Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das elfte Kapitel

Wie Bruder Georg und ich uns miteinander ausgesprochen haben

Der Morgen dämmerte, als ich oben auf dem Brinke angekommen war. Setzte mich auf einen Steinhaufen und sah aufs Dorf hinunter. War ein klarer Herbstmorgen. Ein rechtes Bild des Friedens war es, die hellen Gebäude mit den roten Dächern und der blaue Himmel darüber. Man konnte wirklich meinen, da müßten lauter zufriedene Menschen wohnen. Nur daß ich's besser wußte. Denn ich kannte doch meine Bauern!

Aber ein Bauernhof, das ist freilich was Schönes. Davon ahnt in den Städten niemand was, wie der Hof ein Wesen für sich ist und sein Leben führt, so oft ihn auch ein Geschlecht an das nächste weiter gibt. Wenn der Bauer ein noch so böser Kerl ist, ob der Hof gedeiht oder nicht, das liegt ihm doch am Herzen. Sonst ist er kein Bauer.

Nun mußt es auch grade ein Sonntag sein und die Kirche fing an zu läuten. Ich mußte dran denken, wie oft ich dieses Weges gegangen 143 war, in die Ferien und wieder in das Schulvierteljahr, und daß es nun ein Ende damit hatte und wozu man wohl auf der Welt wäre. So kam mir zum zweitenmal im Leben die böse Frage, die mich damals den Unheilsweg zu meinem Junker hatte gehen lassen.

Da packte mich ein Grimm gegen den Schulmeister Warnecke. Hätt ihm gerne was angetan. So kam ich auf den Einfall, daß ich ihm eine Nase drehte, wenn ich doch noch ein Bauer würde. Kannte ein Mädchen, die just in diesem Jahre den väterlichen Hof angenommen hatte. Die sollte wohl nicht Nein sagen. Anna Haberkorn hieß sie.

Der Vater lebte nicht mehr und sie war auch sonst ganz gut, nur daß sie geizig war. Aber das paßte mir in den Kram.

Ich muß gestehen, es war mir ganz lieb, daß alles in der Kirche war und mir niemand begegnete. So unschätzbare Güter auch mein innerer Mensch aus der Schule fürs Leben davongetragen hatte, nämlich ein in sich abgerundetes Wissen, eine unauslöschliche Begeisterung für das Schöne, für das Wahre und für alle Tugenden, ein nie rastender Drang nach immer höherer Vollkommenheit, kurz eine sich nicht ins Grenzenlose verirrende, aber eben wegen dieser Selbstbeschränkung um so harmonischere humanistische Bildung, so fehlte es doch gänzlich an jenem äußeren Abschlusse, den der Philister mal für das Wesentliche ansieht.

Wie nun der Sinn des Bauern leider 144 Gottes, die Schwärmer für das Landleben mögen sagen was sie wollen, ganz und gar aufs Materielle gerichtet ist und das Geistige nur schätzt, sofern es Geld, ein Amt oder doch allermindestens einen Titel einbringt, so hatten mich meine Dorfgenossen schon längst mit einer gewissen Geringschätzung angesehen, die sich in einer plumpen Ironie ausdrückte. Will den Leser mit Einzelheiten verschonen.

Auch in meinem Elternhause, das nun Bruder Georg mit einem alten Mädchen bewohnte, war niemand. Die Türen waren nicht verschlossen, wie das damals so Sitte war. Lieber Gott, allzuviel war ja auch hier nicht zu holen.

So ging ich in des Bruders Stube, stopfte mir eine Pfeife und setzte mich in den großen Korbsessel, der schon des Vaters, auch wohl schon des Großvaters Sorgenstuhl gewesen war.

Fröhlich war mir nicht zu Sinne. Der Zorn gegen den Schulmeister wuchs noch mehr an.

Endlich kommt Bruder Georg. Gu'n Dag, Wilhelm, sagte er, legt das Gesangbuch in den Schrank und gibt mir die Hand. All Ferien?

Gu'n Dag, Georg, sag ich. Nein, Ferien sind nicht. Ich hab das nu aufgegeben, das mit dem Studieren.

Ja, sagt er, das ist denn auch wohl das beste. Woll'n man frühstücken.

Wie wir mit dem Frühstück fertig sind, laß ich mir von unsern Schwestern erzählen, denn die waren in der Gegend verheiratet. Wir nahmen uns Zeit, beim Frühstücken und beim 145 Erzählen, denn das war unsre Art. So ging der Vormittag ganz angenehm hin. Den Nachmittag laß ich mir seine Felder zeigen. Viel war ja nicht mehr zu sehen, aber ich kannte ja die Felder genau und konnte mir ein Bild machen. Der Bruder quälte sich redlich, das sah man überall, aber es fehlte ihm an Mut. Er arbeitete nach dem alten Stiefel. An die Zuckerrüben, die damals eben aufgekommen waren, wollt er auch nicht heran. Zwei Kilometer von unserm Hause bauten sie eine Fabrik. Bruder Georg aber wußte nicht, was eine Aktie sei, und mißtraute der Sache ganz und gar. Ich setzte ihm das auseinander und er mag's ja wohl so halbwegs begriffen haben. Das Geld hätt er können anleihen. Aber er blieb dabei, wenn es mit den Zuckerrüben was wäre, hätte man nicht so lange damit gewartet. Das war zum Verzweifeln und mir fraß der Zorn gegen den Schulmeister Warnecke förmlich am Herzen.

Nach dem Abendessen sitzen wir einander gegenüber, trinken Grog und rauchen Tabak. Ist nicht viel mehr geredet, als: Georg, ich tät's, und: Wilhelm, ich habe kein Zutraun.

Zuletzt ward es ganz still zwischen uns. Auf einmal sag ich aus meinen Gedanken heraus: Georg, wie steht's mit der Anna Haberkorn?

Er sagt nichts und raucht und raucht. Endlich sagt er: Rike Lüe sünd et. Das heißt auf hochdeutsch: Reiche Leute sind es. Wenn Bruder Georg sich heftig für eine Sache interessierte, sprach er zuweilen plattdeutsch.

146 Ich merkte nun wohl, daß er ein Aber dabei hatte, mochte jedoch nicht weiter fragen, denn das hätte ihm nicht gepaßt. So sitzen wir wieder und rauchen, bis der Bruder sich erhebt und sagt: Kannst dir die Sache ja morgen mal ansehn. Gu'n Nacht, Wilhelm.

Am nächsten Vormittag sehen wir uns denn die Haberkornschen Felder an. Das war so einer von den Höfen, die viel mehr wert sind als manches Rittergut. War aber nicht ordentlich im Stande. Die Felder waren zum großen Teil verqueckt. Zuckerrüben waren auch hier nicht gebaut. Die beiden Frauensleute hatten einen Verwalter angestellt, der nichts machen konnte, weil er kein Geld in die Hände bekam, auch noch schlecht bezahlt wurde und mithin keine Lust zu der Sache hatte.

Ich fasse nun meine Ansicht dahin zusammen, daß es in drei Jahren eine Musterwirtschaft werden könnte, wenn ein tüchtiger Kerl sich dahinter machte und einen Beutel Geld hineinsteckte. Ob denn wohl was da wäre? O, was meinst du, sagt Bruder Georg, die haben so viel Geld auf der hohen Kante, daß sie sich noch ein Rittergut dazu kaufen könnten. Aber die beiden Weibsbilder ließen sich die Glieder ausreißen, ehe sie dir 'n Taler schenkten.

Das war's denn also, was er einzuwenden hatte.

Ich antwortete darauf nichts, denn ich dacht mir so in meinem Sinne, was ist da groß zu reden, dergleichen muß man einrichten, wie's 147 paßt. Sagte also nur, ich wollt mir die Gebäude ansehn.

Da war's nun schon eher des Anschauens wert. Im Hofe schaltete die Anna Haberkorn selbst, und ob das nun Eitelkeit war oder was sonst, es war alles sauber und schön.

Wie wir da stehn und schauen, kommt sie just aus dem Kuhstall heraus. Gibt uns die Hand, faßt mich ins Auge und sagt: Sieh, der Herr Primaner ist auch mal wieder da. Bist wohl gar schon fertig mit der Schule?

Denn wir duzten uns, wie so viele im Dorfe, weil wir uns von Kindheit an kannten. Ich merkte wohl, daß die Frage spitzig gemeint war, tat aber nicht dergleichen und sagte ganz treuherzig, wie das so meine Art ist: Nein Anna, ich habe mir das überlegt. Passe doch besser zum Landwirt. Will mich erst wieder 'n bißchen bei Georg einarbeiten und dann sehen, daß ich als Verwalter unterkomme. Habe mich ja in den Ferien immer mit der Sache befaßt und werd's am Ende zwingen.

Sie sagte nichts. Wir standen und sahen einander an. Jeder wußte so ungefähr, was der andre im Sinne hatte.

Zugleich aber, vielleicht weil sie eben aus dem Kuhstalle kam, fiel mir ein, wie wir in der Schule im Homer gelesen hatten, daß Hera die Kuhäugige hieß. Da hatt's immer Gelächter gegeben und der Pauker hatte dann auseinandergesetzt, man dürfte das nicht wörtlich nehmen.

Was versteht so'n Schulmeister von 148 Frauenschönheit? Die Anna konnte man auch kuhäugig nennen, und es war ein schönes, großes Frauenauge, das mich ansah.

Sie fragte nun, ob wir nicht 'n bißchen frühstücken wollten. Wir sträubten uns sehr und ließen uns endlich überreden. Denn so wollt's der gute Ton auf dem Lande; so will er's übrigens auch heute noch.

Die Alte kam zum Vorschein und frühstückte mit. Die machte nicht minder große Augen als ihre Tochter, da sie hörte, daß ich wollte Landwirt werden. Ich merkte aber wohl, daß ihr die Sache höchlichst mißfiel. Das war mißlich, denn die beiden Frauensleute gaben viel aufeinander.

Nun sprachen wir, wovon man auf dem Lande spricht, von der Ernte und den Preisen. Georg denkt, er will seine Sache gut machen, spielt den Dummen und schilt auf den Haberkornschen Verwalter, daß der nicht genug Geld in die Wirtschaft hineinsteckte; das wäre heutzutage die Hauptsache.

Die beiden Weiber warfen einander Blicke zu. Mich aber jammerte meines Bruders, denn ich mußte denken: Georg, wozu machst du dir die Umstände? Wenn sie dich für dumm halten sollen, gib dich doch wie du bist!

Lege denn also los und schimpfe auf die neuen Moden. Sparen, sparen und wieder sparen, so lautete der Text bei der Landwirtschaft, behaupt ich, und wenn ich ein Gut zu verwalten hätte, so wollt ich den andern die Wege zeigen, 149 die wieder zu der alten Sparsamkeit zurückführten. Das einzige, was dem Hofe fehlte, wäre das Auge des Herrn, das die Leute im Schach hielte.

Fein war das ja nun grade nicht, aber die beiden Frauenzimmer waren so vernarrt in ihre Schrullen, daß es ihnen lieblich einging.

Indessen wollte die Sache nun zur Abwechselung mir nicht mehr so ganz gefallen. Auf einen mäßigen Geiz hatt ich mich ja vorbereitet, aber dies ging über alle Maßen hinaus. Wenn ich mir ausmalte, ich sollte mich mit den beiden Weibern um jeden Taler balgen, sah ich nicht ohne Grausen in die Zukunft, wiewohl auch in diesem Hause gegen das Schweinegut nichts einzuwenden war. Anderseits lockte es mich freilich mächtig, als Herr auf einem solchen Hofe zu sitzen. Ja, wenn ich meine gegenwärtigen Umstände bedachte, blieb mir im Grunde kaum was andres übrig, als mich dieser Sache zu unterziehen.

Schließlich bin ich ja auch zeit meines Lebens ein Kerl gewesen, der sich guten Mutes durch die Fährlichkeiten der Welt durchzuschlagen sucht, wie's eben gehen will. So war ich alles in allem nicht abgeneigt, wenn ich nur ankäme, es in Gottes Namen mit den beiden Schatzdrachen aufzunehmen.

Bruder Georg war bei meinem Wortschwall ganz verdutzt, glotzte mich an und vergaß Essen und Trinken, was er denn freilich, als er sich gefaßt hatte, getreulich nachholte.

150 Den Tag über war er schweigsam. Den Abend saßen wir einander gegenüber, rauchten und schwiegen. Als wir zu Bette gingen, sagte Georg: Gu'n Nacht, Wilhelm. Ich glaube, du bist der Mann dazu.

Diese Bemerkung machte mich erst fest in meinem Entschlusse. Denn Bruder Georgs Gedankenwerkzeug arbeitete langsam, aber gediegen.

So ließ ich mir denn, ohne daß wir weiter darüber gesprochen hätten, meinen Koffer aus dem Hafenort kommen und blieb bei Georg. War auch die Ernte beendet, es gab reichlich zu tun. Wenn ich mich abends mit dem Schlage neun ins Bett legte, war ich so müde, daß ich mich nur mit der äußersten Selbstbeherrschung noch eine Stunde wach halten konnte, um mein Kapitel im Platon zu lesen. 151

 


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