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Die letzten Tagebuchblätter von Margarete Senz

Was wird das Ende sein? Gott allein mag es wissen. Ich sitze vor diesem weißen Blatt Papier, das in der geheimnisvollen Stille der Nacht plötzlich wächst und wächst, sich dehnt und streckt und groß wie ein Leichentuch geworden ist. Und mich legen sie hinein – und vermählen mich mit der Mutter Erde. – Amen! Gesegnet sei Jesus Christ! Und mochten die letzten Tropfen meines Bechers schal und bitter sein, ich habe sie ausgekostet. Nun habe ich im Quellwasser des Lebens den siechen, armen Leib gebadet und allen Schmutz von mir gespült, bin in die Tiefe gestiegen, in das Reich der Mütter. Nun bin ich für den Himmel reif.

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Leutnant Dorn ist eine arme Kreatur – ihm ist meine Seligkeit in die Knochen gefahren. Ich trage ein Kindlein, bin fruchtbar wie die Gotteserde, und dem Leutnant schlottern die Knie. Und Else ist heimgekehrt, bräutlich, fromm gleich einem Opferlamm. In sechs Wochen will sie ins Ehebett. Was soll nun werden? Ich war ein Kindskopf, habe gedacht, auf eine säuberliche Manier meine Sache ins Lot zu bringen. Herr Leutnant, Herr Leutnant, ich habe ein Kind. Nun heißt es biegen oder brechen – Herr Leutnant, mein Herz ist voll Seligkeit, ich trage ein Kind – und will es hoch in meinen Armen halten und aller Welt zeigen.

Der Leutnant sieht mich starr an, sein Antlitz gleicht einer wächsernen Totenmaske.

›Ich habe in den Schatten treten wollen,‹ sage ich zu Leutnant Dorn. ›Du bist mein Zeuge, Gott hat es anders gewollt – nun heißt es, mutig handeln und Klarheit schaffen. Und wenn du nicht bekennen kannst und willst, so laß uns das Bündel schnüren und lautlos davongehen. Die Welt ist groß – die Welt ist weit.‹

Der Leutnant steht vor mir wie ein zerbrochenes Spielzeug, jedes Geheimnisses bar. Mir wird ganz elend zumute. Mit verglasten Augen starrte er mich an und stammelt mit weißen Lippen: ›Ich kann nicht.‹ Ich packte ihn bei den Schultern und rüttelte ihn auf.

›Mann, in meinen Händen blüht eine Kraft, ich trage dich und das Kind durchs Leben.‹

Er glaubt mir nicht – er schüttelt den Kopf, der ausgebrannt ist – in dem nur ein Gedanke noch Raum hat: ›Das Kind muß aus der Welt.‹ Er sagt es kaum hörbar und wendet sich scheu ab.

Da lache ich laut und gellend auf und lasse ihn in seinem Jammer stehen.

Ich komme mir wie gewandelt vor – der Gedanke an das Kind beherrscht mich – Körper und Seele sind in einen geheimnisvollen Strom untergetaucht, mir ist, als ob ich neu geschaffen wäre. Bin ich tiefer herabgestiegen und bis zu dem Geheimnis meines Lebens und meines Herzens vorgedrungen? Suche ich mit blanker Erkenntnis an der Unbewußtheit meines Seins zu rühren, das Messer zu wetzen, um hinter das Triebhafte zu gelangen? Will ich Gottes Schleier lüften – und Klarheit schaffen, wo Gefühl alles ist? … Nein … nein … nein … Ich kniee nieder und bete dankerfüllten Sinnes. Ich trage ein Kind und bin in Seligkeit. Wo sind meine Begierden? Was ist mir Leutnant Dorn? Gott will es, daß mein gesegneter Leib auch reinen Herzens wird – denn vom Körper eines fruchtbaren Weibes fallen die Begierden wie böse Krusten. Nur eine Frau kommt hinter das Mysterium der Schöpfung. Dieses ist der Kern der katholischen Kirche, daß sie das Wort von der Mutter Gottes geprägt hat. Die Frauen, die heute mit heiserer Stimme Gleichberechtigung fordern, verkennen, daß sie sich selber das Grab richten. Denn sie sind von Gottes wegen höher geartet. Dieses ist der tiefste Sinn der katholischen Religion, daß sie nur von der Mutter Gottes spricht. Maria hält das Jesuskindlein an den Brüsten, und Joseph steht daneben und spielt eine trübselige Rolle.

Die Kirchengelehrten sind und bleiben die geistreichsten Köpfe. Zuletzt haben sie es zuwege gebracht, den armen Joseph gänzlich auszuschalten, und weil sie Gottvater nicht eine profane menschliche Rolle zumuten durften – wollten sie dem religiösen Gefühl nicht ins Gesicht schlagen – so ließen sie Maria vom Heiligen Geiste beschattet sein. Ich sehe in dieser Legende den letzten und schönsten Ausdruck religiösen Empfindens. Die Freidenker sind nicht nur Lästerer, sie sind hohle Tröpfe und eitle Toren. Sie ahnen nicht einmal, daß der Jesuslegende kein Märchen der Heiligen Schrift an Tiefsinn gleicht. Sie schaltet die Brutalität der Sinne aus und bedeutet nicht mehr und nicht weniger als den Sieg des Geistes über das Fleisch. Der Körper zerfällt – es bleibt nur die Idee.

Was sind mir meine Begierden? was ist mir Leutnant Dorn?

Es gäbe eine Erlösung der Welt, wenn die Frauen wie Maria beschattet werden könnten vom Heiligen Geist …


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