Friedrich Huch
Mao
Friedrich Huch

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Zwölftes Kapitel

Vom Mond beschienen lag das alte Haus vor ihm. Er trat durch den Torbogen in die Halle und schritt zum Hof, zum Garten. Ein wüstes Feld dehnte sich grau vor ihm. Zur Seite lag ein schwarzes Loch; dort stand einst Maos Linde. Er wandte sich zum Haus, zum Giebel mit dem Wappenschilde, er sah nur leere Luft. Er wollte die Stelle sehen, wo einst der Flieder stand. Unten murmelte das Wasser, fern ragte der Turm, leiser Wind strich durch die Öde.

Er wandte sich zurück zum Hause, er schritt die Treppe empor zum Vorsaal. Der Mond schien hoch hinein; er trat ins Eßzimmer – er fand es nicht. Nach allen Seiten klaffte kahler, nebeliger Raum. Zur Seite, wo sein Schlafzimmer war, starrte Luft und Himmel, sein Fuß stockte vor der Leere.

Alles, alles war vorbei.

Aber eine wunderbare Ruhe war in ihm. Er fühlte seinen Körper nicht mehr, als er nun über das Geröll hinwegschritt, als er die niedrigen Wälle überklomm. Wie ein Schlafwandelnder schritt er leicht und sicher an allen aufgerissenen Tiefen vorüber, und nun war sein Ziel erreicht:

Vor ihm lag, vom Sternenhimmel beschienen, deckenlos der dunkle Raum, in dem er in seinen frühen Kinderjahren Stunden abgeschiedensten Alleinseins verbrachte, in dem er mit Mao einst allein war. Leer gähnte der Raum, die gegenüberliegende Wand fiel tief herab, ins Bodenlose.

Er hielt die Hände vors Gesicht, den Kopf geneigt, lange, lange.

Und leise wuchs das alte Haus um ihn empor, seine Flügel schoben sich näher und näher, unhörbar rückte es um ihn zusammen, das Dach wölbte sich über ihn, leise Töne eines uralten Gesanges umschwebten ihn. Sie verhallten nicht, sie schwangen um ihn in unsichtbarem Reigen, verbanden sich mit ihren Schwestern, schaukelten und neigten sich wie Rosen an windgewiegtem Stengel:

Da tat sich die Tiefe vor ihm auf. In Strahlen sah er von der Mitte des Hauses lange Gänge ziehen, die als Schächte im Bogen niedergingen und steil über einem finsteren Wasser endeten; sein unbewegter Spiegel war schwarz und blank wie Stahl. Und doch trafen sie sich unter diesem Spiegel, in tiefster Tiefe, unter dem Mittelpunkt des Hauses. Und dort saß unbeweglich eine verschleierte Gestalt. Die Töne schwollen an, dumpf rollten sie aus allen Gängen hin zu ihr, dumpf wurden sie zurückgeworfen, um abermals zurückzurollen, in ewig gleichmäßiger Bewegung, dumpfer, leiser, bis sie ganz zum Murmeln wurden und erstarben.

Aber in der ungeheuren Stille um ihn her erhob sich ein fernes Rauschen wie von Blättern, das näher und näher schwoll, vom Sturm getrieben, seine Stimmen dröhnten und brachen sich im Anprall, und nun jagten, brausten, flammten, flackerten sie ihm durchs Blut. Über ihm glühten und tosten die Blätter eines ungeheuren Baumes, schwangen in Feuerkreisen, schwarze Früchte platzten und barsten auseinander und schossen den goldenen, leuchtenden Staub zahlloser Funken nieder auf die alte Heimat.

Da klang, sprang und zerriß eine ungeheure Harfe.

Arbeiter fanden ihn am anderen Morgen im Abgrund, tot, im fahlen Frühlicht.


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