Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das sechsundzwanzigste Kapitel

Das einzige meines Lebens, das ich mit einer gewissen Beschämung und nur aus unüberwindlicher Wahrheitsliebe schreibe

An eine Planke geklammert, wurde ich stundenlang von der wütenden See hin und her geworfen, bis mich endlich eine mitleidige Welle an den Strand warf.

Die Nacht war lau. Es herrschte eine sonderbar weiche Luft, die mir einiges Mißbehagen erregte. Ich merkte, daß sie aus der Stadt herüberwehte, deren Lichter in der Ferne glänzten. Es blieb mir nichts übrig, als mich dorthin zu begeben und den Einwohnern als ein Schutzflehender zu nahen.

Ich fand bald eine Heerstraße, die in die Stadt führte, mußte aber wahrnehmen, daß sie schlecht erhalten war. Als ich an die ersten Häuser kam, sah ich vor einem Gebäude eine Truppe stehen, bei deren Anblick ich annahm, daß es sich um eine Maskerade handelte, denn sie sahen aus wie Operettensängerinnen in Uniform. Da ich müde war, hatte ich keine Lust, den Spaß mitzumachen. Die Person, die den Leutnant spielte, 406 rief: Heda, Sie! Hier kommt niemand durch, ehe er der Regierung Gehorsam geschworen hat!

Fräuleinchen, morgen spiel ich mit, heut bin ich müde, sag ich, und schiebe sie sanft aus dem Wege.

Sie springt wieder vor, zieht blitzschnell eine Pistole und hält sie mir vor die Brust. Ich denke im ersten Augenblick, es ist eine Theaterpistole. Da sehe ich aber, daß es eine höchst elegante Kolbenpistole von vier Kaliber Drall ist, und damit wollt ich nichts zu tun haben. So mußt ich mich fügen und mit der Leutnantin die Stufen hinansteigen.

Da wir an das Gebäude und somit ins Licht kamen, sah sie mich an, blieb stehen und rief halblaut: Wetter noch einmal, was haben wir denn da? Ist ja 'n allerliebstes Käferchen!

Hierauf bot sie mir mit einer flotten Verbeugung den Arm. Ich dachte nun doch wieder, es handle sich um einen Maskenscherz, hakte meinen Arm auf das zierlichste ein und flüsterte verschämt: Ach Gott, vor allen Leuten!

Die Dame zog mich in einen Gang, wo wir von außen nicht gesehen werden konnten. Hier kniff sie mich in die Backe, nannte mich ein süßes Schneckchen und wurde in ihren Liebkosungen immer energischer. Endlich zog sie mich stürmisch an ihren Busen, wogegen ich mich ja denn auch nicht grade mochte zur Wehr setzen, und sagte mir schmeichlerisch ins Ohr: Schatz, wie wär's? Um zwei Uhr bin ich dienstfrei, hm?

Ich dachte, die treibt den Scherz weit. Da ich 407 mich aber nicht wollte als Spielverderber erweisen, tat ich, als ob ich mich loszumachen versuchte und sagte schmelzend: O, Fräulein Leutnant!

Indem öffnete sich eine Tür. Drei Damen, ebenso wie meine kostümiert, traten heraus und spähten, bis sie uns entdeckt hatten. Sie brachen in ein Jauchzen aus und riefen durcheinander, was Kam'rad Müllern doch für'n Dusel hätte, Kam'rad Müllern wollt' alle Blumen für sich allein haben, aber das wär hier nicht Sitte, und dergleichen mehr.

Alsbald so kamen sie herangehuscht, worauf sich denn ein scherzhaft gemeintes, für mich aber recht lästiges Balgen erhob, indem die Müllern mich fest hielt und die drei andern mich in die Offizierstube zerren wollten. Da ich neugierig war, was ich da zu sehen bekäme, macht ich dem Balgen ein Ende, indem ich alle viere sanft aber unzweideutig von mir abschüttelte und in die Stube ging.

Es herrschte ein ziemlicher Zigarettenqualm. Auf einem Tisch, an dem offenbar die Dreie gesessen hatten, standen halb leere Gläser Himbeerlimonade. Um einen andern saßen fünf Offizierdamen, tranken ebenfalls Limonade und spielten Karten. Ich bemerkte, daß sie »Leben und Tod« um Pralines spielten.

Die draußen erholten sich rasch von ihrer Bestürzung und stürmten jauchzend hinter mir her. Die Spielerinnen warfen die Karten hin und sprangen auf. Alle umringten mich, nannten 408 mich ein süßes Käferchen und überboten einander in Liebeserklärungen.

Ich sagte mir: Wilhelm, setz dich nicht in Ungelegenheiten, mit den Wölfen soll man heulen, blickte verschämt an mir hernieder und versuchte zu erröten, indem ich mich zu diesem Zwecke in die Seele der Frauenzimmer zu schämen bestrebte.

Eine, die sich besonders verwegen benahm, rief endlich: Ihr Weiber, 'n kapitaler Einfall! Woll'n das Kerlchen ausspielen!

Da sagte niemand Nein. Sie setzten sich alle neun hin und spielten Leben und Tod um mich, ohne daß man sich um meine Gefühle irgendwie bekümmert hätte.

Ich war begreiflich müde geworden, setzte mich in eine Ecke und fiel in einen Halbschlaf. Nach einer Weile hört ich rufen: Hurra, die Schulzen ist tot!

Eine, offenbar die Schulzen, stand auf und ging in der Stube umher. Dabei kam sie wie absichtslos in meine Nähe und sagte leise: Kleinerchen, kommst du mit, spendier ich 'ne Flasche Sekt!

Da ich nun in meiner Abgespanntheit ein großes Verlangen nach einem Glase Sekt verspürte, antwortet' ich leise: Halte Wort, und ich bin dein!

So wollten wir uns denn hinausschleichen. Die Spielenden merkten aber Lunte, sprangen auf, schlugen Lärm und hielten uns fest.

Indem steckt ein andres Frauenzimmer den 409 Kopf zur Tür herein, ruft hastig: Vorsicht, Weiber, Major Pinkepanken! Und verschwindet.

Nun war Holland in Not. Man wollte mich verstecken, aber wohin?

Da kam auch schon die Majorin. Ein stattliches Weib um die vierzig herum. Kerngesund, etwas zu rot im Gesicht. Aber das war mit den andern Frauenzimmern auch nicht anders.

Die standen verlegen da. Die Pinkepanken keifte wie besessen, in welcher Form hier, wie ich nachher merkte, ganz allgemein das vom Stapel gelassen wurde, was wir Männer eine donnernde Standrede nennen.

Hiernach wandte sie sich zu mir und sagte: Sie da, wie kommen Sie hierher? Wissen Sie nicht, daß in der Kaserne kein Mannskerl geduldet wird?

Dabei faßte sie mich immer schärfer ins Auge. Was ist denn das, fuhr sie in einem sehr viel sanfteren Tone fort, sehen ja aus, als ob Sie Schiffbruch gelitten hätten!

Sie stellte sich unmittelbar vor mich und betupfte mich. Wirklich noch ganz feucht, sagte sie laut, fügte aber im Flüstertone hinzu: Ich hab ein seidenes Bettchen, willst du dich wärmen, kleiner Süßer?

Die Leutnantinnen hatten jedoch die Ohren gespitzt. Hurra, riefen sie, Major Pinkepanken will mitspielen, umringten uns und wollten die Majorin an den Spieltisch führen. Sie jauchzten und schwatzten durcheinander und die 410 Majorin keifte, so daß ich mir im stillen über die Disziplin dieser Truppe meine Gedanken machte.

Nun sah man aber doch bald, daß diese und jene wieder ängstlich wurde. Ich denke, was kann da sein, sollst dir auch deinen Spaß machen. Kriege also die Majorin zu packen, hebe sie hoch und trage sie im Triumph dreimal um den Tisch herum. Da war alles starr, aber gleich danach aus Rand und Band. Das Ende war, daß sie einander das Wort gaben, nichts von der Sache zu verraten und daß die Majorin mit am Spieltische saß.

Ich bemerkte aber, daß es nur neun waren und fand bald heraus, daß eine Fähnrichin, ein allerliebstes, keckes Dingelchen von siebzehn Jahren, sich mußte davongemacht haben.

Dauerte nicht lange, da hatte die Spielwut die Frauenzimmer so gefaßt, daß sie gar nicht mehr wußten, um was sie spielten. Plötzlich rief eine: Halt, Pinkepanken! Ich hatte Treff As, der Stich ist mein!

Die Majorin kriegte einen roten Kopf und schrie: Subordination, Meiern! Ich stecke Sie in Stubenarrest! Worauf sich denn von Seiten der sämtlichen Leutnants ein groß Gezeter erhob.

Da ich nun neugierig nach der kleinen Fähnrichin war, mir auch unter diesen Weibern einigermaßen übel wurde, benutzt ich den Trubel und schlich zur Tür hinaus.

Auf dem Gange, wo mich die Müllern vorhin abgeküßt hatte, fand ich richtig die kleine Fähnrichin. Sie hatte sich auf eine Bank gesetzt, die 411 da stand, und sah mit großen Augen in den Mond hinauf, wobei sie die Lippen halb geöffnet hielt. Jetzt hatte sie gar nichts Keckes mehr, sondern etwas süß Schmachtendes.

Als sie mich erblickte, schrak sie heftig zusammen, gab sich aber gleich einen Ruck, schlug die Arme untereinander und wollte recht unternehmend aussehen.

Ich ging zu ihr. Sie sprang auf, verbeugte sich und sagte im Kavalierston: Aeh, sollte schon Sonne aufgehen?

Liebes Kind, sagt ich, diese Rolle steht Ihnen garnicht.

Sie war sprachlos. Ich redete verständig mit ihr. Das hatte leider den Erfolg, daß sie bald in meinen Armen lag und sich vor Liebe garnicht zu fassen wußte, wie ich meinerseits vor Verlegenheit. Denn ich sah mit Schrecken, was ich unschuldigerweise angerichtet hatte.

Nun war das soweit ganz wohlgediehen. Es liegt nicht in meiner Absicht, dem Leser den Mund wässerig zu machen. Soll hier mithin unerwähnt bleiben, wie selbst mein Widerstand vor diesem Liebreiz allmählich zerschmolz und was sich weiter begab.

Als wir des andern Morgens unter verliebtem Scherz und Frohsinn miteinander frühstückten, malten wir uns gar lustig aus, wie die Gewinnerin unter den Spielweibern, vermutlich die dicke Majorin, mit mir hatte abziehen wollen und der Vogel ausgeflogen war.

Leider kam das üble Ende nach.

412 Meine Fähnrichin begab sich zum Dienst. Beim Abschied mutete sie mir ganz unbefangen zu, ich sollte inzwischen das Bett wieder zurechtmachen, das Waschbecken ausgießen, reinigen und neufüllen, und was denn sonst dazu gehört. Sie war höchlichst erstaunt, daß ich die Zumutung weit von mir wies.

Als ich nun über meinem Platon saß und die Außenwelt wie immer bei dem Göttlichen vergessen hatte, hielt mir plötzlich jemand eine Kolbenpistole von vier Kaliber Drall vor die Brust. Natürlich war das wieder die Müllern. Diesmal nannte sie mich aber keineswegs ein allerliebstes Käferchen, sondern erklärte mich barschen Tones für verhaftet. Sie war ganz Gift und Galle geworden.

Ich sah denn also abermals den Schrecknissen einer unschuldigen Untersuchungshaft entgegen, blieb aber heitern Mutes; denn es wurde mir nicht verwehrt, meinen Platon in die Tasche zu stecken.

Zunächst wurde ich indessen als Zeuge vernommen, und zwar vor einem Kriegsgericht, das gegen meine Fähnrichin zusammengetreten war. Sie wurde angeklagt, während des Dienstes absichtlich eine Mannsperson in die Stadt eingelassen zu haben, die der Regierung nicht Gehorsam geschworen hätte. Denn was sich sonst noch begeben durfte, durfte weder kriminell noch disziplinarisch geahndet werden, da es vielmehr als ein unerläßliches Probestück republikanischer Tugend angesehen wurde.

413 Unter den fünf Richterinnen bemerkte ich mit Schrecken die Pinkepanken und die Meiern, denn ich hätte mich müssen schlecht auf die Weibnatur verstehen, wenn die mir nicht seit meiner Flucht spinnefeind gewesen wären. Wirklich hatten sie während meiner Aussage beständig mit der Vorsitzenden zu flüstern, gleichsam als ob mir nicht zu trauen wäre. Die Vorsitzende, eine üppige Kommandierende von fünfundvierzig, und die beiden andern ließen sich aber augenscheinlich in keiner Weise beeinflussen, sondern behandelten mich auf das liebreichste. Da ich nun aber Mut gewann und für meine Fähnrichin eintrat, indem ich mich als den Verführer darstellte, winkten sie heftig, daß ich abtreten sollte.

Ein Reinmachemann, mit dem ich während der Beratung sprach, meinte traurig, es würde wohl übel ablaufen, ich wäre den Richterinnen gar zu lieblich in die Augen gefallen. Ich meinte erstaunt, das müsse doch der Fähnrichin zur Entlastung dienen, er schüttelte aber den Kopf und sagte mit feinem Lächeln: Da kennen Sie unsre Richterinnen schlecht!

In der Tat wurde die arme Fähnrichin zu einer wirklich barbarischen Strafe verurteilt. Man schnitt nämlich ihr schönes Lockenhaar so dicht über dem Kopfe ab, daß sie einen sogenannten Stiftekopf hatte. Des ferneren zog man ihr ein ganz geschmackloses Kostüm aus grauem Leinentuch an, das ihr noch dazu viel zu weit war, sodaß man von ihren anmutigen Körperformen kaum noch etwas ahnen konnte. Nicht 414 anders durfte sie sich ein ganz Jahr lang zeigen, weder öffentlich noch im Freundeskreise. Man versteht wohl, daß die Unglückliche es vorgezogen hatte, ihre Zuflucht zu einer barmherzigen Flasche Lysol zu nehmen.

Mit mir verfuhren die Beamtinnen dagegen ganz säuberlich. Sie richteten die Frage an mich, ob ich nachträglich bereit wäre, der Regierung Gehorsam zu schwören. Als ein Mann, den das Leben schon längst gelehrt hatte, die Dinge zu nehmen wie sie sind, erklärte ich mich ohne Federlesen bereit, worauf mir eröffnet wurde, ich sollte den Eid vor dem Parlament ablegen, das eben versammelt sei.

Als ich nun dorthin geführt wurde, fiel es mir auf, daß man mich in den Straßen wie ein Weltwunder anstarrte. Ich mußte schon einige Berühmtheit erlangt haben. Es hatten sich allenthalben Neugierige aufgestellt, die augenscheinlich auf mich gewartet hatten. Allerdings handelte es sich dabei vorzugsweise um das hier zu Lande regierende Geschlecht. Was ich an Männern sah, waren zum einen Teil Dienstleute, Steinklopfer und überhaupt schwere Handarbeit Verrichtende, zum andern waren es hübsche, aber ziemlich müde und ganz einfältig aussehende Leute jugendlichen oder höchstens mittleren Alters. Die allgemeine Bewunderung konnte mich danach nicht sonderlich stolz machen, denn hier mußte der Einäugige König sein.

Von meiner Huldigung sei nur bemerkt, daß ich den Eid auf ein Reichsinsignium von Samt, 415 Seide und künstlichen Blumen ablegen mußte; erst nachträglich kam ich darüber ins klare, daß ich dergleichen schon auf der Straße gesehen hatte: es war ein eben in die Mode gekommener Damenhut.

Hiernach bat ich auf das freimütigste, der Sitzung noch ferner beiwohnen zu dürfen, worauf man mir einen Sitz auf der Galerie anwies.

Mir schräg gegenüber war eine Loge, auf deren vorderem Sessel eine prachtvolle Blondine in blaßblauer Seide saß. Sie war die Präsidentin der Republik. Hinter ihr saßen ihre beiden Adjutantinnen, die auch nicht übel waren, aber denn doch gar zu dreist mit mir kokettierten. Die Präsidentin war dagegen, wozu sie alle Ursache hatte, ganz in die Vorgänge im Saal versunken. Was sie freilich nicht verhinderte, mich unauffällig aber eingehend zu mustern.

Es stand nämlich ein Antrag zur Debatte, daß es der Präsidentin erlaubt sein sollte, für die Dauer ihres Amtes einen Präsidentin-Gemahl zu wählen. Eine Rednerin von der Rechten, eine ungemein saubere Dame, begründete das damit, daß die Republik über kurz oder lang mit auswärtigen Staaten in Verbindung treten müsse und daß bei der leider noch allgemein herrschenden Rückständigkeit, mit der man doch nun einmal rechnen müsse, ein Jahres-Gemahl (so lange dauerte die Präsidentschaft) angenehmer wirken würde, als der jetzige Zustand, wo es jeden Tag ein andrer sein könnte.

Nun kam eine Rednerin von der äußersten 416 Linken, ein rothaariges Mensch, mit einer schrillen Stimme, dem es allerdings auch anzusehen war, daß sie mit ihrer Person für ihre Ueberzeugung eintrat. Die bezeichnete die Vorlage als einen Verrat an den Idealen der Republik. Sie kreischte dabei, daß einem die Ohren wehtaten, was die Zeitungsberichte nachher als den Brustton der Ueberzeugung priesen.

Ihr schloß sich im Ergebnisse eine Aengstliche von der gemäßigten Linken an. Sie meinte, der Präsidentin-Gemahl möchte in Versuchung geraten, auf die Entschlüsse der Präsidentin einwirken zu wollen. Sie konnte aber kaum zu Ende reden, da auf allen Bänken und Tribünen anhaltend »Oho« gerufen wurde. Eine häßliche Alte mit einer Brille widerlegte sie wissenschaftlich und langweilig, indem sie auseinandersetzte, die Stellung des Gemahls würde analog der einer Bienenkönigin sein, und die sei nicht geeignet, ehrgeizig zu machen.

Nun behauptete eine letzte Opponentin kraß, die Antragsteller wollten mit dieser Verletzung der Verfassung eine Bresche in das Prinzip legen und planten nichts mehr und nichts weniger, als im Laufe der Jahre die Ehe wieder einzuführen, womit sie sich denn allerdings unter dem Beifall der großen Mehrheit des Hauses einen Ordnungsruf zuzog.

Den Ausschlag zu gunsten der Vorlage gab eine Rednerin, die sehr geschickt und ohne daß die Beteiligten die Absicht merkten, mit Imponderabilien operierte. Sie wies nämlich auf 417 die Möglichkeit hin, daß die Präsidentin die Staatsgeschäfte vernachlässigen könnte, indem sie sich gar zu eifrig mit dem Aussuchen der Tagesmännchen befaßte, wobei sie ja in ihrer Stellung noch mehr Auswahl hätte, als jede andre.

Ich glaube, daß eben dieser Satz die Zweifelnden bestimmte, sich für die Vorlage zu entscheiden. –

Der Antrag, der nun zur Debatte stand, ging von der äußersten Linken aus. Es sollten nämlich alle Namen abgeschafft und die Menschen nur nach Zahlen bezeichnet werden, je nach der Reihenfolge, in der sie in das anzulegende Register eingetragen würden. Damit die Namen nicht im Laufe der Generationen zu unaussprechlichen Ziffern anwüchsen, sollte jede Zahl mit dem Tode des Inhabers frei werden.

Begründet wurde der Antrag damit, daß von der heranwachsenden Generation niemand mehr seinen Vater kennte und daß es den Prinzipien der Republik nicht entspräche, wenn die Mütter durch irgend etwas könnten an die Zahl ihrer Kinder erinnert werden.

Ein Gegenantrag wollte weibliche Namensfreiheit einführen, sodaß jede weibliche Person nur bei der Behörde anzuzeigen brauchte, sie habe sich den und den Namen beigelegt. Hinsichtlich der Männer wollte es auch dieser Antrag bei der Numerierung bewenden lassen. Ich hatte den Eindruck, daß die Mehrheit für den Antrag war. Man bemerkte viele Damen, die 418 einander mit der Aufzählung ihrer künftigen Namen, meist aus dem Blumenreiche, überboten.

Leider konnt ich die Debatte nicht verfolgen. Es standen nämlich zu meiner Ueberraschung unversehens die beiden Adjutantinnen der Präsidentin hinter mir und entboten mich in ihre Loge.

Da gab es natürlich kein Zögern. Die beiden gingen in streng amtlicher Haltung zu meinen Seiten. Sobald wir aber infolge der Rundung der Tribüne dem Blicke der Präsidentin entzogen waren, wurden sie zu andern Menschen. Sie drängten sich an mich und flüsterten mir mit verliebten Gebärden von rechts und links in die Ohren: Kleiner, Süßer, brauchst nicht bange zu sein, sollst Präsidentin-Gemahl werden.

Die schöne Blondine sah mich lächelnd an und fragte gütig, ob ich wohl Neigung hätte, Präsidentin-Gemahl zu werden. Sie dachte, ich würde in die äußerste Bestürzung geraten. Statt dessen verbeugte ich mich auf das angenehmste und erwiderte, ich sei im Platon zu Hause, auch in der ciceronianischen Kunst nicht unbewandert, und ich hoffte, mich durch diese Fähigkeiten des in mich gesetzten Vertrauens würdig zu erweisen.

Die Präsidentin lachte herzlich, ebenso die beiden Adjutantinnen. Ich hörte die Worte »Unschuld vom Lande« und »Bienenkönigin«. –

So war es denn auch mir endlich beschieden, jene honigsüßen Monde zu genießen, die dem Menschen nur einmal im Leben beschert werden, und die uns nur um so inniger beglückten, als sie mit der gesamten Dauer der Ehe zusammenfielen; 419 denn das Amt meiner lieben Frau, und damit unser Eheglück, hatte noch fünf Monate zu dauern.

Wenn ich mich nun hätte wollen streng an den Geist der Verfassung halten, hätt ich garnichts arbeiten dürfen. Indessen sagte mir das natürlich nicht zu. Die Haus- und Küchenarbeit wurde von Männern besorgt. Ich merkte bald, daß hier eine große Vergeudung von Arbeitskräften stattfand, und versuchte, Ordnung und System in die Sache zu bringen. Es war aber mit diesem stumpfsinnigen Material nichts anzufangen.

Meine Frau, der ich es klagte, zog mich an sich, küßte mich auf die Stirn und sagte mitleidig: Liebes Herz, früher habt ihr Männer uns zu Halbtieren gemacht, jetzt geschieht es euch. Kann dir auch nicht erspart bleiben.

Ich dachte, das hat gute Weile, ehe sie einen Mann zum Halbtiere machen, der den Platon in der Ursprache am Schnürchen auswendig weiß. Behielt das aber klüglich für mich. Um den Argwohn der Weiber ganz von meinen insgeheim betriebenen wissenschaftlichen Bestrebungen abzulenken, legte ich mich des ferneren auf grobe Arbeit, insbesondere zerkleinerte ich eigenhändig unser sämtliches Brennholz.

So steh ich eines morgens, es war noch im ersten Monate unserer Ehe, ohne Rock und Weste auf dem Hofe und säge emsig drauflos. Da hör ich auf einem vorbeiführenden Wege ein Pferd dahergaloppieren. Habe weiter kein Arg daraus. 420 Grade neben mir wird es plötzlich gezügelt. Die kann reiten, denk ich mir und blicke unwillkürlich auf.

Ein wonniger Satan war es, der da zu Pferde saß, frisch wie die Jugend, hatte den Goldfuchs im Zügel, als wär's ein Schaukelpferd, und lachte mich an, daß ich meine Freude an den weißen Zähnen hatte.

Da ich nun aber aus Erfahrung wußte, daß ein muntrer Kerl von leidlichem Aeußern hier wie ein fetter Wurm auf ausgehungerte Fische wirkte, beugt ich mich wieder hinab und sägte.

Die Schöne neigt sich vom Pferde, faßt meinen Arm an und sagt: Alle Donnerwetter! Dabei macht sie gefährliche Augen.

Ich bat sie auf das schamhafteste, mich nicht weiter in Verwirrung zu setzen, bemerkte auch, Frau Präsidentin könnte jeden Augenblick nach Hause kommen.

Was geschieht? Das Frauenzimmer klatscht mit der Reitpeitsche über meinen Rücken hin, oder vielmehr, um auch hier die Wahrheit höher als jede andere Rücksicht zu stellen, über den weiter unten befindlichen Körperteil. Da ich nun zornig auffahre, denn so was laß ich mir trotz aller Kolbenpistolen nicht bieten, legt das tolle Mädel den Arm um meinen Nacken und küßt mich ab, daß mir Hören und Sehen vergeht. Eben besinn ich mich soweit, daß ich mir diese unziemliche Vertraulichkeit ein für allemal verbitten will, da reitet sie schon wie der Sturmwind die Straße hinunter.

421 Da nun meine Frau gleich darauf nach Hause kam und der Amazone noch begegnet war, erfuhr ich, daß diese sich neuerdings den Namen Donna Juana beigelegt habe, denn das Gesetz war wirklich durchgegangen, sowie, daß sie wegen ihrer Verwegenheit einen großen Anhang hätte und zweifellos nach ihr Präsidentin sein würde.

Von da an bereitete die Juana meiner Frau fortgesetzt den unleidlichsten Aerger. –

Es wurde beschlossen, einen Minister der schweren Arbeiten anzustellen, und zwar einen männlichen. Da nämlich bisher kein Mann irgendetwas hatte zu sagen gehabt und die Weiber es für ganz unter ihrer Würde hielten, irgend etwas von grober Arbeit zu verstehen, war alles, was irgend damit zusammenhing, in einer unerträglichen Verfassung, wie mir ja schon bei meiner Ankunft der schlechte Zustand der Straße aufgefallen war. Es kam zu der Unfähigkeit hinzu, daß die Frauenzimmer garnicht daran dachten, die Arbeiter anders anzustellen als nach ihren Weiberlaunen, sodaß zum Beispiel geschickte Leute, die ihrem Geschmack nicht zusagten, ständig in den Kloaken beschäftigt waren, und ähnliches.

Dies Ministerium war ja nun ein Bruch der Prinzipien. Der Minister sollte aber weder Sitz noch Stimme außerhalb seines Ressorts haben, und im übrigen waren die Weiber froh, wenn sie von diesen langweiligen Dingen nichts hörten.

Meine Frau wollte nun mich auf den Posten 422 haben und ich war ja auch um meiner unterdrückten Mitmänner willen bereit, mich der Sache zu unterziehen. Der Plan war aber insofern schwierig durchzusetzen, als das Amt ja unzweifelhaft über die Funktionen der Bienenkönigin hinausging. Indessen hatte das nicht sehr viel auf sich, wenn ich nur die Sympathien für mich hatte. Donna Juana war es, die meine Kandidatur zu Falle brachte, wie und aus welchem eigentlichen Grunde, wird nachher offenbar werden. –

Was die Kunst betrifft, so läßt sich nichts rühmliches von der Insel melden. Da es keine Salonprofessoren mehr gab und es überhaupt keinen Sinn mehr hatte, vor der Herrenwelt Kunstverständnis zu zeigen, galten ernste Schauspiele als langweilig, zumal ja die dramatischen Konflikte bei der neuen Ordnung der Dinge durchweg auf rückständiger Gesinnung beruhten.

Dagegen wurde die Oper viel besucht, und zwar hauptsächlich wegen des Heldentenors. Das war ein feister Bursche, faul und dumm wie die berühmten Tenöre es ja auch anderwärts mitunter sind, und der Liebling der Weiber. Da er außer mir der einzige Mann auf der Insel war, für den zu schwärmen nicht als schimpflich galt, läßt sich denken, welche Kübel von Anbetung über das dicke Monstrum ausgegossen wurden, das übrigens trotzdem in Schulden steckte.

Das einzige, was der Oper ernstlich Konkurrenz machte, war eine Schaubude, in der sich besonders ein ekelhaft echter Nigger mit 423 Kaninchenfressen und solchen Scheußlichkeiten produzierte. –

Das Parlament hatte über die Besetzung des Ministerpostens zu beschließen. Eine wohlunterrichtete Freundin meiner Frau schilderte unter der lautlosen Aufmerksamkeit der Abgeordneten und der Tribünen meine körperlichen und auch geistigen Vorzüge. Da schmettert es plötzlich in das Haus:

Keiner ging, doch einer kam,
Siehe der Lenz
Lacht in den Saal!

Es war der dicke Heldentenor, den Donna Juana auf der Tribüne hinter einer Säule versteckt gehalten hatte. Allen sichtbar stand er nun auf der vordersten Bank und gab dem Hause sein Bravourstück »Winterstürme wichen dem Wonnemond« zum besten.

Der, wie man zugeben muß, geradezu genial auf die Psyche des Parlamentes berechnete und glänzend durchgeführte Streich wirkte unwiderstehlich. Die Versammlung geriet in eine Raserei des Entzückens. Als sich der Beifall einigermaßen beruhigt hatte, bestieg Juana die Rednertribüne und fragte, ob etwa noch ein Gegenkandidat aufgestellt werden sollte. Das durfte natürlich niemand wagen und der dicke Tenor erhielt den Ministerposten im Nebenamte durch Zuruf ohne Widerspruch.

Dies nun war ein doppelter Schlag wider meine Präsidentin, denn die hatte, durch den Umgang mit mir wieder an edle Männlichkeit 424 gewöhnt, den dicken Tenor mit offener Verachtung gestraft. Bald merkte sie, daß die Juana es darauf anlegte, ihr die Präsidentschaft zu verleiden. Als sie standhaft blieb, kam der intrigante Satan mit einer Vorlage heraus, die leider bei diesem Parlament der Annahme gewiß war: Die Präsidentschaft sollte nicht ein Jahr, sondern einen Monat dauern.

So wurde denn das heilige Band der Ehe zwischen uns jäh zerrissen, daran wir sonst noch volle drei Monate in vorbildlicher Gattentreue würden festgehalten haben.

Was Juana eigentlich beabsichtigt hatte, das wurde sogleich offenbar: sie wählte mich zum Präsidentin-Gemahl.

So bald schon umschlang mich denn also wider alles Erwarten das zweite Rosenband!

Ach, wie sollte auch dies Glück von kurzer Dauer sein!

Meine schöne und schneidige Gattin wies mir ein feuriges Reitpferd an und wir unternahmen täglich die verwegensten Ritte; denn, pflegte sie zu sagen, einen Mannskerl wie dich heiratet man nicht, um eine Zierpuppe zu Hause zu haben.

Mir behagte das nun recht wohl. Es hatte aber das Gefährliche, daß ich den Weibern, denen ein Mann zu Pferde ein ungewohnter Anblick war, noch mehr als bisher in die Augen stach. Ich war deshalb kaum überrascht, als nach zehn Tagen der Antrag eingebracht und genehmigt wurde, die Präsidentschaft sollte von jetzt an nur eine Woche dauern, und als die neue 425 Präsidentin wieder mich zum Gemahl wählte. Da gab es selbst für eine Donna Juana kein Sträuben. Sie hat sich seither einem Treiben ergeben, wogegen das ihres Vorbildes Don Juan ein Trappistendasein genannt werden muß.

Was mich betrifft, so wurde ich, wie es so zu gehen pflegt, Mode. Eine Präsidentin empfahl mich der andern, wegen welcher Eigenschaften, danach hab ich nie gefragt. Es kam, wie es kommen mußte, die Präsidentschaft dauerte bald nur noch vierundzwanzig Stunden. Ich wurde gewissermaßen lebenslänglich angestellter Präsidentin-Gemahl. Es fand sich nicht eine, die einen andern gewählt hätte, denn die wäre für unmodern gehalten worden.

Mit welchen Gefühlen ich an die Zeit zurückdenke, darüber möcht ich mich hier nicht äußern.

Nun gab es eine Dame, die sich garnicht um mich kümmerte und vielleicht grade darum mein Interesse erregte, ein bleiches, zartes, nervöses Geschöpf. Trotz ihrer hungrigen Glutaugen sah sie eigentlich immer gelangweilt aus. Sie hatte sich auch nie um die Präsidentschaft beworben.

Ich wünschte lebhaft, sie möchte gleichwohl gewählt werden, und da ich einen großen Anhang hatte, besonders auch durch meine ehemaligen Frauen, damals eben vierhundertfünfundvierzig, die mir ein dankbares Andenken bewahrten, setzte ich die Wahl durch.

Ich sitze nun den Abend bei meiner derzeitigen Frau und warte auf die Deputation, die mich zu der neuen bringen soll. Denn daß die 426 Präsidentin einen andern wählen könnte, daran dachte meine Seele nicht.

Als es nun aber ganz dunkel geworden war und niemand kam, sagte die derzeitige: Liebes Männchen, gib dich drein, sie hat wen anders. Ich dacht's wohl, die hat immer so bizarre Einfälle. Bleib nur die Nacht hier.

Sie hatte recht. Unbeschreiblich war aber das allgemeine Erstaunen, als es bekannt wurde, wen die Republik für diesen Tag auf dem Thronsessel anzustaunen hatte: es war der schwarze Kaninchenfresser.

Das seltsamste war aber, daß die Nachfolgerinnen dies nachmachten.

Mir war es ja so in einer Weise ganz lieb. Daß es aber ein stinkiger Neger war, der meinen Platz einnahm, ließ mich meine Stellung in einem recht unerfreulichen Lichte sehen. Ich beschloß, die erste Gelegenheit zur Flucht zu benutzen. In diesem Entschlusse wurde ich auch nicht schwankend, als die abgeschmackte Mode so plötzlich verschwand, wie sie gekommen war, und ich wieder aus meinem Winkel hervorgeholt wurde.

Die Gelegenheit fand sich bald. Natürlich waren die Uebelstände in den öffentlichen Arbeiten unter dem dicken Heldentenor noch ärger geworden. So hatte man auch die Deiche ganz verwahrlost. Bei einer Sturmflut stand denn natürlich das Wasser gleich hoch in den Straßen. Die Bevölkerung verlangte Abhülfe. Die Regierung sprach in einer wortreichen Kundgebung 427 das Vertrauen aus, daß sich das Wasser allmählich verlaufen würde, und ordnete ein Kostümfest in Gondeln an. Die Präsidentin verhieß ihrem aufgeregten Volke als Kleopatra zu erscheinen. Während die nun ganz mit ihrer Toilette beschäftigt war, stieg ich in ihre Gondel, ruderte davon und gelangte glücklich in die Heimat. –

So hatte ich ein mehr als sorgenfreies Dasein aus einer Grille von verletzter Empfindlichkeit aufgegeben. Ich war aber doch zufrieden, daß ich wieder zu Hause war; denn schließlich hat alles in der Welt seine Grenze. 428

 


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