Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Vorbemerkung Brinkmeyers

Es will mir nicht in den Sinn, daß jemand sich hinsetzt und schreibt nieder, was er in seinem Leben erfahren hat, ohne zu erklären, wie er zu diesem Entschlusse gekommen ist und was er damit bezweckt. Denn ohne einen gewichtigen Anlaß wird einer, der im Leben seinen Mann gestanden hat, Zeit und Arbeitskraft nicht auf ein so unnützes Tun verwenden; er sei denn im Greisenalter schwatzhaft geworden.

Ein jeder will erst wissen, mit wem er zu tun hat, ehe er ihm zuhört. So wisse er, daß dies ein Mann schreibt, der zwar seine anderthalb Jahre in der Prima eines Gymnasii zugebracht hat, wenn auch nur, um mich als wahrheitliebenden Mann einzuführen, in der Unterprima. Der sich aber sodann aus wohlerwogenen Gründen, die an ihrem Orte sollen erörtert werden, der wissenschaftlichen Studien entschlagen hat, um sich ganz dem Studium der Welt und ihres Treibens widmen zu können.

Wer also glaubt, er bekäme hier Uebersetzungen aus des Platonos Protagoras oder sonst gelehrten Krimskrams zu lesen, der fange lieber 9 nicht erst an. Wiewohl ich mich jenes unsterblichen Buches noch recht gut erinnere und es nur eines kurzen Studiums der griechischen Grammatik bedürfte, und ich könnte es wieder fließend übersetzen; oder wenigstens einigermaßen.

Den Cicero aber getraue ich mich noch heute schlank zu übersetzen. Denn ich habe eine große Bewunderung für jenen ausgezeichneten Römer und glaube, daß er weltweiser war als die Schulmeister und Literaten, die ihn heute gering schätzen. Wie denn die mir von Gott verliehene Gabe einer Ciceronianischen Beredsamkeit, verbunden mit einer sehr platonischen Gesinnung, mir mehr als einmal aus schwierigen Lebenslagen herausgeholfen hat. Der Leser wird zu seiner Zeit das Nähere erfahren.

Was mich nun zum Schreiben veranlaßt, das ist, um es ohne Hinterhalt auszusprechen, der Undank meiner Mitbürger.

Ganz unerwähnt soll es bleiben, daß ich ihnen als Stadtverordneter zwölf Jahre meines Lebens geopfert habe. Und hat es nur eine Sorte Menschen gegeben, die den Tag gesegnet hat, wo ich eine Wiederwahl wegen beginnender Altersbeschwerden abgelehnt habe: Unternehmer, Lieferanten und Handwerker, die von der Stadt Aufträge schlucken. Denn daß man ihnen auf die Finger paßt, das können solche Galgenvögel nicht vertragen. Wer sich aber gut dabei gestanden hat, das war der Stadtsäckel.

Wie gesagt, das soll hier unerwähnt bleiben. Nichts liegt mir ferner, als mich meiner 10 etwaigen Verdienste berühmen zu wollen. Scheinen mir in dem derzeitigen Abschnitte meines Lebens, den ich den philosophischen nennen möchte, ohnehin zuweilen recht fadenscheinig zu sein, solche Verdienste. Nicht, als ob unter meinen Mitbürgern irgend jemand wäre, dem sich, alles wohl erwogen, höhere Verdienste um das gemeine Wesen beilegen ließen als meiner Wenigkeit. Sondern ich habe jene dem abgeklärten und höheren Dingen zugewandten Geiste sich erschließende Einsicht im Sinne, daß unser menschliches Treiben allzusamt unersprießlich ist; ganz besonders aber das Treiben in den Städten.

Ich preise es denn auch als eine hohe Gunst des Schicksals, daß ich nicht im Qualm einer Stadt, sondern auf dem Lande groß geworden bin, und zwar in dem uralten Sachsendorfe Kattenhausen.

Ich war der älteste von uns Geschwistern und sowohl nach menschlicher wie nach göttlicher Satzung bestimmt, unsern guten Bauernhof zu übernehmen, der den Brinkmeyers seit vielen Jahrhunderten eigen ist. Steht doch – leider muß ich heute sagen: stand doch unser Haus am südöstlichen Eingange des Dorfes, da wo sich das Gelände sachte erhebt und nicht nur im Munde der Angesessenen, sondern auch auf den alten Flurkarten der Brink genannt wird.

Sollte nun aber jemand aus dem Namen Kattenhausen schließen wollen, wir gehörten dem Stamme der Chatten an, so hat er sich geschnitten. Wir sind echte Sachsen und müssen uns 11 derlei Anschwärzungen verbitten. Wie sich der Name Kattenhausen erklärt, darüber mag man verschiedener Meinung sein. Ich für meine Person glaube, daß er aus dem jedem Niedersachsen wohl bekannten Worte Köthe entstanden ist. Welches Wort wiederum aus dem Lateinischen casa geworden sein möchte.

Wer mich nun, um das Ding beim rechten Namen zu nennen, um mein Recht der Erstgeburt betrogen hat, das war unser Dorfschulmeister. Warnecke hieß er, der bleiche Hungerleider mit der spitzen Nase und den langen Haarsträhnen, davon ihm der ohnehin recht abgeschabte Rock hinten ganz voller Schinn war. Sehe ihn noch vor mir, wie er auf meine guten Eltern einredete, als begingen sie ein Unrecht, wenn sie mich nicht studieren ließen. Von meinem Vater freilich hat er nicht viel mehr Antwort gehört, als ein gelegentliches Hm, oder höchstens mal: t'is denn so. Mein Vater war ein Niedersachse von echtem Schrot und Korn, und so pflegte er sich auszudrücken, wenn ihm eine Sache nicht einleuchtete.

Aber Satanas weiß ja schon vom Paradiese her, daß er seine verruchten Künste mit weit mehr Aussicht auf Erfolg bei den lieben Frauen anbringt, als bei uns Männern; zumal wir Brinkmeyers von jeher allesamt aus festem Holz geschnitten waren.

Die Mutter und ihre Mutter und Vaters Mutter, die alle drei noch am Leben waren, sahen mich schon im Rocke Martin Luthers auf der Kanzel stehen, oder gar als gestrengen Salomo 12 hinter dem grünen Tische sitzen; denn so'n Amtsrichter dünkte den guten Frauensleuten, Gott erbarme sich ihrer Seelen, noch was Größeres.

Was soll man da weiter sagen? Kam hier auch nicht anders, als seiner Zeit im Paradiese.

Wenn ich mir alles so in der Erinnerung zurechtlege, glaub ich fast, daß mein guter Vater seitdem niemals wieder froh gewesen ist.

Freilich, was man froh nennt, das gab's wohl eigentlich überhaupt nicht bei ihm. Danach war das Leben dazumal für den Bauer nicht angetan, wenn er nicht ein ganz schwerer war; denn von Zuckerrüben wußte man noch nichts, und das Korn war billig.

Zwar hatten wir, was nicht viele Familien und nur ganz vereinzelte Bauersleute in der Welt haben, einen richtigen und wahrhaftigen Erbonkel. Das war der Onkel Pedro. Wird noch des öfteren von ihm die Rede sein müssen. Beerbt haben wir ihn; aber Erbschaften dieser Art will ich gern an meinen bittersten Feind abgeben und ein Gesegn' es Gott obendrein.

Der Onkel Pedro hieß eigentlich Peter, war ein älterer Bruder meines Vaters und hat auf sein Recht der Erstgeburt verzichtet, eben wie ich auch, nur daß es bei ihm nicht, wie bei mir, aus übergroßem Verlangen nach den Wissenschaften geschehen ist. Was ihn eigentlich zu seinem Verzichte und zu seiner Auswanderung getrieben hat, darüber hat sich mein Vater nie geäußert, und ich habe keine Neigung, Nachforschungen 13 anzustellen; denn der sauberste Handel wird's wohl nicht gewesen sein.

Jedenfalls ist der Onkel nach Peru ausgewandert und hat, unkindlich genug, bei zwanzig Jahre nichts von sich hören lassen. Dann endlich hat sich sein verhärtetes Gemüt soweit vermenschlicht, daß er an den Vater geschrieben hat, und seitdem hat die Korrespondenz nie ganz aufgehört, bis zu seinem seligen, oder vielleicht auch ganz unseligen Ende. Stellte sich nun heraus, daß der Onkel drüben zu Gelde gekommen war, durch welche Praktiken und Schliche, das wissen wir nicht und haben's auch, zum Heil unsrer Seelen, in keiner Weise zu verantworten.

Er starb erst lange nach meinem Vater und ich denke mit Ehrfurcht an dessen prophetischen Geist, der nichts davon wissen wollte, daß bei den Plänen für die Zukunft die Erbschaft irgendwie in Rechnung gestellt würde; er mochte diesen Bruder ja wohl kennen.

Will hier nichts weiter vorweg greifen. Von gegenwärtigen Vorteilen war schon gar keine Rede. Es ist Sennor Pedro nie eingefallen, uns von seinem Ueberflusse abzugeben.

Hunger haben wir deswegen nicht gelitten. Ich habe seither an mancher Tafel gesessen und weiß, was schmeckt: Das Schweinegut im Elternhause, damit ist kein Essen in der Welt zu vergleichen.

Aber mit dem Sattessen allein ist's nicht getan. Mein Vater hat sich all sein Lebtag so geschunden, daß sich heutzutage ein Tagelöhner 14 dafür bedanken würde; und hat's doch nicht dahin gebracht, daß er sich hätte können einmal im Leben ohne Sorgen schlafen legen. Nun mußte noch der Teufel in Schulmeisters Rock dazwischen kommen und die Sorge vermehren. Denn die Pension in der Stadt, die Bücher, das Schulgeld, das wollte bezahlt sein.

Im Laufe der folgenden fünf Jahre sind sie dann alle vier gestorben, nach der Ordnung des Alters: die beiden Großmütter, der Vater, die Mutter. Ich war ja spät auf das Gymnasium gekommen und war Obertertianer, als wir die Mutter zu Grabe trugen, da ich dem Alter nach hätte können Primaner sein. Tut mir noch heute fast leid, daß sie mich nicht in der roten Primanermütze gesehen hat. –

So wär' ich denn mit der Einleitung fertig.

Nur nebenbei und gewissermaßen unter der Linie sei bemerkt, daß ich von Statur untersetzt, breitschulterig, aber klein bin, wie die Brinkmeyers durchweg. Meine Körperkräfte übersteigen jedoch das normale Maß um ein sehr großes, dermaßen, daß ich überall der stärkste an Körperkraft war, wohin ich in meinem wechselreichen Leben gekommen bin. Daraus, daß man von einem so kleinen Männlein nichts weniger erwartete, als eine ungewöhnliche Körperkraft, ist mir mancher Spaß entstanden. Mehr nicht. Meine Erfolge im Leben verdanke ich samt und sonders nicht den Kräften meines Körpers, sondern denen meines Geistes.

Da stellt sich gleich eine ungewollte 15 Bestätigung ein. An Körperkraft will ich's noch heute mit jedem aufnehmen, er sei denn ein Athlet von Berufs wegen. Und am Ende gar auch mit so einem. Der Geist aber, mit dessen Beständen ich in der unaufhörlichen Drangsal meiner Jugend- und Mannesjahre und in der dem Gemeinwohl dienenden Arbeit meines höheren Alters sozusagen Raubbau getrieben habe, läßt nach: Hab ich doch wirklich vergessen, zu erklären, was ich mit diesem curriculo vitae bezwecke.

Kurz und gut: ich will meinen lieben Mitbürgern zeigen, welch einen Mann sie in dem Winter seines Lebens der Einsamkeit überantwortet haben, damit sie nackt und kahl in ihrem Undank, ihrer Muckerei und ihrem Pharisäertum vor der Nachwelt am Pranger stehen. 16

 


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