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Es schloß sich hieran eine lange Unterhaltung zwischen ihr und Enzio.

Du hast mich rufen lassen? fragte er, als er bei ihr eintrat. Sie ging auf ihn zu und faßte ihn an beiden Schultern. Er war jetzt einen halben Kopf größer als sie. – Ja, Enzio, und ich muß ernst mit dir reden! Er machte ein verwundertes Gesicht. Sie sah in seine Augen, und das Gefühl ihrer Liebe für ihn wurde so stark in ihr, daß sie ganz anders anfing zu reden, als sie eigentlich wollte.

Enzio! sagte sie, du bist mein einziges Kind, und du weißt, wie lieb ich dich habe! Es gibt niemand auf der ganzen Welt, den ich so liebe wie dich! Aber ich sehe auch alle deine Fehler! Ich bin deine Mutter und habe das Recht, dir das zu sagen. Es wäre schrecklich, wenn jemals im Leben irgend etwas zwischen dich und mich treten würde; je älter du wirst, Enzio, um so mehr werde ich auch deine Freundin. Du sollst nie das Gefühl verlieren, daß ich die Allernächste zu dir bin, daß du mir stets alles, alles sagen darfst. Du bist ein leidenschaftlicher Junge, aber ich bitte dich: Halte dich ein wenig mehr im Zaum! Du machst Streiche, die dir falsch ausgelegt werden, die auf dich in den Augen der Leute ein häßliches, abscheuliches Licht werfen, und die mir selber unsympathisch genug sind. Du verdirbst dir beinah deinen Ruf damit, und ich muß es nachher auskosten! Daß man mir Briefe schreibt, in denen Anspielungen auf schlechte Erziehung stehen! – Wieso? fragte Enzio. – Hier, lies! Sie gab ihm die zwei Schriftstücke; sie bezogen sich auf einen Vorgang der letzten Tage. Da war Enzio in einer Mädchengesellschaft gewesen, hatte zum Schluß ein Pfänderspiel eingeleitet, sich selbst durch einen Gewaltstreich zum Inhaber sämtlicher Gegenstände gemacht und dann jedes einzelne Mädchen in ein »Richterzimmer« kommen lassen, wo sie ihr Pfand für ein Gegenpfand wieder in Empfang nehmen durfte. Manche kamen beschämt, manche glücklich wieder heraus, und nur eine einzige wies unbefangen ein wirkliches Geschenk vor, und diese hatte Enzio nicht gefallen, so daß er sie nicht küssen mochte. Er war jetzt sehr beschämt, aber mehr, weil einzelne Mädchen zu Hause geschwatzt hatten und dadurch diese ganze Angelegenheit ans Licht gekommen war, als um der Sache selber willen. – Das hat etwas Unsympathisches an sich! sagte Caecilie. Ich begreife, wenn du ein schönes Mädchen gern küssen willst, aber dieses hier übersteigt mein Geschmacksvermögen, und ich kann dir sagen: Es wirft ein ganz übles Licht auf dich. Wenn mir die Sache von jemand anders erzählt würde und ich hätte eine Tochter, so würde ich ihr gleichfalls sagen: Von diesem Menschen halt dich fern, verkehre nicht mit ihm!

Sie blickte auf Enzio, und Enzio auf sie; seine Augen waren groß und verschleiert geworden bei ihren letzten Sätzen, er brach in ein leidenschaftliches Weinen aus. Sie fühlte voller Glück, daß dieses Kind ihr noch ganz gehörte, daß sie noch ganz in seinem Herzen war.

Such dir einen Freund! sagte sie nach einer Weile, jemanden, der mit dir strebt, zu dem du aufsehen kannst, der vielleicht auch älter ist als du, das ist das beste Mittel, um dich abzulenken von Dingen, zu denen du noch viel zu jung bist, diesen ewigen und ausschließlichen Verkehr mit Mädchen! Wenn du wenigstens noch mit Irene viel zusammen wärst, aber grade die siehst du jetzt fast gar nicht mehr! Sieh dir all die andern an! Was sind das für Mädchen! Wie behandeln sie dich und wie behandelst du sie! Sie vergöttern dich, sie machen dich eitel! Ich verstehe dich nicht, es ist mir manchmal, als ob du keine wirkliche Tiefe hättest, du kannst dich doch dabei innerlich nicht auf die Dauer wohl fühlen! Gott sei Dank, daß du wenigstens nicht mehr abends auf die Bühne gehst, der Verkehr wäre der allerschlimmste, und besonders für einen so leicht zu beeinflussenden Menschen wie dich. – Ja, sagte Enzio und kehrte den Blick etwas fort.

Schon vor Wochen hatte Caecilie ihm den Verkehr dort auf das strengste verboten. Enzio fügte sich, aber zuweilen, wenn ihn Caecilie als Zuschauer in ihrer Loge wähnte, war er doch dort oben, indem er dachte: Papa hat es mir erlaubt, also tue ich nur seinen Willen, wenn ich manchmal hingehe. Aber er stellte sich in die hinteren Reihen und vermied es, daß sein Vater ihn sah und erkannte. Er liebte dort ein junges Mädchen, mit Vornamen Eveline, das meistens in Kinderrollen auftrat.

Er suchte jetzt Irene wieder mehr auf, und wie er sie erst ein paarmal gesehen hatte, fragte er sich: weshalb bin ich wohl so lange Zeit nicht bei ihr gewesen? Er vergaß seine Freundin am Theater, ja, an dieses Mädchen dachte er jetzt beinah mit Widerwillen. – Nun, Irene, sagte ihr Vater gelegentlich, wenn sie so lange mit Enzio zusammen war, heute wird wohl überhaupt nichts gearbeitet? verschob seine kurze Pfeife im Mund und ging wieder. Dann verabschiedete sie Enzio ohne weiteres mit den Worten: Leb wohl, ich muß ins Atelier. Sie arbeitete jetzt an der Kopie eines antiken Grabreliefs. Ihr Vater verstand es, sie mit einem einigen hingeworfenen Wort zu leiten; zwischen ihnen herrschte ein Ton von kameradschaftlicher Vertrautheit. – Ich glaube, sagte Enzio einmal mit halber Bitterkeit, du magst ihn am liebsten von allen Menschen in der Welt! – Natürlich! antwortete sie, wundert dich das etwa? –

Der Aufführungsabend von des Kapellmeisters Oper war nun gekommen, nachdem man den Termin immer wieder verschoben hatte, und gestaltete sich zu einem kleinen Triumph für ihn. Caecilie saß mit Enzio in der Loge und nahm in den Zwischenakten all die Gratulationen hin, die man ihr, als Gattin ihres Mannes, sagte. Enzio wurde während dieser Aufführung immer stiller. Ein Gefühl großer Enttäuschung bemächtigte sich seiner mehr und mehr, jetzt, wo er das Werk zum erstenmal so hörte, wie es im ganzen gedacht war. Er hatte genügend musikalische Bildung, um einzelne Feinheiten zu erkennen und zu würdigen, aber alles in allem machte es ihm einen unoriginellen, in der Erfindung mühseligen Eindruck, was er bewußt und für sich selbst in das Wort »langweilig« kleidete. Seiner Mutter war die Aufführung von vornherein durch die Darstellerin der Hauptrolle vergällt, die sie nicht vom Menschen zu trennen vermochte, obgleich sie es immer wieder versuchte. Im übrigen ging es ihr ähnlich wie Enzio, aber beide sprachen es nicht voreinander aus. Nur ein einziges Mal sagte er ganz spontan: Hübsch! ausgezeichnet! Das war, als vom Orchester her eine graziöse, leichte Polka ertönte. An dieser Stelle hörte man auch einen besonderen Applaus.

Nach der Aufführung gab es ein Festessen, an dem auch Enzio teilnehmen durfte. Es wurden lange Reden gehalten, in denen abwechselnd der Komponist, das Orchester, die Darsteller und der Regisseur gefeiert wurden, und Caecilie litt heimliche Qualen, als ihr Mann ans Glas schlug und an Fräulein Battoni eine längere Ansprache hielt, die formell unanfechtbar war, und in der sie doch überall mehr zu hören glaubte, als sich dem Wortlaut nach erkennen ließ. Fräulein Battoni war in bester Stimmung: Sie hatte an diesem Abend vollendet schön gesungen, hatte für ihre Rolle neue Kostüme bekommen, die ihr ausgezeichnet standen, und eine Menge Lorbeerkränze geerntet. Sie klatschte immer in die Hände, wenn eine neue Rede begonnen wurde, sprach dem Champagner fleißig zu, den es in großen Mengen gab, ließ sich von den verschiedensten Menschen den Hof machen und fand nebenbei noch Zeit, sich mit Enzio zu unterhalten. Und wie sie ihn später, als es schon ein allgemeines Durcheinander gab, allein erwischen konnte, hielt sie ihn am Knopfloch seines Smokings fest und wollte durchaus wissen, welches von den Mädchen am Theater seine Auserwählte sei: Du wirst immer schöner, immer schöner, Enzio! wo soll das noch hinaus mit dir. Und was sehe ich, Enzio, jetzt, zum erstenmal? Du bekommst ja schon einen kleinen Flaum über der Oberlippe?! Sag mir: wie habe ich dir heut auf der Bühne gefallen? – Gut. – Und jetzt, wie gefalle ich dir jetzt? – Caecilie sah diese Unterhaltung und rief ihn zu sich.

Bald darauf ging sie mit Enzio und ihrem Mann nach Hause. Der Kapellmeister hatte ihren Arm in den seinen gelegt, drückte ihn zuweilen zärtlich und sagte: Ach, Caecilie, was bin ich glücklich, endlich, endlich ein Erfolg, und ein ganz großer! Wie mich das zu neuen Taten anspornt; ach, war das ein himmlischer Abend! – Sie bemerkte, daß er nicht ganz grade ging. – Du sagst ja gar nichts, Caecilie, hat es dir etwa nicht gefallen? – Doch, sehr! sagte sie und gab sich Mühe, ihren Ton recht warm klingen zu lassen, indem sie in die graue Morgendämmerung sah, in der noch vereinzelt Laternen brannten. – Und du, Enzio mio, sagst du denn gar nichts? – Ich bin müde! gab Enzio eintönig zurück. – Ich auch! ich auch! Es ist eine herrliche Einrichtung, daß es Betten auf der Welt gibt. Wie sagte der Kerl vorhin, Caecilie, was hat der Kerl gesagt? – Ich weiß es nicht, ich habe es nicht gehört. – Du hast es doch gehört! – Ich weiß nicht, wen du meinst. – Es gibt doch nur den einen Kerl! Enzio, was hat der Kerl gesagt? – Ich weiß es auch nicht. – Nun, dann will ich euch sagen, was der Kerl gesagt hat: Meine Musik erinnere ihn sehr an – Schumann! Schumann, ich soll an dich noch immer erinnern! An dich, mit deiner dualistischen Seele! Daß diese Menschen ewig nach Vorbildern schnüffeln müssen! Als ob jeder nicht etwas Besonderes ganz für sich wäre! Schumann, so sagen sie, fußte zunächst auf Beethoven und Schubert, Beethoven wieder auf Haydn und Mozart, und die wieder auf all dem Zeug, was vor ihnen da war. Bach kam es absolut nicht darauf an, ob seine Themen originell oder übernommen waren, er nahm sie wo er sie fand, und machte etwas ganz Neues daraus, und mir kann man nicht einmal eine einzige Stelle nachweisen, die ich von Schumann oder irgendeinem andern entlehnt hätte. Und da soll ich auf Schumann fußen! Fußen! was ist das überhaupt für eine Vorstellung! Als ob man mit den Füßen auf den Schultern eines andern stände! Da steht Mozart, auf dem steht Beethoven, auf dem steht Schumann, und da oben drauf, hoch oben – o Gott, Caecilie, ich glaube, mir wird unwohl!



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