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Richard an Enzio.

Ich glaube, daß ich jene ganze Sache viel zu schwer aufgefaßt habe, und es würde mich ärgern, Dir davon geschrieben zu haben, wenn mein Brief mir nicht so schöne und warme Worte von Dir eingebracht hätte. – Was Du über Irene schreibst, hat mich nachdenklich gemacht. Du bist ein sonderbarer Mensch, wenigstens in bezug auf sie bist Du es. Eigentlich ist es eine ganz glückliche Veranlagung. Sie hat jetzt die kuriose Idee, daß sie Krankenpflegerin werden möchte. Natürlich legen dem ihre Eltern kein Gewicht bei. Ihr Vater nennt sie manchmal scherzhaft »Schwester«, wundervoll denke ich es mir zwar, mich von einem Mädchen wie Irene verpflegen zu lassen, ich glaube, ich würde schon aus Sehnsucht danach krank, aber es wäre doch ein schrecklicher Beruf. Neulich hat der Professor, als er auf Irene zum Kahnfahren wartete, mit Kohle deine ganze Gestalt und deinen Kopf, sehr porträtähnlich, auf die hintere Seite des Bootshauses gezeichnet. Das hat sie aber am selben Tage mit einem Lappen wieder fortgewischt. Schade, es war wirklich ein Kunstwerk.

Du hast schließlich recht: Es ist falsch von mir, wenn ich dich in Deiner Kunst nach irgendeiner Seite hin zu beeinflussen suche. Ich ärgere mich auch jedesmal, wenn ich es tue, aber es kommt mir nun einmal so in den Mund und in die Feder. Deshalb verzeih, wenn ich auch jetzt noch ein kleines Wort über Deine Symphonie hinzufüge: Komponiere drauf los, wie du mußt, aber laß alle »Entwicklung«, wie Du sie mir da erzählt hast. Absolute Musik kann nun einmal keinen »Verlauf« darstellen, der außer ihren rein musikalischen Mitteln liegt. Versuchst Du es trotzdem, so wird jeder, der Deine Sache nachher hört, immer alles erst mit dem außermusikalischen Verstand zurechtrücken müssen, Programmusik ist von vornherein eine verfehlte Sache.

Enzio an Irene.

Du willst ins Ausland? Krankenschwester werden? Das darf nicht geschehen! Du weißt nicht, wie ekelhaft das ist! Du hast die Pflicht, Dich für das Leben zu erhalten! Nicht von zu Hause fortzugehn, oder gar aus unserer Stadt! Ich habe Richard sehr lieb, ich freue mich auch, daß Du ihn gern hast. Aber ich will nicht, daß er von Dir was weiß, was ich nicht weiß, so etwas kränkt mich; ich habe nie ein Geheimnis vor Dir gehabt. Du sollst auch keine vor mir haben. Du mußt ganz so zu mir bleiben, wie Du gewesen bist, sonst halte ich es nicht aus. Versprichst Du mir das? Warum antwortest Du mir nie auf meine Briefe? Bist Du gar nicht traurig, daß ich fort bin?

Enzio an Richard.

Den Plan, Krankenschwester zu werden, habe ich Irene schon ausgeredet. Übrigens, was ist das für eine komische Idee von Dir, daß Du gern krank werden möchtest, nur um Dich von ihr verpflegen zu lassen. Ich habe mich darüber geärgert!

Die Symphonie schreitet vorwärts. Der erste Satz ist vollendet, was Du über Programmusik schreibst, scheint mir doch nicht richtig. Berlioz zum Beispiel hat auch welche geschrieben! Wie wundervoll ist die Liebesszene aus Romeo und Julia! Da fehlt nichts drin, diese Musik entkräftet alles, was Du prinzipiell dagegen sagen kannst, Liszt und andere haben ebenfalls Programmusik geschrieben; also kann ich es doch auch versuchen! Und wenn sie nicht eine berechtigte Kunstform wäre wie jede andere, wie kommt es denn, daß sie in der letzten Entwicklung der Musik eine so ungeheure Stellung eingenommen hat? Mein Lehrer lachte erst, als ich ihm von meiner Arbeit erzählte, dann sagte er, man müsse alles probieren, um hinterher einzusehn, daß man es noch nicht kann. Daß aber Programmusik von vornherein ein Fehler sei, gibt er nicht zu. Ich weiß wirklich nicht, was ich nach Deiner Ansicht nun eigentlich schreiben soll! Keine Programmusik. Gut. Aber auch keine Musik, die irgendeine Entwicklung, irgendeinen »Verlauf« hat. Ich kann mir nicht denken, was Du Dir dann unter Musik vorstellst.

Ich bin hier in einen Verein von Konservatoristen eingetreten, wir haben ein kleines Orchester zusammengebracht, ich habe aber bis jetzt keinen einzigen gefunden, dessen Musik irgend etwas Besonderes wäre.

Irene an Enzio.

Ich finde Deine Briefe komisch! Ich verstehe auch nicht, was Du alles meinst. Ich habe nie gesagt, daß ich ins Ausland will, vielleicht werde ich gar nicht Krankenschwester. Aber ich ekle mich vor nichts, ich fasse alles an, wenn es nur nicht heiß ist. Du fragst, ob ich nicht traurig wäre, weil Du fort bist. Ich habe Dich nicht vergessen, aber ich bin auch nicht traurig. Traurig sein heißt doch: daß einem etwas weh tut, und mir tut nichts weh. Mama und ich spielen manchmal Kompositionen von Dir; das letzte, was Du hierließest, ehe Du abreistest, kann ich fast auswendig, und ich singe es manchmal für mich, wenn ich arbeite. Dein Freund Richard kommt zuweilen zu uns.

Sei nicht böse, daß ich schon schließe, aber es fällt mir nichts mehr ein. Ich komme mir recht langweilig vor. Richard findet mich, glaube ich, auch sehr langweilig. Er selbst ist sehr interessant und redet manchmal stundenlang mit Papa. Ich weiß nicht, was ich Dir weiter schreiben soll. Es kommt mir so dumm vor, einen Brief zu schreiben. Bis er ankommt, denkt man ja doch längst an andere Dinge, während der andere den Brief liest.

Nachschrift ihrer Mutter.

Aber ich bin traurig, Enzio, daß Du fort bist, und wenn nachmittags um fünf jemand läutet, denke ich, daß Du es bist; dann fällt mir ein, daß Du es ja gar nicht sein kannst, und dann öffne ich trotzdem und denke: vielleicht ist er es doch.

Aus Richards Brief an Enzio.

Du fragst, wie es denn kommt, daß die Programmusik in unseren Zeiten so stark in den Vordergrund getreten ist, und ich will Dir darüber so gut antworten, wie ich kann.

Zunächst: Programmusik ist keine Regel, kein Prinzip, keine Form, sie ist eine Ausnahme. Daß sie mit Berlioz und Liszt auf einmal in den Mittelpunkt zu treten schien, hat, glaube ich, mehrere Gründe: Man fühlte, daß die Macht der Musik, gewisse Empfindungen, Bilder auszudrücken, noch einer großen Steigerung fähig sei. Dann kommt als zweites in Betracht, daß die Musik in ihrem eigentlichsten Bereich durch die Vorgänger – besonders Beethoven – in der Ausbildung der rein musikalischen Mittel und Möglichkeiten so weit gebracht worden ist, daß fast nichts zu tun übrig zu bleiben schien. Berlioz schrieb noch Programmsymphonien, das heißt: er suchte den poetischen Inhalt wirklich soviel wie möglich in die Musik zu übertragen und aus eben dieser Musik mit ihren eigensten Mitteln wieder neu heraus zu gebären. Das zeigt sich schon an der Wahl der Themen, die eben einer musikalischen Behandlung zugänglich und erschöpfbar find, so hast Du mit Deinem Beispiel aus der Romeo-Symphonie auch recht. Er konnte jene Liebesszene wirklich wahr und vollständig mit musikalischen Mitteln darstellen, weil ihm von außen nichts als die musikalische Situation gegeben war, und er im übrigen die Musik sprechen ließ. Ebenso ist es mit manchen andern seiner Werke. Aber beachte wohl: Unter der Hand gruppiert sich ihm unwillkürlich das Ganze nach Art der alten Symphonie, das heißt: Er stellt die einzelnen Sätze nach Art der Bewegung und des Charakters einander gegenüber, was durchaus dem Wesen der Musik entspricht. Anders machen es Liszt und die übrigen Modernen. Daß man ihn und seine Nachfolger ihm an die Seite stellte, geschah aus Parteipolitik, oder aus gedankenloser, traditioneller Gewohnheit, die das Wesentliche übersah. Denn diese Neueren wollen eine realistische Art von Entwicklung und Schilderung geben, die vielleicht mit dem Gegenstande alles, mit der Musik aber nichts mehr zu tun hat – als ob es auf den Gegenstand ankäme, statt auf seine musikalische Verwirklichung und Erschöpfung. Die scheint überhaupt nur gewisse Motive zuzulassen, welche der Empfindung und nur der Empfindung Spielraum geben. »Handlung, Entwicklung« ist Sache der Musik, sofern sie gänzlich in die Empfindung aufgelöst werden kann – zum Beispiel das Rezitativische, Sprechende, sich Aufschwingende, Ermattende. Eine reale Handlung führt zur Berechnung und künstlichen Zusammenstellung der musikalischen Stimmungen und Motive. Daran ist die moderne Programmusik zugrunde gegangen. Die ganze Frage ist eine Formfrage, eine Frage des Aufbaus; es sind ihr einzelne wirklich erfundene Farben und Erfindungen wohl gelungen, aber der ganze Aufbau ist nicht durchgefühlt, denn er ist zusammengedacht, was soviel heißt, wie: zusammengestückelt, zusammengelogen. Man hat heute kein Gefühl mehr dafür, daß dem Musiker ebenso notwendig wie die lebendige Vorstellung des Gegenstandes auch das deutliche Bewußtsein ist, ob und wie weit dieser Gegenstand musikalisch zu erschöpfen ist. Vollends naturalistische Kunststücke, wie sie in der letzten Zeit gemacht wurden, ernst zu nehmen, bringt nur ein Publikum fertig, das das Unterscheidungsvermögen eines Tempels von einem Stall verloren hat. So etwas gehört allerhöchstens in den Zirkus. Gewiß: man kann Kinderquäken imitieren, belästigt man aber die Symphonie mit solchen Dingen, so ist es eine Sünde gegen den heiligen Geist der Kunst. Es ist, als unterstände sich einer, mit dem heiligen Weihwedel der Kirche Nachtgeschirre zu reinigen. Ich fürchte, Du verstehst irgend etwas falsch von dem, was ich geschrieben habe: Selbstverständlich gibt es auch in der reinen Instrumentalmusik einen Verlauf, eine Steigerung, eine Entwicklung von einer Stimmung in die andere. Aber diese Entwicklung stammt aus den Tiefen der nur musikalisch denk- und fühlbaren Idee, die den Komponisten leitet. Sie hängt ab von den merkwürdigen Verhältnissen der Tonarten unter sich, der Entwicklung der einzelnen Themen und Motive, das heißt nur von rein musikalischen Qualitäten.

Caecilie an Enzio.

Ich warte immer auf einen längeren Brief von Dir, aber er trifft nie ein. Ich habe das sichere Gefühl, daß sich diese Zeilen mit Deinen kreuzen. Deshalb nur so kurz; ich werde länger schreiben, wenn ich sie in Händen halte. Mir ist, als müßten sie um sechs Uhr im Kasten liegen. Trotzdem schicke ich dies ab.

Irene an Enzio.

Ich habe vor ein paar Wochen einen wirklich langen Brief an Dich geschrieben, und noch immer keine Antwort. Da Du an der Reihe bist zu schreiben, schreibe ich selbst so wenig.

Postkarte Richards an Enzio.

was ist mit Dir? Du läßt nichts mehr von Dir hören?

Caecilie an Enzio.

Wieder sind acht Tage vergangen, noch immer bin ich ohne Nachricht. Es beunruhigt mich! Bist Du krank?

Telegramm Caecilies an Enzio.

Bitte telegraphiere umgehend, was mit Dir ist; ich bin in höchster Besorgnis.



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