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Die Monate gingen hin, Enzio fühlte sich dem Bienle durch die letzten Ereignisse fester verbunden als früher; Irenes Gestalt war ihm beinah zu einem Schatten geworden. Ihr brieflicher Verkehr hatte fast ganz aufgehört, er wußte nicht mehr, was er ihr schreiben sollte, ließ sie aber in seinen Briefen an Caecilie und Richard ein jedesmal besonders grüßen. Aber auch diese Briefe wurden kürzer, von seinen musikalischen Fortschritten schwieg er gänzlich, so daß Caecilie besorgt anfragte, was mit ihm sei. Darauf antwortete er erst ausweichend, aber mit der Zeit ward es ihm unmöglich, seinen Zustand zu verheimlichen: Mit seinen Kompositionen war es nichts mehr. Alles, was er nach seiner Messe geleistet hatte, erschien ihm schal und nichtssagend. Bestenfalls waren es Wiederholungen von früher Gesagtem. Es war, als habe er mit jenem Werke alle musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten in sich erschöpft. Er wollte sich hierüber zunächst selber täuschen, übertrieb seine Mittel, und es gelang ihm auch zeitweilig; die folgende Ernüchterung war dann um so größer. – Bienle merkte die Veränderung mit ihm und ward gedrückt und traurig.

Ich habe dich genau so lieb wie sonst! sagte er; aber du kannst es nicht begreifen, was oft in mir vorgeht. Mir ist manchmal, als müßte ich die Fensterscheiben mit den Fäusten einrennen. Das hängt nicht mit mir und dir zusammen, sondern nur mit meiner Kunst. Ich will versuchen, es dir klarzumachen. Als Junge galt ich als heimliches Genie zu Hause; ich bildete mir selber ein, ich wäre es. Ich machte Kompositionen, die nach meinem Urteil und nach dem Urteil der Menschen, die mich lieben, das Allerbedeutendste für die Zukunft versprachen, voll der schönsten Hoffnungen kam ich hierher. Meine Lehrer schienen dasselbe von mir zu denken. Anfangs ging es gut, und wie ich das letztemal zu Hause war, habe ich etwas geschaffen, von dem ich immer noch glaube, daß es nicht schlecht ist. Das ist nun lange her. Seitdem stecke ich in den gräßlichsten Stimmungen und denke oft, es sei das beste, meinem Leben ein Ende zu machen – erschrick nicht, ich habe es ja nicht getan und werde es auch nicht tun, denn ich hänge viel zu sehr am Leben. Aber diese Stimmungen sind doch manchmal da, und grade jetzt, in dieser Zeit, sind sie von neuem über mich gekommen, sie werden wieder vorbeigehn, es ist unmöglich, daß etwas, das in mir drin war, ein für allemal verschwinden könnte! Das sage ich mir immer wieder, zum Trost nehme ich meine alten Sachen vor und denke: wer das gemacht hat in so jungen Jahren, wird später auch noch Besseres machen können. Aber ohne daß ich es will, gegen meinen Willen, kommt die alte Angst über mich, und dann denke ich, daß es mir einmal gehn könnte, wie meinem Vater – das wäre das allerschlimmste – ich will dir nichts davon erzählen, denn du würdest es doch nicht verstehn.

Mit solchen Reden machte er sie tief betrübt. Sie verstand nichts von seiner Kunst und mußte ihm glauben.

Aber ich will dich nicht mit solchen Dingen quälen, schloß er, dein Gesicht ist dann, als gäbe es keine Sonne mehr in meinem Leben, und das kann ich nicht ertragen.

Wenn Bienle gegangen war, warf er sich aufs Sofa und wiederholte noch einmal alles für sich selbst.

Er hatte jetzt beinah Furcht, seinen Professoren etwas Neues vorzulegen; denn der Moment war entsetzlich, wenn er es zurückbekam mit einem halb aufmunternden, halb enttäuschten Blick, in dem der Gedanke stillschweigend ausgesprochen war: Was ich Ihnen sagen kann, wissen Sie selbst, ich will Sie nicht noch mehr entmutigen.

Die Antworten, die Caecilie ihm schrieb, und die ihn aufrichten sollten, drückten ihn nur noch stärker nieder. Er fühlte sehr wohl, daß zwischen ihren Zeilen die Angst stand. Er suchte Zerstreuung bei seinen Kameraden in den Cafés, in den Weinrestaurants, aber seine Sorgen, wenn er morgens aufwachte, waren nur um so schwerer. Noch ein anderes begann ihn zu bedrücken: Sein ganzes Verhältnis zu dem Bienle. Wenn er sie sah, fühlte er wohl die alte Liebe, aber wenn er sie nicht sah, so kannte er die Sehnsucht nicht mehr. Ist denn in meinem Leben nichts, was Bestand hat? dachte er; muß denn einer Liebe immer irgend etwas Zerrendes beigemischt sein, damit sie frisch bleibt? Bienle hat die tiefe, echte Liebe, die in der Ruhe am besten gedeiht, und ich selber muß immer abschwenken, bald hierhin, bald dorthin, mir scheint, als würde ich niemals Ruhe finden.


Wir haben ein neues musikalisches Genie! sagte eines Tages sein Kompositionslehrer. – So? antwortete er, äußerlich gleichgültig, aber innerlich durchfuhr ihn dieses Wort, das wie eine Treulosigkeit des Glaubens an ihn selber klang, wie heißt denn dieser Mensch? – Ja, passen Sie einmal auf, was er für ein Gesicht hat! Er hat mir gestern seine Photographie geschenkt! – Wie eitel! sagte Enzio geringschätzig. – Das Recht auf Eitelkeit kann er auch für sich beanspruchen, sehen Sie nur her! Er überreichte ihm das Bild. – Das ist ja ein Mädchen! sagte Enzio betroffen. – Und was für eins! Was sagen Sie? – Enzio sagte nichts. Einen solch rassigen, dunklen Kopf hatte er noch nie gesehn. – Das ist doch keine Deutsche! meinte er endlich. – Halb Peruanerin, halb Spanierin! spricht aber fast so perfekt deutsch, wie eine Deutsche von Geburt. Ungemein pikant, nicht wahr? Herr Gott, ist das Frauenzimmer temperamentvoll! Wenn sie Tänze aus ihrer Heimat spielt – der liegt die Musik im Blute! Teresita soll das heißen, was da unten drauf steht, auf dem Bilde. – Enzio warf die Photographie nachlässig auf den Tisch. Ganz schön, sagte er, aber nicht mein Geschmack. Und dabei hatte er nur die eine heftige Empfindung: die möchte ich kennen lernen. – Was komponiert sie denn? fragte er weiter. – Tänze, nichts als Tänze! aber ich sage Ihnen: was für welche! Da ist alles plump und hölzern dagegen, was bei uns gemacht wird. – Tänze, sagte Enzio verächtlich. – Lieber Freund, meinte der Professor, es kommt nicht darauf an, was man macht, sondern wie man's macht. Faul ist sie bis zum Übermaß, aber in ihrer Art genial.

Enzio sah sich dieses Bild jetzt manchmal an, spähte auch auf den Gängen des Konservatoriums, ob er dem exotischen Wesen nicht irgendwo begegne, und lernte sie bald darauf durch Zufall wirklich kennen.

Es war gegen Ende seiner Stunde. Er war mitten im Vorspielen eines Werks von sich, als es klopfte und die Tür im selben Moment aufgerissen wurde.

Ich komme heut nicht, ich kann nicht, ich bin verhindert, es ist absolut unmöglich! rief eine weibliche, helle Stimme mit einem etwas ausländischen Akzent. – Das ist doch unerhört, hier so ohne weiteres einzubrechen; kommen sie mal herein! sagte der Professor. Sie tat es, reichte ihm die Hand, wiederholte: es ist ganz, ganz, ganz unmöglich, und klingelte mit ihren Armbändern. Enzio hatte sich zurückgedreht auf seinem Stuhle; er sah ein schlankes, geschmeidiges Mädchen vor sich, mit schmalen Schultern, matter Gesichtsfarbe und schön geschnittenen, dunklen Augen, die ihn jetzt erstaunt und interessiert ansahn. Haben Sie da diese abscheuliche Musik gemacht? fragte sie. – Ja, sagte Enzio, geärgert über die unverfrorene Frage. – Es war gräßlich! fuhr sie fort, wieder zu dem Professor gewendet, ich hielt es nicht mehr aus, aber ich wäre doch nicht hereingekommen, wenn es nicht schon zwölf vorbei wäre, und ich in höchster Eile fort müßte! – Es ist genau halb elf! sagte Enzio, noch immer geärgert. – So? dann geht meine Uhr wieder falsch! Ich habe schon lange vor, mir eine andere zu kaufen. – Sie löste sie von ihrer Kette, schritt zum Fenster und warf sie in den Hof. – Wie affektiert! dachte Enzio. Sie kam zurück und fragte sogleich: Also Sie haben diese schauerliche Musik gemacht? Mir scheint, dies Zeug paßt gar nicht zu Ihnen! – Ich werde wohl selber wissen, was für mich paßt! antwortete er und dachte: Gegen die muß man grob werden. Sie lachte und rief: Nun ist er beleidigt! Aber das Beleidigtsein steht Ihnen ausgezeichnet! Ich werde Sie öfter beleidigen, falls ich Sie wiedersehn sollte, Sie sind der erste schöne blonde Deutsche, den ich zu Gesicht bekommen habe, adieu, leben Sie wohl. – Fort war sie.

Etwa eine Woche später wurde seine Stunde abermals unterbrochen. Der Portier brachte ihm ein Telegramm. Darin stand nur: Möchte Sie wieder beleidigen. Treffen Sie mich um zwölf Uhr vor der Akademie. – Was Schlimmes? fragte der Professor. – Nein, nichts von Bedeutung.

Um die angegebene Zeit war er bei seinem Rendezvous. – Es ist doch einmal eine kleine, lustige Unterbrechung des ewigen Einerleis, dachte er, und ich habe etwas Zerstreuung wahrhaftig nötig.

Sie war schon da, und hatte sich die kleine Zeit des Wartens damit verkürzt, daß sie mit ihrem norwegischen Messer, das sie immer bei sich trug, dem Engelskopf am Türrelief die Nase abschnitzelte. – Nun, sagte er, bitte fangen Sie an mit Ihren Beleidigungen. – Ja, antwortete sie, das werde ich draußen im Parke tun, kommen Sie; reichen Sie mir den Arm, denn ich bin müde, aber fangen Sie bitte nicht gleich an zu drücken, darauf gehe ich nicht ein. – Das liegt mir gänzlich fern! Tut man das bei Ihnen in Spanien gleich sofort? – Ich bin keine Spanierin, in Westindien bin ich geboren. – Ich denke in Peru? – Ach was, das habe ich nur so gesagt, ich sage immer was anderes. Nun fragen Sie mich als guter Deutscher natürlich gleich: wann sind Sie geboren? Ich will es Ihnen schon vorher sagen: ich bin einundzwanzig. – War das schon die Beleidigung? fragte Enzio gut gelaunt. – Nein, die kommt erst später. Aber eines muß ich Ihnen doch gleich sagen: ich habe einen Schreck bekommen, als ich Sie neulich sah: wie ich draußen auf dem Vorplatz stand und Ihrer Musik zuhörte, dachte ich: das muß ein Mann mit einem grauen Vollbart sein, der da am Klavier sitzt, so alt und ledern kam mir die Musik vor. Was sollen alte Leute denn für Musik machen, wenn junge Menschen schon so schreiben? Dann lassen Sie sich lieber nur gleich begraben! – Enzio lachte, ein wenig verächtlich und zugleich doch mit einem höchst unbehaglichen Gefühl. – Sie verstehen diese Musik nicht! Wahrscheinlich, weil Sie nicht Deutsche sind, und also haben Sie auch kein Urteil darüber. – Ich danke schön, ich möchte sie auch gar nicht verstehn. Aber eins verstehe ich doch: daß junge Leute anders schreiben sollen! Junge Menschen haben Lebensfreude, und die hat Ihre Musik nicht. Man braucht kein tiefes und kompliziertes Urteil über deutsche Musik zu haben, um das zu begreifen. – Wie meinen Sie denn, daß ich schreiben soll? Wohl lauter Tänze? wie? – Aha! das geht auf mich! Nicht lauter Tänze, aber Melodien! Von Melodien hörte ich keine Spur; manchmal ein bißchen, aber so kläglich, so verkümmert, als wenn es Sünde wäre, nur an eine zu denken, warum antworten Sie mir nicht? Sie sind ja wie auf den Mund geschlagen! Sie sind der reine Stock! So sprach sie und rüttelte ihn ungeduldig am Arme; – nun drücken Sie doch! Sie sollen nicht drücken, Sie sollen wild werden! Stehen bleiben, mich anschreien, widersprechen, was Sie wollen! Herr Gott, sind diese Deutschen phlegmatisch! Ich habe doch mit einer Lanze nach Ihnen gestochen! Sind Sie nun genau wie alle übrigen? Als Sie mich neulich mit so zornigen Augen ansahn, dachte ich, Sie wären ein wenig anders! Gehn Sie doch wenigstens nicht immer im gleichen Schritt mit mir! Ich versuche nun schon die ganze Zeit anders zu gehn, aber immer wird es wieder so, als wenn wir beim Militär wären! Muß denn immer alles so entsetzlich ordentlich sein?

Eine Stunde später saß Enzio allein in seinem Restaurant, noch halb betäubt von dem Durcheinander ihrer Unterhaltung. Sie hatten sich getrennt mit dem Versprechen, sich wiederzusehn, am Schluß sagte sie ihm, sie wolle ihm einmal wirkliche, echte Musik vorspielen; ob er einen guten Flügel habe? der ihrige sei ganz zerhauen. Er antwortete ihr erst ausweichend, bis sie fragte: Sie haben wohl Angst vor mir? worauf er hochmütig erwiderte: O, durchaus nicht, wenn Sie kommen, wird es mir nur angenehm sein.

Jetzt dachte er über alles dieses nach. Was wollte sie von ihm? Hatte sie sich in ihn verliebt? Oder war sie so mit jedem Menschen? – Ich mag keine Mädchen, dachte er, die so unverhüllt in allen ihren Äußerungen sind, sie sind mir ekelhaft! Die kommt mir vor, als hätte sie schon eine ganze Masse erlebt.



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