Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das dreizehnte Kapitel

Wie meine Liebe auch diesmal verraten wurde

Die Zeit, die mir der liebe Gott nun bescherte, in den richtigen Farben zu schildern, ist meine Feder zu schwach. Wenn ich ihrer gedenke, tönt mir immer der Vers unseres Schiller in den Ohren:

O, daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!

Darin aber vermag ich dem Dichter nicht recht zu geben, daß er behauptet, mit dem Gürtel zerrissen die angenehmen Empfindungen.

Frau Haberkorn nämlich, auf die ich übrigens hier keinen Stein werfen möchte, ließ uns in einer unbegreiflichen und nur durch die Annahme einer zeitweiligen Verblendung einigermaßen entschuldbaren Sorglosigkeit nicht nur auf Augenblicke, sondern auf manche Stunde allein. Bei der übergroßen Zärtlichkeit, von der wir füreinander erfüllt waren, konnte es natürlich nicht ausbleiben, daß sich bald ein Dritter zu uns gesellte, nämlich jener kleine, übermütige Knabe, der Gott Kupido.

Weit entfernt aber, daß mein Herz, wie es 174 Schiller doch als das normale anzunehmen scheint, erkaltet wäre, fühlte ich mich der Geliebten jetzt erst recht fürs Leben verbunden, war auch des guten Glaubens, daß Anna von dem gleichen Gefühle beseelt wäre. Konnt ich denn ahnen, in dieser Engelsgestalt wohnte ein Herz, das die heiligsten Bande um des schnöden Mammons willen mitten durchzureißen imstande wäre?

Wird mir gar selig und traurig zumute, wenn ich daran denke, wie endlich der Lenz ins Land zog, und wir wandelten in der lieben Abendstunde Arm in Arm weit in die Felder hinaus, damit meine Anna ihre Bewegung hatte, entwarfen Zukunftspläne, überschlugen die Einkünfte und waren glücklich!

Nun war das so weit gediehen, daß selbst Mutter Haberkorn uns nicht länger des priesterlichen Segens wollte entbehren lassen.

Mir fiel eine Zentnerlast von der Brust, daß wir endlich, endlich so weit waren, daß die gewiß notwendigen, aber höchst widerwärtigen Erörterungen über die leidige Geldfrage abgebrochen würden und es eines Tages hieß: morgen fahren wir! Nämlich in die Residenz, um bei einem alten Justizrat, der den niederdeutschen Dialekt bevorzugte und darum als Notar großen Zulauf hatte, den Ehevertrag zu verlautbaren.

So bestiegen wir denn abermals im Morgengrauen jene verhängnisvolle Kalesche, in der Vater Haberkorn verunglückt war, aber wie hatte sich alles gewendet! Statt der Schwärze und 175 Kälte des Wintermorgens prangte die herrlichste Frühlingssonne, statt der unfrohen Geschäfte erfüllte die lieblichste Hoffnung den Busen, statt zweier Menschen, die einander doch innerlich recht fremd waren, saßen drei in herzlicher Zuneigung Verbundene beisammen, oder eigentlich vier: denn zwischen uns saß ja noch jener blinde Passagier, Gott Amor!

Wieder einmal preise ich es als eine den Sterblichen verliehene Gnade, daß uns die Zukunft verhüllt ist; wie anders sollte sich die Heimkehr gestalten!

Der Leser wolle verzeihen, wenn ich das, was nun geschah, nur ganz kurz berichte; die Erinnerung ist gar zu schmerzlich.

Der alte Justizrat war in derlei Verträgen so bewandert, daß er ein Schema besaß, wo er nur Namen und, was man als die Hauptsache ansah, Zahlen einzutragen brauchte. Das war nun so, daß einem Bauernsohne, der als jüngeres Kind keinen eigenen Hof besaß und eine Hoferbin heiratete, gewisse Rechte an diesem Hofe bestellt wurden, wogegen er seine Abfindung, die sein Vermögen darstellte, zur Verbesserung und Vergrößerung des Hofes zu verwenden, oder, wie der amtliche Ausdruck lautete, dem Hofe zu inkorporieren hatte.

An dieser Stelle hielt nun das alte Aktenregal inne und sagte: Wat hett Se tau inkorporieren?

Minen Onkel Pedro, sag ich trotzig, denn 176 was ging das die alte Schnupftabakdose an, dat hett up hochdütsch: mine Erbschaft.

Er dreht sich von seinem Pulte um und starrt uns an. Schließlich mußte selbst das alte Tintenfaß merken, wie es mit Anna stand. Er nickt mit dem Kopfe, brummt »ach so« und schreibt weiter.

Nun merkt ich wohl, daß den beiden Weibern noch was aufs Herz drückte. Richtig platzt die Alte los: Hei sall aber de Inkünfte so verwennen, wie't Rechtens is!

Die alte Lederhaut dreht sich um, sieht sie an und sagt: Dat versteiht sik jo doch von sülmenst. Wat willt Se denn damit seggen?

Das Weib sitzt wie'n Brett und knarrt mit seiner Dohlenstimme: Sine Schulden kann hei betalen, wenn hei sine Erbschaft hat. Von'n Hofe wird et nich betalt un von Anna ihren Gelde ok nich.

Der alte Nußknacker sieht nun mich an und sagt: Kiek mal, kiek mal! Schulden hett e ok?

Ja, sag ich trotzig, denn mir ging die Gemütlichkeit aus, Schulden wie Haare auf dem Kopfe, und auf übermorgen bin ich zum Offenbarungseid geladen. Soll mich wohl auf dem Polterabend zum Spaße ein bißchen verhaften lassen?

Das hielt nun selbst der Justizrat nicht für angängig, der alte Drachen aber sagt giftig: Hei kann sik jo arm schwören!

Was, rief ich in Wut, ich soll Hofwirt spielen 177 und Lumpenhund sein? Dann geht die Sache nicht an!

Der Justizrat, das muß ich sagen, stand mir wacker zur Seite, und es lag ja auch auf der Hand, daß mir eine ganz unmögliche Stellung im Dorfe zugemutet wurde. Die Alte blieb aber dabei, um fremder Leute Schulden zu bezahlen, hätten sie sich das liebe Geld nicht vom Munde gespart.

Da sagte der Justizrat, die Anna wär doch am Ende die Hauptperson. Ich aber sah es gleich, daß auch bei der nichts für mich zu hoffen war, denn ihr Gesicht war starr und die Lippen waren aufeinandergepreßt. Sie schwieg und das war grade deutlich genug.

Der Justizrat setzte noch den letzten Trumpf auf und ermahnte die beiden Weibsleute, sie möchten doch an das Würmchen denken, das die Anna unter dem Herzen trug, aber da kam er schön an!

Sie fände noch Männer genug, die sie heirateten und dem Kinde Vater würden, und wenn sie unverheiratet bliebe, wär's auch noch so und vielleicht noch besser für's Kind.

Was ist da groß zu erzählen! Ich hatte noch den Spaß, daß der alte Zwetschenkerl sich von den Weibern sechs Taler bezahlen ließ, und das war der letzte Spaß, den ich von der Sache hatte.

Jeder Teil kehrte für sich nach Hause zurück und ich mußte den weiten Weg von der Haltestelle bis zum Dorfe zu Fuß machen. In tiefer 178 Nacht kam ich an. Die Haustür war nicht verschlossen. Legte mich zu Bett, denn was sollt ich sonst machen. Eine schöne Nacht war's nicht.

Es war mir nicht ums Wohlleben. So viel hab ich mir mein Lebtag nicht aus Essen und Trinken gemacht, wenn ich auch nie ein Kostverächter gewesen bin. War mir auch sonst nicht ums Geld und überhaupt um gar nichts andres als um den Prachthof, den ich gern bewirtschaftet hätte. Wer ein Bauer ist, der versteht das ohne weiteres, einem Städter aber könnt ich Bücher über die Sache schreiben, er verstände mich doch nicht.

Als wir am andern Morgen zusammenkamen, sagt Georg: Wilhelm, wie ist das gegangen?

O, sag ich, das ist ganz gut gegangen. Bloß zuletzt, da wollten sie meine Schulden nicht bezahlen und da hab ich die Verlobung aufgehoben.

Er sagt nichts weiter und läßt mich den Tag über in Ruhe.

Ich tat nichts, als draußen herumlaufen und die Haberkornschen Felder ansehn. Das Herz blutete mir im Leibe und ich war mehr als einmal drauf und dran, zu den Weibern zu gehn und nachzugeben. Tat's aber natürlich doch nicht, und wäre ja auch ein Elend geworden.

Abends trinken wir Grog, rauchen und schweigen. Als wir zu Bette gehen, sag ich: Nu will ich man morgen früh nach Peru 179 fahren. Kannst mir wohl zehn Taler Reisegeld geben.

Hm, sagt er, das muß denn aber das Letzte sein. Mit zehn Talern willst du nach Peru?

O, sag ich, das läßt sich all machen, und damit war die Sache zwischen uns abgetan.

Es war meine Absicht, mir die Ueberfahrt als Matrose zu verdienen, was ich wegen meiner Körperkräfte und als Turner aus dem FF wohl machen wollte. Drüben wollt ich schon nicht verhungern. Dem Onkel Pedro war's doch geglückt und soviel wie der leistete ich auch.

Am nächsten Morgen war ich noch eine Stunde eher auf als Georg, braute mir meinen Kaffee, stopfte mir eine Pfeife und setzte mich auf Vaters Sorgenstuhl. Dachte, es wäre wohl das letztemal im Leben.

Georg kommt und sagt: Ich muß aufs Feld. Mach's gut, Wilhelm.

Da ich nu grade meine Pfeife aufgeraucht hatte, ging ich mit ihm und machte einen Umweg, um mir seine Felder noch mal anzusehen, denn meine Sachen hatt ich vorweg geschickt. Gesprochen wurde nichts, bloß, daß ich sagte, er sollte sich mit der Aussaat beeilen, das Wetter schiene mir umschlagen zu wollen, und daß er sagte, es schiene ihm auch so.

Als wir uns trennten, weil sein Land aufhört, seh ich mir die schwarze, fette Erde noch mal an und sage: Georg, hier solltest du Zuckerrüben baun. Er überlegt sich den Fall und sagt: Wilhelm, ich habe kein Zutraun. Damit 180 dreht er sich um und zieht schweigend ab, denn »mach's gut« hatt er ja schon vorhin gesagt.

Das war mein Abschied aus der Heimat. –

Wie ich die Sache heute ansehe, hätt ich grade recht lustig sein sollen, denn dies ist eigentlich der einzige Fall in meinem Leben, wo es der liebe Gott besser mit mir gemeint hat, als ich selbst.

Anna Haberkorn war ein schönes Weib, aber sie hatte eine häßliche Untugend. Die Sparsamkeit der beiden ging nämlich soweit, daß sie auch an Seife knauserten. Die Anna war wenigstens nicht wasserscheu. Man konnte sich in ihrer Nähe immerhin recht wohlfühlen. Was aber in dieser Beziehung die Alte betrifft, so bitte ich den Leser, er wolle mir das nähere geneigtest erlassen.

Mir war auch eigen zumute, wenn ich an das Kind dachte. Ist aber gar nicht zur Welt gekommen, worüber ich mir so dies und das gedacht habe. Die Anna soll ihre Fülle und ihre Farbe verloren haben und gar nicht mehr schön gewesen sein. Hat aber natürlich einen ganz wohlhabenden und ansehnlichen Bauern gefunden, der sie geheiratet hat. Denn was fragt der Bauer nach dergleichen, wenn er solchen Staatshof erheiraten kann! Indessen ist kein Segen dabei gewesen. Kinder hat die Anna nicht geboren, was wohl seine Gründe gehabt haben wird, ist jedoch über fünfzig Jahre alt geworden; wohingegen der Mann schon, oder auch erst, wie man's nehmen will, nach fünf Jahren 181 gestorben ist. Das hätte mir natürlich auch geblüht und es war ein schweres Los. Denn einem Kenner der Verhältnisse wie mir soll man doch nicht damit kommen, der wäre wirklich an der Lungenentzündung gestorben: Der arme Mann hat müssen den Hungertod erleiden.

Auch bei dem Haberkornschen Besitze ist kein Segen gewesen. Neffen und Nichten haben das Erbe vertan. Noch gehört der Hof einem Neffen, der ihn bei der Erbteilung übernommen hat. Wird aber bald jemand anders zufallen. Wem, das gehört nicht hierher.

Mein fröhlicher Jugendmut überwand denn damals auch den Liebesgram schon unterwegs. Munter mein Liedchen singend förderte ich rüstiger Wandrer meine Schritte abermals der Haltestelle zu, um die erinnerungsreiche Fahrt nach der Residenz anzutreten. Von da wollt ich ohne Zögern nach Hamburg fahren und mich sogleich nach Peru einschiffen.

Bald war die letzte Wolke der Wehmut verflogen. Hatt ich doch aus all den Kämpfen die drei Talismane gerettet, die mir den Mut gaben, den Stürmen des Ozeans und des Lebens die Stirn zu bieten: meine Flöte, ein reines Gewissen und den Platon.

Wie ich mich nun nicht nach Peru begeben habe, sondern aus übergroßer Vaterlandsliebe anderswohin, das soll der Leser im nächsten Kapitel erfahren.

Für diesmal bin ich des Treibens der 182 Menschen dermaßen satt, daß ich nicht weiter schreiben mag.

Denke mir auch, der Leser hat einstweilen gleichfalls genug. 183

 


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