Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das fünfzehnte Kapitel

Wie ich, von einem ungeschlachten Riesen bedroht, von Apollo und seinen neun Musen errettet wurde

Während ich an diesen meinen Erinnerungen schreibe, muß ich mich für und für mit der Angst herumschlagen, daß es ein gewagtes und fast freventliches Unternehmen sei, viele Bogen Papier mit seinen Gedanken anzufüllen und nach dem Punktum am Ende seinen Geist in Hunderten oder gar, wenn's nur glücken will, in vielen Tausenden von Büchern ebensovielen wildfremden Menschen zu überantworten. Was soll ich zu meiner Verteidigung anführen, wenn mir der Ankläger auf dem letzten Gerichtstage vorhält: du hast deine gottgegebene Seele verstreut und es dem blinden Zufall überlassen, wieviel Gerechte und wieviel fahrige oder gar unsaubere Geister sich möchten über sie hermachen! Wie magst du dich vor diesen Schranken mit einer dermaßen verschandeten Seele zeigen?

Dies Bücherschreiben ins Ungewisse ist niemand eingefallen in den herrlichen Zeiten, denen dieser Barbarossa mit seiner Abenteurerpolitik ein Ende gemacht hat. Hätte der nicht dem 187 Welschtum und seiner Schöngeisterei die deutschen Tore geöffnet, so wäre auch Gutenberg nicht auf seine unselige Erfindung verfallen. Ich säße dann, statt auf meinem Ledersessel, für den ich auf den Rat eines Schwätzers hundertundachtzig – es ist kein Druckfehler: einhundertundachtzig Mark ausgegeben habe, was richtig besehen ein verbrecherisches Geld für eine Sitzgelegenheit ist, auf Großvaters altem Korbsessel. Hätte zwar nicht den zwanzigsten, hätte nicht den hundertsten Teil von dem, was ich jetzt mein eigen nenne, fühlte mich aber wohler. Habe meines Vaters in seinem Kistlein nie anders gedacht als in Liebe und schuldiger Ehrerbietung. Aber das begreif ich doch nicht, daß er sich von dem Schulmeister Warnecke hat beschwatzen lassen.

Wieviel mehr als sonst ein Schreibender wage nun ich, der ich will, daß dies erst nach meinem dermaleinstigen Ableben veröffentlicht werde! Muß ich nicht gewärtig sein, da ich mich der Menschen Unverstande und bösem Willen ohne Wehr und Waffen, angetan mit dem armen Leichenhemd, überliefere, daß meine Taten verkleinert und meine edeln Absichten verdreht werden?

So auch würde ich, wenn ich mir meine Leser aussuchen könnte, als etwas Selbstverständliches ganz unerwähnt lassen, welches mein Vorsatz war, als ich die Soldatenjacke anzog. Konnte natürlich in jener Friedenszeit nichts andres sein, als der feste Entschluß, meine Kompagnie 188 und demnächst durch ihr Beispiel die ganze Armee mit dem Geiste Platons zu erfüllen.

So weiß ferner auch jeder Kenner der menschlichen Dinge, daß ich mit diesem Bestreben auf den heftigsten Widerstand geraten mußte und daß dieser Widerstand wesentlich von den Alten ausging.

Dies im gewohnten Schlendrian beharrende Element, das sich in seinem Unflat wohlfühlte, wie der Mistkäfer da, wo man ihn zu finden pflegt, wurde ganz besonders vertreten von einem Goliath mit unmäßigen Gorillaarmen. Wenn der sprechen wollte, brüllte er wie der Hirsch in der Brunstzeit, denn ein menschlicher Laut wohnte nicht in dieser wüsten Behausung. Er stammte aus der Residenz, war ein Dienstmann, wie seine Väter seit menschlicher Ueberlieferung gewesen waren, und hieß natürlich Stoppelhar. Waren echte Stadtgewächse, diese Stoppelhars. Glaube nicht, daß jemals, und ginge man bis zur Sündflut zurück, ein Stoppelhar soviel von der Mutter Erde sein eigen genannt hat, daß man ihn hätte können darein begraben.

Dieser Flaps, Laban wurde er genannt, der als Gepäckträger und Nachkomme von Gepäckträgern über eine rohe und tölpelhafte Körperkraft verfügte, hatte sich in der Mannschaftsstube einer Art von Tyrannis angemaßt, wobei die Alten seine Leib- und Kerntruppe bildeten. Da ich nun, wie der Leser weiß, den Gebrauch meiner Körperkraft grundsätzlich verschmähte und 189 mich ganz auf meine Beredsamkeit und die innere Kraft der platonischen Weisheit verließ, hatte ich natürlich einen schweren Stand. Denn wie soll man mit Philosophie auf Leute einwirken, die es mittels eines wüsten Gelächters als einen höchst gelungenen Witz anerkannten, wenn dieser Laban die zum Waschen bestimmten Geräte, indem er auf seine täppische Weise den Zerstreuten spielte, mit jenem andern wohlbekannten, aber nicht zu nennenden Geräte der Nacht verwechselte?

Da er das nun auch mal bei meinem Waschkübel versuchen wollte, kam er freilich an den Unrechten. Erklärte ihm ruhig, aber sehr ernsthaft, ich müsse mir solche Unflätereien ein für allemal verbitten.

Der Laban stierte mich an, wie ein Bulle, der stoßen will. Seine Trabanten aber liefen herzu, hielten ihn zurück und flüsterten mit ihm, wobei sie mir tückische Blicke zuwarfen.

Bald ward ich gewahr, was diese gerechte und wohlmeinende Ratsversammlung beschlossen hatte. Sie stellten es nämlich so dar, als hätte ich dem Laban mit einer Anzeige gedroht und verbreiteten das allenthalben unter den Mannschaften.

Nur wer selbst die Kommißjacke angehabt hat, kann sich einen Begriff davon machen, was das für mich heißen wollte. Hatte wahrhaftig die Hölle auf Erden und hätte mich wohl zu einem desperaten Schritte hinreißen lassen, wenn ich mich nicht an den Gedanken geklammert hätte, 190 daß nach meinem Hintritte niemand mehr da sein würde, der dem Luis Mercado sein sauberes Handwerk legen könnte, und daß dann unser angestammter Hof über kurz oder lang würde in eine fremde Hand übergehn. Denn ich hatte kein Zutrauen, daß Bruder Georg ihn auf die Dauer aus eigenen Kräften halten würde.

Unter den Jüngeren, die sich gern für mich erklärt hätten, sich aber nicht hervorwagten, war besonders auch einer aus meiner Gegend, namens Bothe. War wohlhabender Leute Kind, aber schwachen Kopfes, dermaßen, daß er es trotz vieler Nachhilfestunden nicht hatte können zum Einjährigen bringen. Dazu war er schwächlich und unbehilflich. Heute würde man so einen wohl nicht für tauglich zum Dienste befinden.

Der arme Junge konnte seine Anhänglichkeit an mich nicht verbergen und wurde von Laban auf das niederträchtigste schikaniert.

So geschah es eines Abends in unsrer Stube, daß Laban, sei es mit Absicht, sei es in seiner Tölpelhaftigkeit, über Bothes Bein stolperte. Er geriet in eine viehmäßige Wut und stellte dem unschuldigen Bothe die greulichsten Quälereien in Aussicht. Seine würdigen Kumpane halfen ihm auf's beste. Am Ende spuckte Laban auf den Fußboden und verlangte, Bothe solle das auflecken, dann solle es für dasmal gut sein. Der arme Kerl fing wie ein Kind an zu weinen, aber die Horde zeigte kein Erbarmen. Als er nun grade niederknien wollte, trat ich hinzu 191 und sagte mit fester Stimme: Laß das sein, Bothe, ich will diese Schweinerei nicht, und anhaben sollen sie dir auch nichts, davor stehe ich.

Das Gift quoll ihnen in den Augen, aber sie ließen stillschweigend von der Sache ab.

Nun sitz ich auf einem Schemel und will mir die Stiefel ausziehen. Plötzlich wird es mäuschenstill im Zimmer. Ich blicke auf, fahre zurück und stürze rücklings zu Boden. Vor mir stand nämlich Laban in gebückter Stellung, nur mit dem Hemde bekleidet. Aber selbst das hat er hoch gehoben und hielt mir einen Körperteil hin, den jeder Mensch, wenn anders er sich dieses Namens nicht ganz und gar unwürdig erweisen will, schamhaft verhüllt.

Wie ich nun im ersten Schreck und Schauder einen Augenblick liegen bleibe, steht Laban immer noch da und sagt mit seiner Ochsenstimme: Na, kummst du bald? Worauf denn seine Kumpane in ein Freudengeheul ausbrachen.

Ich kam ihm aber wirklich. Sprang auf und versetzte ihm, da ich den Stiefel zum Glück noch nicht ausgezogen hatte, vor den Körperteil, den er mir so beflissen hinhielt, einen weidlichen Fußtritt, dermaßen, daß der lange Flaps vornüber schoß und mit Wucht zu Boden schlug.

Nun war es an ihm, fürs erste hübsch still zu liegen. Konnte fast scheinen, als hätt er sich was getan, aber dazu hatte das Untier eine zu unverwüstliche Natur. Was ihn niederhielt, war die ungeheure Wut, die ihn gefaßt hatte. Plötzlich schoß er wie eine wütende Schlange in die 192 Höhe und wollte sich auf mich stürzen. Aber seine Kumpane warfen sich dazwischen und es wurde wieder eine ehrenwerte Ratsversammlung abgehalten.

Am nächsten Morgen waren die Kerle wie umgewandelt, taten nicht nur des Vorfalles von gestern keinerlei Erwähnung, sondern schlugen auch einen kameradschaftlichen Ton gegen mich an, dermaßen, daß mich der Narren jammerte, die Wilhelm Brinkmeyern auf eine so plumpe Art glaubten überlisten zu können.

Das Ende war, daß sie mich aufforderten, am nächsten Sonntag mit ihnen in eine einsam am Ende der Stadt belegene Schenke zu gehen, wo an den Sonntag Nachmittagen nur Soldaten verkehrten. Ich sagte zu. Bothe machte sich heimlich an mich und sagte: Wilhelm, bleib um Gottes willen zu Hause, sie wollen dir an den Kragen. Das braucht er mir nun wahrlich nicht erst zu sagen. Ich stellte mich aber dumm und sagte, ich traute meinen Kameraden nichts Böses zu. Denn ich konnte dies Leben nicht mehr aushalten und wollte ein Ende haben, wie's auch gehen mochte.

Als wir uns nun in dem Tanzsaal zusammengefunden hatten und in dem ganzen Hause kein Gast war, der nicht die bunte Jacke getragen hätte, fing denn sehr bald ein Schrauben an, das eine gewisse Aehnlichkeit mit dem der Bauern hatte, die nachher meinen Junker Hans erschlugen.

Da sprang ich auf den Tisch und rief mit lauter Stimme: Musketiere, das ist nicht 193 Soldatenmode, daß viele gegen einen halten! Was hier abzumachen ist, das ist eine Sache zwischen mir und Stoppelhar. Geht sonst keinem was an und braucht auch keiner dabei zu sein. Laßt uns auf eine Viertelstunde allein und haltet Wacht, daß uns niemand stört, damit wir uns können in aller Gemächlichkeit aussprechen.

Das wurde nun für gut befunden. Gab auch manche, die Respekt bekamen, weil ich kleiner David es mit dem Goliath aufnehmen wollte. Man wußte zwar, daß ich nicht zu den Schwächlichen gehörte, aber nicht, wie es eigentlich in diesem Punkte mit mir bestellt war.

Der Laban winkte seinen Freunden, während sie hinausgingen, kniff ein Auge zu, plinkte nach mir hin und gab auf alle Weise zu verstehen, daß er mir eine übel gesalzene Suppe eingeben wollte. Ich blieb aber ganz ruhig, denn ich hatte es anders im Sinne.

Bothe hielt mich umklammert, wollte nicht loslassen und jammerte immer fort: er schlägt dich tot, er schlägt dich tot! Ich mußt ihn mit Gewalt hinausbringen.

Die Sache war ja auch nicht ohne. Der Laban war nicht nur an Kräften ein Büffel, er hatte auch eine Gesinnung wie ein wildes Tier. Ihm kam es nicht drauf an, ob ich einen dauernden Schaden davontrug, oder, wenn's sich so schicken sollte, nicht lebendig davonkam. Die Strafe hätt er eben abgesessen, denn an den Hals wären sie ihm ja nicht gegangen.

Da wir nun allein miteinander waren, 194 richtete er sich in seiner ganzen Größe hoch, reckte seine Arme und trommelte seine Brust mit den Riesenfäusten, ganz wie es der wütende Gorilla machen soll, brüllte gräßlich und sprang wie ein Gnu auf mich ein. Aber ich stand wie ein Löwe und redete diese Worte: Mein Waffengefährte Stoppelhar, in welchem unsinnigen Vorhaben sind wir befangen? Sind unsre Geister von Natur aus töricht, oder hat etwa ein Gott unsre Seelen in Wahnsinn gehüllt? Wem nämlich, indem er uns gleich zwei von dem furchtbaren Eros in Raserei versetzten Hirschen gegeneinander kämpfen sähe, würden wir, wenn ihm ein wahrheitsliebender Soldat oder Bürger versicherte, daß wir nicht nur demselben Gemeinwesen dienten, sondern sogar derselben Kompanie, ja, schauderhaft zu sagen, derselben Stubengenossenschaft angehörten, als etwas andres erscheinen, sofern er uns nicht etwa für trunken hielte, denn als im Geiste Benommene?

Auch der Grieche Platon, ein weiser und höchst angesehener Mann, nicht nur bei seinen Volksgenossen, sondern auch bei den alten Römern und selbst bei uns heute Lebenden, versichert uns, daß es nichts Edleres und das Herz mit größerem Vergnügen Erfüllendes gibt, als die Freundschaft. Was soll ich von Cicero sagen, dem in der Kunst der Beredsamkeit geübtesten unter den Römern, der sogar ein herrliches Buch zum Lobe der Freundschaft geschrieben hat? Gefällt es dir nun, o Stoppelhar, so wollen wir uns statt des den Körper zwar stählenden, dem Geiste aber 195 nichtig erscheinenden Ringkampfes oder gar statt des Kampfes mit Fäusten, den ich eines in der Weisheit und in den Künsten erfahrenen Mannes für unwürdig erachte, einer höchst angenehmen Uebung in der Gelehrsamkeit zuwenden, indem ich dich in der Lehre des Platon unterrichte. Damit du nun aber einsiehst, daß ich von Liebe zu den Wissenschaften und nicht von Feigheit zu meiner Rede bewegt worden bin, so bedenke in deinem Sinne, o Stoppelhar, daß sich nicht nur die tiefere Weisheit und die reinere Tugend, sondern selbst der höhere Mut mehr im Erdulden, als im Austeilen von Stößen bewährt. Was aber den Wettstreit um den Waffenruhm betrifft, so wollen wir uns, sei es am Sonntage oder sonst in einer freien Stunde, selbander zu dem Leutnant Hasse begeben, jenem tapfern und uns Musketieren geneigten Manne, von dem wir wissen, daß er große und schwere Hanteln bewahrt. Welchen von uns der nun den vorzunehmenden Uebungen gemäß als den stärkeren bezeichnet, den wollen auch wir als solchen anerkennen, indem wir eingedenk bleiben, einerseits, daß die Streitigkeiten unter den Menschen unendlich lang und fast unerträglich sein würden, wenn die Streitenden nicht einem, sei es vom Staate ernannten, sei es von ihnen zu erwählenden Richter gehorchen wollten, anderseits, daß die Stärke des Körpers wenig wertvoll und fast verächtlich erscheint, wenn sie die Kräfte des Geistes um ein sehr Großes übersteigt.

Stoppelhar setzte seine Mütze auf, schnallte 196 das Seitengewehr um, legte die Hände an die Hosen und erwiderte in geziemender Haltung diese Worte: O weiser und um das gemeinsame Wohl der Lagergenossen bestens verdienter Musketier! Deine herrliche Rede hat mich Verblendeten die Augen geöffnet und mir Unwissenden über mein unflätiges Betragen belehrt, also daß mich ein tiefes und höchst schmerzhaftes Schamgefühl den Busen füllt. Gefällt es dich so, dann will ich dir zu jenen liebevollen Leitnant begleiten, gefällt es dich aber nicht, dann nicht. Ich gebe dich mein Soldatenwort, daß ich mir in Zukunft nach die feine Sitte aufführen will, so weit mich die Götter die Gabe des Wohlanstandes verliehen haben. Borge mich nun, flehe ich, jenen Paleton, oder, was mir mit noch unauslöschlichere Dankbarkeit erfüllen wird, lies mich daraus vor. Denn ich muß dich bekennen, mein hoher Herr, daß ich in die Kunst des Lesens man schwach bewandert bin.

Hiernach sank er auf einen Stuhl, bedeckte das Gesicht mit den Händen und schämte sich. Die Kameraden kamen herein und waren des höchsten erstaunt über die Macht des Platonischen Geistes. Denn Stoppelhar war von diesem Geiste dermaßen ergriffen, daß er nichts mehr sagte, sondern nur noch eine Art Wimmern vernehmen ließ, und von starken Männern mußte nach der Kaserne geführt werden. Noch acht Tage und darüber fühlte er sich von der gehabten seelischen Erschütterung gleichsam wie zerschlagen, so daß es ihm sauer ankam, seinen Dienst zu tun.

197 Für mich aber begann eine Zeit, an die ich noch heute mit Vergnügen und mit inniger Dankbarkeit gegen den unsterblichen Platon zurückdenke.

Auch im Offizierskasino wurde der Vorfall bekannt und erregte, wie man unter der Hand erfuhr, den heitersten Anteil. Denn welcher Gebildete empfände nicht die höchste Genugtuung, wenn er vernimmt, daß jemand mit den Waffen des Geistes über einen körperlich starken und geistig untergeordneten Menschen den Sieg davongetragen hat?

Am frohesten von allen war aber Bothe.

Nachdem sich die Ueberlegenheit meiner humanistischen Bildung so glänzend erwiesen hatte, fiel auch ein Strahl dieser Sonne auf den armen Jungen. Niemand wagte sich mehr an ihn, aus Furcht, sich in meinen Augen als ermangelnd der platonischen Gesinnung darzustellen.

Kein Abend ging hin, ohne daß ich meine Schlafgenossen mit einem Kapitel aus dem Protagoras nebst einer sachgemäßen Erläuterung erquickt hätte. Die höhere Bildung meiner Leute machte viel von sich reden und erweckte die lebhafteste Begierde meiner Kompanie und demnächst des ganzen Regiments, an ihr teilzunehmen. Die Sonntagnachmittage wurden nicht mehr bei Bier und Tanz, sondern bei Disputationen über Stellen aus dem Platon zugebracht.

Wie sehr dies alles im Sinne einer höheren 198 Erziehung wirksam war, dafür will ich nur einen Umstand anführen: Die auf den Mauern der Kasernen angebrachten Glasscherben, die verbotene Ausflüge verhindern sollten, wurden als überflüssig entfernt.

Auf Stoppelhar wirkte das Ereignis so, daß es fast zum Erbarmen war. Bis dahin war er als ein Riese durch die Welt gegangen, der sich wegen seiner Stärke und seiner stiermäßigen Roheit alles und jedes durfte herausnehmen. Nun war ein Knirps dahergekommen, den er, wie Goliath, glaubte, mit einem Schlage seiner ungefügen Faust zu Schanden hauen zu können, und der hatte ihn, wie David mit der Schleuder, mittelst seiner höheren Bildung, die der Schlot verachtete, in einem bildlichen Sinne zu Boden geworfen. Er war und blieb wie vor den Kopf geschlagen. Von seiner ekelhaften Großtuerei war er in einen nicht viel erfreulicheren Untertanensinn gefallen. Wollte sich doch einmal der alte Flaps in ihm regen, so braucht ich ihm nur in Aussicht zu stellen, daß ich am nächsten Sonntage wollte ciceronianisch mit ihm sprechen; dann kroch er zu Kreuze wie ein verprügelter Hund.

Der Prahlhans wird es wohl Zeit seines Lebens nicht verwunden haben, daß er sich vor mir hat müssen als Analphabeten bekennen. 199

 


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