Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das fünfundzwanzigste Kapitel

Schweift ein wenig ab

War ein vermessenes Beginnen, daß ich alter Mann mich hingesetzt habe und wollte meinen Lebenslauf beschreiben. Sah eben doch manches aus weiter Ferne anders aus, als nun, da ich ihm auf den Leib rücke. Einem zweiten Kapitel wie dem letzten wär ich nicht mehr gewachsen. So was erlebt ja freilich auch niemand mehr als einmal.

Hat übel auf meine Gesundheit eingewirkt, dies Kapitel. Habe seither schlecht geschlafen und die Lähmungen haben zugenommen.

Nach Italien hinunter kriegen mich diese Quacksalber, die mich nicht ein Millimeter vorwärts gebracht haben, aber doch nicht. Was hab ich unter den Orgeldrehern verloren? Schreibt sich nicht unser ganzes Elend daher, daß der Barbarossa seinen hibbeligen Reisedrang nach Italien nicht hat können im Zaume halten, da sich doch unserer wackrer Sachsenherzog mit Gegengründen heiser geredet hat?

Diesem haben denn auch Mitlebende und Nachwelt wegen seiner Herrscherkraft einhellig 399 den Beinamen »Der Löwe« zuerkannt, an dem Staufen aber hat man kein Merkzeichen finden können, außer einem roten Barte. In welcher Bartfarbe ich für mein Teil noch keinen Beweis von Herrscherkraft zu erblicken vermag.

Nun hab ich auch noch müssen in meinem elenden Zustande eine Reise machen, weil sie meinen Großneffen mit dem Consilium abeundi bedacht haben. Die Sache hat sich nicht als so übel erwiesen, wie ich erwartet hatte. Zu seinem Glücke, denn gefackelt hätt ich nicht, wenn ich diesen von mir so wohlgebetteten Schlingel auf einem Wandel ertappt hätte, den ich hätte müssen ernstlich mißbilligen.

Hat sich nämlich nur um den Mathematikus gehandelt, der ihn auf verbotenen Wegen ertappt haben will. Diese Fakultät kennt man ja. War es nicht der Mathematikus, der mir, dem geborenen Praktiker, in jahrelang erteilten Nachhilfestunden doch nicht ein einzigesmal hat können über die Vier in der Mathematik hinaushelfen? Der dessen ungeachtet den dreisten, aber natürlich elend mißlungenen Versuch gemacht hat, mir bei der Abfahrt von der Schule wegen der paar Mark Stundengeld Schwierigkeiten in den Weg zu legen? Der die Schamlosigkeit so weit getrieben hat, mir bei der unpassendsten Gelegenheit, nämlich bei der Beerdigung seines Direktors, der ja freilich in seiner vornehmen Gesinnung möchte für diesen nichtsnutzigen Knecht der Wissenschaft ein beständiger stillschweigender Vorwurf gewesen sein, mir also bei dieser 400 Gelegenheit, ritterlich verbündet mit Schuster und Schneider, den Gerichtsvollzieher über den Hals zu hetzen?

So hab ich es denn vorgezogen, nach Ueberstehung des peinlichen Auftrittes, der sich am Schlusse als so überflüssig erwies, den armen Schelm in mein Hotel mitzunehmen, wo es mir denn auch gelungen ist, ihn mittelst eines guten Abendessens nebst einigen Gläsern stärkenden Rheinweins so einigermaßen wieder aufzurichten. Was freilich wiederum nicht günstig auf meine Gesundheit eingewirkt hat.

Unterkriegen sollen mich die dunkeln Erinnerungen und die Gebresten des Greisenalters aber doch nicht. Das Leben hat das so oft vergeblich versucht, daß es merkwürdig zugehen müßte, wenn es diesen seinen Schatten gelingen sollte.

Gibt ja freilich einen tückischen Dämon in der Welt, dessen Spezialität in derlei Ungereimtheiten besteht. Hat mir nicht grade da, als ich dem verfluchten Stahl und den höllischen Künsten des Abdeckers entronnen war, ein Weibsbild mit einer gemeinen Weinflasche den Schädel zerschlagen, daß ich wochenlang zwischen Leben und Tod gelegen habe?

Wobei allerdings zu erwägen bliebe, ob es sich in diesem Falle nicht schlechtweg um den Teufel des Weibes handelt, der ja, wenn er losgelassen ist, weit greulicher einherrast als der von uns Männern.

Und da schickt man mir altem Kenner den Prospekt von einer Zeitschrift, die eigens dazu 401 da sein soll, daß sie für die sogenannten Rechte der Frauen eintritt! Aber das ist grade der rechte Weg. Muß und wird noch dahin kommen, daß wir Männer überhaupt nichts mehr zu sagen haben, denn mit dem halben Anteil an der Regierung werden sich die Weiber nicht begnügen. Dann wird sich Deutschland wohl endlich darauf besinnen, daß es nur gesunden kann, wenn es ein rundes Jahrtausend seiner Entwicklung durchstreicht und an die Heldenzeit des Kaisers Otto des Ersten anknüpft.

Soll mich aber alles nicht bekümmern. Wie in der Jugend meine kräftige Körpernatur den Hieb mit der Flasche überwunden hat, so will ich altes Wrack heute mittelst der ungeschwächten Gesundheit meines Geistes alle Gespenster hinwegbannen, indem ich unverzagt weiter schreibe, wo ich vor acht Tagen abgebrochen habe, ohne mich mit dem Durchlesen des letzten Kapitels zu beschweren.

Muß indessen erst nachholen, weshalb es mit der Erbschaft nichts war. Tut mir leid, daß ich dem Leser den Blick in diesen Höllenschlund der Niedertracht nicht ersparen kann, will's aber kurz machen.

Im Juni war es. Die Vöglein zwitscherten wie sonst, Gottes Sonne verfinsterte sich nicht, als ich von dem unbestechlichen, hochgemuten, unbeugsamen Streiter für das gute Recht der Unterdrückten, von Sennor Esperanto, den letzten Brief erhielt, dies ewig ehrwürdige Zeugnis menschlichen Edelsinnes.

402 Er beehrte sich, mir die Mitteilung zu machen, so schrieb die höhnische Bestie, daß Don Luis Mercado der Schwiegersohn des Präsidenten der Corte suprema geworden sei. Da mithin der Präsident, dessen Gerechtigkeitsliebe von nichts in der Welt übertroffen würde, außer etwa von seiner Weisheit, in dem Verhalten des Mercado keinerlei Verletzung der Rechtsordnung erblickte, denn wie hätte er ihn sonst zum Eidam angenommen, so müsse auf unsrer Seite wohl ein Irrtum obgewaltet haben. Er könne es nicht vor seinem Gewissen verantworten, sich weiter mit der Verfolgung eines so schlecht begründeten Anspruches zu befassen. Daß sein Urteil nicht etwa befangen sei, möge ich daraus ersehen, daß sich unter seinen sämtlichen Kollegen nicht einer gefunden habe, der die Sache statt seiner übernehmen wollte.

Was nun die Kosten anlange, so wolle er, aus besonderm Entgegenkommen, mit dem, was er bis dahin erhalten habe, zufrieden sein. –

Wenn ich mir das in der abgeklärten Milde des Greisenalters zurechtlege, so hatte ich damals unrecht, mich über das noble Paar Mercado und Esperanto zu erbosen. Die haben gehandelt, wie ein jedes Wesen handeln muß, nämlich nach der ihm von Gott zu seinen unerforschlichen Zwecken verliehenen Natur. Welche Natur der Schöpfer in diesem Falle in einer Absicht, die noch viel unerforschlicher ist, als sonst, aus der des Krokodiles, der Otter, des Aasgeiers und des Stinktieres aufs anmutigste 403 zusammengesetzt hat. Der wahrhaft Schuldige ist ganz wo anders zu suchen. Hätte nämlich Barbarossa nicht dem deutschen Volke als einen der schlechtesten Teile seines schlechten Erbes die würdelose Reiselust hinterlassen, so wäre auch der Onkel Pedro redlich im Lande geblieben, statt daß er nach dem Tode noch seinem leiblichen Brudersohn das liebe Geld zu Hunderten von Dollars aus der Tasche gelockt hat. –

Danach hatt ich denn also in Peru nichts mehr zu suchen und mußte meinen Wanderstab anderswohin setzen. Ehe ich aber die Stadt verließ, hatte ich noch eine höchst angenehme Ueberraschung. Eines Mittages besuchte mich nämlich ein stattlicher, hochintelligent aussehender Herr, der seinen Namen nicht nannte, gleichsam als ob ich ihn ohne weiteres kennen müßte. Ich erinnerte mich auch, daß ich ihn schon irgendwo mußte gesehen haben.

Der nun bat mich, ob er das Vergnügen haben könnte, daß ich mit ihm zu Mittag äße. Nachdem ihm Gewährung seiner Bitte erklärt worden war, bestiegen wir eine bereitstehende Equipage und fuhren in das erste Hotel der Stadt, wo wir ein höchst schmackhaftes Diner einnahmen. Die Hauptwürze bildeten jedoch unsre Gespräche mannigfaltigsten Inhaltes, und ich muß sagen, daß ich selten einem so kenntnisreichen Gesellschafter gegenüber gesessen habe.

Nach aufgehobener Tafel unternahmen wir eine Spazierfahrt, wobei es mir auffiel, daß jedermann ehrerbietigst in den Wagen 404 hereingrüßte. Hierauf ergingen wir uns einige Stunden im Walde, wobei er besonders über meine Belesenheit im Platon erstaunte. Sodann kehrten wir heitern Sinnes in die Stadt zurück, wo ich ihn denn zu seiner innigen Freude meinerseits einlud, mit mir zu Abend zu essen. Nachdem das aufs beste besorgt worden war, bat er, mich bis an die Haustür meines Hotels begleiten zu dürfen. Auch diese Bitte wurde ihm gewährt. Vor der Haustür nun lüftete er endlich sein Inkognito, denn er hatte es wohl bemerkt, daß ich ihn nicht kannte.

Er war der neugewählte Oberbürgermeister, der aber noch auf die königliche Bestätigung wartete. Nun habe er aber gerüchtweise in Erfahrung gebracht, daß ich selbst, wenn mir die Stelle angeboten würde, mich möglicherweise nicht grade von vorn herein unbedingt ablehnend verhalten würde. Es verstehe sich von selbst, daß er für diesen Fall das Gesuch um Bestätigung stehenden Fußes telegraphisch zurückziehen würde. Denn, so schloß er seine zweieinviertelstündige Rede, der Selbstsüchtige zwar denkt an die eigene Beförderung, an das Wohl der Stadtgemeinde aber denken wir Edeln!

Es ist dann doch nichts aus der Sache geworden. 405

 


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