meist nicht so handeln konnte, wie ihn sein Herz antrieb.

Wie Spahn es angefangen hat, sich aus den unaufhörlichen Geldnöten immer wieder herauszuwinden, ist mir auch heute noch ein Rätsel. Ich habe eine dunkle Ahnung, als zögen sich schon von hier aus gewisse Schicksalsfäden nach seinem tragischen Ausgange hin.

Mir aber kam in der höchsten Bedrängnis, als sich der Wirt schon den Grenzen dessen, was einem Manne seines Standes allenfalls erlaubt 33 sein mochte, bedenklich zu nähern anfing, ein rettender Gedanke: Onkel Pedro.

Dieser feurige Peruaner, dacht ich mir, ist für das Gefühl der Freundschaft vielleicht empfänglicher als für die Bande der Verwandtschaft. Setzte mich also hin und schrieb ihm einen Brief von sechzehn eng beschriebenen Quartseiten, an denen ich ärger geschwitzt habe, als jemals an irgendeiner Schularbeit. Die ersten fünfzehn waren ganz mit theoretischen Betrachtungen angefüllt, in denen unter dem Motto:

Wem der große Wurf gelungen
Eines Freundes Freund zu sein,

das Glück der Freundschaft, sodann aber auch die Heiligkeit der Freundespflichten in einem Aufsatz – was man heute einen Essay nennt – gepriesen wurde, der hinter des großen Cicero berühmter (mir leider unbekannt gebliebener) Abhandlung de amicitia vielleicht nicht allzuweit zurückbleiben dürfte.

Auf der sechzehnten Seite ging ich mit einer wohl vorbereiteten, lange erwarteten und also um so angenehmer wirkenden Wendung vom Allgemeinen zum Persönlichen über, indem ich der Wahrheit gemäß versicherte, zwei Freunde fürs Leben gefunden zu haben. Ganz am Schlusse, da der Morgen dämmerte und die Pflicht mich nach der Schule rief, denn ich hatte die Nacht hindurch geschrieben, ein Umstand, den ich denn auch als Grund für die Kürze des Schlusses anführte, bemerkte ich, daß ich zu der Erfüllung 34 einer heiligen Freundespflicht dreihundert Mark benötigte.

Sollten nun oberflächliche Leser, und deren muß man in unsern Zeiten fast in der Mehrzahl gewärtig sein, bei dieser Stelle etwa sagen. Hier geht's ja lustig zu! Der will eine Apologie seines Lebens verfassen und muß gleich damit herausrücken, daß er schon als junges Pflänzlein den eigenen Oheim betrogen, beziehungsweise zu betrügen versucht hat, so habe ich darauf einiges zu erwidern. Nur nebenbei: so gar jung war ich denn doch nicht mehr. War ja spät auf die Schule gekommen und hatte sodann unaufhörlich mit Widersachern zu kämpfen, erst mit den verleumderischen Affen- und Lügen-Eltern und nachher mit dem Unverstande der Lehrer. Ehrlich währt am längsten, sagt man wohl. Ja, das traf hier wortwörtlich zu, denn ich mußte von der Obertertia an länger in jeder Klasse sitzen als die heuchlerischen Aefflein und Windfahnenmännchen. Im übrigen aber werden die Leute, die meine Lebensgeschichte mit gutem Willen zu Ende lesen, am Schlusse über jenes sogenannte Wahrwort ein wenig anders denken.

Des ferneren: wenn ich mich nicht meines guten Glaubens gewiß und rein wie die Unschuld fühlte, so hätte ich können die ganze Angelegenheit verschweigen. Denn der Onkel Pedro liegt ja seit vielen Jahren in der heißen Erde Perus, und es bleibt da nur noch der fromme Wunsch, daß seiner armen Seele nicht auch peruanisch eingeheizt werde.

35 Ich behaupte nun vielmehr, daß ich mit jenem Worte von der Freundespflicht nur die Wahrheit geschrieben habe. Denn das Kollegium von uns drei Gleichgestimmten in Platon war uns mehr als eine Herzenssache, es war uns ein Tempel, in dem die weiße Taube der Unschuld flatterte, angetan mit dem blauen Bande der Freundschaft. Und daß der Tempel zusammenstürzen mußte, wenn ich nicht bald Geld in die Hände bekam, war wiederum nichts als die lauterste Wahrheit.

Der Onkel Pedro zeigte denn auch ein Verständnis, das mich weichmütigen Knaben aufs innigste gerührt hat. Es war ein unvergeßlicher Augenblick, als ich bebend in Furcht und Hoffnung das Siegel gelöst hatte und nun einen leibhaftigen Hundertdollarschein in der zitternden Rechten hielt. Und doch, die reinste Freude stand mir noch bevor. Denn was wollte das Vergnügen an dem vergänglichen Besitze sagen neben der edleren Genugtuung, die meinem Gemüte nunmehr beschieden war! Fing doch der Brief des Onkels Pedro mit der Versicherung an, er habe nicht geglaubt, daß ihm auf den Feierabend seines Lebens noch eine solche Freude beschieden sei, pries er doch meinen bescheidenen Versuch als das herrlichste Kunstwerk, stellte er mich doch als Dichter ebenso hoch, wenn nicht gar höher als seinen über alles geliebten Gellert!

Wieder und wieder überflog ich die lieben Schriftzüge, bis sie ineinander zu verschwimmen 36 schienen, weil die Zähre der Rührung dem Auge entperlte.

Eheu! Wenn ich geahnt hätte, welch eine Viper sich unter den süßduftenden Dankesblüten des Onkels verbarg! Denn er schrieb, er sei besonders deshalb von meinem Preise der Freundschaft so innig ergriffen worden, weil er selbst nach einem arbeitsvollen Leben einen Freund gefunden habe, der ihn für seine bisherige Einsamkeit mehr als entschädige; dieser Freund nun – aber der Leser wird die Kanaille demnächst kennen lernen, immer noch zu früh für seinen Glauben an die Güte der menschlichen Natur.

Heute, in der Abgeklärtheit des philosophischen Lebensalters, preise ich die Weisheit des Schöpfers, daß er uns die Zukunft und das Entfernte verhüllt. Sonst müßte ich den Abend dieses Tages aus meinem Leben streichen, der mir unvergeßlich ist, weil es der letzte war, an dem wir drei Altsachsen unser Wodansopfer begingen.

Es war, als ahnten wir, daß es das letzte sein sollte. Wir feierten das Fest, wie ein Opfer gefeiert werden will, schweigsam und groß. Kein Gefäß irgendwelcher Art kam auf den Tisch, nur die Trinkhörner hielten ihre Wanderung von einem zum andern, unermüdlich und stumm.

Manchen stillen Heiltrunk habe ich dem Onkel Pedro gewidmet, manchen auch, wäre ihm das Bier doch lieber als flüssiges Blei in den Hals geströmt, jenem schurkischen Freunde. Nicht minder galt mein Dank dem unsterblichen Cicero, 37 dessen herrliches Buch über die Freundschaft mir so wesentlich zu meinem Erfolge verholfen hatte.

Am folgenden Abend geschah der Einbruch jener Leute, die sich, war es Zufall, war es Absicht, wer weiß es, die Franken nannten.

Diese Kumpane hatten sich, frech und töricht, in einem Wirtshause ein Zimmer gemietet, das zwar nach dem Hofe hin, aber ganz offen im ersten Stockwerke lag, und dort ein Wesen getrieben, von dem sich der Geist Platons mit Schaudern abgewandt hätte, wenn sie ihn etwa zu Gaste geladen hätten; aber das fiel den Brüdern auch nicht ein.

Was Wunder, daß man ihnen auf die Spur kam. So brachen sie denn in würdeloser Hast ihre Zelte ab und nahten uns als Schutzflehende.

Es war den Abend nach jenem letzten Opferfeste. Wir gedachten früh die heimischen Penaten aufzusuchen und befanden uns in jenem reizenden Dämmerzustande, der uns beschleicht, wenn wir verflossener schöner Stunden gedenken, wehmütig, daß sie für immer in den Ozean der Vergangenheit gesunken sind, aber doch befriedigt, daß wir sie voll ausgekostet haben. Faß war, wie es ihm bisweilen geschah, sanft eingenickt. Wir beiden andern saßen traulich beieinander und rauchten schweigend unsre langen Pfeifen, während die Seelen dem Flügelschlage des Geistes Platons lauschten, der sich, wie immer, auf uns herniedersenkte.

Da wurde mit unserm Zeichen angepocht. Es konnte nur der Wirt sein. Ich erhob mich 38 seufzend und unterzog ihn, obwohl ich ihn natürlich sofort an der Stimme erkannte, gewissenhaft den sieben Fragen, die für ihn besonders aufgesetzt waren und auf deren erste er zu erwidern hatte: Caupo, ein Bierwirt.

Nun erst durfte er mit seiner Botschaft herauskommen: daß sich nämlich drüben im Gastzimmer eine Truppe von neun Männern eingefunden habe, die sich die Franken nenne und um Aufnahme bitte.

So erweckte ich denn zunächst unsern guten Faß zwecks gemeinsamer Beratung. Der schüttelte langsam und grimmig die Mähne, griff nach seinem Steinkruge und erklärte knurrend, wer ihn noch einmal im Schlafe störte, dem wolle er den Schädel einhauen. Sogleich fiel das Löwenhaupt wieder auf die ausgebreiteten Arme und er schlummerte weiter. Wir aber ließen ihn weislich schlafen, bis er nachher von selbst erwachte; denn er war ein echter Altsachse und auf sein Wort konnte man Häuser bauen.

Spahn dagegen erklärte in seiner nachdenklichen Art, am besten bliebe jeder für sich, und da diese unerzogenen Knaben, wenn sie sich hier im Hause ansiedelten, die Aufmerksamkeit der Pauker – so nannten wir die Lehrer wegen ihrer geistlosen Methode – auf das Haus und somit auch auf uns ziehen würden, sei es nicht damit getan, daß wir den Antrag ablehnten, sondern wir müßten die Kerle auch statt jeder Antwort zum Tempel hinaushauen.

Und wahrhaftig! Wenn wir drei über sie 39 gekommen wären, diese neune wären geflogen wie die Kegel vor einem Meisterschub.

Ich muß denn auch gestehen, daß der Vorschlag meines ernsten Spahn für mich etwas Verführerisches hatte. Allein ich bedachte, daß es dem Träger des erlauchten Namens Widukind geziemte, nicht nur mannhaft, sondern auch staatsmännisch zu denken. So sagte ich mit fester Stimme, obwohl keineswegs ohne Selbstüberwindung: Spahn, wir wollen das nicht tun. Wenn die Kerle auch niemals echte Altsachsen werden können, so sind sie vielleicht doch im Laufe der Zeiten zu ganz brauchbaren Leuten zu erziehen. Wir lassen sie hereinkommen. Auf daß wir ihnen aber erst mal im Punkte ihrer platonischen Gesinnung auf den Zahn fühlen, mögen sie, als die Schutzsuchenden, ein Faß Bayrisch auflegen.

Spahn leuchteten meine Gründe ein. Die Franken erklärten sich bereit, was ihnen ja auch anstand, und wurden mit allem Zeremoniell empfangen. Unsern guten Faß freilich ließen wir aus dem erwähnten Grunde fortschlafen. Wenn den Neulingen aber die Lust ankam, darüber gleich den Söhnen Noäh ihre Possen zu treiben, so brauchten sie nur ihre Aufmerksamkeit auf mich und meine ernste Haltung zu richten und die Lust verging ihnen im Entstehen; denn sie wurden sich alsbald ihrer geistigen Inferiorität bewußt.

Nun war das so weit ganz wohl gediehen. Da rief auf einmal der Frankensenior, der sich Zech nannte und auch wirklich nichts andres 40 verstand als Zechen, mit seiner ungefügen Bierstimme: Reicht mir das Schwert Karls des Großen! Worauf denn zwei seiner jungen Leute einen Schläger mit grün-weiß-rotem Korbe hereintrugen.

Spahn murrte und schlug mit der Faust auf den Tisch. Ich aber winkte ihn zur Ruhe und sagte bedächtig: Mit Karl dem Franken, den du eben den Großen genannt hast, mein teurer Zech, vermagst du hier keinem zu imponieren. Wir Sachsen sind die Aelteren. Das Regiment führt Blei-Weiß, und nicht Grün-Weiß-Rot. Es darf dir aber nicht unangenehm sein.

Das war es nun aber ganz augenscheinlich doch. Er und seine Leute stellten als Dank für die gastliche Aufnahme unter Berufung auf ihre Anzahl die Forderung auf, daß wir uns die Frankensachsen nennen sollten und daß ihnen das Präsidium zustehen sollte. Gab ein scharfes Biergefecht, ich aber verschaffte mir endlich Ruhe und redete diese Worte: O ihr Sachsen und Franken! Zu welcher Schande würde es uns gereichen, wenn schon heute, in der ersten gemeinschaftlichen Ratsversammlung, ein Streit zwischen uns entstände! Welches Gedächtnis würden uns die Menschen bewahren! Welche Gedanken würde selbst jener Bierwirt, ein Mensch von geringem Verstande, in seinem Geiste bewegen! Schon allzulange, scheint es mir, haben wir widereinander gekämpft, ohne daß ein Teil den offenkundigen Sieg davongetragen hätte. Wenn wir Sachsen nun etwa, indem wir uns 41 darauf beriefen, daß wir selbzweit gegen neune gefochten haben, das Verlangen stellten, daß uns, der wahren Sache gemäß, der Sieg müßte zuerkannt werden, so möchte wohl jeder redliche und gerechte Mann erwidern: ihr habt wahr gesprochen. Damit ihr aber erkennt, edelste Franken, daß unsere Gesinnung nicht nur eine gerechte, sondern selbst eine großmütige ist, so wollen wir von dieser Sache abstehen. Gefällt es euch, so lassen wir die Götter unsern Krieg entscheiden, indem wir, die beiden Anführer, einen Zweikampf zwischen uns veranstalten. Welchem nun die Götter den Sieg verleihen werden, der sei nicht allein selbst Senior des Bundes, sondern der Bund möge auch mit dem Namen seines Volkes genannt werden. Ich ermahne euch, daß wer auch immer besiegt werden möge, sich dem Spruche der Götter unterwerfe. Dich aber, o Zech, frage ich, ob es dir genehm ist, daß wir nicht mit den Waffen des Mars gegeneinander kämpfen, sondern, als wahre Jünger Platons, mit Worten, indem wir eine Disputation darüber halten, ob im alten deutschen Reiche das Volk der Sachsen oder das der Franken das andere an Edelmut übertroffen habe.

Dagegen wußte nun niemand etwas zu sagen. Zech sah man es sogar an, daß er sich auf den Wettstreit freute. Der lange Schlaps blickte höhnisch auf mich herunter und dachte wohl gar, in einem kleinen Körper müsse auch ein kleiner Geist sitzen.

Immerhin fand ich in ihm einen beschlagenen 42 und eifrigen Debatter, und wir waren bald mächtig im Gange. Es herrschte eine erwartungsvolle Stille im Gelaß.

Allein die Götter hatten beschlossen, uns ihren Willen durch eins jener wunderbaren Zeichen kund zu tun, denen sich der Mensch bereitwilliger als sonst unterordnet, weil er, eben wegen ihrer Merkwürdigkeit, die Hand der Götter in ihnen erkennt.

Grade jetzt nämlich beendete Faß sein Schläflein, sei es, daß die Natur mit der abgelaufenen Zeit befriedigt war, oder daß ihn, wie es wohl zu geschehen pflegt, die nach dem unermeßlichen Toben eingetretene Stille erweckte.

Nun ist es ferner weder eine unerhörte noch eine unerklärliche Sache, daß der Geist eines nach kurzem Schlafe Erwachenden bei dem Worte den Faden fortspinnt, das er zuletzt gesprochen, gehört oder gedacht hat. So geschah es auch hier, und das letzte Wort war »Schädel einhauen«.

Wie also mein alter Faß wahrnahm, daß ich dabei war, mit dem Frankenhäuptling irgendeine Fehde auszumachen, faßte die treue Seele ganz im stillen den Entschluß, dem Feinde seines Freundes den Schädel einzuhauen; denn er pflegte als ein echter Sachse nicht zu reden, sondern zu handeln.

Herr Gott, fuhr es uns durch die Glieder, als wir die Hünengestalt wuchtigen Schrittes, den Steinkrug, der ein Liter faßte, dräuend in 43 der Faust, auf den Frankenhäuptling zuschreiten sahen!

Da galt kein Zaudern, und noch weniger durft ich dem Zuge des Herzens folgen, der mich auf die andere Seite geführt hätte. Im Nu saß ich dem Riesen wie eine Wildkatze im Nacken und riß ihn zu Boden. Wahrlich zur rechten Zeit! Eine halbe Sekunde später und statt unser hätte der Frankenhäuptling dagelegen, mit zerschmettertem Schädel; denn Faß war ein Charakter von Eisen.

So hab ich denn doch von jenem Abend die schöne Erinnerung davongetragen, daß durch meine Geistesgegenwart immerhin ein Menschenleben gerettet worden ist, wenn es auch, das muß zugegeben werden, nicht viel damit auf sich gehabt hat; denn der Gerettete ist schon als Referendar im Delirium gestorben.

Jetzt aber ging die Not erst an. Meinem wackeren Faß hatte die Erschütterung des Falles gewissermaßen den Boden ausgeschlagen. Er geriet in eine grauenhafte Wut, brüllte wie ein Löwe und schlug blindlings mit dem Steinkruge um sich.

Wie ich ihn nun so weit gebändigt hatte, daß ich auf ihm kniete und er sich für den Augenblick nicht rühren konnte, denn Spahn war viel mehr selbst des Beistandes bedürftig, als daß er mir helfen konnte, und die Franken drängten sich wie die Schafe in einer Ecke zusammen, sah ich ihm an den Augen an, daß es übel um uns alle stand, wenn er loskam; denn er war einer von 44 denen, die nichts halb tun.

Da kam mir der glückliche Einfall, daß es wohlgetan sein möchte, dem grimmen Löwen den Rachen zu stopfen. Rief also den Franken zu, sie sollten ein Horn füllen und ihn tränken, wenn er sich aber sträubte, sollten sie ihm die Nase zuhalten, daß er schlucken müßte. Allein der Gute sträubte sich gar nicht, schluckte, daß es ein Vergnügen war, ihn zu sehen und zu hören und hatte kein Arg daraus, daß ich ihm inzwischen den Steinkrug aus der Hand nahm. Dauerte nicht lange, so war er wieder sanft entschlummert und wir brachten ihn zu Bett. Es war ein Sonnabend, so daß er ausschlafen konnte. Was seine Pension betraf, so wohnte er, wie wir alle, bei kleinen Bürgersleuten, die, von Ehrfurcht vor unsrer höheren Bildung und von Dankbarkeit für den guten Zuschuß zu ihrem spärlichen Einkommen erfüllt, sich wohl hüteten, unsern Maßnahmen irgendwie nachzuspüren, oder gar unsern Bestrebungen entgegenzuwirken.

Während dieses Tuns, das mein alter Kumpan entrückten Sinnes mit sich geschehen ließ, war nun mein Geist keinen Augenblick müßig, sondern ich versah mich mit neuen Gründen, die ich gegen diesen Zech ins Feld führen wollte. Als ich mich aber wieder hinunterbegab, offenbarte es sich aufs kläglichste, daß ich keiner Waffen mehr bedurfte. Angst und Schrecken hatten meinen Gegner so übernommen, daß er aschgrau im Gesichte war, stiere Augen hatte und in einer der Würde der Stunde ganz und gar 45 unangemessenen Haltung dasaß. Ich forderte ihn nichtsdestoweniger ritterlich aufs neue heraus und ging ihm mit gutem Beispiel voran. Die Seinen feuerten und hetzten mit Gewalt. Als er sich aber endlich aufraffte und den Mund öffnete, da kam etwas ganz anderes heraus, als die erwartete blumenreiche Rede. Konnte nur alles gerade noch auf und zur Seite springen.

Da nun die Götter so deutlich gesprochen hatten, erklärten sich die Franken für besiegt und brachten ihren Häuptling zu Bett.

Was aber eine Gesittung in Platon heißen will, das zeigte sich an dem Unterschiede, wie die beiden sich in ihren Betten benahmen. Zech nämlich, dessen Entleerung offenbar nicht gründlich erfolgt war, wurde vom Wirte am andern Morgen in einem Zustande angetroffen, der nicht nur eines Platonikers, sondern sogar eines Gebildeten schlechtweg unwürdig war.

Faß dagegen, der sich ebenfalls hat müssen übergeben, hat sich, gewiß unter Mühe und Qual, aus dem Bette erhoben und sich bis an sein Waschbecken geschleppt. –

Der Leser sieht aus alle diesem, daß durch die Franken ein lauter, ans Rohe streifender Ton in unsern bis dahin so harmonisch gestimmten Kreis gekommen war. Ich tat als Senior das meine, um die guten Sitten wiederherzustellen. Selten kam es vor, daß einer, der sich gegen den feinen Ton vergangen hatte, zur Strafe weniger als einen Ganzen, nie daß er weniger als einen Halben trinken mußte. Dagegen ist es 46 allerdings vorgekommen, daß ich einen Obertertianer, der sich durch sein Alter und durch ein gesetztes Benehmen empfahl und deshalb aufgenommen, bald aber als ein unreifer Charakter erkannt wurde, zu seinem wahren Besten übers Knie gezogen und dermaßen seine Sitten gelehrt habe, daß er Töne von sich gab wie eine Sau mit dem Schlachtespieße im Halse. Er wurde wirklich ein ganz andrer Mensch, wenn es auch für seine späteren Jahre nicht vorgehalten hat. Denn nachdem er eine Reihe von Jahren Student gewesen ist, hat man ihn der Zechprellerei überführt. Er ist dann auf der schiefen Bahn weitergerutscht und zuletzt im Zuchthause gestorben.

Ich will auch gestehen, wiederum als ein Mann, dem die Wahrheit über alles geht, daß es mir bei all meiner eisernen Disziplin nicht zu meiner eigenen Zufriedenheit gelungen ist, über meine Schar den Geist des Platon auszugießen.

Dessenungeachtet erlahmte ich nicht. Die Flöte hatte müßige Tage. Meine erzieherische Tätigkeit wollte den Menschen ganz, so daß ich auch die von der Schule in Anspruch genommenen Stunden nur noch als eine leidige Störung empfand. 47

 


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