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Die Jahre gingen hin.

Daß du nicht etwa Papa sagst, daß heute mein Geburtstag ist! sprach Caecilie eines Mittags, als Enzio aus der Schule kam, – ich möchte doch wissen, ob es ihm nicht noch von selbst einfällt. Es fiel dem Kapellmeister aber nicht ein, obgleich sie schließlich Anspielungen machte, indem sie die Rede auf seinen eignen Geburtstag brachte, für den er auch sofort zu einigen Wünschen angeregt ward. In den ersten Jahren ihres Zusammenlebens hatte er sich schon lange vorher auf diesen Festtag seiner Frau gefreut, und seine geheimnisvollen Andeutungen kommender Geschenke hatten sie stets mit noch größerem Glück erfüllt als die Zeichen seiner Liebe selber. Das schien vorbei zu sein. Die letzten Male waren geschäftsmäßig verpackte Kartons ins Haus geschickt, kostbarer, reicher als frühere Geschenke, und dieses Mal war der Tag wie jeder andre. Ein paarmal sah sie ihn mit einem besondern Blick an, der aber nur zur Folge hatte, daß der Kapellmeister sagte: Mein liebes Herz, was stierst du so? und ihr aus dem Wege ging, indem er dachte: Gott weiß, was sie wieder hat.

Am Abend kam dann alles, was sich in Caecilie angesammelt hatte, zur Aussprache.

Du kommst mir vor, sagte sie, wie ein reicher Engländer, der sich bei einer Dame eingemietet hat, die ihm weder sympathisch noch unsympathisch ist, der grade noch pünktlich zu den Mahlzeiten erscheint und im übrigen treibt, wozu er Lust hat.

Wie ein Engländer? fragte er, halb gereizt und halb geschmeichelt, warum grade wie ein Engländer? – Weil das die egoistischsten Menschen von der Welt sind! – Er hatte unwillkürlich schon in den Spiegel gesehn, jetzt wandte er sich zurück und sagte: Caecilie, Egoismus ist wohl das letzte, was du mir vorwerfen kannst! Wir leben nun viele, viele Jahre in der Ehe miteinander, und ich glaube, ich habe nie auch nur das Geringste getan, was egoistisch wäre oder dich verletzen könnte. Wenn jemand verletzt, so bist du es! Hier ist ein gutes Beispiel: Schon heute Mittag merkte ich, daß du nicht eben guter Laune warst, du ließest es mich deutlich genug fühlen, obgleich ich wahrhaftig nicht an deinen Launen schuld bin. Was tat ich? Ich bemühte mich, sie zu übersehen, dachte dann aber: Besser, ich ziehe mich zurück, vielleicht hat sie Kopfweh. Dann vergesse ich das Ganze – du kannst doch nicht verlangen, daß ich immer nur an dein Kopfweh denke – komme heute abend harmlos und zufrieden nach Haus, du bist wieder wortkarg und verstimmt, und plötzlich fährst du ohne jede Veranlassung auf mich los! Erwartest du vielleicht, daß ich dir noch immer wie ein Bräutigam mit offnen Armen entgegenfliegen soll? In unsern Jahren, dächte ich, wäre das vorüber. – Du weißt genau, was ich erwarte, und was jede Frau verlangen kann: Wärme und Freundschaft von dem Manne, mit dem sie sich fürs Leben verbunden hat; einige Gedanken über sich selbst hinweg, aber du, du bist immer nur mit dir allein beschäftigt. – Freue dich, daß es so ist! In meinem Unterbewußtsein aber ist es anders! Traurig, daß ich das aussprechen muß, das solltest du als selbstverständlich annehmen. – Was habe ich von deinem Unterbewußtsein? Das ist nur eine bequeme Ausrede! Und es sollte zum mindesten Tage geben, wo dies Unterbewußtsein etwas wachgerüttelt wird – mein Geburtstag zum Beispiel. – Dein Geburtstag? Er dachte einen Augenblick nach, dann umarmte er sie etwas majestätisch: Ach so, nun verstehe ich! Verzeih, Caecilie, ja, ja, an den hätte ich denken müssen, da hast du recht. Ich werde es um so ausgiebiger nachholen: Stell mir eine hübsche große Liste deiner Wünsche zusammen, morgen früh lasse ich alles kommen. – Als ob es das wäre, was ich vermißt habe! Und ich soll dir eine Liste zusammenstellen! Hast du mir je eine Liste zusammengestellt? Jawohl, das hast du auch, aber habe ich nicht stets Überraschungen für dich gehabt, Erfüllungen von Wünschen, die ich heimlich an dir auskundschaftete, die ich im täglichen Zusammenleben mit dir erriet? Ich verlange nicht, daß du dir um Wünsche für mich den Kopf zerbrichst, ich weiß, du hast an anderes zu denken, aber alles, was du mir sagst, braucht doch nicht nur zu sein: Stell mir eine Liste deiner Wünsche zusammen! – Also ich . gratuliere dir! Herzlich und aus voller Seele. Nun, ist dir das immer noch nicht genug? Einen Geburtstagskuß sollst du auch noch extra bekommen, gleich, sofort, hier am Fleck, obgleich ich das eigentlich lächerlich finde. Im Grunde ist doch ein Geburtstag wie jeder andre Tag. Kinder mögen eine besondere Freude daran haben, aber Erwachsene nicht mehr! – So hättest du früher nicht gesprochen! Du bist anders geworden im Lauf der Zeit. – Ich kann mich aber auch nicht mehr so viel um dich bekümmern wie früher! – Das weiß ich wohl! Aber du bekümmerst dich überhaupt nicht mehr um mich! Wenn ich nicht Enzio hätte, so wüßte ich nicht, wie ich es aushalten sollte. – Aber du hast Enzio doch auch! – Diese Antwort ist echt nach dir! Als ob du damit alle Verantwortung von dir abwälztest! Bequem und gedankenlos. – Caecilie, ich bitte dich, einen etwas andern Ton anzuschlagen. Manche Ehen sind gänzlich kinderlos, du bist bevorzugt vor vielen Frauen und solltest dem Geschick und auch mir dankbarer sein, daß du diesen schönen Sohn hast. Und nun bitte ich dich, einmal objektiv die Jahre unsers langen Zusammenlebens zu betrachten; und zwar, dir die Frage zu stellen: Wie war es früher, und wie ist es jetzt. Ich will sie dir gleich beantworten, um es dir leichter zu machen. Dann entscheide, ob du jetzt besser lebst, oder ob du damals besser lebtest: Die ganzen früheren Jahre waren eine Kette von Jammer und Depressionen. Ich rang mit meinem Talent wie Jakob mit dem Engel. Schön waren diese Zeiten nicht für dich, obwohl ich sofort hinzufügen muß: ich hatte es tausendmal schlimmer als du. Denn schließlich handelte es sich doch nur um mich, du saßest unglücklich dabei und sahest dem Zweikampf zu. Du hättest ja auch unmöglich mitringen können. – Wie? fragte Caecilie, ich hätte nicht mitgerungen? Laß deinen Engel fort und rede einfacher! Entweder leidest du an Gedächtnisschwäche oder du bist undankbar! – Ich sage ja auch: schön waren diese Zeiten nicht für dich, obgleich du immer noch deinen Sohn als Ablenkung gehabt hast! – Ich habe keinen andern Gedanken gehabt als den: Wenn du dich doch durchrängest! Ich sah, daß du auf einer falschen Bahn warst, aber wenn ich so etwas auch nur andeutete, so wurde ich zurückgewiesen. Du kannst mir weiß Gott nicht vorwerfen, ich hätte nicht teilgenommen an deinen Kämpfen! – Ich sage ja auch noch gar nichts. – Und was ich unklar vorausgesehen und gewünscht habe, das ist ja dann auch eingetreten: Du hast die schwere, tragische Musik aufgegeben und dich wieder der ursprünglichen Seite deines Talentes zugewandt, du hast seit ein paar Jahren wieder eine leichtere Musik geschrieben und jetzt arbeitest du an deiner komischen Oper, versprichst dir den größten Erfolg davon, und ich kann dir sagen: Ich hoffe mit dir, ich sehe voll Angst und Freude dem Tag entgegen, wo dies Werk von dir aufgeführt wird! – Das brauchst du doch nicht extra zu betonen! Als ob das nicht selbstverständlich wäre! Lenk doch nicht ab! Was ich sagen wollte, ist dieses: Früher habe ich Kämpfe durchgemacht und du hast es wirklich schwer gehabt an meiner Seite. Du hast als tapfere Frau mitgestritten für mich. Jetzt, jetzt habe ich mich wiedergefunden, mein Stern ist im Aufgehen begriffen, ich lebe in einer neuen Welt für mich, die ich ausbaue und vollende – du solltest stolz und froh sein – und nun kommst du mit Vorwürfen und Klagen, wie eine kleine Bürgersfrau, deren Mann tagüber im Bureau ist und dessen Sorgen vorüber sind, sowie er sein Bureau verläßt! Du scheinst keine Ahnung zu haben, was ein Künstler ist, obgleich du es allmählich wissen solltest! Und nun stelle ich dir die Frage: Mußt du nicht jetzt unendlich glücklicher sein als früher? Wo du siehst, daß mein Mühen von Erfolg begleitet ist? Was hast du denn jetzt noch für Kämpfe durchzumachen? Jetzt kommt die Ernte, der Ertrag! Man wird dich beneiden, daß du meine Frau bist! Da sollten doch kleinliche, private Wünsche ganz zurücktreten! Ich habe wahrhaftig keine Zeit und keine Neigung, mich noch um deine häuslichen Sorgen und Interessen zu kümmern, denn das meint ihr Frauen ja doch immer, wenn ihr klagt, daß der Mann sich zu wenig mit euch beschäftigt! Mach mir das Leben leicht und freundlich, laß die Zimmer etwas besser heizen, dann werde ich auch nicht wie ein Engländer herumgehen und mir die Hände wärmen müssen; heute nicht, heute nicht, heute ist es warm genug hier, aber manchmal ist es furchtbar kalt! Du siehst, ich gehe nicht etwa wie ein fremder Geist herum, sondern als Mensch mit menschlichen Bedürfnissen! Laß den Kopf nicht hängen, sondern freue dich nun einmal ordentlich, daß dein Mann es zu etwas Rechtem bringt! Du wolltest mir immer eine Kameradin sein: Jetzt ist die Zeit gekommen, es zu zeigen! – Entweder du verstehst mich nicht, sagte Caecilie, oder du willst mich nicht verstehen. Mit kleinlichen Hausfrauensorgen habe ich dich stets verschont, und du irrst dich, wenn du denkst, daß es solche Sorgen seien, in denen ich deine Teilnahme vermisse. Du hast recht, wenn du sagst: Wir sind keine Brautleute mehr und eine Ehe wandelt sich allmählich. Aber muß sie sich denn so wandeln, daß man wie Tiere in einer Menagerie umhergeht? Denn so ungefähr ist es; so ungefähr benimmst du dich. – Ich bin eben oft zerstreut, das mußt du mir doch nachfühlen können! Du hast keine Ahnung, was für Fragen in meinem Kopf herumgehen, und wie schwer es ist, sie alle durchzuarbeiten, ganz allein; ob nun ein Werk heiter oder tragisch ist: heiligen Ernst verlangt es immer! Es steht dir wahrhaftig schlecht zu Gesicht, mir Zerstreutheit vorzuwerfen: Mich hindert doch meine Zerstreutheit nicht, so wie es sich für einen Vater und Gatten gehört, zu Haus zu bleiben! Erinnere dich, was du einmal getan hast, wie du dich stark mit einer Sache beschäftigtest: Da bist du auf und davon gegangen und hast Mann und Haushalt im Stich gelassen! Jawohl, das hast du getan, und mich in die größte Angst und Sorge versetzt! – Muß ich denn das immer und immer wieder hören? – Bloß weil dir ein Roman gefiel, den du fertig lesen wolltest! Alles andre war dir gleichgültig, und mich hattest du gänzlich vergessen! – Du scheinst immer noch keine Ahnung zu haben, daß grade du es warst, an den ich fortgesetzt dachte! An niemand weiter! Schon damals vermißte ich etwas in dir, und das ist mit den Jahren mehr und mehr gewachsen. Es ist nicht Zerstreutheit, was ich in dir fühle, es ist Gleichgültigkeit! Deine Augen sind leer, wenn sie mich ansehen, ich habe kaum eine Erinnerung daran, wie sie früher waren, in unsrer schönen Zeit. – Aber Caecilie! Er trat auf sie zu, sie weinte.

Ähnliche Gespräche hatten früher schon stattgefunden, und wie jedesmal nach ihnen, gab sich der Kapellmeister auch jetzt wieder die nächsten Tage etwas Mühe, herzlicher zu sein. Aber bald wurde sein Wesen wieder so flau und indifferent wie zuvor. Was ist es nur, wodurch habe ich ihn denn so ganz verloren? dachte Caecilie oft. Auf den Gedanken, daß zwischen ihm und einer andern eine Verbindung bestehen könne, die nun schon jahrelang andauerte, geriet sie nicht. Manchmal dachte sie auch, sie selbst könne zu dieser Entfremdung beigetragen haben, dadurch, daß sie Enzio zu sehr zu sich heranzog; merkte dann aber immer wieder, daß dieses der Grund doch nicht sein könne, denn wenn sie ihn einmal an einer Erziehungsfrage teilnehmen ließ, lenkte er bald ab, schien jedoch in dem Wahn zu leben, die Quelle alles Guten für Enzio sei er selber. Die Musikstunden wurden zwar noch fortgeführt, aber längst nicht mehr so regelmäßig wie früher. Manchmal fragte sie sich, ob es nicht falsch von ihr gewesen sei, daß sie ihrem Mann niemals in ihrem ganzen Leben einen Anlaß zu einer Furcht gegeben habe. Sie fühlte, daß sie nicht die Kunst verstanden hatte, ihn dauernd an sich zu fesseln. Darüber waren ihre besten Jahre hingegangen, freudlos für beide. Aber jetzt, wo sie sich Schritt für Schritt aus der Jugendzeit entfernt hatte, ward sie an ihrem Mann etwas ganz andres gewahr: Er schien sich mit dem Alter noch mehr zu verschönen. Sein Gesicht hatte einen beinah abgeklärten Blick bekommen, sein leicht ergrautes Haar gab dem Kopf einen ausgezeichneten Rahmen, er war eine auffallende Erscheinung, die einen bedeutenden Eindruck machte. Stand diese Frische in einem Zusammenhang mit der Wendung, die sein Schaffen genommen hatte?

Die Oper wurde vollendet, der Klavierauszug gestochen, die Aufführung am Theater vorbereitet; Caecilie dachte: Wenigstens wird dieses ein Tag der Freude werden! Sie wußte nicht, mit welch andern Gefühlen sie auf die Bühne sehen würde und auf ihren Mann, wenn er nach den Aktschlüssen Hand in Hand mit Fräulein Battoni vor den Vorhang trat.


Es machte Enzio große Freude, abends bei den Aufführungen des Theaters unter den Statisten aufzutreten; man stellte ihn in die erste Reihe wegen seiner vollendet gewachsenen Gestalt und seines schönen Gesichtes willen. Caecilie war dies nicht recht, aber der Kapellmeister sagte: Er muß das Bühnenmetier frühzeitig kennen lernen. Die Choristinnen scherzten und kokettierten mit ihm, und er sah sich in einem Leben um, das ihn bald sehr stark anzog. Unverhüllte Reden wurden geführt, deren Inhalt er staunend verstand. – Suchst du dir keinen Schatz unter uns? fragten ihn die Mädchen, maßen ihn vom Kopf bis zu den Füßen, kicherten, tuschelten untereinander, flüsterten sich in die Ohren, und Enzio wandte sich verstimmt von ihnen ab, suchte sie aber doch immer wieder auf und horchte auf alles, was geredet wurde, wenn er dann allein zu Hause war, erhitzte er sich an Bildern, die vor seiner Seele aufstiegen. War er wirklich zu jung, um ein Leben zu führen, wie es die andern führten? Eine Menge von Mädchen gab es da, die einen starken Eindruck auf ihn hinterließen, sie alle wurden in Gedanken seine Geliebten. Auch Fräulein Battoni selbst beschäftigte ihn. Sie hatte eine Art ihn anzusehen, daß es ihm niederrieselte bis in die Fußspitzen, traten dann andre dazu, so änderte sie sogleich Worte, Ton und Blick, und ihr Wesen bekam dann etwas beinah Würdevoll-Mütterliches, was ihr nicht zu Gesicht stand. »Mein Kavalier« nannte sie ihn stets, und er benahm sich danach. Auch hierüber wurde wieder gelacht und heimlich halb unterdrückte Bemerkungen kamen an sein Ohr, ohne daß er den Wortlaut verstand.

Zu Hause sprach Enzio viel von diesen Abenden, der Kapellmeister neckte ihn mit diesem und jenem Mädchen, und Caecilie sah dem Treiben mit immer größerer Unruhe zu. – Geh nicht mehr hin! sagte sie zu ihm, das Leben dort paßt nicht für deine jungen Jahre; aber er widersprach, und sein letzter Trumpf war stets: Papa hat es mir erlaubt, und wenn der's erlaubt, kannst du doch auch nichts Böses darin finden! – Sag du ihm, sprach sie zu ihrem Mann, daß du es nicht willst! Er verschanzt sich hinter dich! Und diese Schwärmerei für die Battoni ist mir beinah widerwärtig. Das soll er doch hysterischen alten Jungfern überlassen, denen steht es besser zu Gesicht! – Hysterischen alten Jungfern? fragte er erstaunt, Caecilie! Ich bitte dich, rede etwas anders über diese Frau! Wenn junge Leute für sie schwärmen, so kann das nur veredelnd wirken! Ich bin stolz, daß sie ihn so gern hat, da er mein Sohn ist! Sie behandelt ihn voll Zartheit und fast wie eine mütterliche Freundin! Sie ist eine vornehme, edle Frau, das darfst du nie vergessen!

Du hast einen wundervollen Blick für Toiletten! sagte Fräulein Battoni eines Tages zu Enzio. Ich habe mir mein letztes Kleid am Halsausschnitt wirklich so ändern lassen, wie du es vorschlugst. – Wieviele haben Sie eigentlich? fragte er. – Das waren so viele, daß sie es gar nicht wußte. – Ich möchte einmal alle Ihre Kleider sehn! – Was der Junge für originelle Wünsche hat! Besuche mich, dann werde ich sie dir zeigen!

An einem der nächsten Tage las Caecilie eine Postkarte, mit blauer Tinte geschrieben: Mein Engel, komme nicht am Donnerstag, komm Sonnabend um drei zu mir, am Donnerstag bin ich verhindert. –

Was soll das heißen? fragte sie. Enzio erzählte alles der Wahrheit gemäß. Sie hörte zu und sagte: Du gehst nicht.

Am nächsten Morgen machte sie Fräulein Battoni einen Besuch. Sie ward von ihrer Zofe in einen Raum geführt, in dem es außerordentlich stark nach einem süßen Parfüm roch, vermischt mit dem herben Duft des Lorbeers, der in großen Kränzen an den Wänden hing. Dort mußte sie ziemlich lange warten. Zwischen den Kränzen und in ihnen selbst hingen Vergrößerungen nach Photographien, die Fräulein Battoni in irgendeiner Rolle darstellten, in sterbenden, lächelnden, beglückenden Posen. Eine Welt, die ihr ganz fremd war, umgab sie hier. Sie wollte sich auf einen Stuhl niedersetzen, erhob sich aber schnell wieder, als der im selben Moment eine Musik von sich zu geben anfing, worauf jemand aus einer Ecke schrie: Hurra, die Diva, hurra, die Diva! Sie erschrak erst, schüttelte dann den Kopf, als sie einen Kakadu entdeckte, und dachte: Hier ist ja der reine Zirkus!

Die Tür öffnete sich lebhaft, Fräulein Battoni trat ein, brachte einen neuen Duft mit, fragte mit freimütig gradem Blick: Was verschafft mir die große Ehre zu so früher Stunde? und führte sie zu einem Sessel. – Zunächst, sagte Caecilie, wollte ich Ihnen danken für das freundliche Interesse, das Sie an meinem Sohn nehmen, und dann Ihnen sagen, daß er Sie nicht besuchen kann. – Ah, ist er krank, der Enzio? – Caecilie schüttelte den Kopf: Bitte, fassen Sie meine Worte nicht unfreundlich auf und lassen Sie mich vertrauensvoll als Frau zu Frau zu Ihnen reden, dann, glaube ich, werden Sie mich ohne weiteres verstehen. – Sie begann davon zu sprechen, daß Enzio durch das Theater abgelenkt werde von seinen Schularbeiten, daß er außer für sie auch noch viel Frische übrigbehalten müsse für die Musikstunden bei seinem Vater, und daß die nahe Berührung mit den Verhältnissen des Bühnenlebens seinen Jahren nicht entsprechend sei. – Jetzt will er Sie auch noch besuchen, um sich Ihre Toiletten anzusehn – ich finde es sehr reizend und wirklich gutmütig von Ihnen, daß Sie ihm diesen Wunsch nicht ohne weiteres abgeschlagen haben, aber, glauben Sie mir, Enzio denkt dann, er darf immer wieder kommen; Sie kennen sein naives Herz nicht so wie ich; er würde Ihnen nur Ungelegenheiten machen, und deshalb möchte ich Sie bitten: Sagen Sie ihm, daß er sich für andre Dinge interessieren soll als für Damentoiletten! Nicht wahr, Sie verstehen mich? – Nicht ganz, sprach Fräulein Battoni langsam, zog die Augenbrauen hoch und heftete einen elegischen Blick auf Caecilie. Bitte, reden Sie nur weiter. – Sie scheinen mich mißzuverstehen, sagte Caecilie ein wenig unsicher, ich weiß zwar nicht, wie – – Liebe, gnädige Frau, Sie wissen es genau so gut wie ich! Seien Sie doch offen! sie sagten vorhin, Sie wollten als Frau zu Frau zu mir reden, und jetzt tun Sie, als spielten Sie mit mir Verstecken! Ich weiß, was Sie verschweigen, und ich stehe nicht an, es meinerseits ruhig auszusprechen, denn ich begreife Ihre mütterliche Sorge, wenn sie auch nicht am Platze war: Sie denken, die Damen vom Theater sind abenteuerliche Leute, Ihr Enzio ist ein wunderschöner, junger Mensch, Sie fürchten, der Verkehr mit mir würde ihm nicht gut tun, ja, im Hintergrund steht als letztes der Gedanke: vielleicht verliebt sie sich in den Jungen, und Gott weiß, was daraus entstehen kann. – Caecilie widersprach. Diese Formulierung ihrer eignen Befürchtungen erschien ihr verletzend gegen Fräulein Battoni, und um so mehr verletzend, wenn sie sich der Worte ihres Mannes erinnerte: Sie ist eine vornehme, edle Frau, das darfst du nie vergessen. So sagte sie denn jetzt: Es kränkt mich in Ihre Seele hinein, daß Sie mir derartige Vermutungen in den Sinn legen! Ich denke nie etwas Schlechtes von den Menschen, aber Befürchtungen, wie Sie sie mir unterschieben, würden mir Ihnen gegenüber am allerwenigsten für meinen Sohn kommen, dazu weiß ich zuviel von Ihnen! – Fräulein Battoni sah sie mit einem verständnisvollen langen Blick an, dann streckte sie ihr die Hand entgegen und antwortete: Ich danke Ihnen! Ich konnte es auch nicht im Ernst glauben; Sie sagten, Sie wüßten zuviel von mir, um mir etwas Derartiges grade Enzio gegenüber zuzutrauen. Lassen Sie mich, da die Schranken der Konvention einmal zwischen uns gefallen sind, Ihnen danken für dieses Wort und zugleich auch für Ihren Edelmut mir selbst gegenüber, den ich im stillen immer bewundert habe! Nicht jede Frau ist fähig, ihren Mann mit einer andern zu teilen! Aber Sie, Sie sind eine gradezu großmütige Dame; – – was ist Ihnen denn? Was haben Sie denn?

Caecilie war bei den letzten Sätzen heftig zusammengezuckt, jetzt lehnte sie ihren Kopf weit zurück. – Fräulein Battoni erhob sich erschreckt: Was ist Ihnen denn, liebe gnädige Frau? Hätte ich das nicht aussprechen sollen? Verzeihen Sie mir, es geschah in der allerbesten Absicht! – Sie suchte ihr den Kopf zu stützen, Caecilie wehrte heftig ab. – Aber was ist denn nur, was haben Sie denn? Mit einemmal durchschoß sie der Gedanke: Sie hat bis jetzt von nichts gewußt. – Aber meine liebe, allerbeste gnädige Frau, dies ist mir ja unendlich peinlich! Kann ich nicht irgend etwas tun für Sie? – Sie überlegte, wie sie ihr helfen könne. Ein Glas Zuckerwasser! dachte sie. Dies war bei allen Aufregungen ihr erster Gedanke. Sie ging zur Wand und klingelte. Es klopfte. Herein?! rief der Kakadu. Sie murmelte zu ihrer Zofe. Caecilie hatte inzwischen ihre Besinnung zurückgewonnen. Sie erhob sich, schwankte einen Augenblick, dann sagte sie: Adieu. – Aber liebe, verehrte Frau, Sie werden sich doch nicht in diesem Zustand von mir entfernen wollen! Wenigstens ein kleines Gläschen Zuckerwasser. – Caecilie antwortete nicht und ging vorwärts, ratlos folgte ihr Fräulein Battoni. – Oder ein Gläschen Kognak, vielleicht mit Soda? Ich habe einen ganz vorzüglichen Kognak! – Caecilie schritt immer weiter, über den Vorplatz hin, dann öffnete sie die Tür, hielt sich draußen am Geländer und ging langsam die Treppe hinunter. Fräulein Battoni sah ihr nach, endlich kehrte sie in ihr Zimmer zurück, ließ den Blick tragisch ihrem Spiegelbilde begegnen und wandte sich darauf zum Büffet.


Caecilie erwartete ihren Mann. Nach ihren ersten Worten erblaßte er, dann schlug ihm alles Blut zu Kopfe, was für ein Verhängnis! rief er, und ich hatte alles so eingerichtet, daß du nichts merken solltest! Es ist doch auch so lange gut gegangen! – Dann raffte er sich zu einer längern Rede auf: Caecilie, sagte er, dich verehre ich wie alles Schöne und Gute, ich habe dir noch neulich an deinem Geburtstag, den ich erst vergaß, gezeigt, wie sehr ich mit der ganzen Vergangenheit zusammenhänge, wie heilig mir alles ist, was dich und mich verbindet! Alles, was ich dir geben kann, habe ich dir gegeben und gebe es dir auch noch weiter! Bist du jemals auf den Gedanken gekommen, mein Herz sei zwischen dir und einer andern geteilt? Nein, niemals! Das zeigt am besten die Reinheit meines Gefühls dir gegenüber ! – Aber es ist doch trotzdem so! rief sie. – Das fing ganz anders an! Zuerst waren es Berufsinteressen, ideale Dinge, deren Gemeinsamkeit mich mit ihr verband. Unsere Seelen fanden sich auf diesem Gebiet, sie verklärte mit ihrer Kunst der Darstellung meine Intentionen, ohne sie, ohne meinen Glauben an ihre Kunst hätte ich kaum mein letztes Werk geschaffen; sie hat mich durch die Tat unterstützt in meinen Bestrebungen, für die du nur Wunsch und guten Willen haben konntest. Wo ist die Grenze zwischen idealer Freundschaft und Liebe? Es gibt keine Grenze! Neben dem Künstler ist man noch Mensch mit menschlichem Gefühl! Ich könnte dir dafür eine Reihe berühmter Beispiele anführen! Sieh dir andre Künstlerehen an! Überall findest du das gleiche! Und du kannst dich wahrhaftig nicht beklagen! Ihr könnt, euch beide nicht beklagen! Ihr habe ich dich immer als eine hehre, hohe Frau hingestellt, die es einsieht, daß einem Künstler wie mir mehr Freiheiten gestattet sind als andern Menschen, du würdest mich jetzt vor ihr beschämen, wenn ich ihr sagen müßte, daß du anders dächtest! Und wie ich über sie selbst zu dir geredet habe, das weißt du doch! Es wäre mir unwürdig vorgekommen, je anders als verehrungsvoll von einer zur andern zu sprechen, ja, mein letzter Wunsch wäre es gewesen, wenn ihr euch näher kennen gelernt und lieb gewonnen hättet. Jetzt flehe ich dich an: Laß alles wie es ist! Für sie habe ich mein Werk geschrieben, für sie war alles gedacht, erst die tragische Oper, mit der es dann nichts wurde, und darauf die komische Oper, die nun vollendet ist! Ich fühle mich schaffenskräftig zu neuem, willst du das alles mit einem Schlag zerstören? Sei so groß und edelmütig, wie ich dich ihr immer dargestellt habe, und verleugne dich zugunsten meiner Kunst! Sage dir: Du hättest ja von allem gar nichts zu erfahren brauchen und hättest weiter so glücklich gelebt wie bisher! – Glücklich? fragte sie; spreche ich denn alles immer in den Wind? Bildest du dir jetzt wieder ein, daß ich an deiner Seite glücklich gelebt habe? Du hast recht, daß nichts geändert ist gegen früher, – nur weiß ich jetzt, weshalb ich bisher so unglücklich war! Das also, das ist die Erlösung für dich gewesen, nach der du so gejammert hast! Du magst alles drehen und wenden wie du willst – – das halte ich nicht aus! Bleibe hier und tue was du magst: ich gehe! – Du willst gehn? Aber Caecilie, ich bitte dich um alles in der Welt: Bedenk doch allein nur den Skandal! – Das ist natürlich das erste, woran du denkst! – Und denk an Enzio!

Caecilie brach in Tränen aus; dann aber faßte sie sich: ihre tödliche Verletzung als Frau war stärker als alles andre: Enzio, sagte sie, wird mir nachkommen, nicht jetzt, aber später, was sagt die kurze Zeit der Schule noch! – Er versuchte, ihr diesen Entschluß auszureden, aber es war vergeblich. Gut, sagte er endlich, so muß ich mich also opfern: Ich verspreche dir auf das Heiligste – – Ich will nicht, unterbrach sie ihn heftig, daß du dich für mich opferst! Wenn ich wirklich denken muß, daß ich dir ein Hindernis bin, daß du, mit mir allein zusammen, verkümmertest, so ist es meine Pflicht, zu gehn. Ich trenne mich von dir, und jene Frau kann meine Stelle hier einnehmen, dann hast du, was du willst! – Aber ich bitte dich, Caecilie! Ich würde sie doch niemals heiraten! Was ich für mein Schaffen brauche, ist die ungebundne, freie Liebe, die mich inspiriert! Caecilie sah ihm ins Gesicht, dann sagte sie: wenn du nicht eine so unglückliche Miene machtest, möchte ich am liebsten lachen! – Lachen? fragte er gekränkt – ich dächte, diese Dinge wären tiefernst, ja tragisch! Es handelt sich doch um einen tragischen Konflikt in meiner Seele! Ich will mich für dich opfern, aber du gibst mir damit den Todesstoß! – Dieses Wort entschied. Caecilie ging. Der Kapellmeister hatte nicht geglaubt, daß sie Ernst machen würde. Ihn erfaßte ein Todesschreck, wie er abends, als er nach Hause kam, erfuhr, daß sie in der Tat abgereist war; dann las er den Brief, den sie ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte und in dem sie ihm schrieb, solange er nicht empfände, daß das größere Opfer sie sei, käme sie nicht zurück. Zu Enzio hatte sie gesagt, ihre einzige Schwester, die er nur dem Namen nach kannte, sei auf den Tod erkrankt und habe verlangt, sie noch einmal zu sehen. Zuerst hatte es sie gedrängt, ihm alles zu sagen, wie es war. Aber irgendein letzter Rest von Hoffnung ließ sie wieder zögern. Und als sie dann wirklich fort war, empfand sie sogleich mit aller Wucht die Trennung von Enzio. War es nicht ein Wahnsinn, von zu Hause fortzugehn? Mußte nicht ihr Gefühl als Mutter alles andere besiegen?

Ach Gott, nun ist sie wirklich fort! dachte der Kapellmeister, und das Essen schmeckte ihm nicht mehr. Er vermißte sie auf Schritt und Tritt. Das Hauswesen ging stockend seinen gewöhnlichen Gang weiter, es war, als fehlte bei allem die Hauptsache. Er geriet in eine immer nervösere Stimmung: Es ist fast, als wenn mir das Allergewöhnlichste des Lebens, als wenn mir der Atem fehlte! An den Atem denkt man auch nie, und man braucht ihn notwendig zum Leben! Das ist ein vorzügliches Bild und drückt so recht aus, wie ich zu Caecilie empfinde! Hätte ich ihr das doch gesagt, die besten Gedanken kommen einem immer erst hinterher! Ich fühle mich geradezu unwohl, wie wenn eine körperliche Krankheit im Anzug wäre! Ich kann nicht ohne sie leben, sie muß zurückkommen! – In den nächsten Tagen ging er zu seinem Arzt, fragte, ob ihm irgend etwas fehle und ließ sich aufs genaueste untersuchen; erfuhr, daß er kerngesund sei und atmete ein wenig auf. Nun wußte er, daß sein Leiden nur seelisch sei. Caecilie muß zurück, so dachte er – es wäre ja auch ein Wunder, wenn sich etwas so leicht vom Herzen reißen ließe, was bis dahin so fest mit ihm verbunden war!

Aber er konnte sie erst dann bitten, zurückzukommen, wenn er seine andern Beziehungen abgebrochen hatte. Mit schwerem Herzen entschloß er sich zu einem Brief an Fräulein Battoni. Schriftlich ließ sich die Sache besser machen als mündlich; er flehte sie an, ihn tunlichst zu vermeiden, die Ruhe seiner Seele hinge davon ab. Dann schrieb er an Caecilie: Das Opfer, das du nicht annehmen wolltest, habe ich gebracht, und ich versichere dir, jetzt, wo ich gesehen habe, was ein Leben ohne dich für mich bedeutet: Sie ist das kleinere Opfer. Du bedeutest für mich, was das Atmen dem Leben ist Das habe ich klar erkannt, denn ich bin in diesen Tagen des Alleinseins in mich gegangen und habe Rat mit mir selber gepflogen! Komm zurück! Ich weiß, daß meine Worte zu dir nicht vergeblich sein werden!

Wie eine Erlösung traf sie dieser Brief. Als sie seine Zeilen über das Atmen und das Leben las, schüttelte sie zwar traurig mit dem Kopf, aber sie dachte: Wenigstens zeigt er doch den guten Vorsatz, wenigstens ist es doch das erste warme, herzliche Wort nach Jahren! Gott weiß, wie alles nun wird, ob er wirklich die Kraft zu dauernder Entsagung hat, aber wenn er mir selbst die Hand bietet und zeigt, daß es ihm ernst ist, so muß ich zurück. Außerdem halte ich es ohne Enzio nicht aus. Und wie soll es werden, wenn er schließlich doch erfährt, weswegen ich fortgegangen bin? Das wäre auf die Dauer unausbleiblich! Welch schlimmen Einfluß könnte es auf ihn gewinnen, in seinen Jahren, wenn er erführe, warum sich seine Eltern trennten!

So kam sie zurück. – Caecilie, rief der Kapellmeister nach der ersten, emphatischen Begrüßung, Caecilie, ich habe inzwischen gelebt wie der verlorne Sohn, der sich von den Trebern nährte! Aber jetzt beginnt ein neues Leben! –

Es kamen Zeiten scheinbaren Glücks, dann fühlte sie immer mehr, daß die Versprechungen ihres Mannes übereilt gewesen waren. Er war zu schwach, um einer Leidenschaft, einer Gewohnheit zu entsagen, die ihn nun schon jahrelang gefesselt hatte, zumal ihn jeder Tag mit dem, was er vermeiden sollte, in Berührung brachte.

Nach jenem ersten, heftigen Impuls fehlte ihr die Kraft zu einer neuen Handlung, sie blieb und begann zu resignieren.

Das Gerücht hatte sich verbreitet, sie habe ihren Mann verlassen wollen, erst jetzt sei sie in das Geheimnis seiner andern Beziehungen gedrungen. Es näherten sich ihr Menschen aus ihren Bekanntenkreisen, die in verhüllten Andeutungen Trost und Freundschaft anboten.

Jetzt galt es, den Schein nach außen hin immer glaubwürdiger aufrecht zu erhalten; es erforderte viel Verstellung, Klugheit und Selbstüberwindung. Es kamen Momente der Schwäche, des Verzweifelns, und wenn sie fühlte, wie schwer dieses alles zu tragen war und Daß es niemand gab, der ihr helfen konnte, so dachte sie zuweilen: weshalb habe ich nicht die Hand genommen, die sich mir bot! Ich bin noch nicht alt genug, um auf alles zu verzichten! Aber im nächsten Moment verbannte sie solche Gedanken wieder, schalt sich weibisch-nichtswürdig und dachte: Seiner Mutter soll Enzio einmal nichts vorzuwerfen haben –

Hätte sie wenigstens auf Enzio mit aller Hoffnung und Ruhe blicken können! Aber seine Zukunft machte ihr oft Sorge, wenn er nur nicht seinem Vater nachgerät! dachte sie zuweilen: er hat etwas von der Weichheit und Zerlöslichkeit seines Wesens! Wo soll es hinaus, wenn er jetzt schon leidet unter Melancholie und »Stimmungen«, die ihn für Tage und Tage von der Arbeit forttreiben, bis er dann einmal wieder wie wahnsinnig schafft! In der Schule ist er faul geworden, er ist beinah der Älteste in seiner Klasse!

Und wie sollte es zwischen ihm und seinem Vater werden? Voll heimlichen Stolzes ahnte Caecilie in ihm die überlegene Begabung. Früher hatte der Kapellmeister jedem Menschen, der es hören oder nicht hören wollte, gesagt: Mein Sohn wird einmal etwas Großes, er wird uns alle und auch mich weit überflügeln. Diese Zeiten waren vorbei. Jetzt, wo er fühlte, daß es in der Tat vielleicht einmal so kommen werde, sprach er zwar gelegentlich noch dasselbe aus, aber mit einem Unterton von Ironie. Zwischen ihnen war ein leise gespanntes Verhältnis, Enzio ließ sich nicht mehr so wie früher als Schüler, als musikalischer Zögling behandeln, es kam zu gelegentlichen Verstimmungen, er begann sogar schon etwas von oben herab über das Schaffen seines Vaters zu reden, und Caecilie dachte, daß dieses Zusammenleben der beiden auf die Dauer immer weniger gut tun würde; daß es besser sei, ihn an ein auswärtiges Konservatorium zu schicken, wenn er mit der Schule fertig war, als ihn hier am Ort an der musikalischen Hochschule studieren zu lassen. Die Trennung von ihm würde ihr entsetzlich sein, aber sie sah keinen andern Ausweg.

Durch die Ereignisse der letzten Wochen war sie nervös und überreizt geworden, sah sie Gefahren schlimmer, als sie sein mochten, und so wurde sie eines Tages in die heftigste Aufregung versetzt, als sie zwei Briefe bekam, von Müttern, die Enzio den Verkehr in ihrem Hause künftighin verboten. Es handelte sich im Grunde um eine törichte Kinderei, aber wenn Caecilie in die Zukunft blickte, sah sie mehr darin.



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