Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das vierte Kapitel

Wie ich fast in die Fallstricke der Frau Venus geraten wäre

Es begab sich, daß wir uns doch einmal über die Maßen in die schwierigen Gedankengänge Platons vertieften und die Zeit darüber vergaßen, so daß die Uhr drei geschlagen hatte, als wir uns entschlossen, aus der Welt des Idealen in die gemeine Wirklichkeit zurückzukehren.

Es war um die Zeit der hellen Nächte. Nahm sich wunderlich aus, wie die steinernen Häuser im Tageslicht stumm dastanden und man wußte, daß die Menschen drinnen schliefen wie die Murmeltiere. Mich prickelte es wie 'n Gaul, den der Hafer sticht, so daß ich sagte: Platoniker, zu Bett geh ich nicht! Und wenn die Pauker mich aus der Schule jagen, ich muß noch was ausfressen!

Wie die Kumpane ihren ernsten Meister in seiner zugänglichen Anwandlung sehen, sind sie natürlich flink bei der Hand und es wurde für gut befunden, daß wir ins Villenviertel zogen und die Gartentüren aushoben. War ein hartes Stück Arbeit, ich mußte wieder mal das Beste 48 tun und noch tagelang waren mir die Hände in den Gelenken angeschwollen.

Nun war das so weit ganz wohl gediehen. Da sah ich mitten in der Arbeit, daß an einer Villa, die hinten in einem Garten lag, ein Gerüst angebracht war, dieweil die Maler dabei waren, sie frisch anzustreichen. Platoniker, sag ich, da steigen wir hinauf und oben überraschen wir die Bewohner des Hauses durch ein Morgenständchen, indem wir ihnen das Lied singen:

Im tiefen Keller sitz ich hier,
Bei einem Faß voll Reben!

Natürlich fand sich auch jetzt unter diesen Kerlen nicht einer, der zur Vernunft geredet hätte. Nun stellte sich aber heraus, daß man die Leitern weislich fortgebracht oder irgendwo verschlossen hatte. Da wollten sie's gleich aufgeben, ich aber sagte verächtlich: Ihr wollt Platoniker sein? Sophisten seid ihr!

Diesmal redeten sie allesamt auf mich ein, denn sie dachten nicht anders, als ich würde mir den Hals brechen. Ich aber würdigte sie keines weiteren Wortes, sondern kletterte bedachtsam in die Höhe. Die Schwierigkeit bestand darin, daß ich übergreifen und mit den Beinen loslassen mußte, wenn ich an ein Brett kam. Stand aber doch bald mit heilen Gliedern oben auf dem höchsten Brette, schwenkte die Mütze und rief Hurra Saxonia, was die unten, wie es sich ziemte, erwiderten.

Indem hör ich hinter mir einen Schreckensruf. Drehe mich um und sehe nun erst, daß da 49 ein Giebelfenster offen steht. Dies mag wohl eine Dachkammer sein, dacht ich mir so still in meinem Sinne. Das war denn auch der Fall und drinnen lag jemand im Bette, hatte sich aufgerichtet und sah mich starr an. Ziehe demnach meine Mütze und sage höflich: Sie gestatten gütigst! Der drinnen erhebt keinen Widerspruch und starrt mich immerfort an. Ich nehme das natürlich als Zustimmung und steige ganz gemächlich hinein.

Höre noch, wie die Feiglinge unten die Flucht ergriffen, denn sie dachten, nun wär's gefehlt, und dann hörte und sah ich für den Augenblick nichts mehr. Bemerkte nämlich zu meinem nicht geringen Schrecken, daß der Jemand im Bette weiblich war, und jung und schön war er auch. Wenn man nun bedenkt, daß ich die Weibsen bis dahin nur aus geziemender Entfernung und ganz bekleidet gesehen hatte, so wird man ja wohl glauben, daß mir wonnig und schaurig zumute war, wie niemals zuvor im Leben.

Die Jungfrau war wohl anfangs nicht minder bange, dann aber mochte sie begreifen, daß ich nichts Feindseliges plante, denn sie sagte erstaunt, aber gar nicht unfreundlich: Das ist ja der Brinkmeyer aus der Unterprima! Kuck einer das kleine Lork an, mit seinen Vergißmeinnichtaugen! Klettert wie'n Kater in die Mädchenkammern!

So gab denn nun ein Wort das andere.

Die Jungfrau entdeckte sich mir als die 50 Tochter eines ungarischen Fürsten und die Verlobte eines Prinzen aus dem bayrischen Königshause. Man hatte sie zwecks Erlernung eines fürstlichen Haushaltes hier in diese reiche Villa getan. Nachdem sie in Liebe zu mir entbrannt war, hatte sie die Verlobung für aufgehoben erklärt. Der hartherzige Vater wollte das nicht, behandelte sie grausam und zwang sie, in der unwürdigen Mädchenkammer zu schlafen.

Durch diese Erzählung sowie durch ihre Bitten und Tränen gerührt, besuchte ich die Unglückliche in mancher stillen Nacht. Solange das Gerüst vorhanden war, benutzte ich dies, der Lebensgefahr Trotz bietend. Als es abgebrochen war, fand das liebende Herz der Jungfrau Mittel und Wege aus, daß ich auf andere Weise zu ihr gelangte. Auch jetzt keineswegs ohne Gefahr. In der Villa diente nämlich ein angeblicher Kutscher, ein hanebüchener Geselle, der in Wahrheit ein Spion des Fürsten war. Der nun lauerte mir eines Morgens, als ich mich nach Hause begeben wollte, an einer einsamen Stelle meines Weges auf und fiel mich jählings an, indem er den umgekehrten Peitschenstiel als Waffe gebrauchte. Der Mensch war in einer so blinden Wut, daß es ihm nicht darauf angekommen wäre, mich als ein Kutscher aus dem FF ins Himmelreich zu kutschieren, ließ sich aber durch meine Gegengründe überzeugen, daß er nicht in seinem Rechte war.

Leider vermochte ich es jedoch bei aller Wachsamkeit nicht zu verhindern, daß sich der 51 gewalttätige Fürst seiner unglücklichen Tochter wieder bemächtigte. Sie mußte die Stadt verlassen und ich habe nichts wieder von ihr gehört. Vermutlich hat sie gebrochenen Herzens den Widerstand aufgegeben und ihren Prinzen geheiratet. 52

 


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